635
Über das Gaonat in Palästina (980—1160 n. Chr.).
Von A. Marmors tela.
Vorbemerkung.
Ein eigentümlicbes Gefübl muß selbst den trockensten Ge-
scbicbtsforscher ergreifen, wenn er vor einem neuerscblossenen Kapitel
seines Forschungsgebietes steht. Es ergeht vielen so in unseren
Tagen , die an der Rekonstruktion der jüdischen Geschichte mit 5
Hilfe der Genizafragmente arbeiten. Der Historiker wußte bis vor
wenigen Jahren fast garnichts über die Geschichte der Juden in
Palästina vom Jahre 980 bis 1160 zu berichten. Die Genizafragmente
bereicherten unser Wissen. Mit Recht nannte W. Bacher (J. Q. R.
1902, p. 79 ff.) die dank der Veröffentlichungen S. Schechter's lo
bekanntgewordenen Nachrichten ein neuerschlossenes Kapitel der
jüdischen Geschichte , das seit dieser Zeit vielfach Gegenstand der
üntersuchung gewesen ist. Wir wollen hier auf Grund dieser
Porschungen und des von uns neuerdings aufgefundenen Materials
eine kurze Darstellung der Geschichte des Gaonats in Palästina und 16
deren Einfluß auf Ägypten und Vorderasien geben.
Bevor wir jedoch zu unserer Arbeit übergehen , müssen wir
dankbar der Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit des gelehrten
Mr. Elkan N. Adler, M. A. in London anerkennen, dessen Geniza¬
fragmente wir benutzen durften. 20
L
Der Stammvater der gaonäischen Familie, von der hier die Rede
sein soll, hat Josef geheißen. Dieser Josef war jedoch nicht der
erste Träger dieser Würde. Ein im Jahre 1132 lebender Enkel
beschreibt nämlich seinen Stammbaum folgenderweise : ich Mazliach, tb
Sohn des Salomo Hakohen, Enkel des Elijahu Hakohen, Enkel des
Salomo Hakohen, aus der Familie des Josef*). In einem Fragmente
Adler wird die im Cambridger Fragmente befindliche Lücke glück¬
licherweise ergänzt, dort heißt es klar und deutlich : Sohn des Aron
Hakohen-). Die Vermutung, daß die gaonäische Familie mit Ben- so
1) T.-S. 24, 26. Schechter, Saadyana p. 81, Anm. 1. Worman, J. Q. R.
XVIII, p. 723.
2) Fragment Adler ist identisch mit den oben erwähnten Fragmenten, hat jedoch deutlich TöNnn ")nD,T linN. Wenn Poznarisliy vermutet, daß sich die Worte auf den Ahnherrn aller Kohanim, den biblischen Aron bezögen, wird man ihm wohl schwer folgen dürfen (ZfHB. Vll, p. 23).
636 Marmorstein, Uber das Gaonat in Palästina.
Meir, dem bekannten Gegner Saadja Gaons, in irgendwelchen Be¬
ziehungen stand , hat bisher noch keine Bestätigung gefunden und
erscheint solange fraglich Arons Sohn Josef bekleidete das Gaonat
im Jahre 1301 der Dokumente, d. i. 991. In diesem Jahre schrieb
5 der Gaon Babyloniens an \hu. Die letzten Zeilen dieses Briefes
sind erhalten und datiert: 13. Ab 301 an R. Josef: ,Ich ersuche
den Vorstand des Lehrhauses, er möge diesen Brief öffentlich vor¬
lesen lassen , wie es in unserer Väter (Vorfahren) Zeit öfters ge¬
schehen ist; wir erklärten es auch im Briefe, daß die Vorlesung
10 desselben mit der Einwilligung des Schulvorstandes geschehen soll.
Nachdem es geschehen , möge man uns von dem Vollzuge unseres
Wunsches berichten. Auch von mir Haja, Vater (Vorsitzender)
des Gerichtshofes, Sohn des Schulvorstandes, die besten Grüße und
Empfehlungen und bitte Bericht über das Wohlbefinden."*). Der
15 Brief stammt also vom Gaon Scherira in Babylonien und ist mit
einer Nachschrift des späteren Haja Gaon versehen. Das Fragment
ist eine Abschrift, die wahrscheinlich zu der folgenden Briefsamm¬
lung gehört. Was der Inhalt des Briefwechsels gewesen sein mag,
ist nicht mehr ersichtlich. Wie wortkarg der Brief auch ist, so
so läßt er doch zwei wichtige Tatsachen erkennen : erstens, daß dieser
R. Josef denselben Titel führt, der auch in Babylonien gebräuch¬
lich gewesen ist , also in jeder Beziehung von den babylonischen
Schulhäuptern unabhängig war, zweitens, daß auch vor unserem Josef
dieses Amt existiert hat Der offizielle Titel Josefs war: tun",
26 apy na-'-i;"''*).
Mehr als über den Stammvater läßt sich über seine Söhne
sagen. Bis jetzt wissen wir nur , daß Josef drei Söhne hatte , die
die Würde ihres Vaters erbten. Wir erwähnen an erster Stelle :
Samuel, der in dem Streite zwischen Josef ben Isak Ibn Abitur
80 und Chanoch ben Moses aus Cordoba*) eine Rolle gespielt hat. Die
1) Marz, Alex., J. Q. R., New-Series I, p. 56; auf die einzelnen Mitglieder
der Familie, die nicht den Titel na''C "i'NT fuhren, kommen wir
ein anderes Mal zurück.
2) Fragment Adler. miT-O Isb Tt^'ä nai-Ji 1« ^Iffipaa ZI. 2
rr.rn man v^yc oia irTiasb -«jy; p ^a ca^a rni'sn N-ipnb
(Niion-i i:::) .nn .u: na-' a-'n ton-i muj-ia -a n-is-Na irwT'D
riN-ip: ycnn a-'ban -"a -irms yinT»! ihn"' b»i nujyi N-ip-ri
mp-' nsi irffiT'D icsa mio-ca lapr . . .. ■'ai oyn ba naa n-ia^sn
.i-'Mnn a-i'a nra p-' DTibNr:i . . . . ia imv: lyttb i:b n-'a-' yann
■jP-'Nn iTiKr! N\a"' na^o^n as-i p v"' »"'"'^ ■'NH ••im oai
rbiiaa wS-im -irr^naa [yen] i:« ca aibuj maan nyb ■^n-' .la'^ »n-i
cioi-i 'nb -va'N rria axa ;"-' .... iMiba ymnb iis^i •am-' imaa.
3) Vgl. Neubauer, Mediaeval Jewish Chronicles I, p. XI, wo Scherira und Haja denselben Titel führen.
4) Siehe darüber Graetz, Geschichte der Juden, Bd. V, p. 328 ff.
Atarmorstein, Über das Gaonat in Palästina. 63.7
Vorgänge in der jüdischen Gemeinde zu Cördoba haben in den
letzten Jahrzehnten des zehnten Jahrhunderts alle jüdischen Ge¬
meinden, die unter der Herrschaft des Halbmonds lebten, aufgeregt.
Josef Ibn Abitur kam auch zum palästinensischen Gaon, damit er
den über ihn verhängten Bannspruch aufheben möge. Der Brief*) 6
ist an Samuel Gaon, Sohn des Josef Gaon gerichtet. Der Schreiber
ist Josef ben Isak Hasefardi , der kein anderer als der bekannte
Ibn Abitur sein kann. Der nächste Brief ist ohne Adresse und
Unterschrift, hat jedoch eine Beilage. Der Brief scheint ein Protest
des Chanoch ben Moses an Samuel Gaon, der dem Verbannten Hilfe lo
leisten wollte, zu sein. Die Beilage ist Josef Ibn Abiturs Brief an
seinen Gegner. Von diesem Gaon stammt vielleicht noch ein in
Jerusalem ausgestelltes Dokument^).
Der zweite Sohn Abraham unterzeichnet sich: lüSM C!T13N 'n
.8)bN-iO'' yiN na-'a-' ©NT !\DV N3a-n p D-ibina imTOD n-nana is
Aus den Briefen des Gaons ist ersichtlich, daß die Macht des Gaonats
bis nach Ägypten , Mesopotamien und Syrien reichte , die in dem
Gaon zu Jerusalem ihr religiöses Oberhaupt erblickten und zur
Erhaltung der Schulen und Behörden beisteuerten. Abraham wird
auch in den Memorlisten, die wir jetzt kennen, erwähnt*). Es war !0
nämlich Sitte an Pesttagen die Namen der verstorbenen Gelehrten
oder der Würdenträger in den Gemeinden zu erwähnen ; diese Listen
beginnen mit den Worten aiu paiT*). Wenn unsere Vermutung
richtig ist, so gibt ein Cambridger Fragment, das vier Elegien
enthält, über die Lebensschicksale seines Sohnes, Josef ben Abraham 25
Hakohen wünschenswerten Aufschluß *). Die vier Elegien ') sind
1) Fragment Adler (S. 636, Anm. 2. Die Adresse ist: N-'d maab
apy iiNS na-iiBTi «ni bNiMia 1313-1 ii^ntt yNan bN-iia"' initü:; es folgen sieben Zeilen, ap'y "jNa .lai UJNI rjOT^ 31 ."iW IJialT rfla.
2) Fragment Adler.
3) Fragment Adler Nr. 223. Das Fragment hat 8 Seiten, beginnt IW"
mai irnnai D^WiIJ und enthält Briefe, die an die Gemeinde in Fostat, Damaskus und Syrien gerichtet sind. Aus derselben Kanzlei stammen gewiß aucb die Briefe nach Aleppo und Tyrus, die S. A. Wertheimer in Di51231"|i "^T^a III, p. 15 a veröflentlicbt bat, jetzt Ms. Oxford 2873, 27. Sie sind datiert vom Jahre 1029. Ob Ms. Oxford 2874, 23 hierher gehört, ist fraglich.
4) Greenstone, J. Q. R., New-Series 1 (1910), p 45
5) Vgl. M. Gaster in Gedenkbuch für David Kaufmann, p. 240 ff. Im Besitze Mr. Adler's befindet sich ein am piDn für den Gaon Haja samt den sämtlichen Würdenträgern und Beamten (Ms. Nr. 2592).
6) Siehe meinen Aufsatz : Josef ben Abraham Hakohen , J. Q. R. , New- Series 1913 (unter der Presse).
7) Nr. I beginnt: O^rMTn 11351 t^^K^Tl ibTN.
Nr. II , lilSW piffl -JibN P^TlS".
Nr. III , pyp iujdji Dil baa incN.
Nr. IV , : nt DI-' nii'itt ni^aTNi naiN.
638 Marmorstein, Über das Gaonat in Palästina.
datiert 954 nach der Zerstörung des Tempels, d. i. = 1024. Über
die Person des Schreibers hören wir folgende Einzelheiten : Seine
Verfolger waren die einstigen Bundesgenossen des Schreibers, die
ihn vom rechten Wege verleitet haben. Im dritten Gedicht ver-
6 gleicht er seine Lebensgeschichte mit der des biblischen Josef und
nennt sich : ben Abraham Hakohen. Da nun der Schreiber aus
Palästina stammt und nach Ägypten gebracht wurde, ferner gemäß
der führenden Rolle , die er selbst gespielt hat und die auf die
Stellung seiner Familie hinweist, dürfen wir in ihm den Sohn des
10 Schuloberhauptes Abraham Hakohen sehen. Josef schreibt seine
Klagelieder im Kerker; ob er jemals das Licht der Freiheit lebend
erblickt hat, wissen wir nicht.
Der dritte Sohn Josefs war Jehuda Hakohen. Von ihm
hat sich unseres Wissens bisher nur ein Dokument erhalten , das
15 nicht geeignet erscheint besondere Auskünfte über den Träger dieses
Namens zu erteilen Besser unterrichtet sind wir über seinen
Sohn Salomo, der im Jahre 1047 nach der Mitteilung eines
anonymen Chronisten der Gaon war"). Welche Gründe mitgewirkt
oder es verursacht haben, daß die Leitung in die Hände der Söhne
iO und Enkel Judas übergegangen und nicht bei den Kindern der
ersterwähnten Samuel oder Abraham geblieben ist, läßt sich nicht
mehr ermitteln. Vielleicht hängt die Sache mit der oben aus¬
gesprochenen Vermutung betreffs der Person des Josef ben Abraham
Hakohen und mit seinem Lebenslauf zusammen. Wenn der Inhalt
25 aller Genizafragmente bekannt sein wird, dürfte die Antwort nicht
fehlen. Über Salomos Tätigkeit haben sich Fragmente sowohl in
Oxford*), wie aucb in Cambridge*) erhalten. Nacb Salomos Ableben
führten seine zwei Söhne , Josef und Elia das Gaonat. In Josefs
Tagen kam ein Mann, Daniel ben Azarja aus Babylonien und suchte
80 die Herrschaft an sich zu reißen*). Daniel wollte mit Hilfe des
Kalifen seinen Plan verwirklichen*). An Sabbat- nnd Festtagen
wurden die Synagogen und Lehrhäuser bestürmt, die Gaonim wurden
des öfteren ins Gefängnis geworfen. Diese Vorgänge hatten auf
den Gaon Josef eine solche Wirkung, daß er infolge derselben früh-
36 zeitig (1053/54, Dez.-Jan.) starb. Sechs Jahre hierauf (1060) ver¬
fiel Daniel in eine schwere Krankheit und bereute seine gegen Josef
begangenen Handlungen. Daniel starb (Aug.-Sept.) 1062. Nach
1) Ms. Oxford 2878.
2) NeubHuer, Mediaeval Jewish Chronicles I, p. 179. Ein Ms. Adler aus dem Jahre 1027 besagt, daß Salomo ben Jehuda das Gaonat bereits in diesem Jahre bekleidete. Die Sache bedarf jedoch noch einer näheren Untersuchung.
3) Siehe Cowley, Catalogue Ms. 2876.
4) Worman, J. Q. K. XVIII. 722 f.
5) Schechter. Saadyana, p. 88, Z 8-15.
6) J^;i)d. p. 10. Über die liez-iehungen des Gaonats zu den moslimischen Heliörde^ finden wir nähere .Mitteilungen in den S. 637, Anm 7 verzeichneten Liedern.'ferner in den Fragmenten Anm. 3 und 4 und an anderen Stellen.
7) Schechter, 1. c. Z. 13 —15.
Marmorstein, Über das Gaonat in Palästina. 639
seinem Tode war Josefs Bruder Elia allein im Besitze der Gaon-
würde; 23 Jahre konnte er ungestört seines Amtes walten (1085)*).
Vor seinem Tode (1083) sorgte er für regelrechte Nachfolgeschaft,
indem er anläßlieh einer Versammlung in Tyrus seinen Sohn Ebjatar,
den Schreiber der Familienchronik, zum Gaon, seinen zweiten Sohn s
Salomo zum Gerichtspräsidenten und einen R. Zadok ben R. Josia")
zum Dritten ernannt hat. Elia starb 1085 in Tyrus, wohin er
wegen der Unruhen, die Daniel verursacht hatte, seinen Wohnsitz
verlegen mußte. Es scheint jedoch nach dem Tode Josefs*) zu
einem leidlichen Verhältnis zwischen Daniel und Elia gekommen zu lO
sein. Denn schon aus dem Jahre 1058 besagt ein Fragment*), daß
ein gewisser Josef ben Schemarja sich eidlich verpflichten mußte,
weder gegen Daniel ben Azarja, noch gegen den Gerichtspräsidenten Elijahu ungebührlich zu sprechen.
Elia hat als seinen Nachfolger den schon genannten Ebjatar i6
bestimmt, obwohl auch der ältere Bruder einen Sohn, Salomo, hatte.
Dieser lebte jedoch in Ägypten , wo er eine angesehene Stellung
innehatte. Wir besitzen von ihm eine poetische Beschreibung der
Bestürmung Kairos durch die Türken im Jahre 1077*). So ging
die Führung in die Hände der Söhne Josefs über. »o
Ebjatar war aber ebensowenig glücklich in seinem Amte, als
der vorher erwähnte Josef. Der Sohn Daniels, David, hatte den alten
Kampf neuerdings aufgenommen und zwar, wie es scheint mit Er¬
folg, denn die Gemeinden hatten ihm die Steuerbeiträge ausgeliefert*).
Die führenden Elemente der Fostater Judenschaft haben diesem S5
David geholfen. Zwei werden besonders namhaft gemacht: Alscheich
Ibn Saad pN nbN und Abu Nazr Ibn Suab. Ebjatar protestiert
dagegen mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Diese
Vorgänge spielten sich um das Jahr 1094 ab. Ebjatar scheint
dann doch den Sieg davon getragen zu haben. Um 1109, zur Zeit so
der Kreuzzüge, finden wir ihn im (syrischen) farabulus (Tripoli)').
Nach seinem Tode übernahm Salomo ben Elia allein die Führung des
Gaonats. Es dürfte zwischen 1110 und 1127 gewesen sein, denn
zwischen 1127—1138 finden sich mehrere Dokumente, die von
1) Schechter, p. 88, Z. 16 £f.
2) Dieser R. Zadoli ist, wie Poznanslty, Monatsschrift 1908, S. 110 richtig gesehen hat, mit dem R. Zadolj, über dessen Tod wir eine Elegie besitzen (Monatsschrift 1907, 703—735) nicbt identisch. Dieser Zadok war ein Urenkel Abraham Hakohens, s. Marx, J. Q. R., New-Series I, p. 57; vgl. noch ZfHB.
XVI, p. 91.
3) ijber Josef ben Salomo sind in Cambridge mehr als 10 Fragmente erhalten, s. Wormann, J. Q. R., XIX, 720.
4) Fragment Adler, s. Schechter, Saadyana, p. 113, Anm. 42.
5) Siehe Greenstone, II.. The Turkoman Defeat at Cairo by Salomon ben Joseph Hakohen, edited with Introduction and Notes by Julius H. Greenstone in The American Journal of Semitic Languages and Literatures. Vol. XXII, p. 155 und Poznsiiaky's Anmerkungen dazu, ebd. p. 247.
6) Schecbters Saadyana, p. 90—91.
7) Siebe RdEJ. 48, 170; Monatsschrift 1908, 110.
640 Marmorstein, Uber das Gaonat in Palästina.
Mazliach, dem Sohne Salomos III., stammen*). Auf Mazliach folgte
sein Sohn Samuel, der zwischen 1143 —1159 in den Dokumenten
erwähnt wird "). Hiernach können wir folgende Liste der gaonäischen Familie geben :
Aron Josef L (99 1")
Samuel I. Abraham Jehuda
Josija Josef I I. (1024)^ Salomo L«) (1046)
Josef IIL (st. 1059) Elia (st. 1085)*)
Salomo II Ebjatar Salomo III.
(1077) (1085—1110) (1110—1127)
Elia Mazliach *)
(1127—43) Samuel II.
(1143—1159) 1) Ms. Oxford 2878, 2873; J. Q. R. XVII, 636, XVIII, p. 14.
2) Siehe J. Q. R. XVIII, p. 15, Anm. Ob die gnonäische Familie auch nach 1160 existiert hat uud wie sich die Dinge weiter entwickelt haben, wissen wir vorläufig noch nicht. Die Fragmente dürften jedoch die Antwort geben , denn die Genizaschriften tragen das Datum von 950 bis 1250.
3) Wir besitzen ein Begrüßungsgedicht an einen Gaon, datiert den 7. Ijar 1357 = 16. April 1046 (vgl. MGWJ., 1906, p. 593), das vielleicht an Salomo ben Jehuda gerichtet sein mag; s. jedoch oben S. 638, Anm, 2.
4) Or. Brit. Mus., Nr. 5529 ist ein Fragment, datiert 13. Tammuz 987 nach der Zerstörung des Tempels (= 1057), darin wird Zadok, Sohn des Elia Hakohen, Enkel des Salomo (appTH?) riaiffli ITNT erwähnt.
y: inibN Sia pan pin^ nVa imwbn ppb
Panp-flo na-fflin nTabia
An der Seite ,nS imWlZJi HNn bsiDN iJNT
,nis: ini msi bawi
NJitt (nionp nbiu naa) 'psa mb© n« mainb
.nan -asi nnni 'iai ssan
über den IIDn "i'NI Titel s. weiter unten. Ferner werden Grüße bestellt
von R. Meborah; erwähnt werden myO p ynm lipcn, R. Moses y^in
und R. Josef. Der Adressat befindet sich in Gefahr oder im Gefängnis.
5) Or. 5549 Brit. Mus., Fragm. 1 hat eine Namenliste zur Seelenerinne¬
rung an die Fürsten (iTS), an die Scbulhäupter (nbubai nailfii TüNl) des Exils und die Gaonim (apyi naiffli ITNl), auf die Rev. Dr. Margoliouth meine Aufmerksamkeit gelenkt hatte, wofür ich meinen besten Dank hier ab¬
statte. In der Liste beißt es: pan niabiij-! :t"o ",11 nia pan qoinii ,i"ai"i inan iniaxi ii"3i"i pari inibNT ,apyi ysa naiffli oni
nibsm ,i"ai"i pan nwböi ,nnana lyiain pan mibs mnm
.i"ai"i pan Zadok
Marmorstein, Über das Gaonat in Palästina. 641 n.
Die Fragmente erlauben uns einen Einblick in den inneren
Verkebr der gaonischen Behörden mit den einzelnen Gemeinden.
Die Gaonim wurden von den Gemeinden in der Diaspora unter¬
stützt. Die Hilfe war materieller und ideeller Natur. Die reichen 5
Juden übten bei den moslimischen Behörden in Ägypten ihren
Einfluß zu Gunsten der Gaonim aus und mit ihrer Unterstützung
konnte David ben Daniel das Gaonat erlangen*). Interessanter sind
jedoch die Briefe der Schulhäupter, in welchen letztere direkt an
die Gemeinden um materielle Unterstützung appellieren. In einem lO
Briefe aus dem Jahre 1284 (= 972) wird ausdrücklich um Hilfe
gebeten*). Ferner ist hier zu erwähnen der Brief an Utin nisnpb
D^aiffinn oisptn nbnna niii:723 t'-idos oinn mbTipn*). Der
Brief ist an den Ecken stark beschädigt, der Sinn desselben ist
jedoch erkennbar: 16
jiTÜTa iltJTip ISTip 1330 V""* ■'"1^ 1
,m5>nb -iryi nnnb by (?)TnpTnn in-i [ins: ... 2
ninaw iiseist mMffiw i-iWiTub uyi ypb 3
nny oiiffiitti ucffiwi pns . . 4
nnwcwn omanaa didids icpiT .... 5 so
iiiBiaa iffiN ainnnn mbnpn nwn 6
n-a-ianw npnita oiabnn« 7
niTni aiab la-ianp i:i-ni£ 8
(?Dn-'b5< oder) ü^nbü -jn onpin oa-iii nana [i] 9
nT-iB naaii mtnb laf mbsnb 10 ss
■iTni iiDia "jbu iNai lyiw ni-ip 11
nm i'iW 't a^Ba yya yy .... 12
Dibw Mi;a nsiainb ibbnni bs 13
mbiB m;a iw amii mua ... 14
iail3 INffli .... 15 30
niaiy« .mb© an njinbn [p . 16
Es ist darüber kein Zweifel, daß hier der Dank für die er¬
haltenen Spenden für die Behörden und Schulen in Palästina aus¬
gesprochen wird.
Besonders kennzeichnend und auch sprachlich wichtig sind die 35
Briefe, die während der Amtsführung des Gaon Abraham ben Josef
Hakohen an die Gemeinden ergangen sind. Wir haben glücklicher¬
weise vier Formulare, so daß wir in der Lage sind, den Stil dieser
Kanzlei kennen zu lernen. Die Fragmente*) beginnen mit einem
1) Siehe oben S. 639.
2) Da» Fragment ist sehr schlecht erhalten. Or. Brit. Mus. 5538, I.
Erwähnt wird pna '"itt p apyi 'Tn.
3) Ms. Or. Brit. Mus. 5542, I. "lilCttJ ist Fostat.
4) Ms. Adler, Nr. 223.
Zeitsohrift der D. M. G. Bd. LXVII. *2
642 Marmorstein, Über das Gaonat in Palästina.
Briefe, dessen Anfang fehlt, so daß wir nicht mehr wissen, an welche
Gemeinde derselbe gerichtet war. Der nächste lautet:
npi3i nrna mcnpri mbnp - b«
mitMa DiniTü maffiii
6 ,mn5: iffl-ii ,mnDffin ^bna ,D-'nbN
,")irnnn nstm yibsn nstn ma^ns i-iib";:
.Di-iai D^aiffin ,n-''T'ajT d-iipT' miNina lOini D^npi Diaic! iDa D^aiD jrircyMa (?)D-'"iap3 ....
D^ainNT
10 .DWib^a mannb dnaa ^ab obna in^ain: ....
.DimNSi n-wam aiiiau ma'iy piaw
niJTm nincno nnana D^bbinw DiwyDi
Qi-imoi Dinipa ,mansm mbNiaa c^iyn (?)n-'-iy
nibmai Di^ap maianTo aioa oinnia» mpns:
16 .DnTOibiD naiarTQ msra mbnpwa nnii:-!
myiTüi ay mconb ,manab qan '^iwab
mDHBT ,manNDn -rnpn ba . . . mNr ny mami
ma-ina -nan i-n bab nini main-.a yicnb mani
.nbo ns3 -naa ba iisb» ba ny ,iaii:a
20 mbffl -iraaba nipipm iransi ijiaian intüi
i5pn lainaiüji laTnoMi idüo yp ytib
-lona ID lanyMaw bN Di-iym iraisiT:
iai3;inM nman aiain: isn lamyw
niaiar idn "inobsai nibnn: i3N
25 nm-iNi nbnaa -j-naw (bnan) 173115 ini
.nbnm naia ba by
Die zwei letzten Briefe sind an die Gemeinde in Zoan (Fostat)
gerichtet; sie beginnen mansm m'ijnpn mbnpn ynn ba b«
■)yii:a ion. Auch aus diesen Schreiben .ist ersichtlich, welche
so wichtige Rolle die Fostater Gemeinde spielte , sie wird laiuiib
na-ji laTOOb n:iüJN1, die den Löwenanteil zur Erhaltung der
Schulen beitragen , genannt. Wenn wir die Stilart dieser Briefe
mit dem Briefe, den Wertheimer*) veröffentlicht hat, vergleichen,
so wird es nicht schwer sein zu erkennen , daß beide aus einer
35 Quelle stammen. Erstens die Form:
Fragment Adler:
man: i:m: laii: airi:«: iya:
ma'Oi iiyiD ino ian:o lario
.mayi maiy iiny 'any iiiiy
40 mnc i:i:d ,imD ibiba iine
■irii: msa:: main:^ 'd-iü idiei:
Fragment Wertheimer, nibinri nr^^x: i:ia:
n^broi m7:iPD iiaia
nibwi nny nr^y
nibibsT ai:i;D iimc nibins:-! mnci: icni:
1) In nibcni it:5 iii, i56.
Marmorstein, Über das Gaonat in Palästina. 643
Zweitens wird hier wie dort die Unterstützung der Tora, das
Lob der Frommen und die Eintracht der Gemeinden betont*). Der
Brief ist an einen R. Jakob ben R. Josef in Aleppo gerichtet. Es
ist derselbe, dem wir in einem Fragment Adler begegnen. Dort
wird er tituliert: y-\ aN v\ü^•^ lai^a lann apy 1:131» innwi 5
pi-i-in rnnpn bnp bai nn« an ai-nnian la-inaw ni3pTn nin »"a:
nais n3iTna*).
in.
Wie wir bereits gesehen haben, führten die Gaonim den Titel
apyi "INS naiffii ONn. Der Titel dürfte zur Unterscheidung von 10
den lokalen Schulhäuptern , die sich nämlich nbia bo naniji ffiNl
nannten, gebraucht worden zu sein. Fragment Gr. 5549, Nr. 1 des
Brit. Mus. hat folgende Liste :
imD3 bbai
niaiiai ifflN-i noniiwn nnconn 16
nbia b\a nai^i iuni pan inibs
nbu büj naiffii tbn"i pan nwbTUi an 3131 san N3na iaTii3i
pna pa "|ii ma pan cioini- 20
— dann die Gaonim, die wir bereits oben aufgezählt haben*). Ferner
werden die Titel nia, ni33, bnpn, laxn, ynnia as» und nan ge¬
braucht, die eine besondere Abhandlung verdienen.
In den Pragmenten erscheint noch ein Titel: nnon iTNn. Wir
wollen hier einige der Träger dieses Titels erwähnen , so weit sie 25
uns bis jetzt aus diesen Fragmenten bekannt sind*).
A) Elchanan (pnbx), Sohn des Schemarja, Sohn des R. Elchanan,
wird bsniai ba bia nnon lasn genannt*). Sein Vater führt den
Titel : bNniCi ba bia nia aN *). Elchanan stand in Briefwechsel mit
der Gemeinde in aibw Maly. so
B) Jehuda lebte um das Jahr 1057. Das Fragment trägt das
Datum 13. Tammuz 987 nach der Zerstörung des Tempels.
nm in73iai nsn b^iSN i:t<i
nii:3 ini mra bawi
'')Dn laNn nmni 'm 'nw p"5a nibiai nN mannb 35
1) Es sei darauf liingewiesen, daß Fragment Wertheimer zwei verschiedene Briefe enthält, einen an die Gemeinde in Aleppo und einen an die in Tyrus.
2) Auf der Außenseite ist der Absender genannt: niNM iniW3ni 13a p
ya3 Dn:s lania n73bi3ni pan. 3) siehe s. 64o, Anm. 5.
4) Poznarisky's Abhandlung über mon lüNn in Rivista Israelitica V, 127ff.
konnte ich nicbt einsehen.
5) J.-S. 16, 134; s. Worman, J. Q. R. XIX, p. 729.
6) J.-S. 16, 68; s. Worman, ebd. Nacb einem Fragment Adler lebte dieser um 1002, vgl. auch .Ms. Oxford 2873, 21. 7) Ms. Or. Brit. Mus. 5529.
42*
644 Marmorstein, Über das Gaonat in Palästina.
In einem andern Fragment wird Jehudas Enkel Jakob ben
Dünas erwähnt (1064 in Fostat*)). Fragment Adler hat denselben
Namen. Vielleicht gehört auch hierher ein Fragment in der Bodleyana,
das einen qoT' p rmni Nnio TD^") r)ibN erwähnt*). Einen Abra-
b bam ben Josef nnon uSN-i finden wir in Fragmenten um das Jahr
1050 in der Bodleyana*) und in einem Fragment Adler.
C) Josef (r|DT"). Mehrere arabisch verfaßte Response sind an
diesen gerichtet und von ihm beantwortet, dieselben sind datiert
Nisan 1522 (= 1212). Die Adresse lautet: i3i2nt<i St 'td bipi m
10 Sw niwn mas bijii mn mn-' nnon lasn bmn ann qoT'
i:an laiaNn pnawn ann apy Ski St *). Ein Sohn dieses B. Josef
dürfte R. Jesaja nnon ÖSn ayii S p 5)011 S p gewesen sein"*).
D) In den Memorlisten wird ferner ein nnon \3Nn ^ibno und
Juda Hakohen nnon fflsn erwähnt.
15 Die Erklärung der Titel und die Peststellung der Rangordnung
der Schulen, sowohl in Babylonien wie in Palästina bedürften einer
eingehenden Monographie.
1) Ms. Or. Br. Mu». 5542, Nr. 32 »iTl iC TDiOttbtl mniö b» pb
iijin nmni uann nina bT »Dn na ap»i lan ib» Nsnan atina b»
bT «nniD.
2) Ms. Oxford 2669, 2; s. Harkavy, Responseu, p. 234, no. 442.
3) Ma. 2805, 23.
4) M».. Adler, Nr. 1267, p. 2 a und 4 a.
5) Fragment Oxford 2834, 14. Zur Literatur über den nnon lONn ver¬
webe icb auf Poznarisky, Edfo. 48, 283; J. Q. R. VI, 223; XVIII, 43; Schlechter, Saadyana 13, n. 1.
6) Fragment Adler, Nr. 2592.
645
Zur Geschichte des semitischen Verbums.
Von H. Torezyner.
Auf Seite 134—137 des nunmehr abgeschlossen vorliegenden
II. Bandes seines Werkes .Grundriß der vergleichenden Grammatik
der semitischen Sprachen" bespricht C. Brockelmann in drei
ausführlichen Anmerkungen meine in ZDMG. 64, 279 ff. veröffent¬
lichte Darstellung der Geschichte des semitischen Verbums. Und 5
welche Beweiskraft B. seinen Bemerkungen beimißt, zeigt der darauf
zu beziehende Passus in den Vorbemerkungen zu jenem II. Bande :
,Nur in der Präge der Verbalstammbildung sah ich mich genötigt,
eine bisher unwidersprochen gebliebene m. E. verfehlte Untersuchung
als solche nachzuweisen'. Daß dieser Nachweis durchaus mißglückt lo
ist und Brockelmann's Beweisführung bedenklich erscheinen lassen
muß, will ich nun im Polgenden zeigen.
ZDMG. 64, 300 f habe ich den Beweis dafür erbracht, daß im
assyrisch-babylonischen Verbum — sowohl im Permansiv wie im
Präsens-Präteritum — eine spezifisch neutrische Vokalisation durchaus 15
fehlt. Denn aucb Lindl, der dieser Frage eine spezielle Unter¬
suchung gewidmet 1), hat gefunden, daß das Präsens „ikabil, wenn
sein Präteritum ikbil ist, sowie ikabal neben ikbal, transitive
Stämme ebenso wie intransitive bezeichnet' (ZDMG. 64, 300, 17).
Aber auch die einzige nach Lindl überwiegend intransitive Gruppe 20
ikabul ist, wie ich a. a. 0. an den Beispielen Delitzsch's (Ass. Gr.
§ 122) nachweise, überwiegend aktiv. Daraufhin weise ich auch
Brockelmann's Versuch zurück (Grundriß I § 257 A i und 258 B 1)
die Präsentia ikabil, ikabul, sowie die Präterita ikbal und ikbil
für spezifisch neutrisch zu erklären, zunächst weil schon aus Lindl's 25
Befund — ganz so wie auch aus Delitzsch's erwähnter Liste —
zweifellos hervorgeht, daß alle diese Formen ebensowohl bei aktiven
wie bei neutrischen Verben vorkommen, welche Erscheinung in der
Tat ja auch Brockelmann nicht in Abrede stellt, wenn er behauptet,
,daß im Präsens ikabil, ikabul, im Präteritum ikbal und ikbil so
neutrische Formen wären, welche Erscheinung aber durch Analogie¬
bildung verwischt sei'. Denn für die recht gewagte Behauptung,
1) E. Lindl, Die babylonisch-assyrischen Präsens- und Präterialformen im Grundstamm der starken Verba. MUnchen 1896.
4 7