Bericht über das Symposium
„Laut- und Wortgeschichte der Türksprachen",
Berlin, 7.-10.7.1992
Von Marek Stachowski, Berlin
Das im Sommersemester 1991 an der Freien Universität Berlin
gegründete Institut für Turkologie organisierte nach der 34. Ta¬
gung der Permanent Intemadonal Altaisdc Conference (PIAC)
im vorigen Jahr nun ein turkologisches Symposium zum Thema
„Laut- und Wortgeschichte der Türksprachen". Das von Anfang
an als ein kleines Treffen der führenden Turkologen mit dem
Schwerpunkt Sprachgeschichte geplante Symposium verlief sehr
sachlich und kann daher als voll gelungen bewertet werden.
Obgleich nicht alle Eingeladenen kommen konnten, versam¬
melte das Symposium relativ viele Spezialisten auf dem Gebiet
der sprachwissenschafdichen Turkologie, die so gut wie alle Län¬
der Europas, in denen turkologisehe Forschung ernsthaft betrie¬
ben wird, repräsentierten.
Am Symposium nahmen insgesamt (ausgenommen die Organi¬
satoren) 20 Forscher teil, die aus folgenden Ländern gekommen
waren (Ziffern in Klammern beziehen sich auf die jeweilige Teil¬
nehmerzahl): Deutschland (4), GUS (6), Österreich (2), Po¬
len (2), Ungarn (2), Israel (1), Niederlande (1), Norwegen (1),
Türkei (1).
Das Symposium dauerte (abgesehen vom An- und Abreisetag)
zwei Tage (8.-9.7.1992).
Die Vorträge wurden am ersten Tag in zwei, am zweiten Tag
dagegen in einer Sekdon gehalten. Über die 20 Vorträge hinaus
wurden noch zwei zusätzlich geboten: einer von Prof. A.Scerbak
(St. Petersburg; zum Thema Some Notes on Ulaangam Inscrip¬
tion) und einer vom gerade zu dieser Zeit in Berlin weilenden
Gastprofessor des Instituts für Turkologie, Prof. D.Vasilyev
(Moskau; zum Thema Tuva - Land und Leute, Feldforschungs¬
bericht mit Lichtbildern).
Symposium „Laut- und Wortgescliiclite der Türicspraclien" 107
Die während des Symposiums dargestellten „regulären" Vorträ¬
ge berührten folgende Fragenkomplexe:
(1) Phonedk und die runische Schrift (Tryjarski)
(2) Vokalismusgeschichte (Erdal, Starostin, Tekin)
(3) Moderne türkische Lautlehre (Brendemoen)
(4) Etymologie und Wortschichten (Dybo, Mudrak)
(5) Lehnkontakte und Wortwanderungen (Anikin, Helimski,
Menges, Stachowski)
(6) Alttürkischer Wortschatz (Berta, Zieme)
(7) Lexikologische Computerforschungen (Gippert)
(8) Morphologie und Wortgeschichte (Flemming, Hazai, §cer-
bak)
(9) Wortbildung und Analogie (Johanson, Schönig)
(10) Psycholinguistik (Tietze)
Abgesehen von gemeinturkologisch orientierten Vorträgen,
wurden während des Symposiums Studien zu folgenden Türk¬
sprachen geboten (in alphabetischer Reihenfolge): Alttürkisch,
anatolisch-türkische Dialekte, Jakutisch, Osmanisch-Türkisch,
Tatarisch, Tschuwaschisch, Ujgurisch.
Die Themen einzelner Vorträge waren wie folgt: Anikin, A. E.:
Jakutsko-tungussko-russkoe leksiceskoe vzaimodejstvie v Sibiri;
Berta, A. : Militärische Termini im Alttürkischen ; Brendemoen, B. :
Voicedness and Aspiration as Distinctive Features in the Trabzon
Dialeets ; Dybo, A. V. : Fingernamen im Türkischen und anderen
altaischen Sprachen; Erdal, M.: Wolgabulgarischer Vokalismus;
Fleming, B.: Notes on the {-ISAR) Future and Its Connotations;
Gippert, J. : Das Projekt eines Thesaurus des Türkischen. Compu¬
tergestützte Untersuchungen zum türkischen Lexikon; Hazai, Gy.:
Versuch einer Synthese in der osmanischen Sprachgeschichte -
kritische Bemerkungen; Helimski, E.A. : Drevnejsie samodijsko-
tjurkskie svjazi i problemy istorii tjurkskich jazykov ; Johanson, L. :
Wie entsteht ein türkisches Wort?; Menges, K. H.: Einige Bemer¬
kungen zu chinesischen Lehnwörtern im Ujgurischen ; Mudrak,
O.A.: „Etimologiceskie plasty" v cuvasskom jazyke; Scerbak,
A.M.: Some Conclusions Obtained as a Result of the Description
of Uninfected Words in the Turkic Languages ; Schönig, C. : Ana-
logiebildung als Mittel sprachlicher Gestaltung in den Türkspra¬
chen; Stachowski, S.: Tureckie i tatarskie zaimstvovanija v istorii
poTskogo jazyka ; Starostin, S. A. : Die türkische Vokallänge und
die altaische Prosodie; Tekin,T.: Relics of Altaic Stem-Final
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Vowels in Turkic ; Tietze, A. : Eine psycholinguistische Erscheinung
im Türkischen und ihre Wirkung auf andere Sprachen ; Tryjars¬
ki, E. : Has a Key Been Found to Decipher the Eurasian Script of
the Runic Type?; Zieme, P.: Alttürkische Sternnamen.
Was den Informationsaustausch anbelangt, so seien hier zwei
Beispiele genannt: (1) Dr. Anikins Präsentation der neuesten
sprachwissenschafdichen Publikationen aus Novosibirsk; (2) Dr.
Bertas mündliche und schriftliche Information zu einer neuen tur¬
kologischen Zeitschrift in Ungarn.
asubhasamjnä und pratipaksabhävana:
Zur Tradition einer 'Vergegenwärtigung des
Widerwärtigen' in der Soteriologie des Nyäya
Walter Slaje, Graz
In der Literatur des Buddhismus läßt sich die Entwicklung ei¬
nes Typus der Meditation verfolgen, dessen unterschiedliche Aus¬
prägungen unter dem gemeinsamen Begriff 'asubhabhävanä'
(Vergegenwärtigung des Widerwärtigen) zusammengefaßt zu wer¬
den pflegen. Es handelt sich dabei meist darum, einen (mit dem
Betrachter gleichgeschlechtigen') Leichnam in den verschiedenen
Stadien seines Zerfalls zu betrachten, die damit verbundenen Vor¬
stellungen auf den (eigenen oder einen fremden) lebendigen Kör¬
per zu übertragen^ um so seine Widerwärdgkeit und Vergänglich¬
keit zu begreifen und das Verlangen nach fleischlicher Lust - u. a.
da es die Versenkung stört - an seinem Entstehen zu behindern^.
Verwandte Betrachtungen über die 'Unreinheit des Leibes', und
zwar im besonderen über die des weiblichen Körpers, haben auch
ihren Platz in der brahmanischen Literatur gefunden, wo sie be¬
sonders häufig in der epigrammatischen Spruchdichtung und in
der Zenturienpoesie anzutreffen sind. Hier aber tragen sie nicht
den Charakter einer methodisch entwickelten, zweckgerichteten
Versenkung, sondern vielmehr den geistreicher Poesie, die den
lyrischen Schilderungen weiblicher Reize auch gegenläufige
Aspekte dichterisch ebenbürtig gegenüberstellt.
In den Texten der brahmanischen Philosophie ist die systema¬
tisch betriebene Erzeugung eines Ekels vor dem (weiblichen) Kör-
' Vgl. VM 6.14 (p.l 46).
^ Vgl. VM 6.88 (p. 159): yath 'eva hi matasariram, evamßvamänakam pi asubham eva.
' Zur asubhabhävanä im Buddhismus vgl. Lamotte 1970: 1311-1328; EB 270-
282; VM 6.1-94 (pp. 145-161); Sänddeva, Bodhicaryävatära 8.40-85 [Steinkell¬
ner 1981: 96-101], etc.