Bemerkungen zur Epistula Jeremiae (Baruch Kap. 6), insbesondere zu Vers 42
Von DiETHEE Kblleemann, Tübingen
In piam memoriam donatori implantati renis mihi ignoto
Die zu den alttestamentlichen Apokryphen^ gerechnete Epistula
Jeremiae findet sich in LXX hinter dem kanonischen Buch des Propheten
Jeremia und dem apokryphen Baruchbuch anschließend an die kano¬
nischen Threni und ist in den meisten Majuskeln — nicht jedoch im
Codex Sinaiticus' — und Minuskeln erhalten. Sie ist, wie aus dieser
Anordnung hervorgeht, trotz ihrer Kürze von nur 72 Versen noch als
selbständiges Werk verstanden. In der Vulgata, die für die nicht im
hebräischen Kanon vorhandenen Schriften den Text der Vetus Latina
bietet*, ist das nicht mehr der Pall. Hier wird der Brief des Jeremia
1 Überarbeiteter Text eines Referates, das am 4. 6. 1976 vor den Teil¬
nehmern des sich bei Professor D. Dr. Kubt Galling in unregelmäi3igen
Abständen treffenden „Triptychon-Kreises" gehalten wurde. Herrn Prof.
Galling und den Teilnehmern danke ich für alle weiterführende Kritik.
2 Vgl. O.EisSFELDT: Einleitung in das AT. Tübingen '1964, § 87 und
L. Rost: Einleitung in die alttestamentlichen Apokryphen und Pseudepi¬
graphen einschließlich der großen Qumran-Handschriften. Heidelberg 1971,
S. 53 f.
' Der Text der Epistula Jeremiae fällt in die von Threni 2,20 bis Joel
reichende Lücke im Codex Sinaiticus. Die botreffenden Pergamentblätter sind für immer verloren, weil sie bereits vor dem Eintreffen Constantin
TiscHBNDOBFs im Ofen des Klosters St. Katharina am Fuße des Sinai ver¬
brannt wurden. Vgl. F. G. Kbnyon, A. W. Adams: Der Text der griechischen
Bibel. Göttmgen n961, S. 45.76—81; London '1975 (englisch), S. 41f.78— 83.
* Vgl. F. Stummbb: Einführung in die lateinische Bibel. Paderborn 1928,
S. 95 und B. Wübthwbin: Der Text des AT. Stuttgart M973, S. 98 Anm. 1.
Außer Baruch mit Epistula Jeremiae hat Hieronymus Sapientia Salomonis,
Jesus Siraeh imd I/II Makkabäer nicht übersetzt und nicht redigiert, s. auch
die Bemerkung in der Einleitung der vom Benediktinerorden besorgten kri¬
tischen Ausgabe Biblia Sacra iuxta latinam vulgatam versionem ad codi¬
cum fidem. Bd. 14: Liber Hieremiae et Lamentationes ex inierpretatione Sancti Hieronymi cum prologo eiusdem et variis capitulorum seriebu^s quibus additur
liber Barußh secundum recensionem Theodulfianam. Rom 1972, S. XXV:
Hieronymus tarnen cum hebraicam veritatem assectaretur librum Baruch
als Kapitel 6 des Baruchbuches gezählt und ebenso im Anschluß daran in der LutherbibeP.
Die Frage, ob die Epistula Jeremiae ursprünglich in griechischer*
oder hebräischer' Sprache verfaßt vnirde, beantworteten unabhängig
nec in latinum vertit neque retractavit, sicut nec alios libros deuterocanoni-
cos. Baruch 6 flndet sich S. 336—347. Außerdem wurde benützt Biblica
Sacra iuxta vulgatam versionem. Recensuit R. Weber. Tom. 2. Stuttgart
1969.
5 Die deutsche Übersetzung des Buches Baruch in der Lutherbibel stammt
nicht von Martin Luther. Von den Apoltryphen hat Luther selbst nur
Sapientia und Jesus Sirach übersetzt. Die übrigen Bücher sind von mehreren
tmgenarmten und bisher unbekannten Gelehrten verdeutscht vgl. ]\1aetin
Luther: Werke. Kritische Gesamtausgabe. [Weimarer Ausgabe.] Deutsche Bi¬
bel. [WADB] 12. Weimar 1961, S. XLIX—LIV.
° So z.B. O. F. Fritzsche: Kurzgefaßtes exegetisches Handbv,ch zu den
Apokryphen des Alten Testaments. Lfg. 1. Leipzig 1851, S. 206: ,,nun ist
aber, wenn irgend eines der Apokryphen, dieses in griechischer Sprache
abgefaßt worden."; K. F. Keil: Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung
in die kanonischen und apokryphen Schriften des Alten Testamentes. Frank¬
furt a. M. und Erlangen ^1859, S. 731: ,, keine Spur einer Übersetzung aus
dem Hebräischen,"; O. Zöckler: Kurzgefaßter Kommentar zu den heiligen
Schriften des Alten und Neusen Testamentes sowie zu den Apokryphen, Abtlg. 9:
Die Apokryphen des Alten Testamentes. München 1891, S. 250: „Die ur¬
sprimglich griechische Abfassung des Schriftstücks steht außer Zweifel," ;
E. Reuss : Das Alte Testament übersetzt, eingeleitet und erläutert. Bd.6.
Braunschweig 1894, S. 275: „Übrigens ist diese Epistel gut griechisch ge¬
schrieben und von einem hebräischen Original keine Spur vorhanden.";
W. Rothstein in: E. Kautzsch: Die Apokryphen des Alten Testaments. ND
Darmstadt 1962 (= Tübingen 1921 = 1900), S. 226: „von Hause aus
griechisch abgefaßt" imd noch E. Schürer: Oeschichte des Jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi. Bd. 3. Leipzig *1909, S. 467: „sicher griechisches Original."
' Vgl. F. H. Reusch: Erklärung des Buchs Baruch. Freiburg i. Br. 1853,
S. 82: Jeremias hat den Brief ohne Zweifel in hebräischer Sprache ge¬
schrieben,"; J. Knabenbauer: Cw»*«i*s Scripturae Sacrae, Commentariorum in V.T. Pars 3: In Libros Propheticos. 4: Daniel Propheta, Lamentationes et Baruch. Paris 1891, S. 449: ,,Hisce autem perpensis nemo negaro poterit cemi vestigia satis multa, ut dicamus epistolam esse ex hebr. versam";
L. A. ScHNEEDORFER : Kurzgefaßter wissenschaftlicher Commentar zu den
Heiligen Schriften des A.T. Abtlg. 3, Bd. 2: Das Buch Jeremias, Des Pro¬
pheten Klagelieder und das Buch Barv^ch. Wien 1903, S. 440: ,, Übersetzung
aus dem hebräischen Originale"; E. Kalt: Die Heilige Schrift des A.T.
Bd. 7, Abtlg. 4: Das Buch Baruch. Bonn 1932, S. 64 (8): „dem Verfasser
des Briefes (gemeint ist der Verfasser oder besser Übersetzer des griechi¬
schen Textes) lag also der hebräische Text des Jeremias vor". Die Frage,
in welcher Sprache der Brief des Jeremia abgefaßt war, treimte die Ge¬
lehrten aus dogmatischen Grimden in zwei Lager: Katholiken (in Anm. 7
genannt), die sich für ein hebräisches Original aussprachen, um die
Kanonizität des Briefes leichter aufrecht erhalten zu können, und Prote-
voneinander gleichzeitig C. J. Ball^ ^jj^ -yy Naumann* zugunsten eines
hebräisch abgefaßten Originals. Die Tatsache, daß in Qumrän in Höhle
4 Reste eines hebräischen Apokryphons*" gefunden -wurden, die dem
Baruchbuch und dem Brief des Jeremia nahestehen, allerdings bisher
noch nicht veröffentlicht sind, könnte für ein hebräisches Original
sprechen. Das kleine Papyrusfragment aus Höhle 7, dessen auf 5 Zeilen
verteilte 22 Buchstaben nach der scharfsinnigen Kombination der
Peres P. Benoit und M.-E. Boismabd** vielleicht einen Beleg für den
griechischen Text von Epistula Jeremiae v. 43—44 darstellen, spricht
nicht gegen die These der ursprünglich hebräischen Abfassung, sondern
lediglich für eine verhältnismäßig frühe griechische Übersetzung des
Textes.
Neben einer Reihe mehr oder weniger stichhaltiger sprachlicher
Kriterien wird gerne*^ auf zwei Fehlübersetzungen in v.30 und 71
hingewiesen, die sich nur erklären heßen, wenn man mit einem hebrä¬
ischen Original rechnete.
Vers 71 lautet: „Auch daran, daß der Purpur und der Marmor
TYji; TTopcpüpa? xal t^? fi.ap[i.apou an ihnen verfault, könnt ihr erkennen, daß sie keine Götter sind". Da Marmor, hebr. se8 II*', nicht verfaulen
kann, rechnet man mit einer Verwechslung mit hebr. SeS III**, dem
Lehnwort aus dem Ägyptischen zur Bezeichnung des aus dem Ausland
stanten (in Anm. 6 genannt), die für eine griechische Abfassmig des Briefes stimmten, weil dadurch die Unechtheit des Schreibens am augenfälligsten
dokumentiert schien. Erst in den letzten Jahrzehnten machten tmvorein-
genommene Untersuchungen einem abgewogenen Urteil Platz, vgl. z.B.
O. Eissfeldt: Einleitung, S. 806: ,,Dem griechisch erhaltenen Brief scheint ein hebräisches Original zugrunde zu liegen."
ä In: R.H. Charles: The Apocrypha and Pseudepigrapha of the O.T.
Bd. 1. Oxford 1913, S. 596—611.
' Untersv^chungen über den apokryphen Jeremiasbrief. Gießen 1913. (Bei¬
hefte zur ZAW. 25)
1° Es handelt sich um Fragmente von 5 oder 6 Handschriften eines
Werkes, das zwar nicht wörtlich mit Baruch übereinstimmt, das aber doch
Berührungspunkte aufweist, vgl. J. Strugnell in: BA 19 (1956), S. 93.
11 Discoveries in the Judaean Desert of Jordan. 3: Les 'petites Grottes'
de Qumrän. Oxford 1962, S. 143.
12 "Vgl. L. Rost, a.a.O., S. 54, A. H. J. Gunneweg: Der Brief des
Jeremias. In: Jüdische Schriften aus Hellenistisch-römischer Zeit. Bd. 3,2.
Gütersloh 1975, S. 189, Anm. k und S. 191, Anm. r. Zu möglichen weiteren
Fehlübersetzungen vgl. A. Robert: Jiremie (la lettre de) in: Dictionnaire
de la Bible. Suppl. 4. Paris 1949, S. 849—857, bes. S. 854 und A. H. J.
Gunneweg, a.a.O., S. 188, Anm. fund S. 190, Anm. p.
" Kalk-Alabaster, nur Cant. 5,15 und Est. 1,6.
11 Z.B. für Kleider Gen. 41,42 (Joseph), Ex. 25,5 (Priester) oder für
die Decken am Heiligtum Ex. 26,1 u.ö.
eingeführten Leinen im Gegensatz zum einheimischen Leinen, das bad genannt wird.
Vers 30 heißt es: ,,In ihren Tempeln fahren Si9psuou(nv die Priester
mit zerrissenen Kleidern und mit geschorenen Köpfen und Bärten, und
ihre Häupter smd unbedeckt." Da das Fahren der Priester im Tempel
schwer vorstellbar ist, haben bereits griechische Handschriften** sinn¬
gemäß verbessert in xaS-i^ouCTiv ,, sie.sitzen". Dieser Interpretation haben
sich auch SjTer** und Vulgata*' angeschlossen. Versucht man, ,,sie
fahren" ins Hebräische rückzuübersetzen**, dann kann man an die
Wurzel nhg denken**. Eine zweite Wurzel nhg ist im AT einmal
Nah 2,8 im Sinne von „stöhnen" belegt. Nimmt man demnach hier
ebenfalls eine Fehlübersetzung an, dann lautet v.30: „In ihren Tempeln
, stöhnen' die Priester mit zerrissenen Kleidern und geschorenen Köpfen
und Bärten, und ihre Häupter sind unbedeckt." Sachlich handelt es
sich in v.30f. wohl um die Klage um den sterbenden und auferstehenden Gott"».
Die beiden angeführten Beispiele lassen sich aber sowohl für die
These von einem Original des Briefes in hebräischer als auch in
aramäischer Sprache in die Wagschale werfen; denn 8eä .Marmor'
ist als SiSä aramäisch gut bezeugt"* und für Seä ,Leinen' scheint ein
*' Codex Marchalianus und die Mehrzahl der Minuskeln. Für den grie¬
chischen Text liegt die kritische Ausgabe der Göttinger Septuaginta vor:
Septvaginta, Vetua Testamentum Graecum. Vol. 15: Jeremias. Baruch. Threni.
Epistula leremiae. Ed. J. Ziegler. Göttingen 1957.
1' mwtbjn. Der syrische Text liegt nicht in einer kritischen Ausgabe
vor. Er v/ird zitiert nach der Veröffentlichung in der Londoner Polyglotte.
Ed. B. Walton. Bd. 4, London 1657 (ND Graz 1964), nach Translatio Syra
Peseitto V.T. ex codice Ambrosiano sec. fere VI. Ed. A. M. Ceriani. Mai¬
land 1876, fol. 176r et v, sowie nach P. A. de Lagarde: Libri V.T.
Apocryphi Syriace. Leipzig und London 1861 (ND Osnabrück 1972), S. 93—
104 und nach der editio Mausiliensis 1891 (ND 1951). An den über¬
prüften Stellen stimmt der Text der vier Ausgaben überein.
*' sedent. Das griechische Verbum mit Sicppoi; 'Sitz' zusammenzustellen,
um dann die Bedeutung ,sitzen' zu gewinnen, vgl. z.B. W. Naumann,
a.a.O. S. 37, ist imzulässige Harmonisierung.
1* C.J.Ball. a.a.O.. S. 604 und 597 nahm an, daß 8t9peüou<iiv zurück¬
geht auf jrkbw (jirk'bü), das aus jbkw (jibkü) verderbt überliefert wurde.
Vgl. auch A. Robert, a.a.O., S. 854, der als ursprimglichen Text jei'iü
ansetzt.
*° Die Grundbedeutung des Verbums ist 'treiben, füliron, leiten'. Im Zu¬
sammenhang mit einem Wagen begegnet nhg 2. Sam. 6,3 par. 1. Chr. 13,7
(Üborführimg der Lade nach Jerusalem), also wie Sufpeim curru vehi.
2» Vgl. schon W. Naumann, a.a.O., S. 10.
21 Vgl. C. Brockelmann: Lexicon Syriacum. Halle ^1928, S. 774b.
reichsaramäischer Beleg zu existieren"", aber selbst ohne diesen Beleg
läßt sich SeS als Hebraismus in jedem aramäischen Text leicht er¬
klären. Eine Fehlübersetzung wird dann sogar noch leichter verständlich,
weil der aramäisch sprechende Ubersetzer nur an die ihm geläufige
Bedeutung von SeSjSiSä dachte.
Für die Wurzel nhg gelten im Aramäischen ähnliche Verhältnisse:
nhg ist einerseits in der Bedeutung ,führen' jüdisch-aramäisch"', anderer¬
seits in der Bedeutung , schreien, brüllen' syrisch-aramäisch"* üblich.
Der Hinweis von C. C. Torkby"* auf einen möglichen Übersetzungs¬
fehler in v.9f. dürfte die Waagschale zugunsten der These von einem
aramäischen Urtext des Briefes senken. Der Text wu'd gewöhnlich -waeder-
gegeben: „Es kommt sogar vor, daß die Priester von ihren Göttern
Gold und Silber wegnehmen und für sich verwenden; sie geben davon
auch den Huren im Hurenhaus". Der Nachsatz v.lO soll näher betrachtet
werden. Griechisch lautet er: Scoffoucri Se om' auTCOv xal rat? ini toü
(cj)TeYoui; TCopvai?, wörtlich übersetzt : sie geben davon auch den Dirnen auf dem Dach. Auffälhgerweise geben die Versionen"* ettI toü {c!)iiyouq
nicht wieder. Als sachliche Parallele könnte man auf die Geschichte
verweisen, wie Absalom 2 Sam 16,20—22 zu den 10 Nebenfrauen
Davids eingeht und als Bühne für die Kraftmeierei das Dach des Palastes
wählt und dort ein Zelt aufschlägt, um coram publico seine Ansprüche
auf die Königsmacht — von Königswürde kann man hier kaum
sprechen — zu demonstrieren. Aber es handelt sich nach allem, was
wir wissen, um bewußte Inszenierung, so daß sich keine Ähnlichkeit
mit der in unserem Vers geschilderten Situation ergibt. Die Vermutung
von C. J. Ball"', daß die Dirnen ,, perhaps ... for coolness" auf dem
Dach wären, könnte für die eine Seite der Beteiligten stimmen, für
die andere Seite jedoch darf man annehmen, daß ein weniger auf-
"" Vgl. Ch.-F. Jean ■—• J. Hoftijzeb: Dictionnaire des inscriptions
semitiques de l'ouest. Leiden 1965, S. 321 SS III. Nach J. Hoftijzer: Mn
Papyrusfragment aus El-Hibeh. In: VT 12 (1962), S. 341f. läßt sich die
Lesung SS jedoch nicht halten.
23 Vgl.G. Dalman: Aramäisch-Neuhebräisches Handwörterbuch zu Targum,
Talmud und Midrasch. Göttingen 1938 (ND Hildesheim 1967), S. 264b.
"* Vgl. C. Brockblmann: Lexicon Syriacum, S. 416b.
" The Apocryphal Literature. London 1945 (ND 1963), S. 66.
"' Vulgata: Dant autem et ex ipso prostitutis et meretrices ornant: et
iterum cum receperint illud a meretricibus, ornant deos suos. Vulgata über¬
geht nieht nur ini xoü (ct)t£YO'J?» sondern fügt auch noch ein zweites
Wort für Hure, nämlich meretrix, hinzu, zu dem das Verbum vorgezogen
wird, während der Nachsatz auch inhaltlich vom griechischen Text völlig
abweicht. Syrer läßt km toO ((t)t£you<; unübersetzt, folgt sonst jedoch LXX.
Der Araber übersetzt: sie geben davon den Huren li'n-nazzati 'um der
Wollust willen'. " a.a.O., S. 601.
fälliger Ort vorgezogen worden wäre. Übersetzt man ini toü (a)Tiyouz i
ins Aramäische 'al Hggarä' ,auf dem Dach', so lassen sich die gleichen
Konsonanten 'l 'gr' auch 'al 'agrä' ,als Lohn' punktieren"^. Niemand
wird bezweifeln, daß so der Satz v.lO ,,sie (die Priester) geben davon
(vom Gold und Silber ihrer Götter) den Dirnen als Lohn" im Zu¬
sammenhang mehr Sinn gibt als die Bemerkung, daß sich die Dirnen
auf dem Dach befinden. Es soll jedoch nicht verschwiegen werden,
daß TO (or)TeYO(; die Bedeutung ,Bordeir haben kann"'. Diese Tatsache
spricht nicht gegen die Vermutung einer Fehlübersetzung, sondern
könnte nur zeigen, daß der Übersetzer bei der Wortwahl für 'l 'gr*
eine situationsbezogene Wiedergabe suchte, ohne zu bemerken, daß er
mit der Wendung ,,die Huren im Hurenhaus" nur eine Selbstver¬
ständlichkeit in Worte kleidete.
Man hat demnach damit zu rechnen, daß der auf uns gekommene
Text der Epistula Jeremiae auf ein semitisches, wahrscheinlich in
Aramäisch abgefaßtes, Original zurückgeht.
Dagegen spricht auch nicht die in einem griechischen Text erklär¬
bare auffälhge Erwähnung der Katzen in v.21, deren apokryphes
Dasein durch G. M. Leb'" seinem verdienten Ende zugeführt wurde.
G.M.Lee nimmt an, daß die z.B. noch in der Einheitsübersetzung'i
von 1974 erwähnten Katzen ol atXoupoi, die neben Fledermäusen,
Schwalben und Vögeln auf Leib und Kopf der Götzen fliegen.
ecpiTTTavTai sollen'", auf ein ursprüngliches IXaioi — nach Athenaeus'^ :
Deipnosophistae 11,65 ist eXaiov eine Meisenart, die von anderen
Tvoppixc, genannt wird — zurückgehen. Dieses Wort sei durch das im
jetzigen Text nicht gerade gut passende" 8pvea zur Unterscheidung
von eXatoi ,wilde Oliven' näher charakterisiert und später dann eXaioi
6pvea in aiXoupot verderbt oder bewußt verändert worden, vielleicht
durch einen sich in Ägypten (Alexandrien) befindenden'* Schreiber.
2* Vgl. Targum Onqelos zu Deut. 23,19 '"gar zänltä' 'Hurenlohn'. i
2° Vgl. die Wiedergabe von qubbäh Num. 25,8 durch Aquila mit Tcyoi;
(Symmachus: Tcopveiov), sowie Polybios, Historiae XII, 13.
30 VT 21 (1971), S. Ulf.
3' Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Das Alte Testament. Hg. im
Auftrag der Bischöfe Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, des Bischofs
von Luxemburg und des Bisohofs von Lüttich. Stuttgart 1974.
'" Zur Abwehr der Vogelplage am Tempel in Jerusalem vgl. Eupolemos
bei Eusebius: Preparatio evangelica IX, 34,11 und Josephus: De bello
Judaico V, 224. Fledermäuse als Tempelplage in Borsippa auch bei Strabo:
Geographia 16,7.
'3 Ed. Ch. B. Gulick. London und Cambridge, Mass. 1930.
3* Vgl. W. Nau.mann, a.a.O., S. 29 und zur Katze als heiligem Tier in
Ägypten H. Bonnet: Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte. Berlin
1952, S. 371—373.
Da noch heute da, wo Vögel sind, auch Katzen jagen, war eine
Hinzufügung naheliegend. Allerdings spricht das fehlende spezielle
Verbum, das die Bewegung der Katzen ausdrückt und das in den
Übersetzungen meist frei ergänzt ward'*, eher für die These einer
Textverderbnis. Wenn man mit einer aramäischen Vorlage des Briefes
rechnet, so ist als ursprünglicher Text die Erwähnung von Fleder¬
mäusen, Schwalben und Meisen zu erheben, wobei die .griechischen'
Meisen den Katzen Platz machen mußten. Daß die Schwierigkeit der
Textstelle schon in alter Zeit bemerkt wurde, läßt der Syrer erkennen,
der die Vögel zu Raben'* macht.
Dieses Beispiel aus v.21 beweist, daß auch die etwas abseits der
an den exegetisch ausgefahrenen Wegen liegenden Texte mit unseren
heutigen Mitteln neuer und gründlicher Bearbeitung bedürfen, die dann
wohl auch zu einem besseren Textverständnis beizutragen vermag.
Im Folgenden soll nun versucht werden, der Frage nachzugehen,
welche Bedeutung dem Kleie-Rauchopfer beizumessen ist, von dem in
LXX in V.42 gesprochen wird, und ob ein Weg vom griechischen Text
zur Wiedergabe dieses Verses in der Lutherbibel von 1545 führt.
Innerhalb des Abschnittes v. 27—44, in dem die Machtlosigkeit der
Götzen geschildert und durch Beispiele belegt wird, daß die Götzen
z.B. keinem Bhnden das Augenlicht ■wiedergeben (v.36) und keinen
Stummen zum Reden bringen können (v.40), wird ohne Übergang v.42f.
berichtet: ,,Die Frauen aber setzen sich umgürtet mit Stricken an
den Wegen hin, um Kleie zu räuchern; wenn nun eine von ihnen
mitgenommen wurde von einem der Vorübergehenden und beschlafen
wurde, so verhöhnt sie ihre Nachbarin, daß sie nicht in gleicher Weise
gewürdigt und ihr Strick noch nicht zerrissen wurde". Der nächste
Vers (44) schließt über v.42 f. zurück wieder an v.41 an, indem ge¬
sagt wird: ,, Alles, was in bezug auf sie (auTot? pl.masc. auf die Götter
bezogen!) geschieht, ist Trug. Wie also kann man glauben oder sagen,
daß sie wirklich Götter seien?" V.44 steht refrainartig" am Ende eines
Abschnittes. Es dürfte nicht zweifelhaft sein, daß es sich bei v.42f.
um einen Einschub handelt, bei dem nicht ganz ersichtlich wird,
wodurch er veranlaßt ist. Daß es sich in v.42f. um kultische
Prostitution'^ handelt, wie sie vergröbert von Herodot" und Strabo*»
'^ i.S.v. 'sie setzen sich auf sie', vgl. schon F. H. Reusch, a.a.O., S. 248:
sie springen darauf.
'« wnV, z.B. Ps. 146,9 für hebr. 'oreb.
" Eine gewisse Gliederung des Briefes wird erkennbar durch die ähn¬
lichen Schlußsätze am Ende der Abschnitte in v. 14.22.28.39.44.51.56.64.68.
'8 Vgl. Der Kleine Pauly. 4. München 1972, S. 1192—1194. (W. Kbenkel).
" Historien I, 199.
" Geographia XVI 1,20.
geschildert wird und wie sie für die Spätzeit für den vorderasiatischen
Raum auch durch Lukian** belegt ist, allerdings ohne daß wir genaue
Kenntnis der Verbreitung haben, wurde durch W. Baumgaetner*" be¬
reits zu erklären versucht. Das allgemeine od 8k yuvatxe? läßt eher
an schon verheiratete Frauen als an Jungfrauen und an Initiations¬
riten denken, obwohl das Zerreißen der o^oivi« Sinnbild für die De¬
floration sein könnte. Aber es soll hier kein Beitrag zum Problem der
„präparierten Jungfrauen"*' geleistet werden, sondern es soll das Kleie-
Rauchopfer unter die Lupe genommen werden. Das Räuchern von Kleie
wird von W. Baumgartner nur in einer Anmerkung** gestreift mit
dem Hinweis, daß es sich wohl um einen Liebeszauber handeln wird,
eine Vermutung, die auch in den Kommentaren** geäußert wird.
Man hat sich vorzustellen, daß die Frauen am Wege, der zu einem
Tempel führt, sitzen — vielleicht in einem heihgen Hain — und vor
sich ein Räuchergefäß stehen haben. Leider werden keine genaueren
Angaben über Form und Aussehen des Thymiaterions gemacht, so daß
man mehrere Möglichkeiten hat, sich die Szene auszumalen. Man kann
an ein kleines viereckiges Räucheraltärchen**, einen Würfel mit vier
*i De dea Syria § 6. 1
*- Herodots Babylonische und Assyrische Nachrichten. In: Symbolae ad
Studia Orientis pertinentes F. Hrozny dedicatae. 3. In: ArOr 18 (1950), S. 69—.
106 = Zum Alten Testament und seiner Umwelt. Leiden 1959, S. 282—331,
zur Epistula Jeremiae S. 81—83 (S. 296-298).
" So (mit Fragezeichen) der Titel eines Aufsatzes von W. Rudolph in :
ZAW 75 (1963), S. 65—73. Zum Problem vgl. weiter L. Rost: Erwägungen
zuHos 4,13 f. In: FS A. Bertholet. Tübingen 1950, S. 451—460 = Das Ideine
Credo und andere Studien zum Alten Testament. Heidelberg 1965, S. 53—64
imd H. W. Wolff : Biblischer Kommentar. XIV,1. Neukirchen "1965, S. 42f.
und W. Rudolph: Kommentar zum AT. XIII,1. Gütersloli 1966, S. 42f.
" A.a.O., S. 297 (82), Anm. 1 (69).
** Vgl. O. F. Fbitzsche, a.a.O., S. 216; F. H. Reusch, a.a.O., S. 257;
J. Knabenbaueb, a.a.O., S. 513; O. Zöcklee, a.a.O., S. 253; E. Reuss,
a.a.O., S. 278, Anm. 1;L. A. Schneedobfeb, a.a.O., S. 469; E. Kalt, a.a.O.,
S. 83 (27), Anm. 1; E. Reuss z.B. formuliert ,,ein magisches Mittel, Lieb¬
haber heranzuziehen", O. Zöckler „Zaubermittel zur Erregimg erotischer
Stimmung", von E. Kalt wörtlich übernommen; V. Hamp: Echterbibel.
Würzburg 1950, S. 24 macht daraus ,,Liobeszauber und Zeichen der Will,
fährigkeit", und H. Lampabteb: Die Botschaft des AT. 25,2. Stuttgart 1972, S. 213, Anm. 13 ,,ein Zaubermittel zur Erregimg sexueller Lust".
Vgl. Ancient Near Eastern pictures relating to the OT. Ed. by
J. B. Pbitchabd. Princeton. N. J. 1950, Abb. 579. 581 und A. Geohmann:
Araiiien. Miinehen 1963. (Handbuch der Altertumswissenschaft), S. 248. Die
vielerorts in Palästina gefundenen kleinen Räucheraltäre mit Hörnern aua
Kalkstein, vgl. Biblisch-historisches Handwörterbuch. 1—3. Güttingen 1962—■
63, Bd. 1, S. 63 Abb. 1.2.3 aus Geser und Megiddo und K. Galling:
Biblisohes Reallexikon. Tübingen 1937, S. 19f. ^1977, S. 8, waren dagegen
nicht als transportable Altäre gedacht.
Füßchen und mit einer Vertiefung an der Oberseite, denken, wie es im
klassischen Weihrauchland Südarabien benutzt wurde und noch heut¬
zutage moderne Nachfolger hat, und das schon im Altertum, wie die
Funde in Palästina*' und Mesopotamien*^ ausweisen, weit über sein
Ursprungsland hinaus verbreitet war. Oder man kann an eine Räucher¬
pfanne oder Räucherschaufel ■—■ das turibulum — erinnern, wie sie
etwa aus der Bar-Kochba-Zeit für Palästina** durch entdeckte Beispiele
gut dokumentiert ist. Oder man kann sich ein Kohlenbecken oder eine
RäucherkapseP* vorstellen, in der unter dem durchbrochenen Deckel
die Kleie auf den Kohlen schwelte, und die meist auf einem Ständer
angebracht war, wie sie aus dem ägäischen Raum reichhch durch er¬
haltene Originale und bildhche Darstellungen bekannt ist. Vielleicht
rechnet der Verfasser auch damit, daß die Frauen je nach Besitzstand
oder Abktinft verschiedene Räuchergefäße vor sich haben. In jedem
Falle müssen glühende Kohlen im Thymiaterion sein, auf die das
Räucherwerk gestreut werden kann. Dem Leser der Neuzeit dürfte es
Schvnerigkeiten bereiten, sich vor Augen zu führen, daß jemand Kleie
auf glühende Kohlen streut, ohne dabei eine Stichflamme als Stroh¬
feuer flackern zu sehen, wenn Kleie als die ,,beim Mahlen abgesonderten
Schalen, Keime und äußere(n) Schichten der Gretreidekörner"** eines
modernen Mühlenbetriebes definiert wird. Aber ein experimenteller Ver¬
such ergab, daß die Kleie*" auf den glühenden Holzkohlen eine rauchende
Schicht bildet, die langsam verglimmt und deren Geruch an geröstetes
Korn erinnert. Bedenken sind auch deshalb nicht angebracht, weil die
Kleie in der Antike infolge des primitiveren Mahlverfahrens keineswegs
*' Vgl. z.B. W. F. Albbight : Die Religion Israels im Lichte der arcliäo¬
logischen Ausgrabungen. München und Basel 1956, S. 162ff., N. Glueck:
Incense Altars. In: Translating <b Understanding the Old Testament. FS
H.G.May. New York 1970, S. 325—329 und PI. 1—5 und Fig. 1—4;
J. B. Pbitchabd: An Incense Burner from Tell es-Sa'idiyeh, Jordan Valley.
In: Studies on the Ancient Palestinian World. FS F. V.Winnett. Toronto
und Buffalo 1972, 3—17, und den Räucheraltar aus Teil ed-Duwer z.B.
in: Neue Ephemeris für Semitische Epigraphik 1 (1972), Taf. III, Abb. 5.
*^ Vgl. Liselotte Ziegleb: Tonkästchen aus Uruk, Babylon und Assur.
In: ZA 47 = NF 13 (1942), S. 224—240.
*^ Vgl. Y. Yadin: The Finds from the Bar-Kokhba Period in the Cave
of Letters. Jerusalem 1963. S. 48—58 und PI. 15.16; ders.: Bar Kochba.
Hamburg 1971, Abb. auf S. 94 und 107ff.
^o Vgl. K.Wigand: Thymiateria. In: Bonner Jahrbücher 122 (1912),
S. 1—97, auch M. Bbsnieb in: Ch. Dabembebo —■ E. Saglio : Dictionnaire
des Antiquitis grecques et romaines. 5. Paris 1912, S. 542^—544, Fig. 7177
zeigt z.B. eine Frau vor einem Stuhl stehend und Räucherwerk streuend.
" dtv-Lexikon, Bd. 10. München 1967, S. 173.
*2 Dabei fand die zu Diätzwecken in Reformhäusern gehandelte Weizen¬
schalenkleie Vei'wendung.
nur aus Spelt und äußeren Getreideschalen bestand, sondern noch rait
Kornteüen versetzt war*', so daß durch die vorhandene Feuchtigkeit
des KornanteUes eine kräftige Rauch- und wohl auch Geruchsentwick¬
lung anzunehmen ist.
Die Parallelen für Kleie-Rauchopfer oder für Verwendung von Kleie
in einem kultischen Zusammenhang sind in der antiken Literatur
äußerst spärlich. Demosthenes (384 — 322 v. Chr.) behauptet in seiner
berühmten Kranzrede**, daß der junge Aischines seiner Mutter behilf-
üch war, wenn diese Weihungen, vermutlich ist die Einweihung in
eine Art niederer Mysterien gemeint**, vornahm. Aischines mußte da¬
bei nicht nur seiner Mutter die Bücher vorlesen, sondern er war auch
aktiv beteiligt, indem er nachts den zu Weihenden das Fell umhängte,
sie aus dem Mischkrug besprengte und sie reinigte, indem er sie mit
Schlamm oder Ton und Kleie beschmierte (x7To[i.ixTTWv tw ttyjXw xal
xoic, TCLTÜpol?. Dabei ist es fraglich, ob mit Tonschlamm und Kleie
ein gewöhnliches Reinigungsmittel anstelle von Seife gemeint ist, oder
ob sich hinter dem Einreiben mit der Kleie-Ton-Paste ein symbolischer
Sinn verbirgt**. Die Demosthenesstelle hilft daher nicht sehr viel weiter
bei der Frage nach der Bedeutung der Kleie in Epistula Jeremiae v. 42.
Etwas mehr Aufschluß gibt vielleicht die Erwähnung von Kleie in
dem im 4. Jahrhundert n. Chr. geschriebenen großen Pariser Zauber¬
papyrus*'. Der Papyrus besteht aus 36 Blättern, ist beidseitig mit über
3000 Zeilen beschrieben und enthält ein Sammelsurium von Zauber¬
anweisungen und Beschwörungen. In Zeile 2571 ff. wird ein Zwanggebet
e7ravaYX0(; Xäyoi; mitgeteilt, das zu den feindlich vrärkenden Räucher¬
opfern zur Verleumdung gesprochen werden soll. Der Zauberer wünscht,
daß die Göttin (Selene- Artemis-)Hekate ihm die gewünschte N. N., die
*' Vgl. C. J. Ball, a.a.O., S. 606. Im AT wird Kleie nicht erwähnt.
Text nach F. Blass : Demosthenis Orationes ex recensione Guilielmi
Dindorfii. Vol. 1. Leipzig M908. Nr. XVIII, 259 (S. 323), vgl. auch
G. Mathieu: Dömosthene: Plaidoyers Politiqws. Tome 4: (Sur Ja Couronne).
Paris 1958. (Collection Auteurs grecs. 14a.4.) und C.A. und J. H. Vincb:
Demosthenes 2. London imd Cambridge, Mass. 1926. (ND 1963) (Loeb
Classical Library).
Die Mutter wird als TEXoüar] bezeichnet, vgl. die Bemerkung bei
H. A. Pabst: Demosthenes Werke. Bd. 1. Stuttgart 1859. S. 539 die 1. An¬
merkung, und C. A. und J. H. Vince, a.a.O., S. 188, Anm. a: "she was an
expert in Bacchic or Sabazian rites imported from Phrygia."
" Vgl. H. A. Pabst, a.a.O., S. 539, die 2. Anmerkung.
*' Der Papyrus wird in der Nationalbibliothek in Paris unter Suppl.
gr. 574 auf bewahrt. Teile daraus wurden veröffentlicht von R. Wünsch: Aus
einem griechiachen Zauberpapyrus. Rom 1911. (Kleine Texte für Vorlesungen
und Übungen. 84.). Der vollständige Text mit Übersetzung findet sich bei
K. Pbbisendanz : Papyri Oraecae Magicae. Leipzig und Berlin 1928. (Die
griechischen Zauberpapyri. Bd. 1.), S. 64ff.
der Göttin gegenüber als Ssöva bezeiclinet wird, schnellstens zuführt.
Deshalb redet er der Göttin ein, die N. N. bringe ein schreckliches
Rauchopfer dar, das ein Frevel und ihr, der Göttin, verhaßt sei. Da¬
bei sind die genannten Bestandteile z.T. der Göttin durchaus angenehm
wie z.B. das Fett einer bunten Ziege (Zeile 2459 und 2686), hier aber
sind sie der Göttin verhaßt, weil ihre Mysterien durch diese Art des
Opfers profaniert erscheinen. Außerdem werden besonders schauerliche,
unsaubere Dinge, wie z.B. Blutwasser iyü>px einer toten Jungfrau oder
das Herz eines oder einer vorzeitig awpou Gestorbenen neben harmlosen
Medikamenten der Volksmedizin wie z.B. Knoblauch, Zwiebel, Salbei,
Feigenmehl erwähnt. Nach dem Verwesungs- oder Zauberstoff*' ouciav
eines Hundekadavers, Meerzwiebel, einem Myrtenzweig, dunklem Lor¬
beer und Gerstenmehl Mdrd als weiteres Räucherwerk angeführt Z. 2579 f.
XsTTTa utTupa twv Tcupwv xal Xu[i.aTa 6^u6evTa, also doch wohl 'feine
Kleie von Weizen und sauere Unsauberkeiten'*'. Leider ist der Text
gerade an dieser Stelle nieht ganz sicher. Im PapjTus scheint (xupwv zu
stehen, das K. Pbbisendanz*" bei einer Kollation in Ttuptov emendierte.
Ttupoi; ist der Weizen, obwohl der genetivus pluralis Truptov auch von
Tzvp kommen könnte, so daß ausdrücklich von feiner Kleie für Opfer¬
feuer die Rede wäre. Will man (j.upcov halten, dann muß uiTupa im
übertragenen Sinn 'Abfall' heißen, so daß dann Myrtensalbenabfall und
sauer gewordene Salbenreste zum Rauchopfer dienten**.
Im gleichen Papyrus ist einige Zeilen später 2644ff. eine jüngere
Redaktion des Textes 2571 ff. erhalten, die vermutlich die Vorlage der
zuerst überlieferten Fassung des Zaubertextes umarbeitete, stark kürzte
und z.T. andere Ausdrücke wählte. Wie aus diesem Text hervorgeht,
scheinen die TciTUpa — wie das Wort auch immer zu übersetzen sein
mag — nicht allzu wichtig gewesen zu sein; jedenfalls verzichtet die
jüngere Redaktion völlig auf sie*". Vorausgesetzt, es ist in der Tat im
^'R. Wünsch, a.a.O., S. 18: Verwesimgsstoff, K. Peeisendanz, a.a.O.,
S. 165: Zauberstoff. Zum Begriff oüaia in den Zauberpapyri vgl. Th.
Hopfneb: Griechisch Ägyptischer Offenbarungszauber. I.Leipzig 1921, § 361
und 645.
K. Pbbisendanz, a.a.O., S. 155: scharfe Hülsen von Weizen imd sauren
Abfall.
'0 Vgl. K. Pbbisendanz, a.a.O., S. 153, Anm. zu Zeile 2580 und S. 65.
" Vgl. R. Wünsch, a.a.O., S. 18 und Th. Hopfneb, a.a.O. Bd. 1. § 422, S. 103 f: Abfall und säuerlicher Schmutz von Salben.
'" In Zeile 2646f. wird anders als in der Version 2571£f. zusätzlich daa
Herz eines jungen Knaben ctuv äXcpixot? (j.et' S^o^J? als Rauchopfer er¬
wähnt. K. Pbbisendanz, a.a.O., S. 157 übersetzt ,,mit einer Mischung von
Kleie und Essig", aber diese Interpretation dürfte kaum erlaubt sein, weil
äXipna. Gerstenmehl oder -graupen seine Entsprechung 2583 als eigener
Bestandteil des Opfers hat.
3 ZDMG 129/1
zuerst 2571 ff. überlieferten Zaubertext Weizenkleie als Rauehopfer mit
aufgezählt, dann läßt sich aus dieser Stelle entnehmen, daß dieses Rauch¬
opfer aus Weizenkleie im Kult der Hekate eine Rolle spielte.
Es steht noch aus, die Erwähnung eines Kleie-Rauchopfers bei
Theokrit näher zu betrachten. Theokiit*' Anfang des 3. Jahrhunderts
V. Chr., aus Syrakus stammend, in Alexandrien und auf Kos lebend,
läßt im 2. Gedicht, das den Titel 'die Zauberin' 9ap[AaxeÜTpia trägt,
Simaitha mit ihrer Magd Thestylis durch magische Praktiken verbunden
mit Beschwörungen versuchen, Delphis, den treulosen Geliebten, zurück¬
zugewinnen. Als erstes muß Thestylis Grerste im Feuer 'zerschmelzen'
und dabei wird ausgerufen: ,,ich streu die Gebeine des Delphis". Dann
wird Lorbeer verbrannt mit der Bitte, Delphis Fleisch soll ebenso
'verstäuben'. Das nun folgende Kleie-Rauchopfer** ist mit dem Grebet
an Artemis-Hekate-Selene** verbunden, sie möge den trotzigen Geliebten
bewegen. Im weiteren Verlauf der Beschwörung wird eine Wachsfigur
verbrannt mit der Bitte, Delphis möge ebenso vor Liebe zerschmelzen ;
ein ehernes Rädchen wird gedreht, damit Delphis sich an der Türe
der Gehebten ebenso drehe. Es folgt eine dreimalige Weinlibation une
eine Manipulation mit Tollkraut. Eine Franse vom Mantel des Delphis
vräd ins Feuer geworfen, damit Delphis ebenso in Flammen stehe. Ana
Ende schließlich macht sich die Magd Thestylis auf, um die Opferasche
an der Schwelle zum Hause des Geliebten zu verreiben, wobei sie
flüstern soll: ,,ich zerreibe die Knochen des Delphis". Aus diesem Zu¬
sammenhang geht hervor, daß mit dem Rauchopfer aus Kleie die
spezielle Aufmerksamkeit der Göttin erregt werden soll, damit sie die
Bitten der Simaitha erhört. Die Sklavin Thestylis soll außerdem noch
das eherne Becken ^^aXxeov erschallen lassen, damit die Göttin eine
weitere Orientierungsmöglichkeit hat und den Weg zu den sie An¬
rufenden nicht verfehlt.
Die Frage erhebt sich, ob man aus der dichterischen Gestaltung
Theokrits auf ein zur damaligen Zeit praktiziertes Zauberritual zurück-
«3 Vgl. Lexikon der Alten Welt. Zürich und Stuttgart 1965, Sp. 3050—,
3052 (P. Haendel); Der Kleine Pauly. Bd. 5. 1975, S. 709—711 (R. Key¬
dell). Benützt wurde F. P. Fbitz : Theokrit. Gedichte griechisch und deutsch.
München: Heimeran 1970 und A. S. F. Gow: Theocritus. Ed. with a trans¬
lation and commentary. Vol. 1 und 2, Cambridge ^1965, außerdem H. Fbitz¬
sche: Theokrits Gedichte erklärt {E. Hillee). Leipzig ^1881.
'* E. Möbike: Griechische Lyrik. Frankfurt a.M. und Hamburg 1960.
(ExemplaClassica. 8.), S. 90 übersetzt treffend: ,, Jetzt mit Kleie gedampft".
Ein bei H. Fbitzsche, a.a.O., S. 63 zitiertes Scholion zu dieser Stelle de¬
finiert Kleie als "ks-Tzzla^LOiia. toO oitou xal -rrfi xptS-yji;.
«5 Zur Gleichsetzung vgl. F. P. Fbitz, a.a.O., S. 278. R. Wünsch, a.a.O.,
S. 7 und Lexikon der Alten Welt, Art. Artemis Sp. 336—338, Hekate Sp. 1230
(beide von K.-H. Roloff) und Selene Sp. 2758 (Redaktion).
schließen darf. Unklarheiten und Undeutlichkeiten** des Textes könnten
sich erklären, weil Theokrit seiner Phantasie freien Lauf gelassen habe.
Auch in der Hexenküchenszene in Goethes Faust I läßt sich zwar in
der freien dichterischen Gestaltung eine gewisse Kenntnis von Zauber¬
praktiken, wie z.B. dem Sieb-Orakel" erkennen, aber der Text kann
nicht als Beleg für ein Hexenküchenritual gelten. Theokrits Schilderung
der Zauberhandlung ist bekanntlich das Vorbild für die Verse 64—108
in Vergils achter Ekloge*^. Im dichterischen Wettstreit der beiden
Hirten Damon und Alphesiboeus trägt der Letztgenannte den Liebes¬
zauber einer — anders als bei Theokrit — nicht namentlich genannten
verlassenen Geliebten vor. Ihre Magd Amaryllis, bei Theokrit Thestyhs,
ist ihr bei den magischen Opferriten behilflich. Ein Vergleich der beiden
Texte hinsichtlich der geschilderten magischen Praktiken wäre zweifel¬
los reizvoll, vrärde aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Hier soll
nur bemerkt werden, daß das Kleie-Rauchopfer bei Vergil (70 — 19
V. Chr.) nicht genannt wird. Zwar darf das Räuchern nicht fehlen,
V. 65: verbenasque adole pinguis et mascula tura — ,, heiliges Grün
voller Saft und würzigen Weihrauch entzünde" —, aber in diesem Vers
ist das Verbrennen von Gerste, Lorbeer und Kleie zusammengefaßt,
das bei Theokrit auf drei verschiedene Akte verteilt ist. Man darf
vermuten, daß Vergil das Kleie-Rauchopfer nicht für einen unentbehr¬
lichen Bestandteil** des Zauberrituals hielt, wohl deshalb, weil die
Sitte, Kleie zu räuchern, ihm xmbekannt war.
Obwohl die Parallelen durchaus für die Praxis von Kleie-Rauchopfem
sprechen, ist es umso erstaunlicher, daß die alten Übersetzungen an
dieser Stelle vom griechisch überlieferten Text abweichen. Nicht viel
Es bleibt z.B. völlig miklar, was mit dem Tollkraut ([7i7ro(iav£?), der Pflanze Arkadiens, Zeile 48, gemacht wird.
Vgl. z. B. im Zauberpapyrus Zeile 2303 und Theokrit 3,31 f. Th. Hopfneb,
a.a.O., Bd. 2, § 309 (S. 146) „Obwohl die Siebwahrsagung öfter erwähnt
wird (.-.), erfahren wir nichts Näheres über sie, außer daß besonders alte
Weiber gerne auf diese Weise orakelten", vgl. noch Lexikon der Alten Welt, Artikel: Koskinomantie, Sp. 1601 (C. J. Classen).
" Benützt wurde J. und M. Götte: Vergil. Landleben, Bucolica.Oeorgica.
Catalepton. Fert/i/-Fiten. Ed. K. Baybb, lateinisch und deutsch. München:
Heimeran 1970. Zum Verhältnis der 8. Ekloge zu Theokrits 2. Idylle vgl.
K. Büchneb: P. Vergilius Maro. Der Dichter der Börner. In: Patdys Real-
Encyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft. R. 2, Halbbd. 15. Stutt¬
gart 1955, Sp. 1021ff. = SD 1956 (mit neuer Paginierung), bes. Sp. 1228ff.
(S. 208ir.).
" Das 'sparge molam' — streue Opferschrot ! bei Vergil v. 82 entspricht sicher nicht dem Kleie-Rauchopfer bei Theokrit, wie schon die unterschied¬
liehe Stellung im Ablauf des Rituals zeigt, sondem die Erwähnung der
mola Salsa dürften ein Zugeständnis an den römischen Leser sein.
zu sagen hat es, daß die aus dem XI. Jh. stammende Minuskelhand¬
schrift 534'", die an vielen Stellen'* eigene Wege geht, Tiupa anstelle
von TTiTupa hat; denn es liegt nahe, an einen mechanischen Ausfall
der beiden Buchstaben it nach dem ähnlichen tz zu denken, weil sich
trotz der großen Rolle, die das Feuer bei dem von Theokrit be¬
schriebenen Liebeszauber spielt, ö-ufAiwaai too Tiupa kaum sinnvoll inter¬
pretieren läßt.
Dem griechischen Text folgen, wie nicht anders zu erwarten ist, einer¬
seits die syrische Übersetzung der hexaplarischen Rezension'" der LXX,
die Bischof Paul von Telia 616/617 angefertigt hat, mit mHrn pr",
und andererseits die arabische Übersetzung der WALTONschen" Poly¬
glotte mit wayubahhirna binnuhäW*.
Auch die koptische Übersetzung ist als Tochterübersetzung der LXX
hier anzuschließen. Die von H. Beuqsch'* nach einer Abschrift heraus¬
gegebene bohairisch-koptische Übersetzung des Buches Baruch gibt
•8-u(Aiw(jai Ta TiiTupa vvdeder mit seerSusöws ebol then nieso. A. Schulte'*
übersetzt: ,, welche Opfer darbringen von Schweinen". W. E. Ceum"
vermerkt für eSo sowohl die Bedeutung 'Kleie'" als auch die häufigere
'" Nationalbibliothek Paris, Codex Coislinianus 18.
'* Im Apparat der Göttinger Septuaginta wird die Minuskel 534 mit
Varianten zur Epistula Jeremiae 95mal gebucht, davon 37mal singulär mit
Sonderlesarten ohne weitere handschriftliche Belege.
'2 A. M. Ceeiani : Codex Syro-hexa/plaris Ambrosianus, photolitographice editus. Mailand 1874. (Monumenta Sacra et profana ex codicibus praesertim
bibliothecae Ambrosianae. Tom. 7). Die Epistula Jeremiae findet sich fol.
142 v— 143 r.
'3 Londoner Polyglotte. Ed. B. Walton. Bd. 4. London 1657 (ND Graz
1964). Zur Charakteristik der arabischen Übersetzimg vgl. J. Ziegleb, a.a.O S. 37f.
'* Das arabische Wort für Kleie nuhäl gibt seiner Etymologie nach
einen Hinweis, was unter Kleie zu verstehen ist, nämlich das, was im
feinen Mehlsieb zurückbleibt, der Siebiückstand, vgl. arabisch nahala 'sieben'.
'5 Die sahidische Übersetzung des Buches Baruch nach der sorgfältigen
Abschrift des gelehrten Kopten Herm Kabis in Kairo. In: ZÄS 10 (1872),
S. 134—136; 11 (1873), S. 18—21; und 12 (1874), S. 46—49; Baruch 6 =
Epistula Jeremiae findet sich 12 (1874), S.47- —49. Nach A. Schulte : i5ie
koptische Übersetzung der vier großen Propheten untersucht. Münster i.W.
1892, S. 7f. handelt es sich bei diesem Text nicht um eine Übersetzung
im sahidischen, sondern im bohairischen Dialekt. Der Text der gleichen
Handschrift wurde kurz vorher schon veröffentlicht von A.BsciAi: Liber
Baruch Prophetae. Rom 1870 (mir nicht zugänglich).
'« A.a.O., S. 39.
" A Coptic Dictionary. Oxford 1939 (ND 1962), S. 63a.
'* Mit der Frage: Confused? with eSoo(o) sow.
Bedeutung 'Schwein''*. Eine Übersetzung im fajjumischen Dialekt*» pme
etesayoreb ininiSa mmew — die dort die Kleie (oder Schweine) zu ent¬
weihen pflegen — bringt als neue Nuance nur die Wiedergabo von
ö-ufAiwoai durch 'entweihen'. Die im Papyrus Bodmer XXII'* aufge¬
tauchte sahidische Fassung der Epistula Jeremiae bietet für Kleie das
in diesem Sinne bisher nicht belegte Wort 'ara'*". Da weder ara
'Fluch', noch ara 'Altar', noch aron 'Aaronswurz' einen guten Sinn
geben und da auch die folgende Form entauoämou^^ keineswegs klar
ist, trägt der neue Text, solange er nicht besser geklärt ist, niehts
zur Deutungsgeschichte des Kleie-Rauchopfers in v. 42 bei.
Falls in der bohairisch- und fajjumisch-koptischen Fassung tat¬
sächlich — wenn auch vielleicht erst in einem z. T. sekundären Stadium
der Überlieferung — davon die Rede sein sollte, daß die Prauen Schweine
opferten, so darf man gewiß nicht mehr, wie wir es beim Kleie-Rauch¬
opfer taten, danach fragen, wie man sich die Einzelheiten dieses Schweine¬
opfers vorzustellen hat, sondern es ist zu fragen, welche Motive den
Übersetzer oder Abschreiber veranlaßten, nicht mehr von Kleie-, sondern
von Sehweineopfer zu reden. Als erster Grund ist zu nennen, daß dem
Kopten — vorausgesetzt er verstand den griechischen Text an dieser
Stelle richtig — ein Rauchopfer mit Kleie nicht bekannt war und ver¬
mutlich auch wenig sinnvoll erschien, da man bei ihm Kenntnis der
Aromata, die zu seiner Zeit in Ägypten zum Räuchern verwendet 'WTirden,
voraussetzen darf. So erklärt es sich leicht, daß man den vorliegenden
Text interpretierend abwandelte. Einen weiteren Grund für eine solche
Interpretation wird man darin sehen dürfen, daß die metaphorische
Verwendung des Verbums xoipoTtwXetv 'die Scham feilbieten, Prostitu-
" Vgl. auch W. Westendobf: Koptisches Handwörterbuch. Lfg. 1. Heidel¬
berg 1965, S. 43.
Vgl. E. QuATBEMÄBE .• Rccherchcs critiques et historiques sur la langue et la littirature de l'Egypte. Paris 1808, S. 228—253. Abgedruckt ist der Text
Threni 4, 22—5,22 und Epistula Jeremiae v. 2-—71.
*i Papyrus Bodmer XXII et Mississippi Coptic Codex II. Ed. R.Kasseb.
Genf 1964, S. 236—269.
*2 Vgl. Papyrus Bodmer XXII ed. a.a.O., S. 22 und R. Kassee: Compli¬
ments au Dictionnaire Copte de Crum. Kairo 1964, S. 3 und ders.,
Dictionnaire auxiliaire, itymologique et complet de la langue Copte. Fac. 1.
Genf 1967, S. 47.
'3 Herr E. Sitaez, Tübingen, dem ich Hilfe bei der Beschäftigung mit
dem koptischen Text verdanke, spricht die Vermutung aus, daß man in
dieser unklaren Form vielleicht bei Annahme einiger Schreibfehler die Be¬
deutung 'von ihrem Teig (= Geknetetem)' oyooSm (wooSm) finden könnte.
Vom Schriftbild her kaim der Verdacht nicht ganz beiseite geschoben
werden, daß innara möglicherweise der verderbte Rest des griechischen
TtiTupa ist, so daß die Gleichimg ara — Kleie entfiele.
tion treiben'** bekannt war. Zusätzlich kann man auf die Rolle
hinweisen, die das Schweineopfer** im Fruchtbarkeitskult noch in
hellenistischer Zeit in Ägypten spielte.
Für die altäthiopische Übersetzung der Epistula Jeremiae liegen die
Editionen von J. Bachmann** und A. Dillmann*' vor. Beide Textaus¬
gaben fußen auf Kollationen von Handschriften und sind praktisch
identisch. Ihr Text wird durch einen Vergleich mit dem Berliner Kodex
Ms. orient. Fol 3067, der J. Ziegleb** zu verdanken ist, bestätigt. Die
Übersetzung beruht eindeutig auf dem LXX-Text, sie bietet aber in¬
sofern eine auffällige Besonderheit, als die Epistula Jeremiae nur in
einer Kurzfassung vorliegt. In diesem Textauszug fehlen die Verse
6.30.32.36—47.51.53.55.57.59—64.68—69 und 71. Da der uns hier beson¬
ders interessierende Vers 42 nicht übersetzt ist, hätte der Äthiope mit
Stillschweigen übergangen werden können, wenn nicht in der ebenfalls
auf alten Handschriften beruhenden Ausgabe des äthiopischen Alten Testa¬
mentes durch F. da Bassano** der Text der Epistula Jeremiae vollständig
erhalten wäre. Soweit ich sehe, stimmt der Text, sofern er die Kurz¬
fassung deckt, mit dieser weitgehend überein. Die bei J. Bachmann
und A. Dillmann nicht erhaltenen Verse allerdings bedürften einer
weiteren Untersuchung, um festzustellen, ob es sich um eine sekundäre
Auffüllung der Lücken durch eine zu diesem Zwecke angefertigte Über¬
setzung aus dem griechischen Text handelt, oder ob die Kurzfassung
aus der vollständigen äthiopischen Übersetzung und nicht aus dem
LXX-Text entstanden ist. Die von F. da Bassano mitgeteilte Fassung
von Vers 42 hält sich genau an den griechischen Text. Für Kleie steht
s'n'däle, ein Wort, das wie das griechische az\j.l8ciLkic,, aus dem die
äthiopische Form entstanden ist, feinstes Weizenmehl bezeichnet. Für
** Vgl. Suidae Lexicon. Ed. A. Adlee. Pars 4. Leipzig 1935, S. 835 Nr.
601 und die 3. Szene in Aristophanes, Die Achamer.
Vgl. J. Bbbgman: Isis auf der Sau. In: Acta Universitatis Upsaliensis, Boreas, Nr. 6 (1974), S. 81—109, bes. S. 85ff.
*' Inedita Aethiopica für den Gebrauch in Universitätsvorlesungen. Nr. 2.
Leipzig 1893, S. 8—10.
*' Veteris Testamenti Aethiopici tomus quintus, quo continentur Libri
apocryphi. Berlin 1894, S. 1—6.
'3 Göttinger Septuaginta, a.a.O., S. 35.
89 Vetus Testamentum Aethiopice. Ed. P. Feancesco da Bassano. Ma^haf
4. Asmara 1918 (äth. = 1926), S. 199—203. In der an Pius XI gerichteten
Widmung heißt es ,, Vetus Testamentum Aethiopico idiomate conscriptum ex
vetustioribus optimisque codicibus in Erythraea, Abyssynia, Parisiis, Lon¬
dini patientissimo collectis labore". Den Hinweis auf diese seltene, von
J. Zieglee in der Göttinger Septuaginta z.B. nicht erwähnte, Ausgabe ver¬
danke ich Herrn Prof. Dr. W. W. Müllee, Marburg.
Kleie (auch Sägespäne) verzeichnet A. Dillmann*" sonst die Form
^o'ä'. Die Wortwahl s^n^däle für die zu räuchernde Kleie läßt —
unabhängig davon, ob es sich bei der Übersetzung des Verses 42 ins
Äthiopische um eine alte oder um eine sekundäre, junge Wiedergabe
handelt — nur den Schluß zu, daß der griechische Text vorlag und
daß das Kleie-Rauchofer leicht umgedeutet in ein Mehl-Rauchopfer**
umgewandelt wurde.
Die syrische Übersetzung*" weicht nur am Satzende von der griechischen
Vorlage insofem ab, als nun übersetzt wird: wsmn bsm' 'p'y' — und sie
bringen dar angenehmen Wohlgeruch. Vergleicht man das Wortbild p'i/'
mit pr' 'Kleie' in der Syrohexaplaris, so wird man den Verdacht nicht
los, daß 'p'y' aus einem pr'*' verderbt ist. Leider fehlt eine kritische
Ausgabe, so daß nieht nachgeprüft werden kann, ob eventuell eine hand¬
schriftliche Variante diesen Verdacht bestätigt, ßym bsm' entspräche
dann griechisch ■S-ujj.tciaai. — räuchern**. Hinter der syrischen Übersetzung
verbirgt sich demnach keine besondere Vorstellung von der Art des
Rauchopfers, sondern sie dürfte durch einen einfachen Textfehler zu
erklären sein, der begünstigt wurde, weU dem Tradenten des syrischen
Textes die Sitte, Kleie zu räuchern, unbekannt war.
Der in der Vulgata erhaltene Text der Vetus Latina** behauptet, die
Frauen hätten Olivenkerne — ossa olivarum — zum Räucheropfer dar¬
gebracht. Angesichts der sonderbarsten Dinge, die nach den Rezepten
der griecliischen Zauberpapyri als Rauchopfer verwandt werden sollen**,
muß die Nennung von Olivenkernen keineswegs erstaunen. Allerdings-
'° Lexicon Linguae Aethiopicae. Leipzig 1865 (ND Osnabrück 1970), S. 261
'* Vermutlich dachte der Übersetzer des äthiopischen Textes daran, daß
nach Lev. 2 vom Speisopfer in Rohform, also vom Ölgrießbrei, dessen
Hauptbestandteil solaet in LXX mit ce|xtSaXii; wiedergegeben wird, eine
Handvoll verbrannt wird.
"" Die benutzten Ausgaben sind oben in Anm. 16 genannt. Eino bei
P. DE Lagarde aufgeführte Variante, die aus der Londoner Polyglotte.
Bd. 6 1657 (ND 1965) stammt: Variantes in Syriaca Versione Veteris Testa¬
menti Lectiones e codicibus nostris Mss. excerptae ab Hubebti Thorndicio,
bietet die defective Schreibung py' statt p'y', die noch leichter mit pr' zu
verwechseln ist.
'3 y und r sind bekanntlich in der syrischen Schrift leicht zu verwechseln.
•* Die leider auch sonst nicht ganz zuverlässige lateinische Übersetzimg
in der Londoner Polyglotte suggeriert mit 'imponentes pro thymiamate
furfures' eine Übereinstimmung mit dem griechischen Text.
*5 Dor lateinische Text ist ohne Varianten zu dieser Stelle einheitlich
überliefert, vgl. auch G. Hobebg: Die älteste lateinische Übersetzung des
Buches Baruch. Freiburg i. Br. 1902.
" Allerdings ist dabei zu bedenken, daß es sich z.T. um magische Deck¬
namen handeln könnte, vgl. Th. Hopfneb, a.a.O., Bd. 1 § 489f.
läßt sich für ein derartiges Opfer keinerlei Parallele beibringen. Aber
das ist auch nieht erforderlich, ebensowenig wie ein experimenteller Ver¬
such ; denn der, welcher die Epistula Jeremiae aus dem Griechischen über¬
setzte, hat keineswegs das ihm vielleicht unbekannte Kleie-Rauchopfer in
ein ihm bekannteres Olivenkern-Rauchopfer umgesetzt. Vielmehr hat
der Übersetzer xa uiTUpa seiner Vorlage als at TTiruptSe? 'kleine,
kleiefarbige Oliven' mißverstanden", sei es daß seine Textvorlage schlecht lesbar oder fehlerhaft war, sei es daß er tatsächlich Kleie-Rauchopfer
für weniger sinnvoll und für die Gottheit weniger attraktiv hielt als
Ohvenkern-Rauchopfer. Weniger einleuchtend, wenn auch näher am
Wortbild, ist der Hinweis'* auf ra CTixupa — eine Art Olivensalat
oder Olivenkompott*' — das Fleisch der Oliven wird mit Essig, öl,
Raute, Minze und Käse angemacht —, weil von diesem sTrtTupa ge¬
nannten Olivensalat, kaum ein Weg zu den ossa olivarum, die ja gerade
entfernt werden, führt.
In der mittelalterlichen Exegese^»* wd nur von Hugo Cardinalis -—
1244 n. Chr. zum Kardinal ernannt — das Buch Baruch kommentiert.
Er schreibt zu unserer Stelle"* : succendentes ossa olivarum — propter
sortilegia, vel pro defectu lignorum, ut sie facilius obtineant aliquid
a transeuntibus — also: wegen der Hexereien, oder aus Mangel an
Holz**", damit sie umso leichter etwas von den Vorübergehenden er¬
hielten.
Am auffälligsten ist die Übersetzung in der Lutherbibel*»', die nicht
auf Luther selbst zurückgeht. Vers 42 heißt hier: ,,Die Weiber aber
sitzen fur der Kirchen mit stricken umbgürtet und bringen Obs zum
OpfFer". Das Obst ist von der Kleie in LXX und den Olivenkernen
in der Vulgata gleich weit entfernt. Aber die leichte Änderung des
Schauplatzes von der allgemeinen Angabe ,,an don Wegen" zu der
Vgl. Athenaeus : Deipnosophistae II, 56. Ed . Ch. B. Gulick. London und Cambridge, Mass. 1930, S. 244ff.
Vgl. schon H. Grotius: Annotationes in Vettis Testamentum. Tom 3.
Halle 1776, S. 248.
Vgl. M. Catonis de agri cultura c. 119, P. Thielscheb: Des Marcus Cato
Belehrung über die Landwirtschaft. Berlin 1963, S. 122f. imd 308.
100 Freundliche Mitteilung von G. Hammer, Tübingen.
Postilla in universa Biblia. Mir stand die Ausgabe von 1621 (Coloniae Agrippinae) post Venetas impressiones editum, Tom 4, zur Verfügung.
102 Vermutlich verbirgt sich hinter dieser Interpretation die durch die
Kreuzfahrer vermittelte Kenntnis der Holzarmut im Vorderen Orient, speziell in Palästina.
103 WADB 12, 1961, S. 310f. Der Text von 1534 und 1545 ist identisch,
er wird erst bei der Revision des Luthertextes von 1970 nach LXX ge¬
ändert in „und räuchern Kleie".
spezielleren „für der Kirchen", gibt einen Hinweis, daß es sich um
eine freie aktualisierende Wiedergabe handelt. Sowohl Kleie wie Oliven¬
kerne räuchernde Frauen hätten dem Leser der Lutherbibel unlösbare
Rätsel aufgegeben. Möglicherweise gaben sie auch dem unbekannten
Übersetzer Rätsel auf. Jedenfalls hat er offensichtlich das Treiben an
einer Wallfahrtskirche, wie man es heute noch erleben kann, vor Augen
und läßt die Frauen Früchte von ihrem Obststand darbringen*"*.
Ein ähnlicher Fall einer aktualisierenden Übersetzung im Luthertext
liegt V. 30 vor, der oben schon wegen der Fehlübersetzung 'fahren —
klagen' behandelt wurde. Der Text lautet: ,,und in ihren Häusern
'klagen' die Priester mit zerrissenen Kleidern und mit geschorenen Köp¬
fen und Bärten, und ihre Häupter sind unbedeckt". Damit werden
einerseits die im Alten Testament für den Priester speziell verbotenen
Trauerbräuche wie den Bart stutzen*"* und das Zerreißen der Kleider*"'
als im Heidentum üblich gegeißelt und andererseits vermutlich die
Sitte, daß der Priester z.B. in Ägypten seit dem Neuen Reich am
ganzen Körper rasiert und kahlgeschoren ist*"', angeprangert. In der
Lutherbibel lautet dieser Vers nun: „Und die Priester sitzen in jren
Tempeln mit weiten Chorröcken, scheren den Bart ab und tragen Platten,
sitzen da mit bloßen Köpfen". Diese freie Übersetzung, die aus den
zerrissenen Kleidern nun weite Chorröcke macht und bei den geschorenen
Köpfen mit den Platten doch wohl an die Tonsuren denkt, will die
,, heidnische Priesterschaftals Typus der kathohschen erscheinen lassen' '*"*.
Als Ergebnis kann festgehalten werden : Der Streit, in welcher Sprache
die Epistula Jeremiae ursprünglich abgefaßt war, darf als entschieden
i"* In der vorlutherischen deutschen Bibelübersetzung wird der Satz
folgendermaßen wiedergegeben: sy zundent an die baimnen der oelbaum,
vgl. die in der Tübinger Universitätsbibliothek vorhandenen Inkimabeln,
z.B. Augsburg 1473, Biblia Teutsch von 1477, Augsburg 1477, Nürnberg
1483 oder Straßburg 1485. Offensichtlich liegt der lateinische Text der
Vulgata zugrunde, der leicht intei-pretierend wiedergegeben wird.
105 Vgl. Lev. 21,5 und dazu K. EijUGEB. : Handbiich zum AT. 1,4. Tübingen 1966, S. 288f. und 261.
10« Vgl. Lev. 21,10 und Ez. 44,20 und K. Elligee, a.a.O., S. 289f.
10' Vgl. A. Eeman, H. Ranke: Aegypten und aegyptisches Leben im Alter¬
tum. Tübingen 1923, S. 246 und z.B. noch Silius Italicus, Pun. III, 21fr.,
wo es von den Priestern des Melqartheiligtums von Gades heißt, 28: pes
nudus tonsaeque comae castumque cubile •— nackt der Fuß, geschoren das
Haar, keusch das nächtliche Lager.
108 Vgl. schon W. Gbimm: Luthers Übersetzung der alttestamentlichen
Apokryphen. In: Theologische Studien und Kritiken 56 (1883), S. 375—400,
das Zitat, auf S. 398. W. Grimm geht allerdings von der nicht mehr halt¬
baren Meinung aus, Luther habe auch dio Apokryphen selbst übersetzt, vgl.
oben Anm. 5.
gelten. Daß ein in semitischer Sprache und zwar mit hoher Wahr¬
scheinhchkeit in Aramäisch verfaßtes Original der griechischen Über¬
setzung in der LXX zugrundeliegt, sollte nicht mehr bestritten werden.
Daß auch noch innerhalb des griechischen Textes Veränderungen vor¬
genommen wurden, beweisen die Katzen in Vers 21, die ihr Dasein
einem Mißverständnis des griechischen Textes verdanken. Schheßlich
konnte gezeigt werden, daß das Kleie-Rauchopfer in Vers 42 Parallelen
hat, aus denen sich folgern läßt, daß das Räuchern von Kleie kein
aphrodisierendes Stimulans war, sondern den Zweck verfolgte, die
Göttin, der das Keuschheitsopfer galt, aufmerksam und gewogen zu
machen. Die auffallenden Änderungen in den verschiedenen alten
Übersetzungen berechtigen nicht, die Richtigkeit des griechischen Textes
in Zweifel zu ziehen, sondern sie lassen sich alle erklären. Den Über¬
setzern war die Praxis des Kleie-Rauchopfers und sein Sinn nicht mehr
bekannt, so daß sie entweder ein ihnen sinnvoller erscheinendes oder
gebräuchlicheres Räucherwerk, wie z.B. Mehl, einsetzten oder die
griechische Vorlage unscharf übersetzten, wie es in der lateinischen
Fassung der Epistula Jeremiae geschah, oder im Blick auf den Leser
die Stelle abänderten durch Aktualisierung, wie es in der Lutherbibel
der Fall ist.
des „Hispanismus" der andalusisch-arabischen Dichtung
Von Gregor Schoeler, Gießen
Die vorliegende Arbeit ist aus einer Bespreehung des Buchs von
Wilhelm Hoenerbach : Dichterische Vergleiche der Andalus-Araber^ her¬
vorgegangen, das eine reich kommentierte Übersetzung des Kitäh at-
TaSbihät min aS'är ahi al-Andalus des Ibn al-Kattäni (st. um 1029)
ist. Da zwei bereits erschienene Besprechungsaufsätze über dieses Buch
von M. Ullmann" imd F. Vibe"'' sowie eine im Druck befindliche
Rezension von W. Heinrichs' sich eingehend mit den Übersetzungen
Hoenerbachs auseinandergesetzt haben und da weiterhin das letzte Heft
dieser Zeitschrift eine Arbeit von P. Kunitzsch über die Sternnamen bei
Ibn al-Kattäni* enthält, kann im folgenden von einer Erörterung aller
im engeren Sinne philologischen Fragen abgesehen werden. Zur Sprache
kommen werden vielmehr bestimmte literaturwissenchafthche Probleme,
die einmal der Text selbst aufgibt und die zum andern vom Über¬
setzer im Vorwort und in den Einleitungen zu den verschiedenen Zyklen
des Werks angesprochen worden sind. Dementsprechend gliedern sich
die folgenden Ausführungen in zwei Teile : Im ersten Teil werden einige
Bemerkungen zu literaturgeschichtlichen Voraussetzungen und Eigenart
der TaSbihät-Werke ganz allgemein und zum Charakter von Ibn al-
Kattäni's Sammlung im besonderen gemacht; im zweiten Teü wird
das Problem des sog. „Hispanismus" der andalusisch-arabischen Dich¬
tung — der von Ibn al-Kattäni zusammengestellten sowie der späteren —
diskutiert werden.
I.
Zu den Wandlungen, die die arabische Dichtung in der zweiten
Hälfte des 9. Jhts. n.Chr. erfährt, wo die Brotgeber der Dichter nicht
mehr nur die Herrscher, sondern vor allem auch die „Sekretäre"
1 S. Literaturverzeichnis.
" S. ebda. 2a S. ebda.
' Erscheint in OLZ.
* S. Literaturverzeichnis.