Warum so viele Worte?
Ein Annäherungsversuch an arabische Stilnormen*
Von Kristina Stock, Leipzig
Vorbemerkung
So wie es noch keine von Nichtarabern verfaßte arabische Stil¬
kunde gibt, so sind auch Untersuchungen westlicher Sprachwis¬
senschaftler zu stilistischen Problemen des Arabischen nicht sehr
zahlreich. Berücksichtigung finden die Individualstile der
Schriftsteller und Dichter, kaum jedoch andere Funktionalstile,
wie die Alltagsrede, die Fachsprache oder der Zeitungsstil. Noch
seltener sind Versuche, allgemeine Stilnormen des Arabischen,
' „Stilnorm" ist in der Stilistik kein einheitlich definierter Begriff (vgl. San¬
dig, S. 35-42). Ich gebrauche ihn in der vorliegenden Untersuchung als terminus technicus für die wirkungsspezifische Seite des Stils, die durch rationale oder äs¬
thetische Bedürfnisse bestimmt wird und mit Hilfe ausgewählter sprachlicher Mit¬
tel (Stilmittel bzw. Stilfiguren bzw. rhetorische Figuren) realisiert wird. Da sich die Stilistik im allgemeinen vor Pauschalisierungen hütet, ist es ein gewagtes Un¬
ternehmen, stilistische Eigenheiten des Arabischen insgesamt herausfinden zu
wollen, ohne weitere von der kommunikativen Situation abhängige Differenzie¬
rungen vorzunehmen. Beobachtet man aber den arabischen Sprachgebrauch in
verschiedenen kommunikativen Situationen (z.B. verschiedene Zeit- und Funktio¬
nalstile) und vergleicht ihn mit dem anderer Sprachen, so kann man feststellen, daß bestimmte Stilnormen in den einzelnen Sprachen eine unterschiedliche Aus¬
prägung erfahren haben, aber innerhalb einer Sprache in den verschiedensten
kommunikativen Situationen gleichermaßen anzutreffen sind, also für die Ge¬
samtheit der Sprecher einer Sprache typisch sind. Zwar sind diese Stilnormen nicht im Sprachsystem selbst (langue) bedingt, doch prägen sie den allgemeinen
Sprachgebrauch (parole). Abweichungen von den als typisch geltenden Normen
sind dabei immer vorhanden, weil zum Akt der Stilschöpfung auch das Durchbre¬
chen von Normen gehört. Die Abweichung von der Norm kann absichtlich und
oft auch wegen anderer kommunikativer Erfordernisse unabsichtlich (vgl. Sandig, S.41) erfolgen.
Warum so viele Worte? 267
unabhängig von irgendeinem Funktional-, Individual- oder Zeit¬
stil, zu erfassen.
Arabische Sprachwissenschaftler beschäftigen sich indes seit
dem Mittelalter mit der sprichwörtlichen arabischen Beredsam¬
keit, der baläga, und entwickelten relativ unabhängig von nicht¬
arabischen Vorbildern^ eine eigenständige Lehre dieser Bered¬
samkeit, den 'Um al-baläga, seit as-Sakkäkl (gest. 1226) unterteilt
in die drei Fachgebiete 'Um al-ma'änT („Lehre der Bedeutun¬
gen"), 'Um al-bayän („Lehre der Darstellung") und 'Um al-badJ'
(bei as-SakkäkT noch 'Um al-muhassinät, „Lehre der Verschöne¬
rungen"). Innerhalb dieser einzelnen „Lehren" werden zahlrei¬
che Stilmittel (Stilfiguren bzw. rhetorische Figuren)"* unterschie¬
den, die in einer seit dem 13. Jh. relativ feststehenden Hierarchie
untergebracht sind (vgl. Tabelle). Doch sind die von der klassi¬
schen arabischen Rhetorik aufgestellten Stilmittel weder in ihrer
Menge, noch in ihren jeweiligen Definitionen mit dem Begriffs¬
apparat der westlichen Stilistik identisch."* Deshalb können die
^ Der antiken Rhetorik wurde in arabischen Philosophenkreisen Beachtung geschenkt (vgl. Würsch), die arabischen Rhetoriker nahmen sie kaum zur Kennt¬
nis, sondern schufen eigene Theorien und schließlich ein eigenes System der balä¬
ga (vgl. Schoeler^, S. 81f). Ausnahmen blieben die von al-Qartägannl (gest.
1285) in Anlehnung an die Schriften von al-Färäbl und Ibn Sina über die Aristote¬
lische Poetik angestrebte Verbindung von autochthoner arabischer und (von al- Qartägannl überwiegend falsch verstandener) griechischer Literaturtheorie, die rein rationalen, aus der griechischen Logik übernommenen Bewertungskriterien
''ür Dichtung von Qudäma Bin GaTar (gest. 948) und Ishaq Bin Wahbs (gest. um
948) genaue Nachahmung Aristotelischer Poedk (Vgl. Matlüb, S. 156, 198, Bo¬
has, S. 105-109, Heinrichs, S.46, 51 L, 103-170).
' Die klassischen Stilmittel der westlichen Stilistik sind die elocutio der anti¬
ken Rhetorik, wie Metapher, Wiederholung usw. (vgl. Sandig, S.29). Ähnliche Erscheinungen werden von der klassischen arabischen Rhetorik beschrieben. Bei al-GurgänT findet sich für die Stilmittel die Bezeichnung aqsäm al-badi' (Curcäni, S. 428). As-SakkäkT verwendet den Oberbegriff qänün mit den Unterbegriffen fann und bäb (Matlüb, S.140f.). Ibn al-AtTr spricht von älä und adäl (Ibn al-
AtTr, S.3).
Der 'Um al-badf umfaßt bei manchen Autoren über 200 verschiedene Figu¬
ren (vgl. Mehren, S.97, Husain^, S.43), viele davon ohne die geringste Parallele in der europäischen Stilistik, wie z. B. die von al-QazwTiiT behandelte Figur al-fa- rä'id („die einzigartigen [Perlen]", d.h. nicht ersetzbare Ausdrücke, wie der be¬
duinische Morgengruß wa-'imi; vgl. Mehren, S.166). Auch ist die übliche Über¬
setzung von magäz mit Tropos oder Metapher nicht adäquat, weil Tropos auch
Mittel umfaßt, die wiederum nicht zum magäz gehören (z. B. Hyperbel, entspricht
ungeföhr mubälaga oder gulüw), während Metapher in der arabischen Rhetorik
nicht allein durch magäz, sondern auch durch isti'ära erfaßt wird. Außerdem ent-
268 Kristina Stock
Tabelle: Die drei Gebiete der baläga mit den wichtigsten rhetorischen Figuren ILM al-ma ANI
al-habar wa-l-insä' (verifizierbare Aussagen sowie
illokutive und perlokutive Sprechakte) a t-taqdim wa-t-ta'hir (Wortstellung im Satz)
al-hadf wa-l-hasw (Ellipse und Pleonasmus)
al-qasr
(einschränkende Aussagen) al-fasl wa-l-wasi (syndetische und asyndetische
Sätze) al-Tgäz wa-l-itnäb (Kürze und Wortfülle)
ILM AL-BAYÄN al-magäz wa-l-haqTqa
(eigentliche und un¬
eigentliche Aussagen)
magäz al-musäbaha/
al-isWära (Metapher) al-magäz al-mursal
(Metonymie) al-magäz al-'aqtl
(Metonymie) al-tasbih (Vergleich)
al-lamffl (Gleichnis) al-kinäya (Metonymie, Anspielung)
ILM AL-BADF al-ginäs (Paronomasie)
al-tibäq (Antithese)
al-izdiwag (Parallelismus) as-sag' (Reimprosa) al-mubälaga (Hyperbel)
at-talmih (Anspielung)
im folgenden verwendeten Termini der arabischen baläga auch
nicht adäquat übersetzt werden. Jede Gleichstellung mit europä¬
ischen Termini ist eigentlich nicht zulässig, wird aber trotzdem
vorgenommen, um eine ungefähre Vorstellung von dem arabi¬
schen Begriff zu geben.
Die klassische Sicht auf die Kunst der Rede hat sich in der ara¬
bischen Sprachwissenschaft bis heute erhalten. Stillehrbücher
vermitteln die Grundlagen des arabischen Stils genau nach dem
sprechen Unterarten des magäz der Metonymie und nicht der Metapher. Aber
auch manche Fälle der kinäya können als Metonymien, andere als Anspielungen betrachtet werden. Zu bemerken bleibt übrigens, daß die westliche Stilistik über keine eindeutige, von Überlappungen freie Klassifizierung der rhetorischen Figu¬
ren verfügt (vgl. K.Stock: Zur Klassifizierung der Mittel der Bildlichkeit In: Zeit¬
schrift für Phonedk, Sprachwissenschaft und Kommunikadonsforschung 4 [1991], S. 533-541).
Warum so viele Worte? 269
Schema der mittelalterlichen Rhetoriker, übrigens mit Vorliebe
anhand von Beispielen aus der klassischen Poesie oder dem Ko¬
ran. Daneben gibt es auch Handbücher und wissenschaftliche
Schriften^, die versuchen, verschiedene Funktionalstile und
Textsorten mit einer aus der westlichen Sprachwissenschaft ent¬
lehnten Terminologie zu erläutern. Der irakische Linguist
A. Matlüb plädiert dafür, die traditionelle Dreiteilung der balä¬
ga aufzugeben und die unübersichtliche Aufsplitterung der ein¬
zelnen Stilmittel auf ein erträgliches Maß zu reduzieren.^ Doch
auch Theorien, die auf eine neue Sichtweise der arabischen Stili¬
stik abzielen, sind nicht völlig losgelöst von den traditionellen
Kategorien der baläga. Warum sollten sie auch? Natürlich muß
eingeräumt werden, daß sich die wissenschaftliche Betrachtung
sprachlicher Probleme durch die Existenz zweier voneinander re¬
lativ verschiedener Sichtweisen, der autoehthonen arabischen
und der modernen auf aristotelischen Traditionen fußenden
westlichen, komplizierter gestaltet als beispielsweise die Erfor¬
schung medizinischer Fragestellungen, die weniger theoretisiert,
sondern von praktischen Erfahrungen ausgeht
Um nun Stilnormen des Arabischen zu beschreiben, kann man
jedoch nicht auf ein klassisches Begriffssystem zurückgreifen,
wie das bei der Erläuterung der Stilmittel möglich ist. Hinweise
auf Stilnormen finden sich in der mittelalterlichen Literatur
höchstens bei den Literaturkritikern, die Sprache dann als gut
bewerteten, wenn sie sich auszeichnet durch Genauigkeit {ad-diq-
qa), Assoziationen (al-Thä'al-lafzi), Einfachheit (as-suhüla),
Feinheit (ar-riqqa), Klarheit (al-wudüh), Kraft {al-qüwa), Ein¬
heitlichkeit der Komposition {wahdat an-nasg) und ähnliches.^
Bei den eigentlichen Rhetorikern klingen stilistische Maßstäbe
nur dort an, wo es nicht allein um die Definierung und Hierar¬
chisierung von Stilmitteln, sondern - wie z. B. bei 'Abd al-Qähir
al-GurgänT (gesL 1078) - um die ästhetische Bewertung von Spra¬
che geht.
Wenn man herausfinden will, welche Stilnormen den arabi¬
schen Sprachgebrauch beherrschen, muß man konkrete Textana-
' z.B. Ä.AL-Hüu: fann al-qaul. Kairo 1947; A.as-Sävib: al-Uslüb, 3. Aufl.
Kairo 1952 oder die Neueinteilung der rhetorischen Figuren des 'Um al-bayän bei Bin DuraTl.
' Vgl. Matlüb, S. 404-406.
Vgl. Matlüb, S.331.
270 Kristina Stock
lysen betreiben. Außerdem kann man in der arabischen rhetori¬
schen Literatur nach Hinweisen suchen, die die gewonnenen Er¬
gebnisse bestätigen. Systematische Aussagen der klassischen ara¬
bischen Rhetorik zu diesem Thema liegen wie gesagt nicht vor.
Basierend auf Beobachtungen an Texten aus verschiedenen
Funktional- und Zeitstilen und unter Einbeziehung von Theorien
der klassischen baläga und der modernen arabischen Linguistik,
wird im vorliegenden Aufsatz der Versuch unternommen, drei
Stilnormen zu erläutern, die offenbar für den arabischen Sprach¬
gebrauch seit der gähiliya - zugegebenermaßen in unterschiedli¬
cher Gewichtung - bestimmend sind.
Ausgangspunkt ist die bei Nichtarabern kursierende Klischee¬
vorstellung, daß die Araber sich häufig sehr weitschweifig aus¬
drücken.
Weitschweifig, wortreich oder wortgewandt?
Liest man arabische Texte, seien es Erzählungen, Fachbücher
oder einfach nur Briefe, kann man sich bisweilen nicht dem Ge¬
fühl entziehen, daß der Schreiber wohl irgendwie einen Hang
zur Weitschweifigkeit hat. Scheinbar wird vieles doppelt gesagt,
ja mehrfach wiederholt, entweder wörtlich oder zumindest sinn¬
gemäß, entweder unmittelbar aufeinanderfolgend oder über den
Text verstreut. Dieses Phänomen findet sich nicht nur auf makro¬
stilistischer Ebene, also im Textinhalt, sondern auch auf mikro¬
stilistischer Ebene, d.h. schon innerhalb eines Satzes oder Satz¬
teiles. Der Araber wünscht nicht nur nagäh („Erfolg [den man
trotz aller Hemnisse zu erringen versucht]"), sondern gleichzeitig
auch noch taußq („Erfolg [der einem wie ein Glücksumstand
von Gott zukommt]"). Der Scheich in einer Erzählung von Mah¬
müd Taimür ist mit seiner Situation sehr zufrieden, ist sehr ge¬
nügsam und nimmt seine mißliche Lage und Verarmung ruhig
hin {käna bi-hälihJ rädiyan kull ar-ridä, qanü'an asadd al-qanä'a,
lä yadiqu dar'an bi-mä ßhi min 'usra wa-imläq^). Die schlichte
Tatsache, daß der Rhetoriker as-SakkäkT im Gegensatz zu den
meisten anderen arabischen Literaten weder die Autoren, auf die
^ M. Taimür: maulänä abu l-barakäl. In: M. Fleischhammer und W. Walther (Hrsg.): Chrestomathie der modernen arabischen Prosahteratur 2 Aufl Leipzig
1982, S. 119.
Warum so viele Worte? 271
er sich stützt, noch deren berühmte Werke (kurz gesagt: seine
Quellen) erwähnt und deshalb nicht feststellbar ist, inwieweit er
von anderen beeinflußt ist, wird in einem arabischen Fachbuch
folgendermaßen dargestellt: „As-SakkäkT erwähnt die Quellen
seiner baläga nicht, und er verweist nicht auf die Bücher, aus de¬
nen er zitiert, oder auf diejenigen Männer, deren [Erkenntnisse]
er überliefert hat {lam yusir ila l-kutub allati naqala 'anhä au ar-
rigäl alladina rawä 'anhum). Dieses Vorgehen findet sich nicht
bei vielen Rhetorikern, und man bemerkt es nicht bei anderen
Autoren. Meistens erwähnen die Autoren ihre [Sekundär]-Quel-
len und die [Primär]-Quellen ihrer Untersuchung {masädirahum
wa-manäbi' diräsatihim) . Wenn sie das nicht tun, so erwähnen
sie die Bücher, auf die sie sich in ihrer Diskussion stützen, und
wer ihr Vorgänger war bei der Behandlung ihrer Themen. Des¬
halb kann der Forscher das Ausmaß der Beeinflussung des Au¬
tors durch einen anderen {madä ta'attur al-mu'allif bi-gairihi) er¬
kennen. As-SakkäkT hingegen tut das nicht. Er erwähnt keinen
der Rhetoriker und keines ihrer berühmten Werke.
Alle hier genannten Beispiele für Weitschweifigkeit werden
von Arabern nicht als unangenehm empfunden, höchstens als
wortreich, nicht aber als weitschweifig. In der baläga werden sie
dem Stilmittel itnäb („Wortreichtum", „Ausführlichkeit"), einer
Kategorie des 'dm al-ma'änf^ , zugeordnet.
Allgemein wird unter itnäb ein Überschuß an Worten im Ver¬
gleich zum Aussageinhalt verstanden {huwa ziyädät al-lafz 'alä l-
ma'nä).^^ Außer in Prosatexten kommt er auch in der Dichtung,
einschließlich der freien Rhythmen, vor.'^
Der itnäb, besonders in Form wörtlicher und sinngemäßer
Wiederholungen {takrär, takrir), ist auch ein Charakteristikum
der Sprache des Korans. In den beschwörenden Passagen ist es
nicht ungewöhnlich, daß ein kurzer Vers oder ein Versteil zwei¬
mal hintereinander (z.B. 75:34f ; 78:4f ; 82:17f) oder an ver¬
schiedenen Stellen innerhalb einer Sure (z.B. 54:17, 22, 32, 40;
55:13, 16, 18, 21, 23 usw.; 109:2-5) oder mehrerer Suren (z B.
4:87; 6:12, 45:26) wörtlich wiederholt wird. Noch öfter finden
sich sinngemäße Wiederholungen und Mehrfachdarstellungen ei-
' Matlüb, S.196.
'° Vgl. Tabelle S.268.
" Vgl. Bin Durail, S.208.
'2 Vgl. ebenda, S.209.
272 Kristina Stock
nes Themas, z.B. des Jüngsten Gerichts (z.B. 54:46-55; 55:35-
46; 56; 69:13-20; 70:8-44; 82; 84).
Wortreichtum gab es im Mittelalter auch in den Werken be¬
rühmter arabischer Literaten und in den kunstvollen, nicht selten
gekünstelten Schreiben der Sekretäre. Der unter persischem Ein¬
fluß im 8./9.Jh. aufgekommene überladene Stil, der ab dem
10. Jh. die üppigsten Blüten trieb, ging vielfach mit einer Überbe¬
wertung des Formalen, der Formulierungen (al-alfäz), auf Ko¬
sten des Inhalts, der Bedeutungen (al-ma^äni), einher.'^ Man
machte viele Worte, ohne viel zu sagen, was Prosaschriftsteller
wie al-Gähiz (gest. 868) veranlaßte, die Bedeutung der Kürze des
Ausdrucks, des Tgäz, zu betonen: „Man wähle von den Ausdrük-
ken (alfäz) die besonders zarten (araqqahä), von den Inhalten
(ma'äni) die mit der genauesten Aussage (adaqqahä muhrigan),
der besten Akzeptabilität (ahsanahä qubülan), dem zutreffend¬
sten Bedeutungsumfang (agwadahä wuqü'an) und dem meisten
Reiz (atammahä itmä'an), mit den stärksten (aqwä), sparsam¬
sten (augaziht), süßesten (a'dabihi) und schönsten (ahsanihi)
Worten (kaläm), mit den wenigsten Buchstaben (hurüfi¬
hi) und den meisten Inhalten (ma'änihi)."^'* Einer, der
diesem Ratschlag folgte, doch keine Anerkennung bei seinen
Zeitgenossen fand, war Abü Hayyän at-TauhTdi (gest. 1011):
„einfachere, wuchtigere und temperamentvollere Prosa ist später
im Arabischen nicht mehr geschrieben worden. Aber die Mode
und Ehre war bei den anderen [die sich nicht knapp ausdrück¬
ten; K.S.]"'^
An anderer Stelle berichtet al-Gähiz von einem Beduinen, der
auf die Frage: „Was ist balägaT geantwortet haben soll: „Kürze
des Ausdrucks, die nicht Unfähigkeit [zum Reden] ist, und Wort¬
reichtum, der nicht Geschwätz ist (al-igäzu ß gairi 'agzin wa-l-it-
näbußgairi hatalin)."^^ Wenn also der itnäb nicht in Geschwätz
ausartet, gilt er durchaus als erstrebenswert. Doch welche Krite¬
rien machen den itnäb zu einer sinnvollen Form der Rede?
Mit den Arten des itnäb und des Tgäz befaßten sich die arabi¬
schen Sprachgelehrten mindestens seit dem 9. Jh. Den Tgäz und
'3 Vgl. Heinrichs, S. 69-82.
al-Gähiz^ 105 (S.59).
Mez, S.'242.
'* al-Gähiz', S.54.
Warum so viele Worte? 273
die damit verbundene elliptische Ausdrucksweise {hadf) unter¬
suchte sogar schon STbawaih (gest. 793) und stellte ihn dem itti¬
sä' („Ausgedehntheit") gegenüber.'^ Den itnäb besprachen bei¬
spielsweise auch Ibn Qutaiba (gest. 889) im Vorwort seines adab
al-kätib, al-'AskarT (gest. nach 1005) im 5. Kapitel seines as-sinä-
'atain, Diya' ad-DTn Ibn al-Atlr (gest. 1239) als 15. und iö.Art
{nau') der Bedeutungsschaffung {as-sinä'a al-ma'nawTya) in sei¬
nem al-matal as-sä'ir, as-SakkäkT (gest. 1299), der in seinem mif¬
täh al-'ulüm den Tgäz und itnäb in den I.Zweig {'dm al-ma'änT)
bei der von ihm eingeführten Dreiteilung der baläga einordnete,
ferner der sich kritisch auf Ibn al-AtTr beziehende at-Tüfi (gest.
1316) im 3. Teil seines al-iksTr ß 'Um at-tafsTr, der as-SakkäkTs
miftäh al-'ulüm zusammenfassende al-Hatlb al-QazwTnT (gest.
1339) im I.Teil seines talhTs al-miftäh und der ebenfalls von as-
SakkäkT beeinflußte Badr ad-DTn Bin Mälik (gest. 1287) in sei¬
nem al-misbähß 'Um al-ma'änT wa-l-bayän wa-l-badT'.
Im Streit um Tgäz und itnäb scheint al-'AskarT mit den Anhän¬
gern des Tgäz zu sympathisieren, sonst hätte er nicht dem Lob
des Tgäz wesentlich mehr Ausführungen gewidmet als dem Lob
des itnäb. Dennoch strebt er zwischen beiden einen Ausgleich an
mit dem weisen Schluß, daß jede der beiden Formen ihre Be¬
rechtigung habe, und zwar dort, wo sie jeweils am rechten Ort,
d.h. angebracht ist {fa-l-hägatu Ua l-Tgäziß maudi'ihTka-l-hägati
ila l-itnäbißmakäniht).^^ Doch wo ist der itnäb angebracht?
Zu den Arten des Wortreichtums zählten die arabischen Rheto¬
riker neben dem itnäb auch den ishäb („Weitschweifigkeit",
„Wortreichtum", „Ausführlichkeit"). In der Pragmatik beider
Termini gibt es einen entscheidenden Unterschied. Während der
itnäb ein Stilmittel der baläga und damit etwas Positives ist, be¬
deutet ishäb genauso wie die Weitschweifigkeit in der deutschen
Stilistik eher eine unangenehme Art von Ausführlichkeit, vor der
uns laut al-Gähiz „Gott bewahre" {na'üdu bi-lläh min al-ishäb).^^
Allgemein verbreitet ist die Ansicht, daß der itnäb eine Art von
Wortreichtum {itälaß l-kaläm) sei, die der Textinhalt {al-ma'nä)
erfordere und die für dessen Expressivität {at-ta'kTd au at-taßr)
von Bedeutung sei, während der ishäb eine Art von Wortreich-
" Vgl. Husain', S.55, 58.
'* Vgl. al-'Askarl, S.190.
" al-Gähiz' 1, S.54.
274 K.RISTINA Stock
tum sei, die der Textinhalt nicht erfordere und die deshalb re¬
dundant {fudül wa-ziyäda 'an al-häga) sei.^°
AI-'Askari nennt als weitere negative Art der Weitschweifigkeit
den tatwil („Ausführlichkeit"), den er als Unfähigkeit, sich aus¬
zudrücken {'iyy), abtut^', was später auch Ibn al-AtTr dazu führt,
den tatwd als unsinnigen Wortreichtum {ziyädät al-lafz 'an al-
ma'nä li-gairi l-fä'ida) zu definieren.^^ Genauso nutzlos sind laut
al-'AskarT auch wortreiche Ausdrücke, die man kürzer formulie¬
ren kann {al-'ibära 'an al-ma'nä bi-kaläm tawil lä fä'ida ß tülihi
wa-yumkinu an yu'abbara 'anhü bi-aqsar minhü), die also eine
Art von Ballast bzw. ein Pleonasmus {hasw) sind, wie wenn z. B.
an-Näbiga ad-DubyänT sagt (Diwan 49, 67): „sechs Jahre lang
und ein siebentes" {li-sittati a'wämin wa-dä al-'ämi säbi'i). Al-
'AskarT meint dazu, daß an-Näbiga sinnvollerweise ruhig gleich
„sieben Jahre lang" hätte sagen können.^^ Allerdings wird laut
al-GurgänT der hasw manchmal auch gern gehört: „Es ist dann,
wie wenn dir eine Wohltat zukäme von einer Seite, von der du
sie nicht erwartet, oder dir ein Nutzen zukommt, auf den du
nicht gerechnet hattest. Ist doch manchmal auch einem Schma¬
rotzer eine gewisse Bildung und Artigkeit gegeben, welche be¬
wirkt, daß man ihn gerne sieht und ihn wohl in den Rang der
Gäste einrücken läßt, um derentwillen man die Gesellschaft ver¬
anstaltet hat, und der Freunde, bei denen und durch deren Ge¬
genwart man sicher ist, sich wohl und behaglich zu fühlen."^"* -
Diese vergnügliche Feststellung kann leider die Vorliebe für
wortreiche Reden nicht rational erklären.
Und wieder stellt sich die Frage: Welche Kriterien machen die
wortreiche Ausdrucksweise zu einer sinnvollen Form der Rede,
wann wird vom Textinhalt itnäb gefordert? Bei der Beantwortung
dieser Frage stimmen die arabischen Rhetoriker darin überein,
daß itnäb erforderlich ist, wenn eine Aussage erklärt oder her¬
vorgehoben werden soll. Laut Ibn Qutaiba werden manchmal
viele Worte gebraucht, um etwas zu bekräftigen {li-t-taukTd) und
Worte wiederholt, um etwas verständlich zu machen {li-l-ifhäm),
so in Aufrufen zum Krieg und zur Blutrache oder zur Versöh-
Vgl. Husain', S.94.
Vgl. al-'Askari, S. 191.
Vgl. Ibn al-Atlr, S.214.
Vgl. al-'AskarT, S.48.
Vgl. al-Curcänl, S.36.
Warum so viele Worte? 275
nung, zum Gehorsam und zur Warnung vor Sünden, außerdem
in Berichten über Eroberungszüge.^"^ Badr ad-Din Bin Malik
zählt zu den Arten des itnäb die Vervollständigung (tatmim) und
die detaillierte Darstellung (tafsil)}^ Für at-TüfT gehört zum it¬
näb die Erklärung von Unklarem (tafsTr al-mubham)?^ Bei Wie¬
derholungen wiederum unterscheidet er nützliche (mußd) und
überflüssige (gair mußd). Nützlich sind nur solche Wiederholun¬
gen, die so wie im Koran (z.B. in der fätiha: iyäka na'budu wa-
iyäka nasta'Tnu [Dir dienen wir und zu dir rufen wir um Hilfe])
der Bekräftigung {ta'kTd al-amr), der Hervorhebung {tafhTmihT)
oder der Verherrlichung {ta'zTmiht) dienen.^^ Auch Ibn al-AtTr
betont den expressiven Charakter nützlicher Wiederholungen {in¬
na l-mußda min at-takrirya'tiß l-kaläm ta'kTdan lahü wa-tasdTdan
min amrihi).^^ Ebenfalls außerordentlich bedeutungsvoll {mauqi'
galTl wa-makän sarTfhatTr) schätzt al-'AskarT den tadyTl („Anhän¬
gung"), d.h. synonyme Wiederholungen {i'ädat al-alfäz al-muta-
rädifa), ein und empfiehlt, diese Art der baläga an allen mögli¬
chen Versammlungsorten (/? l-mawätin al-gämi'a wa-l-mawäqif
al-häßla) zu benutzen, weil durch sie die Aussage mehr Freude
macht und die Aussageabsicht für rege Geister {'inda dihn al-
luqn) wie für Dummköpfe {li-l-kalTl al-balTd) klarer wird {li-anna
l-ma'nä yazdädu bihT insirähan wa-l-maqsad ittidähan).^^ Gerade
für einfache Geister übrigens wird laut at-TauhTdi, Ibn Sinän
(gest. 1073) und Ibn Wahb (gest. um 948) die Rede erst klar,
wenn sie ausführlich ist.^' Angebracht ist der itnäb für al-'AskarT
in den umfangreichen Herrscherbüchern über die großen Erobe¬
rungen, beim Lob von Wohltaten, beim Aufruf zum Gehorsam
und dem Verbot von Ungehorsam sowie in Mahnreden {mawä¬
'iz). Vermieden sollte er werden bei Dankbekundungen oder
Entschuldigungen, da sonst die einschmeichlerische Absicht
bzw. eine tatsächliche Schuld zu vermuten ist."*^ Für az-ZabTdT
(gest. 1791) bringt jemand, der sich wortreich ausdrückt {atnaba
fi l-kaläm), guten Stil in eine dem Lob oder dem Tadel dienende
Vgl. Ibn Qutaiba, S.U.
Vgl. Matlüb, S.370.
Vgl. at-füfr, S.212.
Vgl. ebenda, S. 245.
Vgl. Ibn al-Atir, S. 228.
Vgl. al-'AskarT, S.373.
Vgl. Darabseh, S. 128, 165.
Vgl. al-'Askari, S.157f. und 190-192.
276 Kristina Stock
Beschreibung {atä bi-l-baläga ß l-wasf madhan käna au dam¬
man)?^ Moderne Definitionen betonen in Anlehnung an die
klassischen Vorbilder ebenfalls die verdeutlichende und bekräfti¬
gende Funktion des itnäb {yußdu at-taudih au at-tahwil)?'^
Der itnäb ist also sinnvoll, wenn er die Aussagekraft und
Nachdrücklichkeit erhöht, so z. B. in Lob- und Schmähreden, Er¬
mahnungen, Warnungen und Aufrufen sowie in Kriegsberichten.
Betrachtet man die eingangs genannten Beispiele, kann diese
Antwort nicht befriedigen. Werden wirklich all jene Aussagen
durch den itnäb klarer und nachdrücklicher? Enthalten sie nicht
eine Reihe von Redundanzen? Die im eingangs zitierten fach¬
sprachlichen Textbeispiel dargestellte Tatsache, daß as-SakkäkT
im Gegensatz zu vielen anderen seine Quellen nicht erwähnt,
muß doch nicht unbedingt durch zahlreiche sachliche Wiederho¬
lungen betont werden. Gewiß ging es dem Autor auch nicht um
eine derartige Expressivitätssteigerung. Ist seine ausführliche
Darstellungsweise deshalb ishäb'! Oder gibt es vielleicht noch an¬
dere Gründe für den Wortreichtum, die ihn nicht zum ishäb de¬
gradieren, sondern zum itnäb erheben?
Die Unterscheidung zwischen ishäb (einschließlich tatwil) und
itnäb (einschließlich tadyd, takrär mußd) kann am konkreten
Beispiel nicht immer nachvollzogen werden, wenn man in der
Steigerung der Nachdrücklichkeit und Klarheit die einzige
Rechtfertigung für den itnäb sieht. Aber vielleicht ist das, was
ein nichtarabischer Leser als redundant empfindet, für den Ara¬
ber durchaus erwähnenswert, ja unbedingt erforderlich, damit
die Aussage nicht blaß und undurchsichtig erscheint! Sind hier
vielleicht die Vorstellungen von Klarheit, von Präzision, grund¬
verschieden? Sind es vielleicht spezifische ästhetische Empfin¬
dungen und rationale Bedürfnisse und daraus hervorgehende
Stilnormen, die den arabischen Sprachgebrauch durch wörtliche
und sinngemäße Wiederholungen weitschweifig machen, wenn
sie nicht sogar eine der Ursachen für den vielfach gepriesenen
Synonymenreichtum des Arabischen-'^ sind?
" Vgl. az-ZabTdl, S.357.
Vgl. Bin DuraTl, S.208; Saläm, S.61-67.
Als wichtigste Gründe für den Synonymenreichtum des Arabischen gelten allgemein Bedeutungswandel und Entlehnungen sowie nicht zuletzt die dialektale Vielfalt, die in vorislamischer Zeit auf der Arabischen Halbinsel anzutreffen war (vgl. Schulz, S.13, 26-57).
Warum so viele Worte ? 277
Die beiden wichtigsten Funktionen der meisten rhetorischen
Figuren sind in der baläga die Verdeutlichung {wudüh, taudih)
und die Verschönerung der Aussagen {tahsin, raunaq)?^ Außer¬
dem verleihen auch einige Figuren, so z. B. das Wortspiel (ginäs,
tagnis), die Wiederholung und die Reimprosa {sag'), der Äuße¬
rung einen musikalischen Faktor {'ämU musTqi)^^ , den ich als
Rhythmus bezeichnen möchte.
Im folgenden soll gezeigt werden, daß Rhythmus, Klarheit
(von mir als Präzision bezeichnet) und Schönheit (von mir als Or¬
namentik bezeichnet) wichtige Stilnormen des Arabischen sind
und daß es eben die Anwendung dieser Stilnormen ist, die beim
nichtarabischen Rezipienten arabischer Texte oftmals den Ein¬
druck hervorruft, daß die Araber sich gern weitschweifig bzw.
wortreich ausdrücken. Damit ließe sich der itnäb auf rationale
(Präzision) und ästhetische (Ornamentik und Rhythmus) Ursa¬
chen zurückführen und müßte nicht weiterhin als relativ willkür¬
lich entstandene Besonderheit der arabischen Ausdrucksweise
verstanden oder gar kritisiert werden. Eine andere in der klassi¬
schen arabischen Rhetorik viel diskutierte Anforderung an guten
Stil, nämlich die Frage der Glaubhaftigkeit von Aussagen {as-
sidq wa-l-kidb)^^ , hat auf den itnäb keinen direkten Einfluß und
bleibt daher unberücksichtigt.
Präzision
Grundlage einer präzisen Ausdrucksweise ist das Erfassen von
Nuancen, von Details, von konkreten Sachverhalten. Ihren An¬
fang nahm diese Art der Sprachkultur bei den Arabern lange vor
der endgültigen Fixierung des Arabischen im Koran, wohl in ei¬
ner Zeit, als sich fast jeder Stamm auf der Arabischen Halbinsel
eines eigenen Dichters und Redners rühmen konnte, als die
Wortkunst bei den Arabern bereits die dominierende Art künstle¬
rischer Äußerung^' war.
Vgl. Bin DuraTl, S. 205-214.
" Vgl. ebenda, S. 210-213.
Vgl. R.Jabobi: Dichtung und Lüge in der arabischen Literaturtheorie. In: Der Islam 49 (1972), S. 85-99 und C. Bürgel: Die beste Dichtung ist die lügenreichste.
In: Oriens 23/24 (1974), S. 7-102.
Vgl. Wagner, Bd.l, S. 1 f.
278 Kristina Stock
Die altarabischen Dichter schilderten ihre Umgebung und ihre
Gefühle möglichst detailliert und bemühten sich bei der sprach¬
lichen Darstellung um neue, immer treffendere Formen.In die¬
ser Suche nach immer neuen Ausdrucksformen sieht Schulz
„eine ständig sprudelnde Quelle für neue Synoyme und sinnver¬
wandte Ausdrücke".Doch woher kamen solche neuen Aus¬
drücke? Wenn man heute den Synonymenbestand des Arabi¬
schen betrachtet, scheint es, als hätte bei der Schöpfung sinnver¬
wandter Wörter das Bestreben im Vordergrund gestanden, mit
Hilfe von Begriffen die kleinsten Nuancen zu erfassen - Nuan¬
cen, die, sobald man sie übersieht, die Begriffe synonym erschei¬
nen lassen.
Der relativ gleichförmige Anblick der Wüste ließ dem Dichter
augenscheinlich genügend Muße, sich immer mehr ins Detail zu
vertiefen, nach Präzision zu streben. Ein spartanisches Milieu
kann zum Träumen verführen. Doch der arabische Dichter schuf
sich offenbar keine mystischen Welten; er begnügte sich mit dem
Vorhandenen, aber das ganz besonders intensiv durch eine einge¬
hende Betrachtung, die jedes Detail erfaßt.'*''
Die hohe Wertschätzung der Darstellung von Einzelheiten {taf-
Vgl. ebenda, S.4 f., 30, 32, 34 L Heinrichs bezeichnet die Detailtreue der
Einzelbeobachtungen in Anlehnung an Kowalski (T.Kowalski: Na szlakach hla¬
mu. Krakow 1935, S. 101-121) als Molekularität und sieht in dieser einen „Grund¬
zug der arabischen Literatur" (Heinrichs, S. 20-31).
Vgl. Schulz, S.25.
''^ Die konkrete und detaillierte Ausdrucksweise könnte meiner Ansicht nach neben der dialektalen Vielfalt auf der Arabischen Halbinsel in vorislamischer Zeit und dem Bilderreichtum ihrer Poesie eine Ursache für den Synonymenreichtum des Arabischen sein.
Deshalb gibt es beispielsweise für Kamel so viele Ausdrücke, d.h. für die
verschiedenen Varianten ein und derselben Art, wie man sie ausmachen kann,
wenn man die Kategorisierung schier ins Unendliche treibt und ein junges Kamel von einem alten unterscheideL ein weibliches von einem männlichen usw. Wenn schließlich die ursprünglichen Nuancierungen zwischen den einzelnen Quasi-Syn- onymen in Vergessenheit geraten und man bei allen oder besser vielen Begriffen doch nur die allgemeine Erscheinung (Kamel) sieht, sind die Begriffe zu echten
Synonymen geworden. Ganz gleich, ob man in bedeutungsgleichen oder bedeu¬
tungsähnlichen Wörtern Synonyme sieht, der Wortreichtum wird auch nicht ge¬
schmälert, wenn man die Begriffe nicht als hundertprozentige Synonyme versteht.
- Ein ähnliches Synonymiebeispiel findet sich im Deutschen bei dem Begriff
Pferd (HengsL Stute, Fuchs usw.). Auch hier hat wohl die intensive Beschäftigung
mit dem bezeichneten Objekt (z. B. in der Landwirtschaft, im Handel, in der
Kunst) zu dieser Vielzahl der Bezeichnungen geführt.
Warum so viele Worte? 279
sTl) ging offenbar nie verloren. Im U.Jh. lobte al-Gurgänl immer
noch den Scharfsinnigen, „der wachen Sinnes und bereit ist,
nachzudenken und sich etwas [in Gedanken genau] vorzustel¬
len", wenn er z. B. in einem bestimmten Fall die Farbe Rot als
ein zartes und ungetrübtes Rot präzisiert.^"* Doch neue Wörter,
die Nuancen erfassen, schuf man zu al-Gurgänls Zeiten kaum
noch.'*^ Aber man konnte die altarabische Dichtung nach passen¬
den Begriffen durchsuchen oder mit dem vorhandenen Wortbe¬
stand neuartige Sprachbilder schaffen.
Mit Hilfe von Sprachbildern bereicherten schon die alten Ara¬
ber ihren Synonymenbestand, und zwar nicht nur aus einem viel¬
leicht in der kargen Umgebung begründeten Schmucktrieb her¬
aus, sondern eben auch deshalb, weil man meinte, mit dem Bild
genau die Seiten der Erscheinung vollständig zu erfassen, um de¬
ren detaillierte Darstellung man bemüht war. Wohl nicht zuletzt
auch deshalb wurde im Mittelalter der Tropos (magäz) mit all
seinen Unterarten zur dominierenden Stilfigur des 'Um al-bayän,
also dem Gebiet der baläga, das sich laut al-HatTb al-QazwTnT
der klaren Darstellung eines ma'nä widmet.'*^ Dabei kann es vor¬
kommen, daß in einem Bild mehrere Bilder aneinandergereiht
werden, entweder um die verschiedenen Seiten einer Erschei¬
nung zu beleuchten oder um das erste Bild durch die folgenden
Bilder zu erklären, zu präzisieren. Deshalb gibt man auch tradi¬
tionell einem ausgebauten Vergleich (tasbTh, tamtJl) wie dem von
Imru^l-Qais „Ich faßte eine wohlgestreckte Lanze, deren Spitze
einer Feuerflamme glich, bei der es keinen Rauch gibt (gama'tu
rudaimyan ka-anna sinänahü sanä lahabin lam yattasil bi-duhä-
ni)" den Vorzug vor einem einfachen Vergleich wie dem von 'An¬
tara „Er verfolgt ihn dauernd, keinen anderen sucht er, mit ei¬
nem weißen [Schwert] wie ein flammender Feuerbrand (yutäbi'u
lä yabtagT gairahü bi'abyada ka-l-qabasi l-multahiby.'^^ Über¬
haupt ist laut al-GurgänT die Beschreibung von Details höher zu
bewerten als eine Darstellung von allgemeinen Sachverhalten.'*^
Vgl. CurcänT, S. 182.
Der in islamischer Zeit entstandene arabische Purismus verbietet die Neu¬
schöpfung von Begriffen, weil das die im Koran fixierte und damit sakralisierte arabische Sprache verändern würde.
Vgl. Anmerkung 90.
Beispiele und Übersetzung aus al-Curcänl, S. 184f Vgl. CurcänT, S. 181-185, 200.
280 Kristina Stock
So lobt er auch den Dichtervers: „Und es flössen die weiten
Strombetten mit den Hälsen der Reittiere {wa-sälat bi-a'näqi l-
matiyi l-abätihuy wegen seiner Klarheit, die daraus resultiert,
daß gesagt wird „mit den Hälsen der Reittiere" und nicht nur
„mit den Reittieren", weil nämlich die Gangart eines Kamels am
besten an dessen Hals sichtbar ist."*^ Genaue Beobachtungsgabe
ist also ein wichtiges Kriterium für gute sprachliche Äußerungen.
Von Grunebaum führt die Vorliebe der Araber für eindeutige,
leicht verständliche Bilder auf die „realistisch-vernünftige arabi¬
sche Art" zurück.^° Auf das Fehlen von Fiktionen in der arabi¬
schen Dichtung weist auch Heinrichs hin; erlaubt waren höch¬
stens „phantastische Deutungen", nicht aber „phantastische Er¬
findungen".^' Und nicht nur den realistischen Sprachbildern,
auch der ausgefeilten Metrik und den wohldurchdachten Wort¬
spielen, selbst der in sich geschlossenen, kaum Ausnahmen zu¬
lassenden arabischen Grammatik liegt eine rationale, zum Teil
fast mathematische Methodik zugrunde.
Ohne eine allzu gewagte Pauschalisierung treffen zu wollen, ist
es in der Tat bemerkenswert, wie die Araber in ihren Wissen¬
schaften (z. B. auch in der Rhetorik, bes. bei den Anhängern der
madrasat al-kalämiya^^) , aber auch in ihren Künsten (z. B. bei
der rationalen Aufteilung von Flächen in der Ornamentik) auf
ein logisches Vorgehen und auf äußerste Präzision immer schon
Vgl. CurcänT, S. 38-41.
In „Kritik und Dichtkunst", S.50 vergleicht von Grunebaum die Beschrei¬
bung eines Sonnenaufgangs bei dem arabischen Buyidenwesir und Dichter al-Mu- hallabT (gest. 963) mit einer ähnlichen Beschreibung des Persers Firdausi (gest.
1020). Bei al-MuhallabT ist das verwendete Bild sehr anschaulich: „Die Sonne ist im Osten erschienen ohne einen Schleier, ihr Strahlen [zu verhüllen], [sie sieht aus] als wäre sie ein erhitzter Schmelztiegel, in dem geschmolzenes Gold umher¬
wirbelt." Firdausi dagegen liebt es - wie die persische Dichtung insgesamt - die Naturschilderung zu mystifizieren: „Frühmorgens, als die Sonne den Dolch zog und die finstre Nacht unsichtbar ward."
Heinrichs, S. 43-46, 56-68.
Die madrasat al-kalämJya („logische Schule") war eine rein auf die Klassi¬
fizierung der Stilfiguren ausgerichtete Richtung der mittelalterlichen arabischen Rhetorik. Die ästhetische Wirkung der Stilfiguren wurde hingegen von der madra¬
sat al-adablya („literarische Schule") untersucht. Die Zuordung der Rhetoriker zu einer der beiden Schulen ist nicht immer eindeutig möglich. Al-GurgänT z. B. gilt mit seinem „kitäb asrär al-baläga" als bedeutender Vertreter der ästhetischen Richtung, obwohl er in seinem „kitäb daläHl i'gäz al-qurän" mehr zur logischen Richtung tendiert.
Warum so viele Worte? 281
großen Wert legen. Ja selbst im Alltag fällt die Freude an Spielen
und Rätselaufgaben auf, die logisches Denken erfordern. Außer¬
dem paßt die arabische Präzision auch in das durch die göttliche
Vorherbestimmung wohlgeordnete islamische Weltbild ...
Trotz aller realistisch-vernünftigen Art ging die angestrebte
Verständlichkeit bei der Wahl eines Sprachbildes, ja überhaupt
die von den Rhetorikern immer wieder geforderte Klarheit der
Aussage dennoch verloren, und zwar mit dem neuen ausufern¬
den Stil {badT') „avantgardistischer" Dichter {muhdatün) wie
Abü Tammäm (gest. 845) und al-MutanabbT (gest. 965), und dem
gezierten Briefstil {insä') der sich an Eleganz gegenseitig über¬
treffenden Kanzleischreiber. Selbst berühmte Sprachgelehrte wie
Ibn GinnT (gest. 1002) scheiterten bei der Interpretation von Bil¬
dern wie dem folgenden von al-MutanabbT: „So oft sie lächelt,
werden meine Wangen feucht von Regen, dessen Blitz ihre
Schneidezähne sind {tahullu haddä^a kullamä btasamat min ma-
tarin barquhü tanäyähä)." Für Ibn Ginni ist der Regen nicht etwa
eine Metapher für die Tränen des schmachtenden Liebhabers
beim Anblick der lächelnden Geliebten, sondern - weniger poe¬
tisch - für den Speichel der Geliebten, der ihr beim Lächeln aus
dem Mund läuft.^^
Was liegt angesichts solcher Verständigungsschwierigkeiten nä¬
her, als ein Bild oder auch jeden anderen Ausdruck durch eine
weitere synonyme Formulierung zu präzisieren. Sehr beliebt ist
traditionell die Präzisierung mit Hilfe einer Antithese (tibäq),
wie z.B. in dem Vers von Ibn al-Mu'tazz (gest. 908): „Die Wahr¬
heit ist uns in einem Imam vereinigt, der den Geiz getötet
und die Freigebigkeit belebt hat {gumi'a al-haqqu lanäß
imämin qatala al-buhla wa-ahyä as-samähä)".^^ Die Gewohnheit,
einen sprachlichen Ausdruck mit Hilfe eines Synonyms zu erläu¬
tern, ist noch heute im arabischen Sprachgebrauch zu beobach¬
ten, zumal jedes Synonym eine Bereicherung an Assoziationen mit
sich bringt und damit die Weitschweifigkeit einen Gewinn {fä'i¬
da) bietet, also itnäb ist. So erhöhen im folgenden Beispiel die
aneinandergereihten Sprachbilder, die auf den ersten Blick syno¬
nym sind, nicht nur die Expressivität der Aussage, sie können
auch nuancierte Assoziationen auslösen, weil sie eben doch nicht
" Vgl. FÜCK, S.lOO.
Mehren, S.36.
282 Kristina Stock
hundertprozentig synonym sind : „Aber was sagst du zu jemandem,
der erstarrt ist, der eine stumme Masse geworden ist, ein Stein
oder ein Stück Eis {wa-läkin mädä taqüluß insänin tagammada,
wa-asbaha kutlatan harsä\ higäratan, au qit'atan min al-ga-
iTd)r^^ '
Weit öfter als Antithesen oder Sprachbilder werden inhaltlich
einander ähnelnde (quasi synonyme) Einzelbegriffe nebeneinan¬
dergesetzt, und zwar als tautologisches Wortpaar, so wie bei den
eingangs erwähnten Erfolgswünschen {an-nagäh wa-t-taußq) und
den Quellenangaben {al-masädir wa-l-manäbi') oder wenn man
etwas besonders deutlich ßgäyati l-wudüh wa-l-galä') darstellen
will, von seinen Bemühungen und Arbeiten {al-guhüd wa-l-ä'-
mäl) berichtet, qualvolle Zeiten {'usür al-hurqa wa-l-balä') erlebt
oder jemandem Respekt {taqdlrJ wa-ikbärt) zollt. Solche Tautolo¬
gien kommen in jedem Funktionalstil vor und dienen ebenfalls
zur Präzisierung, denn auch quasi synonyme Begriffe unterschei¬
den sich doch in kleinen Nuancen. So bezeichnet z. B. nagäh
eben einen Erfolg, den man trotz aller Hemnisse zu erringen ver¬
sucht, während taußq ein Erfolg ist, der einem wie ein Glücks¬
umstand von Gott zukommt, wudüh ist eine Klarheit, die durch
scharfe Umrandung entsteht, während galä' etwas durch Hellig¬
keit sichtbar macht, masädir sind Sekundärquellen, manäbi' Pri¬
märquellen, wobei manäbi' überdies bildhafter ist (< naba'a,
„hervorquellen", „hervorsprudeln") als masädir (< sadara, „her¬
ausgehen", „seinen Ursprung haben"), hurqa ist eine Qual, die
mit körperlichen Schmerzen zusammenhängt, bald' kommt einer
Heimsuchung oder Prüfung gleich, taqdir basiert auf [guter] Be¬
wertung, ikbär mehr auf Bewunderung.
Allerdings muß man einräumen, daß nicht bei jeder Tautologie
eine solche Präzisierung angestrebt wird, sondern daß die Ver¬
wendung von Tautologien auch zur bloßen Gewohnheit gewor¬
den ist, nachdem sie anfangs - wobei nicht klar ist, wann dieser
Anfang war - sicherlich auch eine rein praktische Rolle gespielt
hat. So wird es vorgekommen sein, daß z. B. ein Nichtaraber in
den von den Muslimen eroberten Gebieten oder ein nicht litera¬
risch Gebildeter nicht jedes Wort des so wortreichen Arabischen
kannte und es daher erforderlich war, ihm einen unverständli-
Aus dem Roman des irakischen Autors 'km ar-Rahmän ar-Rubai'I: hutut
al-lül ... hutüt al-'ard. Beirut 1983, S. 200.
Warum so viele Worte? 283
chen Begriff durch einen synonymen Ausdruck zu erklären oder
eben von vornherein gleich zwei synonyme Begriffe nebeneinan¬
derzustellen in der Hoffnung, daß einer von beiden schon ver¬
standen werden würde. Ein Hinweis auf eine solche Handha¬
bung findet sich übrigens bei al-'AskarT, der feststellte, daß die
an die Juden {banü Isrä'll) gerichtete göttliche Rede im Koran
immer breite Erklärungen und Wiederholungen enthält {mutaw-
wala masrüha wa-mukarrara ß mawddi' mu'äda), weil jene Ver-
stehensprobleme gehabt hätten {li-bu'di fahmihim käna, wa-ta'ah-
hur ma'rifatihim).^^
Wörtliche Wiederholungen indes waren - wie oben schon er¬
wähnt - verpönt, sofern sie nicht nützlich {mußd) waren, d. h.
wenn sie aus rhetorischer Unfähigkeit {'iyy, 'agz) oder zum Zeit¬
gewinn gemacht wurden. Wenn man aber doch etwas Zeit zum
Nachdenken innerhalb seines Redeflusses brauchte, konnte man
ja zu einem Gedanken keinen wörtlichen, sondern einen quasi
synonymen Ausdruck hinzufügen, ohne in den Verdacht zu gera¬
ten, daß einem nichts mehr einfiele. Im Gegenteil: man demon¬
strierte auf diese Art und Weise sogar noch seine umfangreichen
Sprachkenntnisse. Rechtfertigen ließ sich die synonyme Wieder¬
holung allemal mit der Expressivitätssteigerung der Aussage.
Diese Vermutung wird bestätigt durch das Lob al-Husrls (gest.
1061) in seinem zahr al-ädäb für den berühmten Redner Sahbän,
„denn wenn er redet, gebraucht er nicht ein einziges Wort zwei¬
mal, und es kommt nicht vor, daß er in seiner Rede stockt oder
daß seine Stimme ihm versagt oder er gar nach Wörtern suchen
muß, sondern seine Rede fließt dahin wie ein großer Strom.""
Außer quasi synonymen Einzelbegriffen werden auch syn¬
onyme Wortgruppen und Sätze nebeneinandergestellt, wie in den
folgenden Sätzen aus einem Essay von Tähä Husain: „Er fühlt
etwas und sagt etwas anderes {wa-huwa yahussu sai'an wa-yaqülü
sai'an ähar), er empfindet etwas und spricht etwas anderes {wa-
huwa yas'uru bi-sai'in wa-yantuqu bi-sai'in ähar) ... Zweifellos
empfand er nicht wie er schrieb (fa-laisa min sakkß annahü lam
yas'ur ka-mä kataba), dachte nicht wie er schrieb (wa-lam yaßur
ka-mä kataba), sondern empfand in einer Art und Weise und
Vgl. al-'AskarT, S.193.
Darabseh, S.33.
284 Kristina Stock
schrieb in einer anderen Art und Weise {wa-inna-mä sa'ara bi-ta-
riqa wa-kataba bi-tanqa uhräY'.^^
Präzise wird der arabische Stil außerdem durch die Darstel¬
lung von vollständigen Gedankengängen. So fällt der Hang zu
detaillierten Handlungsbeschreibungen auf. Wenn beispielsweise
davon die Rede ist, daß jemand nach etwas greift, wird vorher
gern noch gesagt, daß derjenige seine Hand ausstreckt (wa mad¬
da yadahü wa-dtaqata/masaka ...). Eigentlich unnötig, denn
ohne daß man seine Hand ausstreckt, kann man nichts greifen
(wenn man nicht Akrobat ist und die Hand am Körper läßt oder
gar einen anderen Körperteil zum Zugreifen verwendet). Auch
reicht es oft nicht aus festzustellen, daß jemand etwas gefragt
oder geäußert hat, es muß zusätzlich erwähnt werden, daß derje¬
nige beim Fragen bzw. bei seiner Äußerung gesprochen hat:
„Ahmad sagte, wobei er seine Mutter fragte/ansprach/rief ..."
(qäla Ahmadsä'dan/muhdtiban/munädian ... ummahü).
Auch Verkürzungen durch Präpositionen oder metonymische
Partizipien sind im arabischen Stilempfmden schlechter als voll¬
ständige Vorgangsschilderungen: „Lailas Auto stand an dem
Platz, wo sie gewohnt war, es abzustellen {känat saiyäratu Ladä
wäqifatan fi l-makän alladi 'tädat an tüqifahä fihi)." Wenn man
nicht unbedingt betonen will, daß Laila selber und nicht ein an¬
derer Lailas Auto immer an derselben Stelle abstellt, würde man
im Deutschen einfach sagen: „Lailas Auto stand an seinem ge¬
wohnten Platz." Statt „Er kam ihm zuvor und sprach über dieses
Thema {sabaqahü wa-takallama fi hadä l-maudü'iY" würde man
kurz sagen: „Er sprach schon vor ihm über dieses Thema." Nicht
nur bei der verbalen Ausdrucksweise, auch bei Infinitivkonstruk¬
tionen ist das Arabische genauer als das Deutsche, z. B. wenn
man sagt „während der Verrichtung des Gebets in der Mo¬
schee" {itnä' qadäViqämati .^-saläti fi l-masgid) statt „während
des Gebets in der Moschee".
Bei einem Vergleich von deutschen und arabischen Zeitungs¬
schlagzeilen fällt auf, daß die arabischen oft ausführlicher ausfal¬
len: „OPEC-Präsident fordert von den Mitgliedern die Senkung
der Ölproduktion um durchschnittlich eine Million Barrel pro
Tag, um dem Problem des Preisverfalls zu begegnen" {ra'Ts übTk
T Husain: hadit ai-arhi'ä\ Bd.3. Kairo 1957, S.II.
Dieses Problem hat auch Rott, S. 9 mit dem Beispiel lasdid nitäq al-hisär („die Verschärfung der Wirksamkeit der Blockade") angesprochen.
Warum so viele Worte? 285
yutälibu al-a'dä' bi-hafd al-intäg al-bürülTbi-mu'addal mUyün bar¬
mil yaumiyan li-'iläg muskdat inhifäd as-si'r). Eine deutsche Zei¬
tung würde in einer Überschrift auf die Angabe genauer Umstän¬
de und Ursachen sowie die nähere Bestimmung des Agenz ver¬
zichten: „OPEC für Senkung der Ölproduktion". Das ist dann
zwar wegen der offenen Fragen spannender, aber natürlich auch
unvollständig.
Ebenfalls aus Gründen der Vollständigkeit und der Logik wer¬
den in den Sätzen „Im Nebenzimmer weint die Stimme seines
Sohnes (Ji l-gurfa al-mugäwira saut waladihT yabki)'\ „Die
Stimme des Schatt al-Arab tost {saut satt al-'arab yahdiru)"
und „Die Stimme der Kassette erklang {saut al-musaggal ba-
da'a yarunnuY" der Sohn, der Schatt al-Arab und die Kassette
mit einer Stimme {saut) versehen, denn ein Sohn (männliche Per¬
son im Hinblick auf ihre Abstammung von den Eltern) oder der
Schatt al-Arab (geographisches Objekt) oder eine Kassette (Ma¬
gnetband und zwei kleine Spulen in einem Kunststoffgehäuse)
können in Übereinstimmung mit der arabischen Präzision nicht
akustisch wahrgenommen werden, eine Stimme hingegen schon.
Die Vorliebe für die konkrete Ausdrucksweise ist möglicher¬
weise auch ein Grund für die Bevorzugung des Aktiv. Zu einer
eindeutigen Satzaussage gehört auch ein Agenz, es sei denn, daß
dieses absichtlich geheimgehalten werden soll oder unbekannt
ist.^° So sagt man lieber: „In den Oasen bauen die Bauern To¬
maten an {yazra'üna l-fallähün fi l-wähät at-tumätimY' als „In
den Oasen werden Tomaten angebaut {tuzra'u at-tumätim fit l-
wähät)". Bei manchen Aussagen läßt sich eine unpersönliche
Form überhaupt nicht bilden. Wenn man sagen will, daß es dun¬
kel wurde, muß man schon erwähnen, was dunkel wurde: „Die
Welt/die Stadt/der Wald ... wurde dunkel {azlamat ad-
dunyä/ al-madJna/ al-gäba .. .)".
Konkret, wenn auch nicht weitschweifig wird die arabische
Ausdrucksweise auch durch die häufiger als im Deutschen prak¬
tizierte Verwendung des pars pro toto. Schon im Koran zeigt sich
die Vorliebe des Arabischen, den Blick aufs Detail zu lenken
und den Teil anstelle des Ganzen zu nennen, besonders dann,
wenn man bestimmte Körperteile und nicht den Menschen an
sich zum Träger einer Handlung macht: wugühun yauma'idin
Vgl. Hartmann, S.59, Jemaa, S.255.
286 Kristina Stock
häsi'atun ... wugühun yauma'idin nä'imatun (88:2,8; „Die ei¬
nen Gesichter werden an jenem Tag niedergeschlagen sein. Die
anderen Gesichter werden an jenem Tag fröhlich sein").^' Diese
Detailschau ist auch im modernen Hocharabisch zu beobach¬
ten.^^ Beispielsweise kann man in Erzählungen oft lesen „Ein
Mund/eine Stimme sagte" {nataqa famun/sautun). Da im
Deutschen das pars pro toto mehr ein künstlerisches Mittel als
eine alltägliche Formulierungsart (meist nur in stehenden Wen¬
dungen oder als ohnehin lexikalisierte Metonymie) ist, gäbe eine
wörtliche Übersetzung ins Deutsche der Aussage einen zu ex¬
pressiven Charakter der Art „eine [geheimnisvolle bzw. unbe¬
kannte] Stimme sagte". Gemeint ist aber bloß: „Jemand [eine un¬
bekannte Person oder eine Person, deren Namen im Augenblick
keine Rolle spielt] sagte."
Alle genannten Beispiele zeigen, daß das Arabische eine prä¬
zise Ausdrucksweise anstrebt." Dadurch wird die Rede konkret
(z. B. beim pars pro toto), zum Teil aber auch wortreich (z. B. bei
der Vermeidung des Passiv) und sogar fast weitschweifig (z. B.
bei Tautologien, synonymen Sprachbildern und detaillierten
Darstellungen). Präzision ist jedoch nicht der einzige Grund,
weshalb z. B. Tautologien gern verwendet werden. Sie geben au¬
ßerdem - wie eine Reihe anderer Stilfiguren auch - der Rede
eine rhythmische Form.
Rhythmus
Eine wichtige Motivation für die rhythmische Gliederung von
Texten ist das Streben nach Einprägsamkeit. Und leichte Ein¬
prägsamkeit ist eine wichtige Anforderung an einen Text in einer
Gesellschaft, in der lange Zeit, ja bis in die Gegenwart die
mündliche Tradierung eine große Rolle spielt, sei es bei der Wei¬
tergabe von Märchen und Gedichten oder bei der Wissensver-
Weitere Beispiele siehe: 3:118 (Brust, Mund), 6:94 (Rücken), 9:92 (Au¬
gen), 16:116 (Zunge).
Vgl. Stock, S.l 46 f.
" Präzision bzw. Klarheit ist übrigens auch eine Stiltugend der antiken Rheto¬
rik und bis in die Gegenwart eine wichtige Norm der westlichen Stilistik (vgl. As- MUTH, S.26). Allerdings wird sie offenbar in den verschiedenen Sprachen unter¬
schiedlich realisiert.
Warum so viele Worte? 287
mittlung in den Bildungsstätten, wo noch heute das Auswendig¬
lernen sehr verbreitet ist. - Schon al-GurgänT fand, daß Vorreden
unbedingt rhythmisch sein müßten, weil sie genau wie die Dich¬
tung von Mund zu Mund weitergegeben werden.^'*
Ein rhythmischer Text prägt sich jedoch nicht nur gut ein, er
kann auch außerordentlich expressiv sein und den Zuhörer be¬
eindrucken. „Modern audiences in Baghdad, Damascus and Cai¬
ro can be stirred to the highest degree by the recital of poems,
only vaguely comprehended, and by the delivery of orations in
the classical tongue, though it be only partially understood. The
rhythm, the rhyme, the music produce on them the effect of what
they call ,lawfun magic' {sihr haläiy\^^ Und diese „erlaubte Ma¬
gie" üben rhythmische Worte nicht nur auf das arabische Publi¬
kum aus. Selbst Zuhörer, die das Arabische gar nicht verstehen,
empfinden den Rhythmus eines arabischen Gedichtes, vielleicht
sogar einer Rede. Wer hat es noch nicht erlebt, daß ein nichtara¬
bisches Publikum beeindruckt verharrte, als ein arabischer Dich¬
ter seine Verse vortrug? Nicht nur eine sonore Stimme oder die
geheimnisvolle Ausstrahlung unbekannter Laute, dahingehaucht
oder kraftvoll eingesetzt, ziehen den Hörer in ihren Bann, auch
das rhythmische Hämmern der Worte, die eindringliche Wieder¬
kehr der Laute, die kurzen Lautgruppen hallen noch eine Weile
nach, auch wenn die Stimme des Rezitators schon verklungen ist.
Die Ausstrahlungskraft einer rhythmischen Rede nutzte schon
der Wahrsager {kähin) in vorislamischer Zeit, als er die wohlklin¬
gende, rhythmisch gegliederte Reimprosa {sag') in seinen Ora¬
kelsprüchen verwendete. Während Reimprosa in Europa schon
seit dem 13. Jh. immer weniger geschätzt wurde^^ konnte sie sich
im Arabischen über Jahrhunderte hinweg - außer in den ersten
beiden islamischen Jahrhunderten''^ - bis heute behaupten und
wird in Ansprachen^*, in Briefeinleitungen^^, in Floskeln^", Lo-
Vgl. Curcäni, S. II.
''^ K. P. HiTTi : History of the Arabs. New York 1958, S. 90; zitiert nach Cheijne, S.5.
Vgl. Freimark, S. 15.
Zu den Gründen siehe Freimark, S. I6f., Gibb, S. 109.
Z. B. dälika n-nasr al-mubin alladi wa'ada bihi subhänahü wa-ta'älä as-säli- hJn min 'ibädihi abmu'minin („Das ist der deutliche [geheiligte] Sieg, den Gott den Tugendhaften unter seinen gläubigen Dienern versprochen hat"; aus einer Rede von Scheich HalTfa Bin Hamd Äl TänT, Emir von Katar, vom 29.11.1986), lahTya ilä kull insän ... räfidan al-'udwän wa-dä'iyan ila s-saläm („Gegrüßt sei je-
288 Kristina Stock
sungen , in mittelalterlichen Ziertiteln nachempfundenen Buch¬
titeln^^ und zum Teil sogar in Presseüberschriften^^ und in der
Belletristik^"* weiter gepflegt.
Das Modellstruktursystem des Arabischen macht das Reimen
ohnehin leicht - so leicht, daß sich manchmal auch Reime erge¬
ben, wo sie wohl gar nicht beabsichtigt sind, besonders häufig
durch gleiche Plural- und Genusendungen, wie -üna, - Tna, -ät,
-Tya, die Akkusativendung -an, aber z. B. auch bei Verben, Parti¬
zipien und Infinitiven des gleichen Stammes, bei gebrochenen
Pluralen und anderem.
Die Modellstruktur erleichtert auch die Bildung von Wortspie¬
len (ginäs, tagnTs), die sich so wie die Reimprosa durch Wohl¬
klang und Rhythmus auszeichnen. Wortspiele gab es bereits in
der altarabischen Poesie.^^ Besonders beliebt waren sie später bei
^fl^/r-Dichtern. Und auch heute fmden sie gelegentlich Verwen¬
dung, nicht nur in der Dichtung, sondern auch in der Presse^^, ja
sogar in politischen Reden und Schriften, wie z. B. das Spiel mit
der ähnlichen Lautform von aqsä („unbarmherzigst") und aqsä
der, der ... die Aggression ablehnt und zum Frieden aufruft!"; aus einer Rede von Saddam Husain vom 12.2.1991).
Z. B. sädiqi as-sqfi wa-hilti al-waß („mein aufrichtiger Freund und treuer Kamerad"), tahlya azkä min al-'atr wa-andar min az-zahr („Ein Gruß aus Blüten¬
duft und Sommerluft").
Z. B. Allähu yuhdika ar-rasäd wa-sadäd („Gott schenke dir Vernunft und
rechtes Maß!"), innahü samfu d-du'ä' muglbu r-rigä' („Wahrlich, Er [Gott] erhört das Bittgebet und erfüllt den Wunsch!").
" z.B. al-maglis an-niyäbi hukm giyäbi („Ein Parlament ist eine Abwesen¬
heitsherrschaft") oder at-tamtd tadgü („Stellvertreterführung ist Irreführung") aus M. al-QaddäfT: al-kitäb al-ahdar, al-fasl al-awwal/al-magälis an-niyäbiya, al-istif- tä\ Dresden o.J., 5.6, 23.
Zwar sind die meisten Buchtitel heute ungereimt, gelegendich finden sich aber auch gereimte, wie z. B. G. al-GitänT: risälatu l-basä'ir wa-l-masä'ir (Roman;
Kairo 1989), M. ar-Razzäz: matähät al-a'räb fl nätihät as-sahäb (Roman, Beirut 1986), N.'AllOs: hattu n-nidäl wa-l-qitäl (Studie; Beirut 1982). Obwohl es nicht mehr „modern" ist, Buchdtel zu reimen, wird ein gereimter Buchtitel nicht belä¬
chelt, sondern eher als Bewahrung klassischer Werte verstanden und als kunstvoll empfunden.
Z. B. daf häm li-masirad s-saläm („Ein wichtiger Impuls auf dem Weg zu
Frieden") aus: at-taura, 9.2.1994.
z.B. in der Kurzgeschichte 'A. ar-Rubai'Ts mahba' al-'adrä' (In: när ti-sitä'i l-qalb. Beirut 1986, S. 10-15), wo ganze Abschnitte in Reimprosa geschrieben sind.
" Vgl. Wagner, Bd.l, S.l 54.
Vgl. Jemaa, S.283.
Warum so viele Worte? 289
(„äußerst") im Grünen Buch Mu'ammar al-Qaddäfis: inna dälika
aqsä wa-aqsä nizäm diktätüri kabhf^ („Das ist das unbarmher¬
zigste und unterdrückerischste diktatorische System.").
Solche Art von Rhythmik führt jedoch nicht unbedingt dazu,
daß mehr Worte gemacht werden als nötig. Auch wörtliche Wie¬
derholungen, besonders Epiphern oder Anaphern, müssen nicht
zwangsläufig zu Weitschweifigkeit führen.
Wörtliche Wiederholungen kommen in allen Zeitstilen und al¬
len Funktionalstilen vor. Beipielsweise leiteten die altarabischen
Dichter beim fahr ihre Sätze in formelhafter Wiederholung gern
mit wa-qad -\- Verb und wa-rubba -f Nomen ein.^* In der Trau¬
erdichtung waren seit altarabischer Zeit in Anlehnung an die mo¬
notonen Rufe der Klageweiber mehrfache Wiederholungen von
Formulierungen wie „Beweine ihn!" gang und gäbe.^^
Wörtliche Wiederholungen kennzeichnen auch den Stil des
Korans (z.B. 10:58f; 75:34f.; 81:1-13; 99:7f.). Die durch die
Wiederholung erzeugte rhythmische Form macht die Worte ein¬
prägsam, kann ihnen Pathos und Feierlichkeit verleihen.
Auch die rhetorische Kraft der Reden Gamäl 'Abd an-Näsirs*°
lag nicht zuletzt in den zahlreichen wörtlichen Wiederholungen:
„Wenn ich jetzt zu euch spreche (fa-idä kuntu atakallamu ilai-
kum), liebe Brüder, so spreche ich zu (fa-innamä atakallamu ilä)
den Männern der Streitkräfte insgesamt (gamfan), so spreche
ich zur (innamä atakallamu dä) Heimat insgesamt (gamfan), so
spreche ich zu (innamä atakallamu ilä) Ägypten (misr), Ägypten,
das (misr allati) am 23. Juli 1952 eine Revolution machte (tärat),
Ägypten, das (misr allati) an die Ziele dieser Revolution (ahdäf
hädihT t-taura) glaubte, Ägypten, das (misr allatT) entschlossen
war, die Ziele dieser Revolution (ahdäf hädihT t-taura) durchzu¬
setzen, Ägypten, das (misr allatT) aufsprang und die Okkupation
abschüttelte (fa-rafa'at 'an ra'si-hä), die Willkürherrschaft ab¬
schüttelte (rafa'at 'an nafsihä), die Knechtschaft abschüttelte
(rafa'at 'an nafsiha).'' - (27.9.1955). Neben solchen Epiphern
M.al-QaddäfT: al-kiläh al-ahdar, al-fasl al-awwal/al-istiftä\ Dresden o.J., S.22.
Vgl. Wagner, Bd.l, S.155.
™ Vgl. ebenda, S. 119.
*° Die Aussagen zu 'Abd an-Näsir, M. al-QaddäfT und S. Husain sind das Er¬
gebnis einer noch nicht veröffentlichten Untersuchung zu Emotionalisierungsmit- teln des Arabischen, die ich unter anderem anhand von Reden der drei Politiker durchgeführt habe.
290 Kristina Stock
und Anaphern fmden sich auch immer wieder Schlüsselbegriffe
und -sätze, die innerhalb der einzelnen Reden mehrfach wieder¬
holt werden: z.B. „... war nicht leicht und einfach" {lam yakun
... sahlan au hayyinan - 23.7. 1967), „Ohne wenn und aber" (bi¬
lä qaid wa-lä sart - 27.9.1955), „Es [das Volk] hat sich nicht er¬
geben und hat nicht aufgegeben" {lam yusallim wa-lam yastaslim
- 16.1.1956), „das Recht auf Freiheit und das Recht auf Leben"
{al-haqq fi l-hurnya wa-l-haqq fii l-haiyät - 16.1.1956). Die letzte
Wendung ist außerdem ein Beispiel für den ebenfalls beliebten
stabreimähnlichen Gleichklang von Anfangslauten.
Doch nicht nur politische Redner, auch arabische Fachbuch¬
autoren nutzen auffällig oft die Expressivität wörtlicher Wieder¬
holungen: „Das sind die Bemühungen as-SakkäkTs, Bemü¬
hungen um die Erforschung des Problems der Unnachahmbar-
keit des Korans, Bemühungen um die Einteilung und Gliede¬
rung, Bemühungen um die Begriffe der baläga und ihre Defi¬
nition {hädihT guhüd as-SakkäkT wa-hiya guhüd fi bahti mas'alati
i'gäzi l-qur'än, wa-guhüd at-tabwTb wa-taqsTm, wa-guhüd fi musta¬
lahät al-baläga wa-tahdTdihd).''^^ Im übrigen scheut sich das Ara¬
bische sowieso nicht allzusehr vor wörtlichen Wiederholungen,
selbst wenn sie keine stilistische Funktion haben.
Letztendlich erzeugt auch das im Arabischen in Aufzählungen
und bei vielen syndetischen Satzverbindungen unentbehrliche,
stets wiederkehrende wa („und") eine rhythmische Monotonie,
die nicht als unangenehm empfunden wird.
Die Wertschätzung des Rhythmus führte sicher auch dazu,
daß im Arabischen gern der innere Akkusativ {al-mafiül al-mut¬
laq, z.B. attara ta'tTran wädihan, „mit einem deutlichen Einfluß
beeinflussen") sowie statt dem einfachen Singular (z. B. balad
Ifriqiyä, „ein Land Afrikas" oder balad ifrTqT, „ein afrikanisches
Land") ein mit dem Plural korrelierender Singular {balad min
buldän IfrTqiyä, „ein Land von den Ländern Afrikas") verwendet
wird, ungeachtet der Redundanz einer solchen Wiederholung.
Rhythmisch wirken auch Wortpaare, vor allem dann, wenn sie
dieselbe Modellstruktur haben und sich reimen. Besonders wir¬
kungsvoll sind sie am Ende von Sätzen oder Abschnitten: „Er
vereinigte korrekte Sprechweise mit schönem Ausdruck {gamä'a
fasähat lisän wa-husn bayäny\
' Majlüb, S.339.
Warum so viele Worte? 291
Die Wortpaare entsprechen so ganz dem arabischen Ge¬
schmack, wenn sie eine Antithese {tibäq) enthalten: „Sie behan¬
deln die baläga und die Wissenschaften der baläga zusammen¬
gefaßt oder detailliert, kritisch oder analytisch {tatahaddatu 'an
al-baläga wa-'ulüm al-baläga igmälan au tafsilan, naqdan au tah-
inan)r
Die Wortpaare können aber auch aus Tautologien bestehen,
selbst wenn dadurch mehr Worte gemacht werden als nötig. Die
Hauptsache ist der Rhythmus: „Er [brachte] dankenswerte Mühe
und große Einsatzbereitschaft [auf] {fa-inna lahü gahdan maskü-
ran wa-balä'an maufürany\ Man muß sich nicht davor scheuen,
seiner Rede Weitschweifigkeit zu verleihen, wenn man sie mit
(quasi!) synonymen, aber immerhin rhythmischen Wiederholun¬
gen anfüllt. Um die Rhythmik zu wahren, ist man mitunter sogar
gezwungen, einer zu kurzen Formulierung eine weitere, ruhig sy¬
nonyme folgen zu lassen, denn schon al-'AskarT empfahl, daß
die zweite Wortgruppe nicht kürzer sein sollte als die erste.*^
Deshalb klingt es auch schöner, wenn im nachstehenden Beispiel
auf das erste Wortpaar abermals ein Wortpaar und nicht ein ein¬
zelner Begriff folgt: taqdir wa-ikbär bi-guhüdihim wa-a'mä-
lihim („die Würdigung und Lobpreisung ihrer Bemühungen
und Arbeiten"). Daß solche parallelen Formulierungen itnäb zur
Folge haben können, war al-'Askari durchaus bewußt. Aber sol¬
che Art von itnäb ist laut al-'AskarT in den meisten schriftlichen
Äußerungen unerläßlich {wa-lä budda li-l-kätib fi aktar anwä'
mukätahätihi min su'ba min al-itnäb yasta'miluhä idä aräda al-
muzäwaga bain al-faslain). So sagen z.B. beide Teile des Paralle¬
lismus {izdiwäg) „Viel Gutes tun wir ihm, gut behandeln wir ihn
{'azumat ni'amunä 'alaihi, wa-tazähara ihsänunä ladaihi)'' das¬
selbe aus, aber trotzdem findet niemand etwas Schlechtes bei
derartigen Formulierungen {fa-yakünu l-faslu l-ahTru dähilan fi
ma'nähu ft l-fasli l-awwal; wa-huwa mustahsan lä ya'Tbuhü aha¬
dun)}^ Zwar begründet al-'Askari seine Ansicht nicht weiter,
aber offenbar wird die rhetorische, besonders die rhythmische
Wirkung eines Parallelismus so hoch geschätzt, daß man, um ei¬
nen Parallelismus zu schaffen, getrost zwei synonyme Aussagen
nebeneinanderstellen kann.
Vgl. al-'AskarT, S.264.
Vgl. ebenda, S. 194.
292 Kristina Stock
Während sprachHche Präzision den rationalen Auffassungen
entspricht, folgt die rhythmische Rede in erster Linie dem akusti¬
schen Schönheitssinn der Araber. Ebenfalls von ästhetischen
Empfindungen wird die arabische Sprachornamentik getragen.
Ornamentik
Ornamentik ist die dominierende Gestaltungsmethode arabi¬
scher Kunst überhaupt, sei es in der bildenden Kunst, in der
Musik oder in der Wortkunst. Nach islamischem Glauben darf
sich der Mensch keinen schöpferischen Akt anmaßen, Schöpfer
ist allein Gott. Dem Künstler bleibt dadurch nur die Aufgabe,
Gottes Schöpfung zu preisen, indem er sie in voller Schönheit
(möglichst „abstrakt"*"*) beschreibt. Als schön werden Symme¬
trie, Wiederholung, Streuung und Häufung der gestalterischen
Elemente empfunden. Eine solche fast mathematische künstleri¬
sche Äußerung soll die vollendete Harmonie der Welt spiegeln
und kommt einer Unterwerfung unter die von Gott geschaffene
kosmische Ordnung gleich, in der alles vorherbestimmt ist. Bür¬
gel versucht die islamische Ornamentik mit ihren ekstatisch ge¬
steigerten, flächendeckenden, fast überquellenden Einzelelemen¬
ten als Darstellung der alles durchdringenden göttlichen All¬
macht zu interpretieren.*^ Wenn man von Grunebaums Ansicht
folgt, nach der die Araber in ihrer Kunst relativ rational einge¬
stellt sind*'', läßt sich auch ein Zusammenhang zwischen dieser
Rationalität und der mathematisch-geometrischen Flächenauftei¬
lung herstellen. Schließlich sollten auch die Einflüsse benachbar¬
ter Kulturen berücksichtigt werden, so z. B. der hellenistischen
Ornamentik, die sich in Einzelelementen auch in der Kunst der
Nabatäer wiederfindet.*^
Das islamische BilderverboL nach dem lebende Wesen (Menschen und Tie¬
re) nicht dargestellt werden dürfen, hat sicher auch zu einer Überbetonung der dekorativen, d. h. nicht gegenständlichen („abstrakten") Elemente in der bilden¬
den Kunst geführt.
Vgl. BÜRGEL, S.228f, 279 f Vgl. Anmerkung 50.
Untersuchenswert wären auch die Wurzeln der Ornamentik im alten Süd¬
arabien. Erhalten sind mit Ornamenten bedeckte Reliefs, die Bauwerke in Süd¬
westarabien schmückten, und dekorativ ausgestattete altsüdarabische Schriftzeug¬
nisse auf Stein, Bronze und anderen Materialen. So wäre die Frage zu beantwor-
Warum so viele Worte? 293
In der arabischen bildenden Kunst erfüllen ornamentale Funk¬
tionen die den Gesetzen der Logik und Abstraktion folgende
Arabeske, die im Einklang mit dem islamischen Weltbild (Vor¬
herbestimmung) nichts Zufälliges zulassende geometrische Auf¬
teilung von Flächen, die kalligraphische Ausgestaltung der
Schrift als bildlicher Ausdruck der göttlichen Botschaft und die
auf diesen Schmuckelementen basierenden reichen Verzierungen
an Kunst- und Gebrauchsgegenständen, ja selbst an Bauwerken.
Die Harmonisierung der Formen wird durch schier unendliche
Wiederholungen erreicht.
Genauso ist es in der arabischen Musik, wo das Melodiemo¬
dell {maqäm) des jeweiligen Stückes und der sich zyklisch wie¬
derholende Begleitrhythmus {Tqä') vom Interpreten melismatisch
ausgeschmückt werden. Insofern erinnert die Musik an eine rela¬
tiv symmetrische, repetierende und gleichzeitig mit schmücken¬
den Elementen versehene arabeskenhafte Form.
In der Wortkunst schließlich dominiert traditionell sehr oft
auch die Form**, eine Form, deren Endziel vor allem Schönheit
{gamäl, raunaq) ist, die nicht selten mit reichem Schmuck herge¬
stellt wird. Um den Inhalt ranken sich ebenfalls arabeskengleich
blumige Worte, die üppige Blüten treiben, oftmals viel mehr, als
die Natur zum Überleben braucht.*^
Der Ornamentik dienende sprachliche Mittel sind im Grunde
alle rhetorischen Figuren des Ulm al-bayän (z. B. Metapher) und
des 7/w al-badf (z. B. Reimprosa, Wortspiel, Antithese, Paralle¬
lismus), obwohl sie zum Teil nicht allein dazu benutzt werden,
die Sprache zu verzieren, sondern - wie oben zu beweisen ver¬
sucht wurde - auch zur Klarheit (Präzision) der Aussage und/
oder zur Rhythmik der Rede beitragen sollen.Auch machen
ten, inwieweit sich Lebensweise und Lebensauffassungen in der Kunst nieder¬
schlugen.
Vgl. Anmerkung 13.
Ebenso wie Klarheit kennzeichnet auch Ornamentik nicht nur das Stilemp¬
fmden der Araber. Ornamentik forderten schon die antiken Rhetoriker. Allerdings
wurde das Streben nach Redeschmuck im europäischen Stilgefühl im 18. Jh. von
den Stilnormen Natürlichkeit und Anschaulichkeit abgelöst (vgl. Asmuth, S.26L).
Der 'Um al-bayän wird bei al-QazwTni definiert als eine Wissenschaft, die lehrt, einen Inhalt auf verschiedene Art und Weise klar darzustellen {huwa 'Um yu'rafu bi-hl Träd al-ma'nä al-wähid bi-turuq muhtalifaß wudüh ad-daläla 'alaihi - vgl. Mehren, S.53). Der 'dm al-badf beschäftigt sich mit den verschiedenen be¬
deutungsmäßigen [z. B. Antithese, Hyperbel] und lautlichen [z. B. Wortspiel,