• Keine Ergebnisse gefunden

Mit Maschinen kann man reden

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Mit Maschinen kann man reden"

Copied!
31
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

FS I I 94-503

Mit Maschinen kann man reden

Michael Schlese Gerald Wagner*

A *

• •

I

* Freie Universität Berlin, Institut fiir Soziologie

Eine gekürzte Fassung des Beitrags erscheint unter dem Titel "Technik und Zeichen: Zur Beziehung von Technikgeneseforschung und Semiotik" in der Zeitschrift "-Semiotik".

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH (WZB) Reichpietschufer 50, D-10785 Berlin

Tel. (030)-25 491-0 Fax (030)-25 491-254 od. -684

(2)

Zusammenfassung

Der Beitrag beschäftigt sich - aus der Perspektive der Techniksoziologie - mit Aspekten der durch Computer vermittelten Kommunikation. Der Computer stellt ein wissenschaft­

liches Artefakt, ein Instrument globalen Kommunizierens und schließlich ein Medium der Selbsterfahrung von Experten dar. In allen diesen Aspekten sind wir mit einem "Problem der Referenz" konfrontiert. Es läßt sich dann ausmachen, wenn Experten den Computer als Modell des Denkens verwenden, wenn die Nutzer eine "virtuelle Realität" in der com­

putervermittelten Kommunikation konstruieren und wenn Ärzte einen "künstlichen"

Patienten in einem medizinischen Expertensystem kreieren.

YOU CAN TALK TO MACHINES

Abstract

This paper deals with aspects o f computer-mediated communication in a sociology o f technology perspective. The com puter is created as a scientific artefact, as a tool for global communication and finally as a medium o f self-experience o f experts. In all o f these aspects we face the "problem o f reference". It is identified when experts use the computer as a model for the human mind, when users construct a "virtual reality" in computer-mediated communication and when physicians create an "artificial" patient in a medical expert system.

(3)

Wir sind keine Semiotiker. Trotzdem hat die "Wissenschaft von den Zeichen" fiir uns eine Be­

deutung bei der Untersuchung von Technik. Besonders wichtig ist sie, wenn es um "technische Medien" geht. W ir wollen das an drei Fallstudien demonstrieren: dem Diskurs zur "Künstlichen Intelligenz" ("KJ"), einem Kommunikations-Programm (dem Internet Relay Chat, "IRC") und einem Beispiel für die Technologie wissensbasierter Systeme (einem Expertensystem in der Intensivmedizin, "Medex”1).

Die Technikgenese-Forschung interessiert sich einerseits für die Entstehungsbedingungen einer Technik. Dabei greift sie technikgeschichtliche Forschungen auf. Das wollen wir hier nicht tun.

Andererseits untersucht sie die sozialen Bedingungen des Funktionierens und der Durchset­

zung einer Technik - besonders in der frühen Phase ihrer Entstehung.^ Wenn es um technisch vermittelte Kommunikation geht, ist ein unverzichtbarer Aspekt der Aneignung einer Technik das Problem gelungener Konstruktion "kommunikativer Wirklichkeit". Damit ist gemeint, daß drei Apriori jeder Kommunikation erfüllt 'sein müssen. Diese Apriori bedeuten, daß (1) zwi­

schen sprach- und handlungsfähigen Kommunikanten (2) m it einem spezifischen Arsenal von Zeichen, das ein System bildet, (3) über etwas kommuniziert wird. Sie müssen erfüllt sein, damit eine Technik als M ittel der Kommunikation und als Bezugspunkt gesellschaftlicher Kommunikation funktioniert.

Wir entnehmen der semiotischen Diskussion zwei Aspekte. Erstens die Definition der Zei­

chenfunktion als Einheit von Zeichen, Bezeichnetem und Bezeichner, wobei jedes Element - im Sinne einer referentenff eien Semantik - für sich untersucht werden kann. Zweitens die Vorstel­

lung, ein Zeichen existiere und habe Identität nur in einem Reproduktionsprozeß; Entw urf und Aneignung eines Zeichens bilden - in diesem Sänne der Betonung der "Dimension des Interpre­

ten" - eine Einheit. Es geht uns um die Konstruktion kommunikativer Wirklichkeit im Medium des Computers, die gelingt, wenn die Apriori der Kommunikation erfüllt sind. Kontingent sind natürlich die je historischen Formen der Kommunikation (z.B. der Übergang von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit), in denen sich diese Apriori erfüllen müssen. A uf diesen Formenwandel - der ein Wandel der technischen Medien ist - richtet sich dann auch das Frageinteresse der Technik-

1 Unser Aufsatz bezieht sich auf Ergebnisse des Verbundprojektes: "Veränderungen der Wissensproduktion und -Verteilung durch Expertensysteme" (gefördert durch den Bundesminister fiir Forschung und Technologie unter dem Kennzeichen W1T 00220), in dessen Rahmen von Werner Rammert, Michael ScWese, Gerald Wagner, Josef Wehner und Rüdiger Weingarten ein Teilprojekt: "Konstruktion und Anwendung von Exper­

tensystemen - Folgen fiir Wissen, Kommunikation und Organisation" an den Universitäten Bielefeld und Berlin durchgefuhrt wurde. Die Namen der untersuchten "KI"-Projekte wurden von uns geändert bzw. weggelassen.

Die Untersuchungen zum "IRC" wurden von Ingo Braun, Michael Schlese und Gerald Wagner am Wissen­

schaftszentrum Berlin fiir'Sozialforschung in der Forschungsgruppe "Große technische Systeme" am For­

schungsschwerpunkt Technik - Arbeit - Umwelt unter Leitung von Bemward Joerges durchgefuhrt.

2 Vgl. Rammert (1993, S. 29-64).

3 Vgl. Eco (1976), dt. (1987).

(4)

Soziologie. Der Computer als "Medium der Kommunkation" kann bedeuten, daß er als Maschine Teil eines Systems ist, mit deren Hilfe man kommunizieren kann ("IRC"). Der Com­

puter kann aber auch als Projektionsfläche für technologische Visionen und als Paradigma wis­

senschaftlicher Diskurse dienen ("KI"), die ihrerseits wieder eine bestimmte technologische Entwicklung rechtfertigen helfen ("Medex").

Der "KT!-Diskurs verweist au f spezielle Programmiertechniken und rechtfertigt diese zugleich an einer bestimmten Vorstellung, wie Menschen handeln und dabei Probleme lösend Wir inter­

essieren uns dafür, wie dieser wissenschaftliche Diskurs mit Hilfe der Publikationstätigkeit, wissenschaftlicher Veranstaltungen und spezieller Gremien aus sich heraus Anschlußbedingun­

gen für weiteres Forschen bildet. Der Diskurs produziert dabei seine eigenen Begriffe. Wir fra­

gen, w orauf sich dieser Diskurs bezieht: auf eine bestimmte Technik (Computer) und a u f eine bestimmte soziale Wirklichkeit (wie rtExpertentum", "menschliches Problemlösen" etc.). Dann kann man fragen, ob diese Bezugnahme und ihre sprachliche Regulierung das Resultat einer absichtsvollen symbolischen Politik "institutioneller Unternehmer" ist® oder gewissermaßen naturwüchsig verlief.

Kommunikation erscheint hier als Element der soziologischen Erklärung. Sie kann aber auch - als technisch vermittelte - Gegenstand bestimmter soziologischer Untersuchungen werden.

Beim "IRC" lassen sich sprachliche Innovationen wie das "Emotikon" untersuchen, die im Ver­

band der verwendeten Zeichen ihren spezifischen Sinn erhalten. Die Konstruktion der kommu­

nikativen Wirklichkeit (Thema, Gegenstand) im "IRC" erfolgt - wie wir sehen werden - auf der Grundlage geteilter Lebenswelten der Kommunikanten. Dazu kommt die Konstruktion der Kommunikanten-Rolle mit ihren entsprechenden Wahrhaftigkeits- und Konsistenz-Zumutun­

gen.

Im Fall "Medex" betrachten wir die Konstruktion des Körpers des Patienten im Medium des Expertensystems. Sie wird von den Entwicklern als eine Abbildung des Patienten in einem Computerprogramm (ein Expertensystem) interpretiert. Das Programm bildet einen Verwei­

sungszusammenhang, in dem allein der'Patient als "Dafenkörper" existiert. Die Entwicklung des Expertensystems ist auch ein Medium der Selbsterfahrung und Selbstdarstellung der Experten.

2. WAS HAT DIE TECHNIKSOZIOLOGIE MIT SEM IOTIK ZU TUN?

Moderne Gesellschaften sind funktional differenziert1’. Sie werfen das Problem der Koordina­

tion ihrer Teilbereiche auf. Das schließt hohe Anforderungen an die gesellschaftliche Kornmu- * 4 Vgl. Collins (1987).

5 Vgl. Alexander (1993).

6 Vgl. Luhmann (1984).

(5)

nikation ein. Diese Anforderungen sind besonders prekär, wenn ein einheitlicher Kode fehlt, der die Kommunikation der gesellschaftlichen Teilbereiche ermöglicht, und die Zahl und Spe- zialisiertheit der Teilbereiche immer mehr zunimmt. Gesellschaft wird "dezentral" und kann nicht au f der Grundlage eines einheitlichen Kodes integriert werden.

Die soziologische Theorie hat auf das Problem der Koordination und Integration moderner Ge­

sellschaften durch die Zentralisierung des Kommunikations-Begriffes als Beschreibungs-Kate­

gorie einerseits und durch eine Anpassung des Modells der Kommunikation an das Fehlen ver­

einheitlichender gesellschaftlicher Kodes andererseits reagiert. Für die einen wird dabei Kom­

munikation als zeichenbasierte Informationsübertragung auf der Grundlage geteilter Bedeutun­

gen der Zeichen für die Kommunikanten entworfen.? Für die anderen dominiert mit der systemtheoretischen Sicht der Gesellschaft ein Modell der Kommunikation, das diese als re­

kursives Beobachtm gsverkältnis autonomer Subsysteme auffaßt.^ Die Vorstellung von Ge­

meinschaft, die noch im Kommunikations-Begriff selbst steckt, liefert demnach kein Paradigma für die soziologische Bearbeitung gesellschaftlicher Kommunikation. Außerdem ist Kommuni­

kation dann nicht mehr am Paradigma der Mündlichkeit orientiert. Ohnehin sind die Modelle zwischenmenschlicher Kommunikation stark durch die Resultate zunehmender Verschriftli­

chung und die Typisierungs-Zwänge des Buchdrucks bestimmt. So ist es möglich, Kommuni- kations- und Zeichentheorie miteinander zu verbinden.

Die Anleihen, die die Technikgeneseforschung bei semiotischen Begriffen (wie "Zeichen" bzw.

’'Zeichenfunktion" und "Kode", "Kommunikation", "Referenz") macht, beschränken sich auf grundsätzliche Bestimmungen.. Ein Zeichen ist demnach etwas, das für jemanden im Verband anderer Zeichen für etwas anderes steht. Das, wofür es stehen kann, ist sein Platz im System der anderen Zeichen (Intension), ein Gegenstand, der es referiert (Extension), oder eine Kom­

munikationsabsicht (Intention)J-0 ’'Referentenfreie Semantik” bedeutet in diesem Zusammen­

hang, daß die Extension nicht für die Definition der Intension eines Zeichens notwendig äst.

Trotzdem gehört - für einen Beobachter als Kommunikant - die Erfülltheit aller drei Aspekte der Zeichenfünktion zu den Apriori der Kommunikation (s.o.). Die Zentralisierung der Rolle des Interpreten einer Zeichenfünktion entspricht der Definition von Kommunikation als rekur­

sive Beobachtung. Aus ihr folgt - in der Sichtweise der Technikgeneseforschung - außerdem noch die Vorstellung, daß technische Medien interpretations- und verwendungsoffen sind. 1 1

7 Diese Vorstellung findet sich sowohl in der ''klassischen” technologisch orientierten Informationstheorie (vgl.

ShannonZWeaver 1964) als auch in handlungstheoretisch orientierten Kommunikationstheorien (vgl. etwa Habermas 1988).

8 Diese Bestimmung geht ü.a. auf von Foersler (1993) zurück.

9 Vgl. Giesecke (1992).

10 Vgl. Eco (1977).

11 Das ist am Fall des Telefons gut untersucht (vgl. Ranimert 1993, S. 230-266).

(6)

Technik ist fur die Techniksoziologie immer in einer Doppelperspektive zu sehen: als physikali­

scher und als semiotischer Gegenstand. Die Soziologie hat immer betont, daß der Sinn eines technischen Artefakts nicht diesem selbst anhaftet. Das Artefakt ist nur ein Interpretationsan­

gebot. "Jedes Artefakt, z.B. eine 'Maschine', ist lediglich aus dem Sinn deutbar und verständ­

lich, den menschliches Handeln (von möglicherweise sehr verschiedener Zielrichtung) der H er­

stellung und Verwendung dieses Artefakts verlieh (oder verleihen wollte); ohne Zurückgreifen au f ihn bleibt sie gänzlich unverständlich." (Weber 1972: 3) Die Interpretation ist aber auch ein notwendiger Bestandteil der Funktionalität von Technik.

Umberto Eco erzählt folgende Geschichte: "Ein lustiges, aber schlagendes Beispiel [für archi­

tektonische Codifizierungsprozesse - M.S.J wird von [Giovanni Klaus] Koenig in Zusammen­

hang mit Häusern erwähnt, welche von der Cassa del M ezzorgiomo für die Landbevölkerung gebaut wurden. Die Einheimischen verfugten auf einmal über moderne Häuser mit Bad und Toilette, waren aber gewöhnt, ihre körperlichen Bedürfnisse auf den Feldern zu verrichten, und unvorbereitet auf die mysteriöse Neuerung in Form von Klosettbecken benutzten sie die Klo­

setts als Spülbecken für Oliven; sie spannten ein Netz aus, auf das die Oliven gelegt wurden, zogen die Wasserspülung und wuschen so das Gemüse. Nun gibt es niemanden, der nicht ein- sähe, wie perfekt die Form eines normalen Beckens zu seiner Funktion paßt, welche sie sugge­

riert und nahelegt, so sehr, daß man versucht ist, einen recht tiefen ästhetischen und operativen Zusammenhang zwischen der Form und der Funktion zu erkennen. Aber", so merkt Eco an,

"die Form bezeichnet die Funktion nur au f der Basis eines Systems von erworbenen Erwartun­

gen und Gewohnheiten, also auf der Basis eines Kodes." (Eco 1988: 309)

Offensichtlich repräsentiert in dem genannten Fall ein physisch vorhandenes Klosettbecken zwei unterschiedliche Techniken: die Fäkalienbeseitigung oder die Olivenreinigung, je nach­

dem, welchen kulturellen Rahmen wir annehmen. Der physikalische Gegenstand "Becken"

symbolisiert mögliche, aber nicht beliebige Funktionen, die jeweils Ausdruck des Verwen­

dungskontextes sind. Dessen Kontingenz wird limitiert durch die Sachform des Artfakts. Das Beispiel macht klar, was mit einer Beziehung von Technik und Semiotik im Zusammenhang der Soziologie gemeint ist: Technische Funktionalität ist ein semiotisches Phänomen. Und inso­

fern sie es ist und die Semiose ein sozialer Prozeß ist, gibt es ein inneres Band von Technik, Semiotik und Soziologie, das weiter reicht als nur bis zur Beobachtung des Symbolwertes einer

"an sich" funktionierenden Technik durch den Soziologen.

D er intendierte Sinn, der einem technischen Artefakt seine Identität verleiht (Weber), und die Tatsache, daß technische Funktionalität die Aneignung des Artefakts als Element von Sinnzu­

sammenhängen einschließt (Eco), erschöpfen das Problem der technischen Funktionalität nicht.

Der ursprüngliche Sinn einer Technik kann verloren gehen. Sie stellt ein Möglichkeitsfeld dar.

Die darin eingeschriebenen Nutzungskonzepte der Entwickler begrenzen dieses Möglichkeits­

feld. Sie determinieren aber nicht die Art und Weise, wie das Feld "ausgelesen" und die M ög­

lichkeiten angeeignet werden. Und eine Technik kann einem Nutzer Leistungen zur Verfügung stellen, der keine Ahnung vom Entstehungs- und Funktionszusammenhang hat. "Die Straßen­

bahn nimmt mich mit, auch wenn ich Elektrizität irrig für eine kribbelige Flüssigkeit halte."

(Luhmann 1991, S. 234) Luhmann bezieht sich hier auf den Zusammenhang von funktionaler

(7)

Differenzierung der Gesellschaft und Technik als Medium. Für die Wissenschaft ist die fahren­

de Straßenbahn ein "Beweis", daß die Elektrizitätstheorie stimmt. Wie für die "KI" ein funk­

tionierendes Expertensystem ein "Beweis" für die Wahrheit ihrer kognitionswissenschaftlichen Theorien ist. Für den Fahrgast ist die Bahn ein Angebot, das er nutzt, obwohl er den Konstruk­

teuren nur vertrauen, deren wissenschaftliche Vertrauenswürdigkeit aber nicht überprüfen kann.

3. COMPUTER ALS MEDIUM DER KOMMUNIKATION

3.1. Diskurse und Gegenstände

Seitdem sich die Soziologie dem 'linguistic tpm' der Humanwissenschaften gefügt und Kom­

munikation zu ihrem Grundbegriff gewählt hat, gibt es auch hartnäckige Einsprüche gegen diese Gleichsetzung des Sozialen mit dem 'prisonhouse o f language'. Insbesondere die Technik- sozioiogie hat gute Gründe, immer wieder darauf hinzuweisen, daß wir in einer Welt von Sachen le b e n d Das jst zwar unbestritten, bringt die Techniksoziologie jedoch vor die Schwierigkeit, über ihre 'Anschlußfähigkeit' an die beiden theoretischen Großwetterlagen der Söziaiwissenschafteti - Handlungs- und Systemtheorie - Auskunft geben z u müssen: Will man den Sachcharakter des technischen Artefakts betonen, wird man mit Handlungstheorien die geringeren Schwierigkeiten haben. Dagegen schließen sieh diejenigen, die die soziale Kon­

struktion des technischen Artefakts untersuchen (wie auch die Technikgeneseforschung), be­

vorzugt den Kommunäkations- und Medientheorien a n ^ . Zwar kein Ausweg, wohl aber ein Mittelweg öffnet sich, wenn an technischen Artefakten die Leistung untersucht wird, die sie zur Kommunikation beitragen. Diese Leistung wird dann als Unterstützung, Assistenz oder Ver­

mittlung begriffen.

Die Forschungsrichtung Computer-Mediated-Communication hat vor allem im angelsächsi­

schen Raum bereits eine kaum noch übersehbare Literatur hervorgebracht Hier werden Kommunikationsformen untersucht, an deren Zustandekommen Computer einen notwendigen Anteil haben. W ir wollen zwei Fallstudien aus diesem Gebiet Vorstehern Ein wehweites compu- ter-basiertes Kommunikationsnetz und ein medizinisches Expertensystem. Wir beobachten, daß mit Hilfe dieser Technologien über etwas kommuniziert wird: Ü ber das W etter in Kalifornien, die Partyszene in Berlin, den komatösen Zustand des Patienten P. oder den Zuckergehalt im Blut der Patientin V. Wir fragen, wie in solchen Kommunikationsformen Sachverhalte konstru­

iert werden. Ein solcher Sachverhalt kann sein: Der Zustand von Patient P. ist kritisch und

12 Vgl. Linde (1972) u. Joerges (1989).

13 Vgl. Rammert (1989) u. Rammen (1993, S.291-308).

14 Eine Auswahl: Chesebro/Bonsall (1989), Rice/Love (1987), Kiesler/Sproull (1986), Kiesler/Sproull (1991), Danowski (1982), Freeman (1980), Hiltz (1983), Kiesler/SiegeßMcQuire (1984), Myers (1987), Turkle (1982), Turkle (1984).

(8)

verlangt die Zugabe von 5 ml eines bestimmten Präparats, oder: Starbuck ist männlich und be­

findet sich in New York City. Die kommunikative Konstruktion solcher Sachverhalte ändert sich, wenn sie in Computersystemen geschieht. Und unsere gesellschaftstheoretische Diagnose soll lauten, daß in den letzten Jahren immer mehr Kommunikation in oder über Computer- systeme(n) stattfindet. Wie gelingt dann dieser Form von Kommunikation, was jede Kommuni­

kation muß leisten können: die soziale Konstruktion von Wirklichkeit? Zuvor aber zeigen wir, daß sich in dieser Form der Konstruktion von Wirklichkeit die Rolle des Computers als

"Medium" nicht erschöpft. E r ist nicht allein' eine Kommunikationstechnologie, sondern auch eine Technik, die selbst zum Ausgangspunkt wissenschaftlicher Diskurse werden kann ("KI").

Wir gehen also zunächst auf den Computer in einem Diskurs e i n ^ um dann an zwei Beispie­

len die computervermittelte Kommunikation im engeren Sinne zu besprechen 3.2. Der ”KT’-Diskurs

Ein Sinn von "Technik als Medium der Kommunikation" ergibt sich aus der Tatsache, daß eine Technik als Projektionsfläche für technologische und wissenschaftliche Visionen bzw. als For­

schungsparadigma dienen kann. Das kann man am Beispiel der "Künstlichen Intelligenz" ("KI") stu d ie ren .^ Dabei ist es wichtig, daß die "KI" ein uneinheitliches Forschungsfeld dar s te llt:^

"ARTIFICIAL INTELLIGENCE (AI) is the part o f computer science concerned with design­

ing intelligent computer systems, that is, systems that exihibit the characteristics we associate with intelligence in human behavior - understanding language, learning, reasoning, solving problems, and so on. Many believe that insights into the nature o f the mind can be gained by studying the operation o f such programs" (Barr/Feigenbaum 1986: 3; Hervorhebungen von uns).

Diese "Definition" stellt eher ein Wunschbild dar als die durch technische Erfolge getragene Realität der Forschung. Der epistemische Zusammenhang zwischen dem Computer und der kognitionswissenschaftäicheri Untersuchung geistiger Operationen ergibt sich aus der soge­

nannten "symbol system hypothesis":

"A digital computer is an example o f a physical symbol system, a system that is capable o f in­

putting (reading); outputting (writing); organizing (associating); storing, copying, and com­

paring symbols; and o f branching-following different courses o f action depending on whether a comparison o f symbols led to judging them to be the same or different. The fundamental hypo­

thesis o f AI is that these are just the capabilities it requires to exhibit 'intelligence'. Two corollaries follow from the hypothesis. First, since computers demonstrably have these capabi­

lities, they are capable o f being programmed to behave intelligently. Second, since people are capable o f being intelligently, their brains are (at least) physical symbol systems" (Simon in Shapiro 1990: xi).

15 Vgl. auch Bloomfield (1989).

16 Die Grundlagen der "KI" sind u.a. dargestellt bei Charniak/McDennott (1985), Graham (1986), Rieh (1983), Savory (1985) und Winston (1984).

17 Vgl. Schlese (1993b).

(9)

Diese Hypothese verkörpert nur einen - allerdings sehr weitgehenden - Anspruch der "KI" und nur eine bestimmte in der "KI" vorkommende Sichtweise au f menschliche Fähigkeiten. Der Diskurs der "KI" zerfallt in unterschiedliche Teile: A uf der einen Seite haben wir eine kogni­

tionswissenschaftliche, auf der anderen Seite die ingenieurwissenschaftliche "KI". Erstere ist bestimmt durch die Kontroverse zwischen "Symbolismus" und "Subsymbolismus". Letztere kann in einem mehr oder weniger engen Zusammenhang zu kognitionswissenschaftlichen For­

schungen stehen. Der "Symbolismus" entspricht in seinem Kem der "symbol system hypothe­

sis". 20 Ein "Subsymbolismus", der dagegen die Körperlichkeit und die adäquate Orientierung in der im Sinne von propositionaler Wahrheit nicht erkennbaren physischen Welt betont, kann dazu motivieren, mit Hilfe von konnektionistischen Programmen, also sogenannter "neuronaler Netze", die Fähigkeiten eines Handelnden zu simulieren^!. Eine andere Reaktion au f die Schwierigkeiten einer im Sinne des "Symbolismus" durchgefuhrten "KT'-Forschung ergibt sich für die ingenieurwissenschaftliche "KI": Demnach werden mit Hilfe von "KI"-Software neue Medien konstruiert unter dem Schlagwort "Software als Handbuch" .22 w ir kommen darauf gleich zurück.

Innerhalb der kognitionswissenschaftlichen "KI" des "Symbolismus" erscheint der Geist als Informationsverarbeitung und Informationsverarbeitung als objektiver Prozeß.23 Damit ist

"Intelligenz" die Fähigkeit, Probleme (rational) lösen zu können, die im Prinzip auch Maschi­

nen zugeschrieben werden kann. 24 Die "Informationsverarbeitung" wird zu einem Begriff, der verschiedene Forschungen (der Psychologie, der Entscheidungstheorie oder der theoretischen Informatik) sprachlich vermittelt. Im Rahmen der Kognilionswissenschaft bildet sich ein Kreis argumentativer Sefostreferenz von der Zuschreibung der Modelle rationalen Handelns, die man au f Computern realisieren kann, auf das kognitive System des Handelnden, zum Hintergrund der wissenschaftlichen Begründung der "KI". D er Informationsbegriff ist dabei geeignet, neu­

ronale und kognitive Prozesse als interne Kommunikationsprozesse zu beschreiben.25 Damit kann Intelligenz als Fähigkeit zur Informationsverarbeitung (auch ohne Annahmen über die materiell-gegenständliche Struktur der sie realisierenden Prozesse) definiert werden. Die

"Informationsverarbeitung" ist zugleich das allgemeine Konzept, das hinter der Idee einer

"Wissensrepräsentation" mit Hilfe des Computers steht.

"Repräsentation" wird zu einem Schlagwort, das ganz unterschiedliche Bestimmungen umfaßt:

wahrheitsgemäße Darstellung, Abbildung der Welt in unseren Gedanken, Erzeugung und Fest­

ig Vgl. Shapiro (1990), Savory (1985).

19 Vgl. Freska (1988), Furbach/et al. (1988), 20 Vgl. Becker (1991), Becker/Steven (1991).

21 Vgl. Schöfleburg/et al. (1990), Hoeppner (1988).

22 Vgl. Müller (1992).

23 Vgl. Beckermann (1989), Dreyfus (1988).

24 Vgl. Simon (1990).

25 Vgl. Anderson (1989).

(10)

halten der Gedanken im Gehirn, Darstellung von Zeichen im Computer (oder in anderen

"Medien"); diese Unterschiedlichkeit wird aber als solche nicht kenntlich gemacht. Dann kann Wissensrepräsentation den kognitiven Psychologen und den Informatiker als gemeinsamer Ge­

genstand interessieren. Die Denotationen des Repräsentations-Begriffes sind fiir den Psycholo­

gen, den Neurologen, den Erkenntnistheoretiker oder den Informatiker in dem Sinne verschie­

den, als die Extensionen (mentale oder neuronale Zustände, Wahrheitswerte von Aussagen, Bedeutungsgehalte von Zeichen "im" Computer) verschieden sind. Die Konnotation des R e­

präsentationsbegriffes ergibt sich aus seiner Funktion, verschiedene Forschungsfelder zu ver­

mitteln. Die Bedeutung, solcher Begriffe wie "Repräsentation", "Information" oder auch

"Intelligenz" bleibt im interdisziplinären Forschungsfeld der "KI" unklar. Sie ist für das For­

schungsfeld selbst nicht aus den referierenden konkreten Forschungsgegenständen der beteilig­

ten Spezialdisziplinen abzuleiten. Im Sinne ihrer grundsätzlich unscharfen Bedeutung sind die

"Begriffe" Metaphern, die zudem so gebildet werden, daß die Assoziation mit dem Computer (das Gehirn als Computer, der Computer als symbolverarbeitende Maschine wie unser Gehirn, die Repräsentation der Welt im Computer) zentral ist. In diesem Sinne "vermittelt" der Compu­

ter wissenschaftliche Kommunikation.

Eine technologische Vision, das Ersetzen des Menschen in bestimmten Bereichen, korrespon­

diert dabei einer wissenschaftlichen Vision von dem Zugang zu mentalen bzw. neuronalen Vorgängen. Das kann, muß aber nicht so sein.^ß Der Computer als Paradigma der Forschung, das mit der "symbol system hypothesis" entworfen wird, ist nur eine Möglichkeit, einen "KI"- D iskws zu führen. Andere Wege beschreitet der "Subsymbolismus", der den Computer gemäß dem Gehära mit seiner massiv parallelen Struktur entwerfen will. Wiederum andere Wege be­

schreiten Ingenieure, die sich von dem Anspruch der "KI" verabschieden und "Medien" der Kommunikation und Kooperation konstruieren wollen.

Für die orthodoxe symbolistische "KI" ist typisch, daß das Problem der Interpretation der Umstände des Computers als Zeichen nicht gesehen oder für unerheblich gehalten wird. N ur so kann man sich vorstellen, eine Software "repräsentiere" in dem Sinne Wissen, daß sich daraus etwas für mentale Prozesse lernen und das Gelernte in "Expertensystemen" praktisch umsetzen läßt. Die Tatsache der Konstruktion von "Informationen", "Daten" und "Wissen" im Interak­

tionssystem Beobachter (Anwender) - Textur (Computer)27 wird ebenso mit einer Naturalisie­

rung der Zeichen-Repräsentaion ausgeblendet wie der soziale Zusammenhang von Experten- tum und Wissen. Wissen erscheint nicht als sozialer Prozeß, sondern als etwas "Dinghaftes"

Wissen wird - aus der Perspektive der Soziologie betrachtet - in symbolischen Strukturen ge­

speichert, die ihren Sinn nur in einem Prozeß der unendlichen Semiose, also in einem Prozeß 26 Vgl. Savory (1988), Herrmann (1991).

27 Vgl. Geser (1989).

(11)

der ständigen Neuauslegung der symbolischen Form erhalten. Die Erzeugung und die Verwen­

dung von Wissen sind wie die Semiose soziale Prozesse, in denen die Interessen und die lebensweltlichen Horizonte sowie die durch die Kommunikation von Wissen bedingten Struk­

turierungen erscheinen, ohne im einzelnen immer oder auch nur oft problematisiert zu werden.

Die Rechtfertigung von Wissen nimmt für sich bestimmte Rationalitätsstandards in Anspruch und bringt bestimmte Weltkonzepte zum Ausdruck, die gesellschaftlich gewachsen und in den Grenzen des physischen Überlebens einer Kultur kontingent sind. Gerade diese Aspekte der kommunikativen Verfaßtheit von Wissen, seines sozialen Hintergrundes und der relativen De­

finition von "Wirklichkeit" werden aber ausgeblendet, wenn Expertensysteme gemäß dem Leitbildes entworfen werden, das dem oben skizzierten Repräsentationsbegriff entspricht. 29 In einem E xpertensystem -P rojekt^ das wir untersucht hatten, waren beispielsweise Störun­

gen an einer Taktstraße zu beheben. D er Wissensingenieur hatte die Taktstraße als einen wohl­

definierten und einheitlichen Gegenstand wahrgenommen. Für das Wartungspersonal dagegen waren immer nur bestimmte fachspezifische Aspekte dieser Taktstraße interessant. Jeder be­

schrieb eine Störung im Lichte seiner Fachkompetenz. Ausgehend von dem einheitlichen Bild des Gegenstandes, das der Wissensingenieur seinem Programmdesign zugrunde legte, beob­

achtete dieser auch die Tätigkeiten des Wartungspersonals so, als ob deren Wissensbestände miteinander vereinbar und in einem System zusammenführbar wären. Die Beobachtung des Wartungsprozesses durch den Wissensingenieur war geleitet durch die Möglichkeiten der Repräsentation im Computer, die einen einheitlichen Gegenstand (Taktstraße) und eine einheit­

liche Behandlung des Wartungswissens voraussetzte. Sie implizierten eine bestimmte Vorstel­

lung von der sozialen und sachlichen N atur des Wartungsprozesses.

Eine Alternative zu diesem Vorgehen ergäbe sich aus der Vorstellung, den "Computer als M e­

dium der Kommunikation" zu benutzen, die wir als Leitbild in einem anderen Fall untersucht haben. 31 Hier tritt die Idee technischer Medien in den Diskurs ein. Es ging in diesem Fall um ein Beratungssystem im Automobil-Verkauf. Entwickelt wurde ein au f einem PC lauffähiges System zur Konfiguration von Personen- oder Nutzfahrzeugen (Omnibussen). Der Verkäufer soll mit dem Kunden in einer offenen Gesprächssituation, die als "unendlicher Gesprächskreis"

beschrieben wird, ein Auto mit dem Computer als "Palette zusammenmalen". In der Selbstbe­

schreibung der Tätigkeit der Entwickler und bei der Begründung der "Produktphilosophie"

spielt die Distanznahme zu Leitvorstellungen der "Künstlichen Intelligenz" eine entscheidende Rolle. Gleichzeitig werden neue Vorstellungen kreiert: Computer als "Elektronisches Hand­

buch", Software als "Medium der Kommunikation". Ein Entwickler schilderte uns die leitenden Ideen der Entwicklung:

28 Vgl. Dierkes et al. (1992).

29 Siehe auch Furbach (1988).

30 Vgl. Rammert/Schlese (1992).

31 Vgl. Schlese (1993a).

(12)

"Es ging nicht darum, Verkäufer oder Kunden zu modellieren, dessen Wissen dann darzustel­

len, und der Kunde kann gehen, und das Expertensystem bleibt. Quatsch... W enn ich Verkäufer habe und Kunden habe, und dann rede ich vom Wissen des Verkäufers oder des Kunden-Dar- stellens, gibt Kokolores. Aber die Idee des Handbuchs, die haben ja dicke Ordner vor sich lie­

gen, die Verkäufer; die blättern da ständig rum und vertun sich und geben den Kunden Aus­

künfte, auf die man sich dann vielleicht nicht verlassen kann. Es ist also sehr fehleranfällig, be­

sonders bei Omnibus- oder Lkw-Geschäft. Jedenfalls w ar dann die Idee des elektronischen Handbuchs. Die haben wir dann weiterentwickelt zu einer Idee von Medien im sozialen Sy­

stem. Da hat sich beginnend mit der technischen Ausformung dieses Geräts in der Verkäufer- Kunden-Interaktion, hat sich die Idee sozusagen verallgemeinert. Software als Medium, dies auch als Schlagwort."

A uf der einen Seite kann man innerhalb des "KT'-Diskurses eine Alternative zum

"Symbolismus" suchen. Dann sind die kognitionswissenschaftlichen Hypothesen nicht mehr orientiert am Problemlösen mit Hilfe des Computers. Sondern das Design von Hard- und Software ist an dem "Paradigma" Gehirn orientiert, wie es die konstruktivistische Kognitions­

wissenschaft, die mit neuronalen Netzen arbeitet, tut. A uf der anderen Seite können Ingenieure vor Ort die Visionen der "KI" getrost verabschieden und die Instrumente der Programmierung in einem anderen Rahmen einsetzen: Software für ein "elektronisches Handbuch" wird zum

"Medium" bei der "Selbstorganisation" betrieblicher Prozesse durch die Mitarbeiter.

Dabei determinieren die hinter den neuen Schlagwörtem stehenden wissenschaftlichen Konzep­

te (der Semiotik oder der Systemtheorie) keinesfalls die technologische Entwicklungsarbeit vor Ort. Sie bilden aber Semantiken, in denen die Visionen der Entwickler ausgedrückt und als Antwort au f betriebliche Probleme (z.B. der Beherrschung von Komplexität beim Zusammen­

stellen eines Produktes: Auto) präsentiert werden können. Insofern gibt es Bindungseffekte zwischen der Präsentation und der Selbstinszenierung der Entwicklungsarbeit und den Chan­

cen, die eine bestimmte Technik hat, von Entwicklern angeeignet und im Betrieb durchgesetzt zu werden. Diese technologischen Chancen sind Gegenstand einer symbolischen Politik, womit gemeint ist, daß Akteure versuchen, entsprechend den eigenen Qualifikationen und ihren Inter­

essen betriebliche Probleme so darzustellen, daß die zur Verfügung stehenden Ressourcen als gut genug erscheinen, gerade diese Probleme zu bearbeiten. Die Akteure antizipieren einerseits die mögliche Nachfrage fiir ein Produkt (das eine Technik, aber auch eine bestimmte Theorie sein kann), andererseits versuchen sie, au f die Geltungsbedingungen für die Konzepte, die ihrer Entwicklungsarbeit Sinn geben (wie beispielsweise ein bestimmtes Konzept von "Organisation im Betrieb" oder ein Forschungsthema wie "Selbstorganisation"), Einfluß zu nehmen. Sie be­

treiben in unserer Terminologie eine "Geltungspolitik"

(13)

Die Geltungsbedingungen fur technologische und wissenschaftliche Konzepte unterliegen einer gewissen "K onjunktur"^, die sich aus den sachlichen Entwicklungen im Wissenschaftssystem oder auf dem Technikmarkt, aus politischen Rahmenbedingungen, aus Generationenfolgen von Forschern, "Zeitgeist" und sonstigen gesellschaftlichen Problemlagen erklären lassen.33 Zur Geltungspolitik gehört seitens wissenschaftlicher Unternehmer wie der "KI"-Päpste der Ver­

such, diese Konjunktur zu beeinflussen: bestimmten Konzepten (wie dem "Symbolismus") werden als Ausdruck menschlichen Problemlösens große Chancen eingeräwpf, nützliche Techniken entwickeln zu helfen, die wissenschaftlichen Geltungsansprüche werden (beispielsweise durch Gutachtertätigkeit) "inflationiert"; viele, vielleicht noch "unausgegorene"

Ideen sind zugelassen, soweit sie zum allgemeinen Konzept zu passen scheinen. "Überhitzt" die Konjunktur eines Konzeptes, das heißt drängen zu viele Anbieter in das Feld, so ist der Ver­

such einer "Deflationierung" zu beobachten: Typischerweise werden im Wissenschaftssystem die methodischen Ansprüche spezifiziert, im System der technologischen Forschung werden die Zeitrahmen verringert, in denen man bereit ist, auf die Früchte einer Entwicklung zu w ar­

ten. Gegebenenfalls sind dabei Umdefinitionen zwischen Grundlagen- und angewandter F or­

schung notwendig, um Themen in eine günstigere Zeit zu retten.

Bleibt der Erfolg eines Forschungsfeldes wie der "KI" a u s ^ , so besteht die Möglichkeit, K on­

zepte zu entwerten und für andere Konzepte "inflationierende" Geltungsbedingungen zu schaffen. Das triffi etwa auf den Fall der Schwerpunktverlagerung zwischen "Symbolismus"

und "Subsymbolismus" zu. Jede ökonomische Konjunkturpolitik hat an der Unberechenbarkeit der Umwelt und der Akteure, die diese antizipieren können, ihre Grenze. Auch die

"Konjunkturpolitik" wissenschaftlicher Unternehmer hat ihre Grenze an d ear Eigensinn, den ei­

ne Forschung entfaltet, an den sich verändernden Umwelt-Bedingungen, die bestimmen, was von anderen als plausibel und machbar eingeschätzt wird, und an der Fähigkeit der betroffenen Entwickler, die Selbstdarstellung ihrer Forschung den sich ändernden Umwelten anzupassen, um nach innen eine gewisse Kontinuität ihrer Forscherlaufbahn zu erhalten.

Diese Anpassung ist unter anderem deswegen möglich, weil die in der Forschung konstruierten und verwendeten Techniken je nach Forschungsinteresse unterschiedlich bewertet werden kön­

nen: Die Technik des Computers ist im Fall der kognitionswissenschaftlächen "KI" ein Bezugs­

punkt der wissenschaftlichen Kommunikation. Ihre Funktionsprinzipien dienen als Modell für die wissenschaftliche Forschung oder - im Falle des Gelingens ihrer Konstruktion - als Res­

source, aus der wissenschaftliche Argumentationen schöpfen können. Ein "Problem der Refe­

renz" steckt hier im richtigen oder falschen Gebrauch des Computers als Modell des Denkens bzw. des Gehirns. Der Zusammenhang zwischen einer gelungenen technischen Konstruktion und ihrer wissenschaftlichen Begründung ist kontingent. Verschiedene, konkurrierende Theori- 32 Vgl. Luhmann (1990).

33 Vgl. Forsythe (1988).

34 Vgl. Becker/et al. (1992), Beuschel (1988), Malsch (1991).

(14)

en sind mit der praktischen Funktionalität einer Technik verträglich. Und eine Technik kann funktionieren, auch ohne daß wir die wissenschaftlich beschriebenen Zusammenhänge dieses Funktionierens im einzelnen kennen. Von Wahrheitsansprüchen der Wissenschaft unabhängig zu sein, ist als Einsicht Bestandteil der soziologischen Definition von "Technik".

Umgekehrt beziehen sich wissenschaftliche Diskurse auf Forschungsresultate, die, aus dieser Perspektive betrachtet, nichts anderes darstellen als gelungene technische Konstruktionen.

Jedes Resultat einer Laborarbeit ist im weitesten Sinne eine Technik und von Techniken ab­

hängig. Aber die semantische Rahmung im Wissenschaftssystem gestattet es, das Resultat un­

abhängig von den artifiziellen Bedingungen seiner Gewinnung, als wissenschaftliche Tatsache zu interpretieren. Hinter der semantischen Unterscheidung von Wissenschaft und Technik steht dabpi die Vorstellung, daß es wissenschaftliche Aussagen gibt, die Tatsachen beschreiben, und Dinge bzw. Verfahren, die "zum la u fe n gebracht" werden. Die Beschreibung von Tatsachen beruht aber darauf, daß man etwas (eine Anordnung von Geräten, einen mathematischen For­

malismus, eine Schlußfigur, eine Debatte) im weitesten Sinne "zum Laufen bringt”. Anderer­

seits ist das empirische Wissen, das sagt, was man tan muß, damit etwas läuft, natürlich ein Wissen, das mit Wahrheitsansprüchen auftritt, nur daß dieses sich eben nicht au f Eigenschaften eines wissenschaftlich identifizierten "Seienden" bezieht, sondern auf ein Verfahren, das lokale und im wissen&chaflichen Diskurs oft ausgeblendete Praktiken einschließt.

Die Frage ist nicht: wissenschaftliche Wahrheit oder technische Funktionalität, sondern die Frage ist, w orauf sich die gesellschaftlich kommunizierten Wahrheitsansprüche beziehen: auf die Beschreibung von existierenden wissenschaftlichen Sachverhalten, oder au f wahres - weil effektives - technologisches Wissen. Dieser Bezug liegt nicht schon in den konkreten Opera­

tionen im Labor beschlossen. Sondern die Operationen stellen einmal Schritte auf dem Weg wissenschaftlicher Erkenntnis, ein andermal Ergebnisse eines am technologischen Erfolg orien­

tierten Forschungshandelns dar; aus dieser Perspektive betrachtet, läuft die Unterscheidung von "Wissenschaft" und "Technologie" au f disjunkte Selbstbeschreibungen von Diskursen hin­

aus. 3 5 Damit sind wir im Herzen der semiotischen Bearbeitung wissenschaftlicher Diskurse, wenn eine Aussage, die von einer konkreten Forschungsoperation "denotiert" wird, von der Bedeutung für unterschiedliche gesellschaftliche Umgebungen "konnotiert" wird.

Die Robustheit einer Technik in bezug auf konkurrierende Beschreibungen der Welt, in der sie funktioniert, ermöglicht andererseits auch, daß im Falle des Scheitems einer Konstruktion die­

ses Scheitern als Argument dafür ausgewertet werden kann, daß die wissenschaftliche Rahmung falsch ist (und nach Alternativen verlangt) oder dafür, daß an der Verbesserung der Umsetzung der wissenschaftlichen Idee gearbeitet werden muß (was nach Aufstockung des Projektetats verlangt). Diese Situation betrifft gerade die der wissensbasierten Systeme in der 35 Siehe auch Pinch/Bijker (1984).

(15)

"KT'-Forschung. Die Tatsache, daß es sich als außerordentlich schwierig erwiesen hat, solche Systeme zu bauen und einzusetzen, spricht einmal dafür, die Forschung in Richtung einer Per­

fektionierung der Schlußmechanismen (au f der Grundlage der Beobachtung menschlichen Ver­

haltens) fortzusetzen, oder auf der anderen Seite dafür, die "Metaphysik" der "KI" (die berech­

nende Rationalität menschlicher Experten) und die von ihr nahegelegte Vision des Ersatzes menschlicher Experten aufzugeben.

Im Rahmen der durch ihre Institutionen vorgegebenen Möglichkeiten haben die Forscher die Chance, zwischen diesen Alternativen zu wählen. Und die Wahl wird nicht durch die prakti­

schen Erfahrungen determiniert, sondern ist Ausdruck eines bestimmten Weltbildes, das in be­

zug au f die technologischen Chancen, die die existierende Computertechnik verkörpert,

"überbestimmt" ist. Die "symbol system hypothesis" ist ein klares Beispiel dafür.

Soweit ein Zusammenhang von Wissenschaft und Technologie angenommen wird, hat die Entwicklung technischer Medien der Repräsentation und der Übermittlung von Zeichen einen Einfluß darauf, wie wir die Welt sehen, und au f die Art und Weise, wie wir das Verhältnis zwischen Zeichen und Bezeichnetem bestimmen. Das Verständnis von zeichenbasierten Pro­

zessen beeinflußt die Leitbilder der technologischen Entwicklung. Die Vorstellung, alles Ver­

halten verbal ausdriicken und als eine Abfolge eindeutiger Aussagen beschreiben zu können, war wichtig bei der Entwicklung des Forschungsfeldes der "Künstlichen Intelligenz". Diese Vorstellung ist nicht nur Ausdruck rationalistischen Philosophierens^®, sondern auch und vor allem der technologischen Chancen, die ein Computer verkörpert. Die Aneignung technologi­

scher Chancen und die Wahlverwandtschaft zwischen technischen Zwängen (beispielsweise syntaktisch eindeutiger Ausdrücke beim Programmieren) und einer Philosophie, die die Welt nach eindeutigen Sätzen, wahren oder falschen Aussagen und abgrenzbaren Tatsachen ordnet, sind ein wichtiger Forschungsgegenstand, wenn es um die Femfolgen des Einsatzes technischer Medien der Kommunikation geht.

3.3. Die Konstruktion elektronischer Gemeinschaften

D er Abstand zwischen dem Zeichen und seinem Referenten wird nicht kleiner, wenn sich ein Computer dazwischen schiebt - eher größer. Computervermittelte Kommunikation kann einen extremen Fall eines long-distance Gesprächs darstellen, also Kommunikation unter der Bedin­

gung der (physischen) Nicht-Anwesenheit der Korrlmunikationspartner. Wir werden im folgen­

den ein Beispiel einer solchen Kommunikationsform beschreiben, In dem räumlich sehr weit entfernte Personen gleichzeitig miteinander schriftlich kommunizieren können. Das Internet Relay Chat ("IRC") funktioniert wie eine Telefonkonferenz mit beliebig vielen Teilnehmern, die jedoch nur schriftlich miteinander kommunizieren können. Das "IRC" ist, wie der Name schon

36 Vgl. die klassisch gewordene Kritik von Dreyfijs (1989), (1990) und Dreyfus/Dreyfts (1988).

(16)

sagt, ein Chat-Programm oder technisch exakt: Eine Software, die auf einigen hundert G roß­

rechnern (meistens von Universitäten) weltweit installiert ist. Sie ermöglicht, über das diese Rechner vernetzende "Internet" zu kommunizieren. "Internet" ist eines der größten weltweiten Computer-Networks. Ein "IRC "-User sitzt typischerweise an einem PC (oder an einem ande­

ren Computerarbeitsplatz), der ihn via Modem mit einem solchen Großrechner verbindet - man kommuniziert also meistens von zu Hause oder von seinem Arbeitsplatz aus^?. Hier ein Bei­

spiel davon, wie das "IRC" auf dem Bildschirm aussieht.

The-Stud loves Krystal's brown eyes!

<CyberHawk> dras: have you seen THE FUGITIVE?

<sade>ya will!?!? COOL! ...

* MSB sits back and waits for tria to say something

<BabyRoo> *thinks Krys and stud need a hotel room*

<sidd> what a shitty conversation ("IRC"-Oberfläche)

Kommunikationsprogramme wie das "IRC" sind mittlerweile unter vielfältigen Gesichtspunk­

ten untersucht w o rd e n ^ . Wir werden uns im folgenden auf den Aspekt der sozialen Kon­

struktion von Wirklichkeit im Medium solcher N etze konzentrieren. Unsere Ausgangsthese lautet, daß die Kommunikation au f solchen Netzen vor Probleme gestellt ist, deren Bewälti­

gung bestimmte 'semiotische Innovationen' erfordert. Gerade weil computervermitteite Kom­

munikation, so unsere These, die Trennung von Zeichen und Referent vertieft, ist die Kommu­

nikation hier darauf angewiesen, dieses Manko zu kompensieren. Unsere Fragestellung soll also lauten, wie trotz der 'dramaturgischen Schwäche' der computervermittelten Kommunika­

tion die soziale Konstruktion von Wirklichkeit im IRC gelingt. Denn das "IRC" stellt für seine Nutzer eine Welt dar, in der Tatsachen festgestellt werden, hitzig über die Geltung von N or­

men gestritten und leidenschaftlich geliebt wird. Kurz: Es findet alles das statt, was in der Kommunikation eben stattfindet.

Computervermittelter Kommunikation wird oft vorgeworfen, sie verfüge nur über geringe dramaturgische M itte l^ ; Die 'lebendige Rede von Angesicht zu Angesicht' schrumpft demnach au f den Austausch von Schrift, die situative Umgebung verengt sich zur kommunikativen Wüstenei eines Bildschirms, in dessen Quadrat m onotone Reihen von Schrift vorbeiziehen. Das Medium bestimmt die mögliche 'Bandbreite' der Kommunikation und damit den Umfang der sozialen Präsenz der Kommunikationsteilnehmer selbst. Wir fragen deshalb: Was heißt soziale 37 Auch wenn die Technik hier die Kommunikation nur vermittelt, sollte man nicht unterschlagen, daß der sachtcchnische Aufwand für diese Art von telematischem Kaffeekränzchen beträchtlich ist. Darin liegt sowohl eine Begrenzung des sozialen Zugangs als auch eine Selbstbegrenzung des technisch eröffneten Möglichkeits­

feldes dieser Art von Kommunikation. Beide Aspekte würde eine techniksoziologische Darstellung solcher Net­

ze stärker gewichten, als wir es hier im Rahmen eines Beitrags zu den semiotischen Aspekten der Netz-Kom­

munikation tun.

38 Vgl. Reid (1991), Piirto (1993), Vincent (1992), Brukman (1992), Faßler (1993).

39 Kiesler/Siegel/McGuire (1984, S.1126), Piirto (1993, S.i), Reid (1991, S.14), Vincent (1992, S.13).

(17)

Anwesenheit in einem Computernetz? Reduziert die dramaturgische Schwäche des Mediums die Kommunikationschancen? Womit gelingt ein Ausgleich dieser Schwäche?

Beim heutigen Stand der Technik bestehen Chat-Programme wie das "IRC" nur aus Schrift^O Systemmeldungen informieren die Teilnehmer über die Aktivitäten der anderen, so daß man zumindest weiß, wer da ist. Darüber verrät auch die Internet-Adresse der Teilnehmer etwas, die sie voneinander abfragen können. M ehr als seinen ungefähren Aufenthaltsort muß man hier aber auch nicht preisgeben. Solche "Nickames" und ihre Adressen lauten z.B. "Picudo = daemon@tiger.itc.univie.ac.at" oder "r2d5 = oberon@captaintaz.engin.umich.edu" oder

"exupery = #sd23@sputnik. di.fc.ul.pt". Schließlich ist noch die Bedingung der Synchronität der "IRC"-Kommunikation zu nennen, die das Bild der Intemet-Lebenswelt abschließt: Sen­

dung und Empfang der Rede geschehen (fast) gleichzeitig.

Dennoch sind diese Hinweise und Bedingungen das einzige, was man von den anderen Teil­

nehmern erfahren bzw. voraussetzen kann, was der Einzelne von sich preisgeben muß, weil das Medium ihn dazu zwingt, ohne daß es von ihm oder ihr selbst geäußert wird. Alles andere entfallt, bzw. muß durch Kommunikation in das Netz 'hereingeholt' werden, wenn die Teilneh­

m er das wünschen. Es fehlt also hier vieles, was in anderen Situationen sozialen Austausches vorhanden ist: Es fehlen die vielfältigen Möglichkeiten nonverbaler Kommunikation, es fehlen also alle physischen Zeichenträger. D er Computer und das Netz erlauben zwar erst den Kon­

takt zum Anderen, stehen aber natürlich auch zwischen den Teilnehmern und verhindern das Durchdringen von allem, was nicht eine geschriebene Mitteilung eines Teilnehmers ist. Damit radik?Jisiert das "IRC” einen Aspekt jeder Kommunikation, daß das W ort eben nur verweist' au f das 'Draußen' der Sprache, daß sie Welt nur 'repräsentieren' kann.

Ist es deshalb berechtigt, von der Anwesenheit eines Teilnehmers in solchen Programmen als einer nur 'virtuellen' zu sprechen, die Anlaß gibt zu den wildesten Spekulationen? Spekuliert wird meistens in die Richtung eines spezifischen Persönlichkeitstypus, der sich in der 'Virtualität' der Netzkommunikation hemmungslos entfalten kann. Die Assoziationsketten, die hier ihren Aufhänger suchen, gehen von Virtualität über Anonymität zu beliebigem Spiel mit der je persönlichen Identität. Nach unserer Einschätzung sind solche Vermutungen nicht be­

rechtigt. Vielmehr verlangt die Konstruktion von sozialer Wirklichkeit in solchen Netzen - die ja nur in der Kommunikation stattfinden kann - ein gewisses M aß an festen Strukturen, die von den Schaltungen des Mediums alleine nicht zur Verfügung gestellt werden können. Die Kom­

munikation im "IRC" würde nicht gelingen, wenn sie Realität nicht als Realität produzieren würde. Wie gelingt ihr das?

40 Wir sprechen hier ausdrücklicher nur von 'real funktionierender Technik' und nicht von technischen Visio­

nen wie dem 'Cyberspace'.

(18)

1. In der computervermittelten Kommunikation haben sich semiotische Innovationen ent­

wickelt, die eine - wenn auch bescheidene - Erweiterung der Ausdrucksmittel des Mediums dar stellen:

(Wizard) Come, brave Knight! Let me cast a spell o f protection on you ...

(Prince) Lioness, please don't eat him ...

(storm) * shivers from the looks o f lioness*

(Knight) Wizard: N ot at all (B e lle tre ) *hahaha*

(Lioness) Very well, your excellency. *looks frustrated*

(Prince) *falls down laughing*

(Knight) Wizard: as long as I can protect thou ass, I'd be utter grateful!:) (B e lle tre ) *plays a merry melody*

(storm) *walks over to lioness and pats her paw*

(Wizard) *Dispelis the spells cast on Knight*

(Wizard) Knight: Your back to normal!!

(Prince) *brings a pallete o f meat for Lioness*

(Lioness) Nicks Storm*

(storm) *Looking up* Thank You for not eating me!

(Siehe Reid 1991, S.23)

Was wir hier sehen, sind textuelle Substitute für einen sonst fehlenden physischen Kontext der Kommunikation. Wenn dabei so wie in diesem Beispiel Fantasy-Rolienspiele erfunden werden, ist die Rede von "virtueller Realität" berechtigt. Verbalisierte physische Aktionen sind jedoch auch sonst in der Normaiform von Kommunikation ein fester Bestandteil der Wirklichkeits- Produktion im "IRC". Allerdings brauchen solche Beschreibungen Zeit, und da das "IRC" ein Chat-Programm ist, werden von den Teilnehmern sogenannte ‘Emoticons' bevorzugt, also Symbole för ihre emotionalen Reaktionen au f die Inhalte der Gespräche:41

Emoticon M eaning

-] User has one eye

-) User has one eye

-i Semi-Smiley

-] Smiley blockhead

-% User has beard

-o User singing national anthem

-t User is cross

-: User is mutant

-( Drama

-) Comedy

User is male

-? User is smoking a pipe -=) Older user with mustache

-\ Undecided user

-p User is sticking their tongue out (at you!) -)' User tends to drool

-'| User has a cold -)8 User is well dressed

41 Quelle: CompuServe (1993), Practice Foram, emotic.txt.

(19)

:-D :-\

:-o

•_*

:-s :-o

<-) -%

-&

-9 -(

->

-X -6 -0 -7 -%

-}

-) -v

-x

-e -<

-I

■(

-8(

-#

-O -Q

>)

<1

=)>

>)

%)%

~) n) u) -) -) 0

>(

O -) (:I )>(

User talks to o much

Popeye smiling face, for people who look like popeye User's lips are sealed.

User is shocked

U ser just ate a sour pickle User is a big girl

U ser after a BIZARRE comment U ser is surprised

User has a mustache

N o expression face, 'that comment doesn't phase me' User sports a mohawk and admires Mr. T

User has beard.

User which is tongue-tied User Sicking it's lips Sad

User spitting out its chewing tobacco U ser after eating something bitter Hey hey

U ser is wearing a bow tie

User after eating something sour U ser is an orator

U ser after a wry statement User with bushy mustache User face screaming User is a banker User wears lipstick Humor (or smiley) Talking head Smiley Bummed out Smiley

"my lips are sealed" Smiley

User's beard has permanent wave *or* was drawn by Picasso

"have an ordinary day" Smiley Disappointed Smiley

Real sad Smiley Hmm

Boo hoo

Condescending stare User’s lips are sealed.

Uh oh Smoker

User wears glasses

U ser attends an Ivy League school U ser has two noses

Midget Smiley User has a big nose U ser has acne

User's face needs a nosejob, no explanation necessary User with funny-looking right nose

User with funny-looking left nose Winking Smiley

Popeye gets his lights punched out User only has a left eye, which is closed User is left-handed

U ser needing a haircut Smiley big-face unSmiley frowning User likes to scuba dive Egghead

UnSmiley big-face

(20)

)8-) {>) {(>) }(:-(

+-(:-) +:-)

*-(

*:o)

*<l>) C I

<l->

=>)

>-

%-A

%-)

#-)

®o

I-) 1-D I-) l-P 0-) 8-) 8 8-|

8-#

8:-) 8:]

B-) B-|

g-) o-) P-) [:-)

Scuba Smiley big-face

Smiley with its hair parted in the middle User is wearing toupee.

User, wearing toupee in wind.

User is the pope Smiley priest Wry and winking

Cyclops got poked in the eye User is a Bozo

User is Santa Claus (Ho Ho Ho) Dunce

User is Chinese User is a hosehead

Smiley punk with a mustache....

Smiley punk-rocker Female

Mad

User is Picasso User is cross-eyed User partied all night

Person submitting is Cyclops Turban

Birth Hee hee Ho ho

User is asleep (boredom) Yuk

User wearing scuba mask User wears glasses Infinity

Suspense Death

Glasses on forehead

Normal smiling face except that User is a gorilla Hom-rims

U ser is wearing cheap sunglasses Smiley with ponce-nez glasses User is a cyclops

User is getting fresh

User is listening to Walkman radio User is a robot

Ein kompetenter Kommunikationsteilnehmer im "IR C ' zu sein bedeutet eben, über eine gewis­

se technische Virtuosität in der Anwendung dieser Mittel zu verfugen: Die Bedeutung der Emoticons zu verstehen, sie auf einem Keyboard selbst produzieren zu können, verbalisierten Kontext als solchen zu erkennen und auch anzuerkennen. Diese Anerkennung - und das heißt:

die Äußerungen der anderen Teilnehmer fo r granted zu nehmen, sie als Realität zu akzeptieren - ist jedoch gerade das Problem. Wie kann sie gewährleistet werden? Da es keine Sanktions­

mittel gibt, Anerkennung zu erzwingen, ist vielleicht die Frage falsch gestellt. Man muß viel­

mehr sehen: Kommunikative Realität entsteht, organisiert und erhält sich - selbst.

2. Das "IRC" bietet theoretisch, d.h. nach Maßgabe seiner technischen Organisation, viele Möglichkeiten, Realität nur vorzutäuschen. Tatsächlich zeigen empirische Untersuchungen

(21)

zum "IRC" und ähnlichen Programmen, daß von diesen Möglichkeiten nur sehr wenig Ge­

brauch gemacht wird. Man kann sagen - im Gegenteil: Das "IRC" demonstriert vielmehr die Konstruktion einer sozialen Wirklichkeit, die nicht weniger als die alltägliche auf stabile Strukturen angewiesen ist. Das "IRC" bietet seinen Teilnehmern die Möglichkeit, jederzeit ihre in der Kommunikation präsentierte Person zu verändern. Nichts von dem, was ein Teilnehmer hier von sich preisgibt, muß mit seiner realen Person übereinstimmen. Nutzen die "IRC"-Teil- nehmer diese Freiheit des personalen Selbstentwurfs?

Unsere Antwort fällt hier uneindeutig aus: Ja und nein. Das "IRC" ist der Versuch der Grün­

dung einer 'elektronischen Gemeinschaft’. E s gibt viele Teilnehmer im "IRC", kurzfristige B e­

sucher, die dennoch nicht Angehörige dieser Kultur sind. Die tragenden Milieus des "IRC" sind jedoch Teilnehmer, die innerhalb des "IRC" als immer dieselben Personen auftreten, sich ge­

genseitig seit langem kennen und enge 'Netzfreundschaften' pflegen - die durchaus zu echten Liebesbeziehungen werden können. Ohne diese personalen Fixpunkte wären solche Kommuni­

kationsformen nicht möglich. Man kann sie als das Gedächtnis der Kommunikation bezeich­

nen: Kommunikation kann nur funktionieren, wenn sie auf vielfältige Entlastungen vertrauen kann. Zum Beispiel braucht sie Personen, die immer wieder als dieselben angesprochen werden können. Diese Personen brauchen eine Geschichte, an die man anknüpfen kann. Man braucht also 'Gedächtnisse', da man nicht immer wieder von vorne anfangen kann. Auch dürfte es die Teilnehmer selbst schlicht überfordem, sich ständig neue Personen aüszudenken, als welche sie dann im "IRC" auftreten.

Die Kommunikation braucht auch 'Orte', die sich sozial (wer sich dort aufhält) und sachlich (worüber da geredet wird) nur langsam verändern. Unter die "Gedächtnisse des Mediums"

müssen wir auch die Speichermöglichkeiten anderer Medien rechnen: die sachtechnischen Speicher (Hardware, Software, Programmiersprachen, Technische Normen, Eeitungen, Satelli­

ten, Sprachen, Bücher, Handbooks, etc.), die sozialen Speicher (Organisationen, die Telekom, die Universitätsrechenzentren etc.) und die personalen Speicher: die Individuen, die vor dem Computer sitzen. Man darf ja nicht vergessen, daß all diese festen Kopplungen fest bleiben müssen, bevor überhaupt die Situation gegeben ist, die ein Spiel mit der Identität eines Teil­

nehmers interessant macht. Wir beobachten nicht ein Spiel m it der Identität, sondern das Spiel in einer Identität.

Wir steilen also das Thema 'Konstruktion von elektronischen Gemeinschaften' in den M ittel­

punkt unseres Frageinteresses. Die Limitationen des Mediums werden von den "IRC"-Teil- nehmem mit den dargestellten Mitteln (Emotikons, textueile Kreation von Kontexten etc.) ausgeglichen. Für die Erklärung der Emergenz stabiler Gemeinschaften unter den Teilnehmern reicht das allerdings nicht aus. Unsere Untersuchungen zeigen vielmehr, daß der größte Teil der Kommunikation im "IRC" auf einigen wenigen immer geöffneten Kanälen stattfindet, die

(22)

man zwei ganz unterschiedlichen Typen zuordnen kann: Lokal-Kanäle und 'dirty-talk'-Kanäle.

Lokale Kanäle heißen z.B. Taiwan, Stuttgart, Taipeh, Aussies, Turku, Polska etc., und bilden Treffpunkte für "IRC"-Teilnehmer aus den jeweiligen Ländern oder Sprachgemeinschaften.

Generell wird dort auch in der jeweiligen Landessprache geschrieben und nicht - wie sonst üb­

lich - in Englisch. Ganz offenkundig wird in diesen Kanälen am meisten kommuniziert, hier be­

finden sich die meisten Teilnehmer gleichzeitig, und hier ist auch der soziale Zusammenhang der konstanteste. Dagegen stehen die 'dirty-talk' Kanäle mit Namen wie Hotsex, Lovetalk, Teensex etc. In diesen Kanälen werden vielfältige sexuelle Themen diskutiert, hier findet 'Anmache' statt, werden Obszönitäten verbreitet und Minderheiten diskriminiert. Hier finden sich aber auch die meisten 'Fremden', also solche Teilnehmer, die sich nur kurz einschalten, auf etwas Spektakuläres warten, und dann rasch gelangweilt wieder den Kanal verlassen. Viele Teilnehmer 'flanieren' auch nur durch jene Kanäle, die ihnen im Schutze der Anonymität kom­

munikative Freiheiten erlauben, die für Normalformen der Kommunikation ungewöhnlich w ä­

ren. M an wird jedoch ebensowenig die weltweite Durchsetzung des Telefons mit der Existenz von Telefon-Sex erklären wollen. Nicht, weil diese Benutzung der "eigentlichen" Funktion des Telefons widerspräche: Eine solche "eigentliche" Funktion gibt es genauso wenig wie die

"wahre" Bedeutung eines Textes. Sondern: Weil es nicht gerade der durchschnittlich-wahr­

scheinliche Gebrauch des Telefons ist.

Zusamrnenfassend kann man sagen, daß die Fortexistenz des "IRC" im wesentlichen von den Gemeinschaften der Lokal-Kanäle abhängt. Die Ironie von McLuhans These des 'global village' liegt im Fall des "IRC" also darin, daß die Teilnehmer im globalen Kommunikationsnetz wieder mit den Dorfhachbam zusammensitzen und plaudern, auch wenn sie real Hunderte von Kilome­

tern getrennt sein mögen.

3.4. Der digitalisierte Patient

"Medex" ist ein Expertensystem für die medizinische Diagnostik auf einer chirurgischen Inten­

sivstation. Es dient der Analyse von Störungen lebenswichtiger Vitalfunktionen eines Intensiv­

patienten, für die es Therapiepläne vorschlägt. M itte der 80er Jahre kamen zwei ambitionierte Ärzte an einem westdeutschen Krankenhaus auf die Idee, ein solches System für die Intensiv­

medizin zu entwickeln. Sie fanden in einem großen Software-Haus einen Partner, der sich nach anfänglicher Skepsis für das Projekt begeistern ließ. 1988 war das System für ein knappes Jahr in einer chirurgischen Intensivstation im Einsatz. D er Einsatz des Systems wurde dann jedoch abgebrochen. "Medex" wird von den beiden Entwicklern, einem Chefarzt und einem jüngeren Oberarzt, als "sozial gescheitert" beschrieben.

Von einem Patienten au f einer Intensivstation wird schon bei seiner Aufnahme eine Akte ange­

legt, in der seine Daten aufbewahrt werden, also alle Untersuchungen, Befunde, Diagnosen,

(23)

Testergebnisse etc. Auch alle an ihm vorgenommenen Therapiemaßnahmen (von der Infosion bis zur Atemtherapie) werden hier festgehalten. Es ist diese schriftliche und bildliche Zweit­

form des Patienten, au f die sich seine Behandlung immer wieder bezieht. Grob gesprochen tritt nun an die Stelle dieser Akte das Speichermedium "Medex". Alles Wissen über den Patienten wird nun hier eingetragen, der Patient "existiert" als Datenfile in digitalisierter Form. Fragen wir zunächst: Wie digitalisiert die Medizin einen Patienten? Welches Wissen eignet sich hierfür, welches Wissen dagegen verliert, weil es in dieses neue Medium nicht übersetzt werden kann, an epistemologischer Relevanz?

Die Datenbasis eines Patienten besteht aus Parameterwerten, also ausschließlich aus quantita­

tiv bzw. digital erfaßbaren Größen. Die meisten Daten eines Patienten werden vom Pflegeper­

sonal am System eingegeben. Das betrifft z.B. das Geschlecht, das Alter, das Gewicht etc. Sol­

che Parameter können problemlos als Zahlenwerte erfaßt werden. D er größte Teil der Parame­

ter sind medizinische Größen wie Blutdruck, Puls und Blutwerte. Manche dieser Werte werden in den Labors der Klinik ermittelt, andere dagegen direkt am B ett des Patienten. Für die M ög­

lichkeit der Konstruktion des Patienten im Medium Expertensystem ist hier nicht entscheidend, -wie diese Daten in das System gelangen - ob von Hand eingegeben oder direkt über eine digita­

le Schnittstelle 'online' in den Speicher von "Medex". Entscheidend ist vielmehr, daß das Wis­

sen von einem Patienten hier bereits schon eine 'computergerechte' Form hat. Die 165 Parame­

ter von "Medex" beanspruchen, ein vollständiges Bild des for eine intensivmedizinische Thera­

pierung relevanten Wissens darzustellen. Ein solcher Anspruch wäre natürlich sinnlos, wenn die Geschichte der modernen Intensivmedizin nicht ohnehin von der fortschreitenden Dequali- fizierung alles 'nur subjektiven' Wissens des Patienten von sich selbst geprägt wäre. Eine Vor­

aussetzung der Möglichkeit eines solchen Systems liegt daher in dem vorherrschenden Objek- tivierangs- und Digitalisierungsklima' m der heutigen Intensivmedizin. Die Parametererfassung scheint der Entwicklung eines solchen intensivmedizinischen Expertensystems die geringsten Schwierigkeiten zu machen - wir vermuten, weil der heutige Intensivpatient ohnehin nahezu ausnahmslos nur noch das Beobachtungsobjekt der vielfältigen Überwachungsapparaturen ist, also kein wirklich handlungsrelevantes Wissen über ihn auf der Station noch berücksichtigt wird, das nicht gerätetechnisch erworben wäre. Es scheint insbesondere dieser Umstand zu sein, der der Technisierung der medizinischen Diagnostik die geringsten Widerstände entge­

gensetzt. Im Gegenteil: Offensichtlich leidet die Intensivmedizin nicht unter einem Mangel an maschinengerechten Patientendaten, sondern unter einem extremen selbsterzeugten Daten­

überfluß, der als Informationsexplosion auf der Intensivstation erst das Bedürfnis nach mehr 'maschineller Intelligenz' hervorruft.

D er Patient existiert also in Form der von ihm erfaßten 165 Werte. Diese W erte werden dann vom System mit Normalwerten verglichen, die sich in seiner festen Datenbasis befinden. Ab­

weichungen von diesen Normalwerten werden von "Medex" als Störungen identifiziert. Ver­

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Wenn eines oder mehrere dieser Probleme bei Ihnen vorliegen, geben Sie bitte an, wie sehr diese Probleme es Ihnen erschwert haben, Ihre Arbeit zu erledigen, Ihren Haushalt zu

So schwer das Leben dieser Flüchtlinge auch ist, so darf darüber das große Ziel der Bun- desregierung, das große Ziel aller Deutschen nicht vergessen werden, das Ziel der

W i r können Immer wieder erfreut feststellen, daß Berlin-Besucher neue Erkenntnisse&#34; ge- winnen und erstaunt sind, welche Möglich- keiten der aktiven Arbeit für den deutschen

Ich habe 3 Kinder, 1 1 , 12 und 17 Jahre und arbeite in Montpellier (Frankreich) auf einem groben Gut im Wein- bau, außerhalb der Stadt Ich bin 42 Jahre alt und habe einen

Hugo Härtung Kest in der Berliner Feattcoehe.. A

25 Jahre Kaltowitzer Künstlergruppe Im Jahre 1929 veranstaltete eine vierköp- fige Künstlergruppe im Saale der Katto- witzer „Erholung&#34; eine deutsche Kunstaus- stellung — sie

Nicht nur direkt sind frische, saisonale regionale Produkte auf kurzen Wegen eine Bereicherung für die ernährungsbe- wussten Verbraucher*innen?. Indirekt trägt regionaler Konsum zum

Manfred Kern eilte ihm nach, aber da war ja noch Manuel, der Sechsjährige, den er nicht auch noch verlieren wollte.. Also hielt er ihn fest, was ihn