DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
DIE GLOSSE
Nur komisch?
Ziemlich genau jeder vierte Be- werber konnte im Wintersemester 1985/86 für ein Medizin-, Zahn- oder Tiermedizinstudium einen Studienplatz erhalten, meldet die Dortmunder Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS). Die detaillierte Aufgliede- rung auf die drei Gebiete wird wohl noch nachgeliefert.
Interessant ist, daß fast 1000 Medi- zinbewerber, die schon zugelas- sen waren, ihren Platz gar nicht annahmen. So viele konnten näm- lich im „Nachrückverfahren"
noch berücksichtigt werden, ob- wohl sie zunächst erst einmal ab- gelehnt worden waren.
Was mögen das eigentlich für Leute sein? Die Chance, einen Medizinstudienplatz zu ergattern, beträgt weniger als 1:4. Und da gibt es doch tatsächlich beinahe 1000 junge Leute, die eine solche Chance einfach ausschlagen — ko- misch?
Aber in der Sache steckt noch mehr Komik. In Zukunft müssen ja alle Bewerber um ein Medizinstu- dium durch den berüchtigten Test, auch die Interessenten für Zahn- und Tiermedizin. Den Ter- min des 19. Februar 1986 wird man sich merken müssen: An die- sem Tage findet nämlich der Test statt — nicht weniger als 60 000 ha- ben sich dafür angemeldet. Das muß man sich mal vorstellen:
60 000 — das sind heutzutage 10 Prozent eines Geburtenjahr- gangs. Oder fast ein Prozent un- serer Bevölkerung — die wollen al- le Arzt werden. Das wäre eine Arztdichte von 1:100!
Unter diesen Umständen ist es wohl kein Wunder, daß der ZVS- Pressestelle die Sprache ent- gleist: Der neue Eingangstest für Medizinstudenten sei offenbar
„auf großes Interesse gestoßen", heißt es da — ach du meine Güte!
Als ob erst durch diesen, jetzt für alle verbindlichen Test das Inter-
esse am Medizinstudium geweckt werden mußte! — 60 000 Anmel- dungen für den Test, heißt es wei- ter, „konnte die ZVS entgegen- nehmen"; damit sei die Obergren- ze der Vorausschätzung (zwi- schen 40 000 und 60 000 Anmel- dungen) erreicht worden. — Ir- gendwie hört sich das an wie: Ein voller Erfolg also; wenn wir noch besser werben, dann kriegen wir nächstes Jahr 80 000 und über- nächstes Jahr vielleicht sogar 100 000 Anmeldungen! Es klingt fast so, als ob die ZVS für je 10 000 Medizinbewerber eine „Erfolgs- prämie" kassiert.
Da schreibt sich alle Welt die Fin- ger wund über die gesundheits- politischen und gesellschaftspoli- tischen Gefahren der Ärzte- schwemme, aber in Dortmund scheint man sich über jedes wei- tere Tausend zu freuen. Ist das ei- gentlich nur noch komisch, oder was ist da los? gb
FRAGEN SIE DR. BIERSNYDER!
Chance
zur Problemlösung
Sehr geehrter Herr Doktor, im dritten Programm habe ich im- mer wieder gehört, wir sollten alle einer Encounter-Gruppe angehö- ren. Was ist das, und was soll eine solche Gruppe eigentlich?
Dr. Biersnyder antwortet: Man muß leider davon ausgehen, daß wir alle schwere Probleme haben, die wir allein nicht lösen können.
Sollten Sie zu den außerordent- lich seltenen Ausnahmen gehö- ren, die in der Lage sind, mit sich allein fertig zu werden, müssen Sie trotzdem an einer solchen Gruppe teilnehmen, Sie sind sonst einfach nicht „in". Außer- dem haben Sie eine echte Chan- ce, Probleme an sich zu entdek- ken, die Sie bisher womöglich einfach nicht zur Kenntnis ge- nommen haben. Und das wäre na- türlich sehr schade.
Schnittpunkte
Die „3. Basler Psi-Tage '85" — In- ternationaler Kongreß für interdis- ziplinäre Diskussion von Grenzfra- gen der Wissenschaft —, so kündi- gen die Veranstalter an, wollen sich mit dem „Leben nach dem Tode" beschäftigen. Und zwar phänomenologisch, psycholo- gisch und mediumistisch. Bei der letzteren Methode geht es um Äu- ßerungen von Medien (nicht etwa den elektronischen!), die „auf Grund der verunmöglichten Transzendenz und der unreali- sierbaren transzendentalen Iden- tifikation" nie bewiesen, aber auch nicht widerlegt werden könnten. Dieses gelte vor allem für Rückschlüsse auf die Einwirkun- gen von Verstorbenen, als Indizien für das Fortleben der Seele, bei Klopfgeräuschen, Stimmen, Gei- sterphotographie, Leuchtphäno- menen und ähnlichem.
Vier Absätze weiter sind dann al- lerdings Spuken, Poltern oder Stimmen von Toten bereits „em- pirisch und wissenschaftlich ana- lysierte Phänomene". — Vielleicht hätte man doch lieber mal abge- wartet, was der Lehrstuhl für Pa- rapsychologie, der jetzt in Eng- land nach Arthur Koestlers Testa- ment errichtet werden mußte, an wissenschaftlichen Erkenntnissen bringt.
Nun haben es ja fromme Men- schen mit dem „Leben nach dem Tode" viel leichter. Daß es da Überschneidungen gibt, ist den Veranstaltern ganz klar. Die Schnittpunkte von Parapsycholo- gie und Religion werden „wesent- licher Bestandteil der 3. Basler Psi-Tage" sein, denn „an diesem Punkt setzen die Schnittpunkte an".
Jetzt hat also das Neudeutsch mit voller Wucht auch die Parapsy- chologen überrollt (die echten Psychologen waren in dieser Be- ziehung ja schon immer sehr fruchtbar) — die „Schnittpunkte setzen an"! gb Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 44 vom 30. Oktober 1985 (23) 3243