xuelle Enthaltsamkeit (Abstinence), Treue (Being faithful) und Kondome (Condoms) in genau dieser Reihenfolge – sich internationaler Kritik ausgesetzt sah. In seiner Rede, die von heftigen Pro- testen begleitet war, verteidigte Tobias die Politik von US-Präsident Bush, nach der ein Drittel des von Washington be- reitgestellten Geldes zur Aidsbekämp- fung für Programme ausgegeben werden muss, die Enthaltsamkeit
vor der Ehe fordern.
Den Beweis für die Wirksamkeit der Verhal- tensänderung lieferte (ebenfalls unter heftigem Protest) der ugandische Präsident Yoweri Muse- veni: Nicht Kondome sei- en die „ultimative Lö- sung“ im Kampf gegen die Verbreitung der töd- lichen Immunschwäche- krankheit, sondern Ab- stinenz und Treue. Durch
entsprechende Kampagnen sei die HIV- Infektionsrate in Uganda von mehr als 30 Prozent zu Beginn der 90er-Jahre auf etwa sechs Prozent gedrosselt worden.
Demgegenüber verwiesen Wissen- schaftler und Aidspatienten auf Staaten wie Thailand, wo die In-
fektionsrate durch die Aktion „100 Prozent Präservative“ um den Faktor 7 reduziert wer- den konnte. Zudem hät- ten Mädchen und Frauen oft keine Möglichkeit, abstinent zu bleiben.
Aufgrund der in vielen Kulturen veran- kerten Machtposition des Mannes seien sie nicht in der Lage, auf geschütztem Geschlechtsverkehr zu bestehen. Die Mehrheit der Delegierten hielten Ent- haltsamkeitsprogramme daher für un-
verantwortlich, unmenschlich und rea- litätsfremd.
Mit Sorge beobachten die Epidemio- logen, dass der weltweite Anteil von Frauen, die mit HIV/Aids leben, über- proportional zunimmt. Zwei Drittel der Neuinfizierten sind Frauen und davon wiederum zwei Drittel 15 bis 24 Jahre.
Die Gründe für diese Entwicklung sind vielschichtig. Das Wissen über HIV/Aids
ist unzureichend, und es fehlen Präventi- onsmethoden, die ausschließlich von der Frau kontrolliert werden könnten (zum Beispiel vaginale Mikrobizide).Auch Ar- mut trägt zur HIV-Verbreitung bei, da Frauen sich zum eigenen Überleben und
dem ihrer Kinder auf ungeschützten Ge- schlechtsverkehr einlassen müssen.
Um Aids einzudämmen, davon war man in Bangkok überzeugt, müssten die Bemühungen um umfangreiche Präven- tionsmaßnahmen begleitet sein von der breiten Verfügbarkeit und dem Zugang zu kostengünstigen Arzneimitteln. Dem zentralen Thema der Konferenz („access for all“) entsprechend wurden Modell- projekte und Infrastrukturen vorgestellt, wie die antiretrovirale Therapie in Ent- wicklungsländern eingeleitet und kon- trolliert werden kann.
Indem man die Behandlungsprotokol- le so weit wie möglich an die Bedingun- gen der ärmeren Ländern angepasst und Kombinationspräparate eingesetzt hat, konnte zum Beispiel die Hilfsorganisati- on „Ärzte ohne Grenzen“ innerhalb der letzten zwei Jahre die Zahl ihrer behan- delten Patienten von 1 500 auf 13 000 er- höhen. Die klinischen und immunologi- schen Resultate sind ermutigend:Als Zei- chen dafür, dass sich dass Immunsystem erholt hat, stiegen die CD4-Zellen, und die Patienten nah- men an Gewicht zu. Bei 85 Prozent der 477 Pati- enten, bei denen auch die Viruslast überprüft wer- den konnte, war diese un- ter die Nachweisbarkeits- grenze gesunken. Und das zu geringen Kosten:
20 bis 30 US-Dollar pro Patient im Monat für die generisch hergestellten Medikamente.
Derzeit müssten sechs Millionen HIV- Infizierte in Entwicklungsländern antire- troviral behandelt werden; therapiert werden jedoch nur etwa 400 000. Mit der Aktion „3 by 5“ streben die Weltgesund- heitsorganisation und UNAIDS gemein- sam an, mindestens drei Millionen Men- schen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen bis 2005 mit der antiretroviralen Therapie zu versorgen.
In Bangkok forderten ihre Repräsentan- ten die Politiker auf, die dafür erforderli- chen 5,9 Milliarden US-Dollar zur Verfü- gung zu stellen.
Generell durchzog die Themen Öko- nomie und Politik die 15. Welt-Aids- Konferenz, während die Grundlagen- wissenschaft in den Hintergrund rück- M E D I Z I N R E P O R T
Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 31–322. August 2004 AA2161
Tragische Zahlen: Wie sich das HI-Virus auf der Erde verbreitet
Weltweit sind rund 38 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert, davon 87 Prozent durch heterosexu- elle Übertragung. Jeder zweite HIV-Infizierte ist weiblich. Allein im vergangenen Jahr haben sich 4,8 Millio- nen Menschen neu mit HIV infiziert. Noch immer ist Afrika am stärksten von der Immunschwächekrankheit betroffen; etwa 25 Millionen Menschen sind allein in Ländern südlich der Sahara infiziert. Aids hat in Afrika 14 Millionen Kinder zu Halb- oder Vollwaisen gemacht. Mit Asien und Osteuropa kommen jetzt neue Regio- nen hinzu, in denen sich das Virus rasch ausbreitet. Besonders gefährdet sind Jugendliche, Frauen, Prostitu- ierte, Einwanderer und Flüchtlinge. In Indien tragen heute mehr als fünf Millionen Menschen das Virus in sich. Auch China gibt jetzt durch Regierungschef Wen Jiabao offiziell zu, Aids habe inzwischen alle Ebenen der chinesischen Gesellschaft erreicht. Zum Vergleich: In Westeuropa leben 580 000 HIV-Infizierte.
Täglich bekundeten die Aktivisten in Bangkok lautstark ihren Unmut über Defizite und Fehlverhalten im Um- gang mit der HIV-Infektion. Dabei wurden auch Stände der Pharmain- dustrie verwüstet.
China war auf der Konferenz mit einem großen Ausstellungs- stand vertreten, nachdem die Regierung offiziell bestätigt hat, dass Aids ein Gesundheitsproblem im eigenen Land ist.