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Archiv "Kunst und Geschichte mit medizinischem Vorzeichen" (27.07.1978)

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Die Information:

Bericht und Meinung DIE REPORTAGE

Man kann in Florenz zum Palazzo Pitti fahren und sich herrliche Ge- mälde ansehen; man kann aber auch noch ein paar Schritte weiter- gehen und im zoologischen Mu- seum „La Specola" das Wachsmu- seum studieren. Man kann in den Uffizien seine Aufmerksamkeit welt- berühmten Bildern widmen; man kann aber auch hinter den Uffizien in einem angebauten Palast, in dem das „Museo nazionale di storia delle scienze" domiziliert, weltberühmte historische Geräte, naturwissen- schaftliche Unikate, mit denen schon Galilei hantiert hat, kennen- lernen. Und so geschah es am Pfingstsonntag, als sich der „Monte- catini-Kongreß" der Bundesärzte- kammer in zwei vollbesetzten Omni- bussen und einer kleinen PKW-Ka- valkade zu medizinhistorischen Stu- dien in die Arnostadt aufmachte.

Die Medizinhistoriker der Universität Düsseldorf, Professor Dr. Hans Schadewaldt und Professor J. F.

Volrad Deneke, hatten in den Monte- catini-Fortbildungskongreß ein me- dizinhistorisches Seminar einge- baut, erstmals und versuchsweise.

Der Erfolg war groß. Das Interesse ging entschieden über die Erwartun- gen hinaus. So darf angenommen werden, daß vom Experiment zum Dauerkonzept vorangegangen wer- den kann.

Das Seminar bestand aus einer Mi- schung von Referaten, Vorführun- gen und Exkursionen zu einigen der in der Toskana zahlreichen medizin- historischen Stätten, die sich zudem dadurch auszeichnen, daß mit ihnen künstlerische Aspekte verbunden sind. So hatte Professor Schade- waldts Einführungsvortrag zur me- dizin- und kunsthistorischen Wan-

derung durch Florenz so viele An- meldungen provoziert, daß beina- he die ganze Exkursion geplatzt wäre .. .

Das Wachsmuseum — 1500 anatomische Exponate Die Teilnehmer bekamen Zugang zu Exponaten, Darstellungen und Ein- richtungen, die zum Teil sogar der seit -zig Jahren in Florenz tätigen offiziellen Führerin noch nie offen- standen. Mag es ihr Geheimnis blei- ben, wie die Herren Schadewaldt und Deneke es fertigbrachten, daß die Kuratorin der „Specola", Profes- sor Maria Luisa Azzaroli, am Pfingst- sonntagmorgen die Schätze des Wachsmuseums uneingeschränkt der Gruppe zur Besichtigung frei- gab, daß die Direktorin des berühm- testen naturwissenschaftlichen Mu- seums Italiens, Professor Maria Lui- sa Righini Bonelli, die deutschen Ärzte am Nachmittag bei ihren Sammlungen erwartete, daß sich die zwecks Renovierung geschlossene Spanische Kapelle mit ihren ein- schlägigen Fresken öffnete und daß das sonst nur von außen zu besichti- gende Erstlingswerk der Renaissan- ce, das 1419 von Brunelleschi be- gonnene Ospedale degli lnnocenti in Augenschein genommen werden durfte. Allen Beteiligten hiermit öf- fentlicher Dank!

Es ist schwer zu verdeutlichen, was das Wachsmuseum auf 700 Qua- dratmetern bietet. Der Leser möge seine anatomischen Kenntnisse und einige Phantasie zu Hilfe nehmen, um eine Vorstellung zu gewinnen von fast 1500 anatomischen Wachs- modellen, die, in fast unglaubhafter Naturtreue, erschreckend wären,

wenn sie sich weniger perfekt dar- böten. 19 lebensgroße „menschli- che" Körper, komplett dargestellt mit allen Organen und Systemen, mit Arterien, Venen, Nerven, Sehnen und Muskeln, Hautfarbe, Haltung und Gesichtszüge dem vorgestellten Leiden angepaßt, mit sorgfältig ge- richtetem Haar, aufgeschnitten, ge- krümmt, gebärend, sterbend, dazu acht auf 60 Zentimeter Länge ver- kleinerte komplette Gestalten, und der Rest: einzelne Glieder, Organe, Funktions- und Systemdarstellun- gen, Skelette, Föten, also das ganze Spektrum des anatomischen Wis- sens, das ein Arzt brauchte, für den sich Anatomie noch im strafbaren Untergrund vollzog ...

Es gibt keinen Zweifel darüber, daß diese Modelle einer Zusammenar- beit von Bildhauern und Ärzten ent- stammen. Die Namen sind bekannt.

Die Wachsmodell-Schule von Flo- renz wurde um 1750 gegründet; sie fand einen Förderer in Großherzog Peter Leopold, der die Installierung eines regelrechten Laboratoriums im Naturhistorischen Museum ver- anlaßte. Die Modelleure waren be- kannte Künstler, denen einige erst- klassige Chirurgen und Geburtshel- fer assistierten. Die Modelle wurden unmittelbar von Leichen abgenom- men; bekannte Zeichner lieferten die heute noch vorhandenen und damals im Anatomieunterricht mit- benutzten Zeichnungen. Was in der Welt an anatomischen Wachsmodel- len ähnlicher Perfektion vorhanden ist, ob in Wien, in Montpellier, in Bologna, Padua oder an anderer Stelle in Florenz, stammt aus der

„officina" der Specola oder von de- ren Mitarbeitern. Das macht den Rang der Einrichtung aus, die die deutschen Ärzte genau, einschließ- lich der alten Zeichnungen und ei- ner Sammlung medizinischer Instru- mente, studieren durften.

Im Museo nazionale di storia delle scienze

Teilnehmer mit besonderen mathe- matischen und physikalischen Nei- gungen kamen dann bei Professor Bonellis Sammlungen hoch auf ihre

Kunst und Geschichte

mit medizinischem Vorzeichen

Erstmals ein medizinhistorisches Seminar

beim Montecatini-Kongreß der Bundesärztekammer

1734 Heft 30 vom 27. Juli 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Die Information:

Bericht und Meinung

Kosten. Konnte auch dem gleich zu Beginn des Rundgangs gezeigten

„Jupiter-Fernrohr" Galileis keine Echtheitsgarantie gegeben werden, so doch später für die Linse, mit der er vier Jupitermonde entdeckte und damit erstmals Längemessungen er- möglichte. Seine Originalteleskope, ein von ihm konstruierter Militär- kompaß, Zeichnungen für Thermo- skope und eine Pendeluhr, das Pa- tent für eine Wasserpumpe, seine

Magnete und der Mittelfinger der rechten Hand finden sich dann u. a.

im fünften der neun Säle der ersten Etage — das nur zur Andeutung der Größenverhältnisse des Museums.

Michelangelos Kompaß, Rechenma- schinen Typ Pascal, Instrumente, wie sie Tycho Brahe und Kepler be- nutzten, Nachtuhren, Sonnenuhren, Wasser-, Sand- und Öluhren, Qua- dranten, Astrolabien, ein kopernika- nischer Globus und zahlreiche pto- lemäische Globen, ein Himmelsglo- bus arabischer Konstruktion aus dem elften Jahrhundert, deren es nur noch drei gibt, herrliche alte Karten, in denen sogar das Rote Meer rot koloriert ist, Hygrometer, Thermometer, Mikroskope ab dem 17. Jahrhundert, auch eins von Gali- lei — diese Aufzählung sei nur ein unvollkommener Hinweis auf die Fülle der Exponate, deren Herstel- lung oft kunstvoll ist, stets aber von großem Können zeugt.

Kunst unter

medizinischem Vorzeichen Kunst gab es bei der Exkursion ver- ständlicherweise immer nur unter medizinischen Vorzeichen, sei es bei der Darstellung von Ärzten mit Schröpfer und Uringefäß, ihrer Krankenbehandlung, deren Krank- heitszeichen oder der Entwicklung anatomisch einwandfreier Skulptur.

Besichtigungen im Bargello, im Baptisterium, der Giotto-Platten am Campanile und der Fresken der Spa- nischen Kapelle der Kirche Santa Maria Novello dienten diesem Zweck.

Ein kurzer Besuch galt der Erzbru- derschaft della misericordia, zu der

berufen zu werden auch heute noch für Grafen und Arbeiter eine Ehre und zum Dienst eingeteilt zu werden für Chefärzte wie für Chauffeure ei- ne Selbstverständlichkeit ist. Sie übt wie eh und je den Bereitschafts- dienst aus; drei Ambulanzen stehen stets am Domplatz.

Eine echte Überraschung schließ- lich war der Besuch in der großarti- gdn Brunelleschi-Anlage des Ospe- dale degli lnnocenti, früher ein Fin- delhaus, heute ein nach 500 Jahren immer noch intaktes Waisenhaus mit Schulbetrieb. Dieses Haus hat sich über Jahrhunderte hinweg durch eine besonders geringe Sterblichkeit ausgezeichnet, auch im heutigen Maßstab, wozu nicht zu- letzt die offene, luftige Anlage bei- trug mit schönen Zwischenhöfen und Gärten und Zimmern, die sich zu Terrassen und Loggien öffnen.

Dies war der Abschluß einer Erfah- rung und der Erkenntnis, wie sich eine Bürgerschaft schon im 13.

Jahrhundert und erst recht nach dem Pestseuchengang von 1348 ein Krankenhaussystem schuf, das über Jahrhunderte hinweg leistungsfähig blieb.

In dieselbe Linie gehört das Spedale del Ceppo in Pistoia, das 1977 seine Siebenhundertjahrfeier begehen konnte und dem die Montecatini-Se- minaristen ebenfalls einen Besuch abstatteten. Hier imponierten die frühen Einrichtungen der Seuchen- bekämpfung mit durchgreifender Isolierung, aber auch mit in genau- em Abstand aufgestellten Einzelbet- ten, deren eins noch in der Kapelle zu sehen ist. Die Sammlung alter chirurgischer und geburtshilflicher Instrumente und Geräte erschreckte und interessierte, alte medizinische Intelligenzblattveröffentlichungen verblüfften. Wissenschaftlich am aufregendsten dagegen war das äl- teste anatomische Theater Italiens von 1616 im Garten des immer noch voll genutzten Krankenhauses.

Professor Denekes Seminarreferat lautete: Patient und Arzt in der Tagespublizistik. Dem Historiker ging es dabei nicht vordergündig um die von heute, sondern um ein

grundsätzliches Problem. Publizistik ist für ihn aktuelle öffentliche Kom- munikation, Miteinander von Mensch zu Mensch in seiner Zeit.

Die unabdingbare Öffentlichkeit be- ginnt allerdings nicht erst beim ge- schriebenen und gesprochenen Wort, sondern schon beim frühen Bild. So bot Deneke weit zurückrei- chendes Bildmaterial an, das sehr interessierte.

Heilmusik und Heilschlaf — historisch und aktuell

Schadewaldts Referat „Musik und Medizin" war einmalig. Das galt we- niger für die historisch belegte Heil- musik als die in unsere Zeit hineinra- gende, für die er Musikbeispiele mit- brachte: Mitschnitte der Heilmusik der Ibo zur Geburt mit Fünf-Ton- Melodie, scharfem Rhythmus und spontanen Rhythmuswechseln, den Heiltanz der Irokesen und vor allem die Tarantella, die heute noch Italien bis zu zwölf Stunden ununterbro- chen als Heiltanz gegen den Taran- tismus, der als Epidemie jedes Jahr junge Mädchen befällt, getanzt wird.

Ungemein fesselnd war schließlich noch die Darstellung des griechi- schen Heilschlafs im Verhältnis zu Freud und autogenem Training durch Dr. phil. habil. Dr. med. Joa- chim von Schumann (Düsseldorf).

Es ist alles schon dagewesen.

Als Sprecher der Bundesärztekam- mer hatte Hauptgeschäftsführer Prof. Deneke darauf verwiesen, daß dieses neue Seminarangebot auch dazu dienen solle, das Selbstver- ständnis der Ärzte zu erweitern, zu stärken. Der Blick in die Vergangen- heit kann sicherlich dazu beitragen.

Die Methoden haben sich gewan- delt, aber der Grundanspruch an den Arzt blieb derselbe. Der An-

€pruch des Arztes an sich selbst wohl auch, selbst wenn Menschli- ches die Erfüllung verhinderte. Der Arztberuf war, ist und bleibt: kein Beruf wie jeder andere.

Dr. Magda Menzerath

• Bildbericht auf den folgenden Seiten

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 30 vom 27. Juli 1978 1735

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DIE REPORTAGE Die Information:

Bericht und Meinung

Bilder einer

Exkursion

Oben links: Das wohl kleinste noch erhaltene Anatomische Theater des 17. Jahrhunderts im Gar- ten des Ospedale del Ceppo in Pistoia. — Rechts davon: Fries am Ospedale del Ceppo mit Terrakotten des G. della Robbia: Darstellung ärzt- licher Versorgung in ei- nem Hospital der Renais- sance.

Unten links: Innenhof des 1421-1424 von Brunelle- schi erbauten Findelhau- ses Ospedale degli Inno- centi. Licht, Luft und Be- wegung senkten die Sterblichkeitsziffern in diesem damals modernen Findelhaus erheblich;

Bild Mitte: Frei bewegli- che Ärmchen der Wickel- kinder auf den blau-wei- ßen Majolika-Reliefs von Andrea della Robbia.

Rechts daneben: Raum in der Vorhalle für

. die Abla- ge der Findelkinder.

Rechts oben: Berufsdar- stellungen von Andrea Pi- sano und seiner Schule um 1340 am Campanile des Doms von Florenz, ein Ausschnitt daraus rechts Mitte: die Darstel- lung des Artzberufes mit der Harnschau.

Unten rechts: Die vermut- lich schon im 13. Jahr- hundert gegründete älte-

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DIE REPORTAGE

Die Information:

Bericht und Meinung

1.11 WW im ws MIR

ste Florentiner Bruder- schaft versorgt noch heu- te mit freiwilligen Helfern den Notdienst in der Mi- sericordia am Dom. Die Brüder sind kenntlich an schwarzen Kutten mit schwarzen Kapuzen.

• (Siehe dazu den Be- richt auf Seite 1734 f.)

Alle Fotos: Deneke

Referenzen

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