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Beitrag: Umstrittene Familiengutachten Wenn Eltern ihre Kinder verlieren

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Beitrag: Umstrittene Familiengutachten – Wenn Eltern ihre Kinder verlieren

Sendung vom 7. Dezember 2021

von Ariane Güdel und Thomas Münten

Anmoderation:

Wenn Eltern sich trennen, ist das auch für ihre Kinder sehr belastend. Wenn die Eltern wegen des Sorgerechts auch noch vor Gericht streiten, wird die Belastung noch größer. Und die Entscheidung, die das Gericht trifft, ist lebensbestimmend – für die Kinder und die Eltern. Familiengerichte lassen sich deshalb meistens beraten und holen Gutachten ein, bevor sie urteilen. Das Problem: Viele dieser Gutachten sind nach Meinung von Experten fehlerhaft - und das „gut“ im Wort nicht wert. Ariane Güdel und Thomas Münten über

umstrittene Gutachten und das viele Leid, das daraus folgt.

Text:

Erinnerungen an unbeschwerte Zeiten: Anna K. und ihr Sohn Anton - vor gut zwei Jahren hat ein Gericht entschieden, dass der Vierjährige beim Vater leben soll. Wir zeigen Mutter und Sohn verpixelt, um sie zu schützen.

O-Ton Anna K. Mutter, Name geändert:

Wir haben einfach auch viel zusammen gemacht,

zusammengespielt - und das ist jetzt hier gar nicht mehr so.

Es ist einfach nur ruhig. Und ja, ich spüre, ich spüre diese Leere eigentlich jeden Tag.

2017 hatten sich die Eltern getrennt. Seitdem verbringt der kleine Sohn jedes zweite Wochenende beim Vater. Bis der Mutter auffällt, dass ihr vierjähriges Kind nach diesen Besuchen verstört wirkt und beginnt, immer wieder in die Hose zu machen.

Die Mutter macht sich Sorgen - der Fall landet vor dem

Familiengericht. Der Richter beauftragt einen Gutachter. Jetzt

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passiert etwas, womit die Mutter nicht gerechnet hat. Der Gutachter sieht das Problem bei ihr, nicht beim Vater.

Wie er zu dieser Einschätzung kommt, wirft Fragen auf, denn das Gutachten ist datiert auf den 23. Mai 2019. Mutter und Kinder hat er erst zwei Wochen später, am 5. Juni, zum ersten Mal gesehen. An diesem Tag führt er mit ihr psychologische Tests durch – stundenlang. Dafür ausgebildet ist der

Gutachter nicht.

O-Ton Anna K., Mutter, Name geändert:

Ich habe fünf Stunden am Stück diagnostische Tests gemacht, Intelligenztest, Persönlichkeitstest. Also, es war sehr anstrengend. Und mit meinem Sohn hat er eigentlich gar nicht geredet, das Gespräch beschränkte sich darauf, dass er dabeisaß.

Der Gutachter bescheinigt der Mutter, dass sie am

sogenannten Münchhausen-by-proxy-Syndrom leide - eine äußerst seltene Krankheit. Die Mutter mache ihr Kind absichtlich krank, um es dann wieder gesund pflegen zu können. Das Amtsgericht kommt deshalb zum Schluss: Die Mutter sei erziehungsunfähig.

O-Ton Anna K., Mutter, Name geändert:

Ja, was soll ich dazu sagen? Also, wenn man sich vorstellt, was das Münchhausen-by-proxy denn tatsächlich bedeutet:

Also, das sind ja Mütter, die ihren Kindern schwerwiegende Verletzungen zuführen, die ihre Kinder in lebensbedrohliche Situation bringen. Was mir vorgeworfen wird, ist: Ich würde zu oft zum Arzt gehen.

Wir bitten den Gutachter um Stellungnahme. Er will sich nicht äußern.

Dieses Gutachten sorgte also dafür, dass die Mutter ihr Kind verliert.

Werner Leitner, Professor für Angewandte Psychologie, kennt viele solcher Fälle. Seit den 90er-Jahren analysiert er Mängel in familienrechtlichen Gutachten. Auch im Fall Anna K. seien Fehler passiert:

O-Ton Prof. Werner Leitner, IB Hochschule für Gesundheit und Soziales, Berlin:

Es hat den Anschein, als ob hier einige Anhaltspunkte vom Gutachter gesehen wurden und dann relativ schnell, um nicht zu sagen vorschnell, eine solche Feststellung getroffen

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wurde, die letztlich durch die Fundierung seiner Untersuchungen nicht gerechtfertigt ist.

Der Fall landet beim Oberlandesgericht Hamm. Die Richter widersprechen dem Gutachter. Sie urteilen: Die Mutter sei erziehungsfähig und leide nicht am Münchhausen-by-proxy- Syndrom.

Trotzdem soll das Kind beim Vater bleiben, sagt das

Gericht – aus Gründen der Kontinuität. Das Jugendamt Lippe folgt der Entscheidung.

Der Heidelberger Strafrechtsprofessor Christian Laue geht gegen das Jugendamt vor.

O-Ton Prof. Christian Laue, Institut für Kriminologie der Universität Heidelberg:

Das Kind hat an vielfacher Stelle immer wieder gesagt, es will nicht zum Vater, es will bei der Mutter bleiben. Und das

Gericht hat das auch protokolliert, aber das ist in die Entscheidung überhaupt nicht eingeflossen.

Das Jugendamt Lippe schreibt uns dazu: Man werde „(…) laufende Gerichtsverfahren nicht kommentieren.“

Vor wenigen Tagen wurde der Fall vor dem

Verwaltungsgericht Minden verhandelt. Die Mutter bekam nach zweieinhalb Jahren Prozessdauer recht.

O-Ton Mareike Handke, Sprecherin Verwaltungsgericht Minden:

Das Verwaltungsgericht hat heute entschieden, dass die Inobhutnahme des Sohns der Klägerin im Jahr 2019 rechtswidrig gewesen ist, weil es an einer akuten

Kindeswohlgefährdung gefehlt hat und es einer gerichtlichen Entscheidung des Familiengerichts bedurft hätte.

Mit dem gewonnenen Prozess kann Anna K. nun hoffen, dass ihr Sohn doch bald wieder bei ihr leben darf.

Auch Beate P. vermisst ihren Sohn. Auch in ihrem Fall sorgte ein zweifelhaftes Gutachten dafür, dass ihr heute sieben Jahre alter Junge ausschließlich beim Vater lebt. Sie darf ihren Sohn ab und zu unter Aufsicht sehen, bis vor Kurzem war ihr der Umgang komplett verboten.

O-Ton Beate P., Mutter, Name geändert:

Wenn wir dann Umgang hatten oder uns gesehen haben, hat er natürlich auch Sehnsucht und hat sich sehr schwergetan

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zurückzugehen. Und da hat man dann draus gemacht: Das Kind kann sich nur schwer von der Mutter lösen und

dementsprechend muss es jetzt erst mal zur Ruhe kommen.

Beate P. war mit dem Vater zwei Jahre verheiratet. Sie trennen sich, als ihr Sohn vier ist. Seitdem lebt Lukas vor allem bei seiner Mutter. Immer öfter streiten sich die Eltern.

Einmal soll der Vater die Mutter zu Boden gestoßen haben, während sie den Sohn auf dem Arm hat. So erzählt es die Mutter. Das Amtsgericht Braunschweig erlässt ein

Näherungs- und Kontaktverbot. Ein Verfahren wegen Körperverletzung wird später eingestellt – wegen geringer Schuld.

Der Streit zwischen den Eltern ist längst eskaliert. Der Vater wirft der Mutter vor, den Kontakt zum Sohn zu verhindern, und wendet sich immer wieder an die Behörden.

O-Ton Beate P., Mutter, Name geändert:

Ich war mit meinem Sohn im zweiwöchigen Jahresurlaub. Wir waren in Deutschland, auch mit Freunden und deren

Kindern. Und plötzlich hatte mein Mann einen Antrag auf Grenzsperre gestellt, mit der Begründung, dass ich die doppelte Staatsbürgerschaft besäße und eventuell mich mit dem Kind absetzen könnte. Und das ist total absurd. Ich besitze nur eine Staatsbürgerschaft - das ist die deutsche.

Am 1. Oktober 2020 will Beate P. ihr Kind von der Schule abholen. Doch ihr Sohn ist nicht mehr da. Eine Amtsrichterin hatte auf Antrag des Vaters in der Schule einen Anhörungs- und Begutachtungstermin veranlasst - mit dabei: der Vater, die Verfahrensbeiständin und eine Gutachterin. Die Mutter wird nicht informiert und erfährt erst später aus den

Protokollen, was passiert ist.

O-Ton Beate P., Mutter, Name geändert:

Keiner hat das Kind aufgeklärt, und er hat im Prinzip nicht gesprochen. Und dann hat man entschieden, dass er aufgrund dieser Nichtaussage sofort umplatziert wird zum Vater.

Erst Tage später urteilt die Richterin: Das Kind soll beim Vater bleiben. Grundlage der Entscheidung: ein nur mündlich vorgetragenes Gutachten.

O-Ton Prof. Werner Leitner, IB Hochschule für Gesundheit und Soziales, Berlin:

Vertreter verschiedener Fachverbände (…) haben sich ja ganz bewusst und nachdrücklich auf Mindeststandards geeinigt, an

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denen sich ein solches Gutachten messen lassen muss. Diese sind: Transparenz, Nachvollziehbarkeit und wissenschaftlich fundiertes Vorgehen. Wie soll dies möglich sein, wenn ein solches Gutachten nicht in schriftlicher Form vorliegt, sondern nur mündlich vorgetragen wird?

Die neue Bundesregierung will nun einen

Fortbildungsanspruch von Familienrichtern gesetzlich verankern. Eine Qualitätssicherung bei Gutachten aber ist nicht vorgesehen.

Der Sorgerechtsstreit von Beate P. liegt beim Oberlandesgericht in Braunschweig.

Seit über einem Jahr lebt ihr Sohn nicht mehr bei ihr. Sie will durch alle Instanzen gehen, um das Sorgerecht doch noch zurückzubekommen.

Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.

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