zukunftsforumholz
Alpbach, 21. Jänner 2011
SOZIALE DIMENSIONEN IN INNOVATIONSPROZESSEN
Josef Hochgerner
Zentrum für Soziale Innovation
1. Assoziationen zu „Innovation“
ÜBERSICHT
2. Soziale Innovation
3. Vergleiche „technische/soziale Innovationen“
4. Innovation in Innovation: Einige neue Konzepte
5. Ein neues, erweitertes Innovationsparadigma
6. Das große Bild: Nachhaltigkeit, Wertewandel
INNOVATIONEN IM SOZIALEN WANDEL
Unverzichtbar: Kooperative Intelligenz, und intelligente Kooperation
... hoffen auf kognitive Evolution, Vertrauen auf Technologien?
Alle Innovationen sind sozial relevant
Was allgemein „Innovation“
genannt wird, hat zumeist eine technische Grundlage, enthält aber auch soziale Komponenten – und zwar sowohl in Entwicklung wie auch ihrer Wirkung.
Bei Innovationen in Wirtschaft und Technologie sind deren soziale Aspekte wichtig, mehr noch bedarf es einer gleichen Wertschätzung von spezifischen sozialen Innovationen.
Jede Innovation hat Auswirkungen auf die eine oder andere soziale Gruppierung, und auf – viele oder wenige – Individuen
in deren diversen Rollen in Familien, Wirtschaft, Beruf ...
Das traditionelle Verständnis, Messen und benchmarking von Innovation berücksichtigt weder die soziale Relevanz von Innovationen im Allgemeinen,
noch soziale Innovationen im Besonderen.
„Soziale Innovationen
sind neue Konzepte und Maßnahmen,
die von betroffenen gesellschaftlichen Gruppen angenommen,
und zur Bewältigung sozialer Herausforderungen genutzt werden.“
DEFINITION *)
*) Zentrum für Soziale Innovation, 2008:
Impulse für die gesellschaftliche Entwicklung; ZSI-Discussion Paper 9 (S. 2) http://www.zsi.at/de/publikationen/346/4953.html
Bereiche
gesellschaftlicher Entwicklung
Verbreitete, teils historische und
institutionalisierte soziale Innovationen
Arbeit, Beschäftigung, Wirtschaft
Bildung und Weiterbildung Technologien, Maschinen
Demokratie und Politik
Sozialsystem und Gesundheitswesen Diversity
Management
• Gewerkschaften, Betriebsräte, Managementkonzepte, Selbstbedienungsläden, “Open Innovation”, …
• Schulpflicht, Schulformen, pädagogische/didaktische Konzepte, technologie-unterstütztes lernen, micro-learning, ...
• Normen, Durchsetzung von Standards, Verkehrsregeln, Führerschein, Straßenampeln, technology assessment, …
• Der Staat als juristische Person, (allgemeines) Wahlrecht, Verwaltungsprozeduren, Kontrolleinrichtungen, ...
• Soziale Vorsorgesysteme, Formen ihrer Finanzierung
(Versicherungsprinzip vs. Steuern), Gemeinschaftspraxen, …
• Unternehmenstheater in einem Großbetrieb zur Verbesserung von Kommunikation und Effizienz
BEISPIELE SOZIALER INNOVATIONEN
MERKMALE SOZIALER INNOVATIONEN
• Unterscheidung zwischen Idee und ihrer Umsetzung: eine
sozial relevante Idee wird zu einer sozialen Innovation im Prozess ihrer Implementierung und Verbreitung.
• Flexible Reichweite: eine neue soziale Praxis muss nicht für die gesamte Gesellschaft gültig oder maßgeblich sein; Nutzen muss zwar gegeben sein, kann aber auf kleine Gruppen beschränkt sein.
• Nicht jede Art sozialen Wandels ist per se „soziale Innovation“
(z.B. demographischer Wandel), noch muss jede gezielte soziale Innovation die Richtung des sozialen Wandels beeinflussen.
*)• Soziale Innovationen müssen (wie alle Innovationen)
Hindernisse überwinden und stehen in Konkurrenz zu anderen, traditionellen oder neuen Konzepten oder Maßnahmen.
*) cf. Josef Hochgerner, 2009: Innovation processes in the dynamics of social change, in: Jiři Loudin, Klaus Schuch (ed.): Innovation Cultures. Challenge and Learning Strategy. Prague: Filosofia; pp. 17-45
SPEZIFISCHE MERKMALE
Soziale Innovationen sind neue gesellschaftliche Praktiken, die für alte oder neue soziale Fragen bessere oder überhaupt erstmalige Lösungen bieten.
Sie entstehen nicht zufällig, sondern gezielt, werden von einzelnen oder einer Gruppe von Akteuren initiiert und werden gesellschaftlich wirksam.
Soziale Innovation entsteht in einem „3-I-Prozess“:
o Idee („Erfindung“ einer neuen Form sozialer Praxis)
o Intervention (i. e. intendiertes Handeln, das zu neuer Praxis führt, die sich von etablierten Routinen abhebt und Widerstände überwindet)
o Institutionalisierung (Verfestigung einer neuen sozialen Praxis durch Regelsysteme, definierte soziale Rollen, Beziehungsstrukturen) oder auch bloß informelle Implementierung (z.B. Gewohnheiten, Lebensstil).
Institutionalisierung/Implementierung ist verbunden mit Verbreitung (Diffusion), die auf Akzeptanz der Auswirkungen der neuen sozialen Praxis durch
Zielgruppen und Betroffene beruht.
WAS IST INNOVATIV – z. B. in der Bildung ?
Soziale Innovation:
Eine neue, gezielte und
erfolgreiche Lösung für ein soziales Problem
„Erfolgreich“ heißt: Die Lösung funktioniert, wird angenommen und findet Verbreitung.
Idee und (innovative) Intervention
Alt Neu
Soziales Problem
z.B. in der Schule
Alt
Innovation Neu
„Sozial diffe- renter Erfolg“
„Internet, video games“
Individuelle Förderung; Schul-
organisation
Anwendung Von Kontrolle,
Restriktionen
Erfolgskriterium » Potenzial- statt
Defizitansatz
Förderung sozialer Kompetenzen und Generationen über-
greifendesLernen
VERGLEICHE VON SOZIALEN UND WIRTSCHAFTLICH-TECHNISCHEN INNOVATIONEN
• Schlüssel zum Messen von Innovationen nach dem „Oslo-Manual“ sind Verkaufs- und Umsatzzahlen, Marktdurchdringung, return on investment u. a. ökonomische Indikatoren.
• Bei sozialen Innovationen geht es um Akzeptanz und Nutzen in sehr heterogenen Bereichen wie Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Familien, informellen Gruppen und Teilpopulationen der Gesellschaft.
• Die Entwicklung von Indikatoren steht am Anfang: Es gibt noch keine verlässlichen oder einheitlich und komparativ robusten Indikatorensysteme; Ansatzpunkte bieten Indikatoren für Lebensqualität und gesellschaftliche Entwicklung (z.B. HDI/Human Development Index)
• Anwendung und Verbreitung von Innovationen resultieren nicht bloß aus einer Summe von individuellen Entscheidungen Einzelner, sondern aus Wechselwirkungen und sozialen Prozessen in Sozialstrukturen (Institutionen) und Netwerken („Figurationen“, vgl. N. Elias, 1972). Das gilt für Innovationen allgemein, besonders aber für soziale Innovationen.
• Jede Innovation hat einen Lebenszyklus: Je verbreiteter eine Innovation, desto geringer ihre Neuheit. Im Fall von Marktsättigung (von neuen Produkten) oder Institutionalisierung (von sozialen Innovationen) werden Produkte und soziale Praktiken Bestandteil von Alltag und Routine, und nicht mehr als Innovation (bzw. „innovativ“) wahrgenommen.
• Beispiele ehemals innovativer Technologien und Produkte: Telegrafie, Telefon, Rundfunk, Fernsehen, Kühlschrank, Füllfeder, Kugelschreiber, Schreibmaschine, Notebook ...
• Beispiele von institutionalisierten sozialen Innovationen: Schulpflicht, Montessori- Pädagogik, eLearning, Verkehrsregeln, Sozialversicherung, Gewerkschaften, ...
• Open Innovation integriert systematisch Wissen und Aktivitäten von KundInnen in einzelne, mehrere oder alle Phasen des Innovationsprozesses.
• Kunden erbringen einen Teil der Wertschöpfung des Innovationsprozesses.
• Hersteller und Kunden generieren gemeinschaftlich Innovationen.
• Anwendung auch in “Mass Customisation”–Prozessen (Anpassung von Massenprodukten an Wünsche der KonsumentInnen)
Vgl: Ralf Reichwald, Frank Piller, 20092: Interaktive Wertschöpfung. Open Innovation, Individualisierung und neue Formen der Arbeitsteilung.
Wiesbaden: Gabler.
http://www.open-innovation.com/iws/buch.html
DAS KONZEPT „OPEN INNOVATION“ (1)
DAS KONZEPT „OPEN INNOVATION“ (2)
• Toolkits for user innovation and design
• User communities (Internet Plattformen)
• Anwender z.B.
– Lego – BMW – Audi – Adidas
– Procter&Gamble
• Partizipative Technikgestaltung
DIE LEAD USER METHODE
INNOvating through COnsumer-integrated Product dEvelopment
Innovation durch Konsumenteneinbindung in die Produktentwicklung
EIN UMFASSENDER INNOVATIONSBEGRIFF IST NOTWENDIG
„The ‚Killer-Apps’ of tomorrow's mobile infocom industry won't be hardware devices or software programs
but social practices.”
Howard Rheingold:
http://www.smartmobs.com/book/toc_intro.html (28.11.2010)
„Technological systems are socially produced.
Social production is culturally informed. The Internet is no exception.
The culture of the producers of the Internet shaped the medium.
These producers were, at the same time, its early users.”
Manuel Castells, 2001:
The Internet Galaxy. Reflections on the Internet Business, and Society.
Oxford University Press. p. 36
Allgemein erfüllen Innovationen:
- entweder wirtschaftliche oder soziale Zielsetzungen,
- wirtschaftliche Innovationen basieren auf Technik oder nicht;
- soziale Innovationen basieren auf formalen Regulierungen oder nicht.
Soziale und wirtschaftliche Wirkungen überlappen einander:
- wirtschaftliche Innovationen haben vielfältige soziale Effekte zur Folge, - soziale Innovationen können ebenfalls ökonomisch wirksam werden.
DAS ERWEITERTE INNOVATIONSPARADIGMA (1)
Innovationen mit wirtschaftlichen Zielsetzungen
verändern/verbessern („inkrementell“), oder erneuern/kreieren („radikal“) ökonomische Praxis – an Effekten/Parametern gut messbar.
Produkte (primär auf Technik basierend)
Dienstleistungen (hauptsächlich auf Technik basierend)
Organisation (nicht primär auf Technik basierend)
Marketing (nicht primär auf Technik basierend)
Innovationen mit sozialen Zielsetzungen
Verändern/verbessern („inkrementell“), oder erneuern/kreieren („radikal“)
gesellschaftliche Praxis/Praktiken – bisher weder kategorisiert, noch gemessen (fehlender Konsens über Definition, Typen, Indikatoren ...).
Rollen (von informeller Abweichung bis formeller Neubestimmung)
Beziehungen (von individueller Anpassung bis zu kollektiven Verpflichtungen)
Normen (von mikro- bis makrosoziologischen Regelungen und Gesetzen)
Werte (von variablen Wertmustern bis zu rechtlich/kulturell normierten Werten)
DAS ERWEITERTE INNOVATIONSPARADIGMA (3)
DAS ERWEITERTE INNOVATIONSPARADIGMA (4)
Kategorien (Typen) von Innovationen in gesellschaftlichen Funktionssystemen
Funktionssysteme nach Parsons, 1976: Zur Theorie der Sozialsysteme.
Opladen: Westdt. Verlag.
Typen von sozialen
Innovationen abgeleitet von Parsons‘ Strukturkategorien Im Funktionsbereich
„Integration“ seines
„AGIL-Schemas“ (Adaptation, Goal Attainment, Integration, Latency).
Erschließung
neuer Märkte Riskante Unternehmungen, Basisinnovationen
Inkrementelle
Innovationen Radikale
Innovationen
Gering hoch Ausmaß der Technologieveränderung Ausmaß der Marktveränderung Gering hoch
WIRKSAMKEIT VON INNOVATIONEN (1):
„Wirtschaftliche Praxis“
Erschließung
sozialer Systeme Gesamtgesellschaftlich relevante Basisinnovationen
Inkrementelle
Innovationen Radikale
Innovationen
Gering hoch Ausmaß der Institutionalisierung Ausmaß der Veränderung sozialer Praxis Gering hoch
WIRKSAMKEIT VON INNOVATIONEN (2):
„Gesellschaftliche Praxis“
“THE GREAT TRANSFORMATION”
Karl Polanyi, 1944:
Große Teile der Wirtschaft werden von der Gesellschaft abgekoppelt
Wirtschaft
Frage 2010: ... kann es [soziale] Innovationen geben zur Integration von Wirtschaft und Gesellschaft ?
Gesellschaft
Gesellschaft
Wirtschaft
Das „System der Marktwirtschaft“
behandelt die
„Gesellschaft als Anhängsel des Marktes.“
S. 88*)
*) Karl Polanyi, 1978:
The Great Transformation.
Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssysteme.
Frankfurt a.M.: Suhrkamp
“Überflussmanagement”
Gesamtwirtschaft:
• Bevorzugte Behandlung von Produktions- und
Dienstleistungssektoren gegenüber kritischen Teilen der Finanzindustrie
• Sonderfinanzierung für globalen Marshallplan
• Besteuerung von Finanztransaktionen
• Verbot von Spekulation auf Lebensmittel
Energiewirtschaft:
• Leitprinzip „Energie für alle“ auf Grundlage von erneuerbaren
Energiequellen statt primärer Forderung nach Emissionsreduktion
• Preispolitik und Technologietransfer (s. „The Hartwell Paper“, 2010)
INNOVATIONEN FÜR NACHHALTIGES UND
SOZIAL INTEGRATIVES WACHSTUM
KULTUR, BEWUSSTSEIN & SOZIALES HANDELN:
EIN LERNZYKLUS
Kulturmuster - - - Wertesysteme
Referenzrahmen [„shifting baselines“] *) Wahrnehmungen
Wahrnehmungen Information
Einstellungen, Meinungen
Verhalten,
soziales Handeln, ev. Änderung
*) Sáenz-Arroyo et al. 2005: Rapidly Shifting Environmental Baselines Among Fishers in the Gulf of California
Bewusstsein, Erkenntnis
„Umwelt“: Medien, Institutionen, Netwerke, peer groups ....
VOM WISSEN ZUM HANDELN
Wo steht „Wissen“ in einer Stufenleiter der Erkenntnis?
Welche Mittel ermöglichen Wissen und Handeln?
Konzept Kompetenz Kapazität Hebel
Daten Information
Wissen Weisheit
Abstraktion Muster erkennen
Lineares Denken Laterales Denken
Ordnen und dokumentieren Zuschreibungen,
Widersprüche Erkenntnis,
Empathiepotenzial Kreativität,
Ausgleich
Fakten &
Zahlen Vorschau, Szenarien Strategien, Konventionen Kooperatives
Handeln
Ressourcen für soziale Innovationen, d.h. für Interventionen in sozialen Wandel
Erkenntnis
Univ. Prof. Dr. Josef Hochgerner Zentrum für Soziale Innovation Linke Wienzeile 246 A - 1150 Wien
Tel. ++43.1.4950442 Fax. ++43.1.4950442-40 email: hochgerner@zsi.at http://www.zsi.at