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Gefährliche Stille

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eit der Wiedervereinigung 1990 sucht Deutschland nach seiner Rolle in der Welt. Von Zeit zu Zeit denkt es darüber nach, in der inter- nationalen Politik und dem transat- lantischen Bündnis mehr Führung zu übernehmen. Zentral ist die Frage, in welche Richtung sich die Beziehun- gen zu den USA entwickeln sollen.

Vor einer Antwort scheuen die deut- schen Politiker seit 30 Jahren zurück.

Stattdessen warten sie lieber auf ei- nen günstigeren Moment.

Während der Balkan-Kriege konn- ten sich die Deutschen zwar mit den humanitären Aspekten der Interven- tion anfreunden, nicht aber mit den militärischen Herausforderungen, die mit der Trennung der Konfliktpar- teien einhergingen. Letztendlich be- klatschte Berlin den Einsatz der ame- rikanischen Soldaten und überließ der Europäischen Union die Verantwor- tung für den Wiederaufbau des West- lichen Balkans. In der nachfolgenden Diskussion über die Erweiterung der NATO begrüßten die Deutschen zwar

das Interesse Amerikas an Osteuro- pa – das Gegenteil hätte ihnen weni- ger gefallen –, doch insgeheim sorgten sie sich um die russische Reaktion. Im Jahr 2000 beschloss Deutschland, den USA die Lorbeeren für die Schaffung des neuen Europas zu überlassen. Da- für übernahm es pflichtschuldig die undankbare Aufgabe, die neuen Mit- glieder in die europäischen Instituti- onen zu integrieren.

Bis 2003 änderte sich an der Un- terwürfigkeit der Deutschen gegen- über der Macht Amerikas kaum et- was. Erst im Zuge der US-Invasion des Irak entdeckte Deutschland ei- gene Interessen. Der damalige Bun- deskanzler Gerhard Schröder stellte sich an die Spitze der Kriegsgegner und hinterfragte gleichermaßen die amerikanische Obsession für Militär- einsätze im Ausland wie den religiö- sen Eifer, mit dem Washington an die Aufgabe heranging, Demokratien zu schaffen. Als das internationale Sys- tem den nächsten großen Schock er- litt, die große Rezession von 2008, Von Bruce Jackson

Deutschland weiß nicht, was es will. Berlin muss seine Interessen und Werte aktiver vertreten. Ein Plädoyer für das Ende der Anbiederung

Gefährliche Stille

© “A Conservative Case for German Leadership in Europe” wurde im Februar 2019 in The American Interest veröffentlicht.

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Deutschland zeigt sich fast krankhaft zurückhaltend

zerbröckelte der unbehagliche Kom- promiss in der deutschen Politik über die „Führung aus der zweiten Reihe“.

Nach der griechischen Finanzkri- se und den Kriegen in Georgien und der Ukraine entwickelten sich die In- teressen der USA und Deutschlands rasch auseinander; einen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung mit der Massenmigration aus Syrien und Sub- sahara-Afrika.

Wurzeln der Krise

Den damaligen US-Präsidenten Ba- rack Obama kümmerten weder die finanzielle Instabilität des südli- chen Europas noch die Massenein- wanderung über das Mittelmeer. Er lehnte es ab, sich in Krisen einzumi- schen, die für Deutschland und Eu- ropa größte Bedeutung hatten. Zu- gleich aber warfen die USA Europa vor, keinen angemessenen Beitrag zu den größtenteils von Amerika be- schlossenen Militäreinsätzen rund um die Welt zu leisten. Doch 2014, deutlich vor der Wahl von Donald Trump, war es so weit: Mit der Ak- zeptanz der Europäer und speziell der Deutschen für das paternalisti- sche Auftreten der Amerikaner war es vorbei. Es war das Jahr, in dem Bundespräsident Joachim Gauck bei der Münchner Sicherheitskonferenz die Frage stellte, wann Deutschland endlich beginnen würde, Führung zu übernehmen. Doch in ihrem Denken über diese neuen und unvertrauten Umstände waren die Deutschen noch lange nicht so weit.

Während der ersten zwei Jahre der Regierung Trump klärte sich die Lage für Berlin. Es gab zwischen Deutsch- land und Amerika keine Beziehung mehr, die nicht negativ und feindselig geprägt war. Mit Deutschlands histo-

rischer und oft romantischer Verbin- dung zur amerikanischen Führung ist es vorbei. Angela Merkel versucht zwar noch, die kränkelnde Beziehung zu pflegen und die Inter-

essendivergenz der Bünd- nispartner zu übertün- chen. Doch die nächste Generation deutscher Po- litiker wird lernen müs-

sen, Beziehungen zu Wa shington zu gestalten, die von klar entgegengesetz- ten Interessen bestimmt sind.

Angesichts der politischen und moralischen Turbulenzen in Ame- rika und der Zweifel an seiner Füh- rungsfähigkeit über den Westen stellt sich gar nicht mehr die Frage, ob Deutschland führen sollte. Es ist dringend notwendig zu handeln.

Das Problem mit dem heutigen Deutschland ergibt sich aus dem Zusammenwirken zweier Aspekte:

Amerika hat auf glaubwürdige und verantwortliche Führung verzichtet, was offenbart hat, welche geradezu krankhafte Zurückhaltung Deutsch- land in der nationalen Sicherheitspo- litik an den Tag legt. Es stimmt, was ein ranghoher Vertreter des US-Au- ßenministeriums im vergangenen Jahr im Auswärtigen Amt sagte: Ber- lin muss damit aufhören, sich um die Reaktionen von Präsident Trump zu sorgen und stattdessen Entscheidun- gen auf der Grundlage seiner eigenen nationalen Interessen treffen.

Es besteht ein enger Zusammen- hang zwischen dem Unwillen der deutschen Politiker, die Interessen ihres Landes zu definieren, und dem psychologischen Phänomen, Mei- nungsverschiedenheiten mit der Trump-Regierung auf persönlicher Ebene als bizarr, auf politischer Ebe- ne aber als unernst abzutun. Dieses

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Die Kluft zwischen Washington und Berlin war nie tiefer

Phänomen führt dazu, dass erheblich unterschätzt wird, wie ernst die Dif- ferenzen zwischen beiden Ländern sind und welch hohe Hürden sie für die künftigen transatlan- tischen Beziehungen be- deuten. Man muss nur hören, was der stellver- tretende US-Außenminis- ter A. Wess Mitchell am 18. Oktober 2018 beim Atlantic Coun- cil über die Zukunft Europas sagte:

„Zu lange haben viele im Westen die internationalen Institutionen geprie- sen, ohne einzuräumen, dass ihre Autorität und ihr Einfluss dem Nati- onalstaat entstammen … Der Westen muss zu der Tradition zurückkehren, den Nationalstaat als solchen zu un- terstützen und sich stärker dafür ein- setzen, dass die internationalen Insti- tutionen den demokratischen Willen der Nationen widerspiegeln. Andern- falls werden die Institutionen Ein- fluss und Bedeutung verlieren.“

Aus dieser Perspektive gibt es nie- manden, der sich der Lobpreisung der internationalen Institutionen in grö- ßerem Ausmaß schuldig gemacht hät- te als Merkel und Deutschland ins- gesamt. Tatsächlich hat die Europä- ische Union in den vergangenen 70 Jahren eine Gemeinschaft errichtet, die auf geteilter Souveränität zwi- schen Nationalstaaten, auf der Bän- digung populistischer Leidenschaf- ten und auf der Begrenzung des Na- tionalstaats beruht. Mitchell meint, die USA sollten Länder wie Polen, Ungarn und die Ukraine fördern, die das Streben nach nationaler Sou- veränität als Selbstziel sehen. Es ist die offizielle Haltung der USA, dass die EU diese Länder wie primitive Retro-Staaten behandele und ihnen den von ihnen geforderten Raum zur

Entfaltung verweigere. Folglich gelte es, den normativen Einfluss der Eu- ropäischen Union zu vermindern.

Es ist schwer, sich eine tiefere Kluft zwischen politischen Werten vorzustellen als die, die Amerika – Vorkämpfer kraftvoller, sogar rück- sichtsloser Nationalstaaten – und Deutschland, Gründungsstaat der heutigen EU, trennt. Washington ver- langt nicht nur, dass Europa sich von einem Großteil seiner Geschichte los- sagt, sondern auch, dass es das ehrgei- zigste multilaterale Projekt unserer Zeit aufgibt, zu Gunsten einer Hand- voll illiberaler Demokratien, besessen von ihrer Vergangenheit.

Was will Deutschland sein?

Bedeutende Differenzen gibt es nicht nur auf der Ebene der politischen Phi- losophie, sondern auch auf dem prak- tischen Niveau von nationaler Sicher- heit und Staatskunst. Über Jahrhun- derte war die norddeutsche Tiefebe- ne so etwas wie eine Autobahn für Invasionen aus allen Richtungen. Vor allem für den Umgang mit Russland bleibt dies wichtig. Von allen bilate- ralen Feindschaften in Europa haben die deutsch-russischen Beziehungen bis heute die mutmaßlich schwerwie- gendsten Folgen.

Obwohl alle Kanzler der jünge- ren Vergangenheit davor zurückge- scheut sind, den Begriff der nationa- len Interessen zu verwenden, kann es keinen Zweifel geben, dass die russi- schen Gasleitungen, die russische Ag- gression in der Ukraine und das wirt- schaftliche und politische Durchein- ander in den postsowjetischen Staa- ten eine ernsthafte Bedrohung für das moderne Deutschland darstellen.

Wie lässt es sich in diesem Fall erklä- ren, dass die deutsche Außenpolitik

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daran gescheitert ist, Russland zur Änderung oder Beschränkung seines Verhaltens zu bringen, den Krieg in der Ost ukraine zu beenden und die Energiesicherheit Deutschlands und Nordeuropas zu gewährleisten?

Kurz gesagt: Berlin war dazu au- ßerstande, weil es merkwürdiger- weise einer diplomatischen Struk- tur zugestimmt hatte, die die legiti- me Verfolgung nationaler Interessen unmöglich macht. Das Format der Verhandlungen zur Beendigung des russisch- ukrainischen Krieges sieht die gleichrangige Beteiligung der Möchtegern-Friedensstifter Deutsch- land und Frankreich und der bei- den kriegsführenden Länder vor. Im Endeffekt erhält Russlands Präsident Wladimir Putin auf diese Weise ein Veto. Zugleich wurde der ukrainische Präsident Petro Poroschenko für sei- nen selbstsüchtigen Nationalismus belohnt. Parallel dazu hat sich ein bi- lateraler Austausch zwischen Ver- tretern der USA und Russlands auf

mittlerer Ebene entwickelt, die sich aber nur selten treffen.

Die drei Initiativen, die 2018 aus Telefongesprächen zwischen Pu- tin und Merkel entstanden (der Ein- satz von UN-Friedenstruppen, der Gastransit durch die Ukraine nach 2019 und direkte Verhandlungen über Frieden im Gegenzug zu Pipelines), wurden von dem zutiefst misstraui- schen US-Außenministerium gemein- sam mit seinem Klienten in Kiew zer- stört. Die Struktur der Friedensge- spräche über den Krieg in der Ostuk- raine scheint darauf ausgelegt zu sein, nicht nur die Verhandlungen an sich scheitern zu lassen, sondern auch die französische und deutsche Diploma- tie daran zu hindern, die politischen Grundlagen für die Nachkriegszeit in der Ukraine zu legen. Wie schon in den 1990er Jahren auf dem Bal- kan besteht das europäische Interes- se am russisch-ukrainischen Krieg in einem Rückzug der ausländischen Streitkräfte, also den russischen, und

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Es geht um funda- mental verschiedene

Weltanschauungen

einer Begrenzung des Einflusses aus- ländischer Mächte nach Kriegsende, also auch dem amerikanischen.

Im Kern geht es zwischen den USA und Deutschland in Osteuro- pa weder um Gasleitungen noch um Verhandlungstaktiken, sondern um Grundprinzipien. Die USA sind über- zeugt, um Mitchell zu zitieren, dass

„die Rückkehr des Wettbewerbs zwi- schen den Großmächten die entschei- dende geopolitische Tatsa- che unserer Zeit ist“ und dass deswegen der Weg zum Frieden in der Ukrai- ne über erdrückende Wirt- schaftssanktionen, Waf- fenkäufe und letztlich einen Regime- wechsel in Moskau führt. Die deut- sche Sicht dagegen beschreibt einen alternativen Weg zum Frieden, über Verhandlungen mit Kiew, eine Verfas- sungsreform und den Wiederaufbau der Ostukraine.

Es geht hier nicht darum, ob Ber- lin oder Washington über das richti- ge Mittel gegen die russische Aggres- sion verfügt. Keinem ist es gelungen, Moskau einzuhegen. Keiner hat der Ukraine Frieden gebracht. Worum es geht, sind fundamental unterschied- liche Weltanschauungen. Das State Department betrachtet die östliche Flanke Europas als Ort, an dem sich die Großmächte einen schrankenlo- sen Wettbewerb liefern. Und Berlin sieht die russische Aggression und die humanitäre Tragödie durch die Lin- se der europäischen Geschichte nach 1945. Der Unterschied in den Werten, die diesen beiden Visionen zugrunde liegen, ist von großer Relevanz.

Auch was das angemessene Ver- hältnis zwischen der Wirtschaft und den Interessen des Staates betrifft, haben sich die USA und Deutsch-

land ernsthaft auseinanderentwi- ckelt. Wie die meisten Deutschen hat auch Merkel ein weitgehend positi- ves Bild von wirtschaftlichen Aktivi- täten. Wachstum ist gut, es verringert die Ungleichheit innerhalb der Bevöl- kerung und führt zur Integration neu- er Mitglieder. Der Handel, vor allem Exporte, ist wundervoll, weil er kom- parative Vorteile auf der Welt verteilt.

Die USA wollen Mauern

Im modernen Deutschland ist der Wohlstand ein Wert an sich. Handels- beziehungen haben nicht den Zweck, den Zielen des deutschen Staates zu dienen. Für das Washington des Jah- res 2019 gilt das nicht. Dort will man Mauern errichten. Die wirtschaftli- che Aktivität, um noch einmal Mit- chell zu zitieren, zieht ihre „funda- mentale Bedeutung aus dem ame- rikanischen Nationalstaat und der nationalen Souveränität als einer zen- tralen Quelle, zusammen mit dem Na- turrecht, aus dem sich politische Legi- timität letztlich herleitet“.

Ohne auf die seltsame Bemerkung über das Naturrecht einzugehen, ist dies eine aggressive und fundamen- tal illiberale Deklaration merkantilis- tischer Prinzipien. Das bestätigt Mit- chell selbst: „In einem viel größeren Ausmaß als bisher müssen die USA die Förderung der US-Wirtschaft als untrennbar verknüpft mit der künfti- gen Stärke und dem Einfluss unserer Nation im Ausland betrachten.“

Die dysfunktionale atlantische Al- lianz hat zwei Seiten: Trumps Ame- rika, das aus Eigensucht die inter- nationale Ordnung mit aggressivem Merkantilismus und ausbeuterischer Diplomatie ersetzt hat; und ein ver- drießliches Deutschland, das zwi- schen Verwirrung und Leugnung

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Deutschland hat auf die neuen Umstände schlecht reagiert

heftig hin- und herschwankt. Es ist die Wechselwirkung zwischen der amerikanischen Absage an den Al- truismus zu Gunsten eines primiti- ven wirtschaftlichen Mobbings und Deutschlands Neigung zu Entschul- digungen und Einschmeicheleien, die die euro-atlantische Ordnung be- droht. Wenn man Mitchell glauben kann, werden die USA noch viel mehr Mühe darauf verwenden zu verhin- dern, dass Europa sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen kann.

Washington regiert in Berlin mit Anders als die meisten EU-Staaten hat Deutschland seine Spitzenbeam- ten in der Europäischen Kommission nur selten als Instrument zur Durch- setzung deutscher Interessen angese- hen. Bis heute hat Deutschland viel mehr dafür getan, die Vision der eu- ropäischen Gründungsväter Robert Schuman und Jean Monnet zu ver- wirklichen, als die Brüsseler Bürokra- tie in der Praxis für Deutschland ge- leistet hat. Solange es keine wirksame Koordinierung mit der EU gibt, kann nicht überraschen, dass die Höhe der deutschen Verteidigungsausgaben im US-Präsidentschaftswahlkampf fest- gelegt wird.

Deutsche Aluminiumexporte wer- den vom Handelsbeauftragten der USA reguliert, und Exporte in den Iran fallen in den Verantwortungs- bereich des US-Finanzministeriums.

Die Zölle auf Daimler, BMW und Volkswagen unterliegen den Launen der Wirtschaftsberater des Weißen Hauses. Deutschlands Energiepolitik wird durch Drohungen des amerika- nischen Außenministeriums und des Energieministers bestimmt. Der ein- zige wichtige Aspekt der deutschen Wirtschaftspolitik, der nicht zum Ziel

amerikanischer Einmischung gewor- den ist, ist die Klimaschutzpolitik.

Doch seit sich die USA unter Präsi- dent Trump 2017 vollständig aus dem Pariser Klimaabkommen zurückzo- gen, ist auch dies hinfällig geworden.

In dieser durch Merkantilismus, Protektionismus und unilaterale Diktate bestimmten Welt

ist die deutsche Industrie wehrlos. Von den berau- schenden Tagen der Jahre 2014 bis 2016, als der größ- te Freihandelsvertrag der

Geschichte zwischen den USA und Europa zum Greifen nah war, bis zu den Handelskriegen und wirtschaft- lichen Zwangsmaßnahmen von heute ist der Absturz tief und mehr als nur ein wenig beängstigend. Aber auch hier hat Deutschland auf die verän- derten Umstände nicht effektiv re- agiert und somit seinen eigenen fi- nanziellen Niedergang beschleunigt.

Es ist sicher wahr, dass Trumps Isolationismus und sein falscher Cha- rakter die amerikanische Demokratie bedrohen. Aber weitaus gefährlicher ist die deutsche Unfähigkeit, die viel größere Gefahr zu erkennen, die das amerikanische Verhalten für den po- litischen Zusammenhalt und die Ver- teidigungsfähigkeit der NATO bedeu- tet. Erst baten die USA ihre Verbün- deten, an mehreren von Washington angeführten Koalitionen der Willigen im Irak, in Afghanistan sowie im Na- hen und Mittleren Osten teilzuneh- men. Nun sieht es so aus, als könn- ten sich die USA von einem Tag auf den anderen zurückziehen, ohne Vor- warnung oder Konsultation. Um sol- ches Verhalten auf dem Schlachtfeld zu beschreiben, existieren Begrif- fe wie Feigheit, Verrat und Fahnen- flucht. Dies hat man aber von nieman-

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Anbiederung in Wa shington ist eine sehr schlechte Idee

dem in Europa laut gehört, am aller- wenigsten in Deutschland.

Das konzeptionelle Problem be- steht darin, dass konservative deut- sche Politiker den Eindruck vermit- teln, Anbiederung und Schmeichelei- en seien eben der Preis, den man da- für bezahlen müsse, Trump in einem

multilateralen Bündnis zu halten. Doch das ist wirk- lich eine schlechte Idee.

Für Militärbündnisse gilt das gleiche wie für gute Ehen: Sie leben und ge- deihen durch die Bereitschaft sich zu wehren, und zwar schon beim ersten Hinweis darauf, dass die moralischen Werte, die die Grundlage dieser Ins- titutionen bilden, unterlaufen wer- den. Das Ausbleiben von Empörung in Berlin über Trumps Verhalten ist ein Zeichen, dass in Deutschland der Prozess der nationalen „Dekathexis“, also des Rückzugs aus dieser politi- schen und emotionalen Investition, schon weit vorangeschritten ist. Die Zersplitterung der NATO wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Pils hier, Aggressionen da

Zwischen dem US-Außenministeri- um und dem Auswärtigen Amt hat sich eine asymmetrische Beziehung entwickelt, die für die Aufrechter- haltung einer Freundschaft zwischen Gleichen Schlimmes erahnen lässt. In Washington sind die deutschen Dip- lomaten übermäßig höflich und zu- rückhaltend und werden üblicher- weise übersehen. Gemäß der klassi- schen Tradition feiert die deutsche Botschaft die politischen und kultu- rellen Errungenschaften Deutsch- lands: geniale Automobilbauer, über- ragende Fußballmannschaften, die architektonischen und sozialen Erfol-

ge der deutschen Wiedervereinigung und das Pils.

Im Gegensatz dazu sind die ame- rikanischen Diplomaten in Berlin phänomenal unhöflich. Sie arbei- ten aggressiv gegen die wirtschaftli- chen Interessen ihrer Gastgeber, ge- gen die Regierung und gegen die Au- ßenpolitik gewählter deutscher Regie- rungsvertreter. Das State Department ist in Berlin, um zu opponieren, zu stören und oft auch zu untergraben.

US-Botschafter Richard Grenell hat sich mit dem nationalistischen pol- nischen Politiker Jarosław Kaczyns- ki gegen Deutschland verbündet, die deutsche Einwanderungspolitik at- tackiert, deutschen Unternehmen mit US-Sanktionen gedroht und sich selbst zum Statthalter extraterritoria- ler Übergriffe der USA gemacht. Es ist kein Geheimnis, dass die Europa-Ab- teilung des State Departments kein Freund von Deutschland ist.

Das heutige atlantische Verhält- nis leidet unter zwei Problemen: ei- nerseits dem Machtgefälle unter den Partnern und andererseits der wirt- schaftlichen Gefahr aufgrund der Verschlechterung der Handelsbezie- hungen zwischen den USA und der EU. Nicht nur, dass Ausdrücke wie

„untergebene Staaten“ oder „Staaten zweiter Klasse“ einen unmoralischen Beigeschmack haben: Ungleiche Be- ziehungen sind instabil und bedeu- ten eine Gefahr für ein internatio- nales Ordnungssystem, das auf der gleichen Geltung des Rechts für alle basiert.

Von einer Beziehung, in der nur eine Seite schreien, einschüchtern und bestrafen kann, hat niemand ei- nen Nutzen. Dasselbe gilt für diplo- matische Manieren und Protokollfra- gen. Es ist keine Überraschung, dass

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Vor Trumps tosen- dem Prahlen bleibt Deutschland stumm

Deutschland das Land ist, in dem sich die Vertreter der Trump-Administra- tion seit 2016 mit voller Absicht am schlechtesten benommen haben.

Einmalig an Deutschland ist, dass es die einzige wirtschaftlich erfolgrei- che, entwickelte Demokratie ist, der kaum etwas dazu einfällt, warum sie so ist oder was ihre Bestimmung ist. In einem scharfen Gegensatz zu dem endlosen Eigenlob und den Täuschungen von Donald Trump ist Deutschland in einer Welt des stän- digen Redens praktisch stumm. Es ist irrelevant, ob dies am zurückhalten- den Charakter Angela Merkels oder am distanzierten politischen Tem- perament ihrer Landsleute liegt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sollten große Nationen keine Scham dabei verspüren, im Rahmen ihrer über- geordneten humanitären, ökologi- schen und politischen Ziele auch ei- gene wirtschaftliche und geopoliti- sche Interessen zu vertreten.

Gesucht: Deutschlands Ziele Eine fundierte Erklärung der Zie- le und der gemeinsamen politischen Werte einer Nation gehört zu den Notwendigkeiten der Staatskunst. Be- dauerlicherweise fehlt es in Deutsch- land an Erzählungen über Sinn und Führung des Landes. Das hängt mög- licherweise mit der Zögerlichkeit zu- sammen, zu der die Deutschen in ih- rer Sicht auf die Moderne konditio- niert worden sind.

Die hier abgegebenen Empfehlun- gen sollen Vorschläge darstellen, wie die deutsche Führung dem Verfall von Wohlstand und Politik des Wes- tens entgegenwirken kann, der durch die Verrückung des moralischen Kom- passes Amerikas und dem Verfall sei- ner Führungsfähigkeit entstanden ist.

Aus konservativer Sicht muss man denken, dass Deutschland effekti- ver führen würde, wenn es respek- tiert und nicht nur gemocht würde.

Von einem solchen Standpunkt aus wird man ebenso die Auffassung ver- treten, dass die USA ihren früheren Status leichter wiedererlangen könn- ten, wenn sie respektiert

würden statt abgelehnt und gefürchtet zu wer- den. Wichtig ist vor allem, dass Deutschlands politi- sche Führung auf keinen

Fall ungleiche oder einseitige Bezie- hungen als Normalfall der internatio- nalen Politik akzeptieren darf. Wenn Europäer früher die Kommandowirt- schaften der kommunistischen Welt gehasst haben, sollten sie sich heute mit Nachdruck gegen die schikanöse Wirtschaftspolitik der Trump-Admi- nistration stellen, die die Wirtschaft verzerrt, das freie Unternehmertum bedrängt und durch Handelskriege unfaire Vorteile zu erlangen sucht.

Es ist ein Grundprinzip des Re- alismus, dass Geografie, Geschichte und kulturelle Nähe für die Beziehun- gen zwischen Nationen wichtig sind.

Es ist absurd, dass über die Beziehun- gen zu Russland, den Frieden in der Ostukraine und die Energiesicherheit Europas im fernen Washington ent- schieden werden soll, und nicht in Berlin, Paris und Brüssel.

Bruce Jackson ist Senior Fellow am Hudson Institute in Wa­

shington, DC. Er war Gründer und Vorsitzen­

der des U.S. Commit­

tee on NATO (1995 bis 2000).

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