• Keine Ergebnisse gefunden

Mensch, Gesellschaft und Religion im Werk Timur Pulatovs

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Mensch, Gesellschaft und Religion im Werk Timur Pulatovs"

Copied!
99
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Arbeiten und Texte zu Slawistik ∙ Band 51

(eBook - Digi20-Retro)

Verlag Otto Sagner München ∙ Berlin ∙ Washington D.C.

Digitalisiert im Rahmen der Kooperation mit dem DFG-Projekt „Digi20“

der Bayerischen Staatsbibliothek, München. OCR-Bearbeitung und Erstellung des eBooks durch den Verlag Otto Sagner:

http://verlag.kubon-sagner.de

© bei Verlag Otto Sagner. Eine Verwertung oder Weitergabe der Texte und Abbildungen,

Birgit Fuchs

Mensch, Gesellschaft und Religion

im Werk Timur Pulatovs

(2)

A R B E I T E N U N D T E X T E Z U R S L A V I S T I K ■ 51 H E R A U S G E G E B E N VON W O L F G A N G K A S A C K

B i r g i t F u c h s

Mensch , Gesellschaft und Religion im Werk Timur Pulatovs

4

4

1992

(3)

000568Б7

Z u d e n B eso n d e rh e ite n d e r in d e r e h e m a lig e n S o w je tu n io n e r s c h ie n e n e n L ite ra tu r gehört da4 Schaffen n ic h tru s sis c h e r Schriftsteller, die ihre W erke in ru s s is c h e r S p rac h e p u b liz ie ren . Einer der führenden N ic h tru s s e n in d i e s e r Literatur ist d e r U sbeke T. I. Pulatov. d e m m a n nach dem gescheiterten Putsch im August 1991 die Leitung d e s S c h riftste lle rv e rb a n d e s ü b e rtru g .

I n d e r vorliegenden A rb eit, d e r ersten M o n o g ra p h ie Pulatovs. wird an f ü n f s e in e r w ichtigsten Werke seine D arstellung d e s mittelasiatischen M e n s c h e n u nd dessen E in b in d u n g in die in Vergangenheit und G e g e n w a rt g le ic h e r m a ß e n v om Islam traditionell b e stim m te G es e lls c h a ft in d i e s e r Region untersucht.

D an k e n m ö c h te ich m einen L e h r e r n . H e r r n Prof. Dr. W. Kasack für die B etreuung d e r Arbeit und ihre A u fn a h m e in seine Reihe u nd H e r r n Prof. Dr. A. Falaturi für seine islam w issenschaftliche Beratung und seine U n te rstü tzu n g d e r D ruc klegung.

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Fuchs, Birgit:

M ensch, G esellschaft und Religion im Werk T im u r Pulatovs/

Birgit Fuchs. — M ünchen: Sagner, 1992 (A rbeiten und Texte zur Slavistik; 51) ISBN 3-87690-460-9

NE: GT

f

Bayerische ļ

I Staatsbibliothek 1 I M ü n ch en I

A lle Rechte V orbehalten ISSN 0173-2307 ISBN 3-87690-460-9

G esam therstellung: K leikam p D ruck G m bH ־ Köln Printed in G erm any

(4)

Inhaltsverzeichnis

1. E i n l e i t u n g ... 7

2. Die D arstellung d e r G esellschaft ... 12

2.1 Die orientalische G e s e lls c h a f t... 12

2.2 Basar und Wüste als M ik r o k o s m e n ... 15

2.3 Kritik an d er G e s e lls c h a f t... 18

ф « 2.3.1 Staatsgewalt und Ü b e rw a c h u n g ... 19

2 .3 .2 Intoleranz und U n te r d rü c k u n g ... 21

2 .3 .3 M ißw irtschaft und U m w e ltz e rs tö ru n g ... 24

2 .3 .4 K orruption ... 27

2 .3 .5 E ntfrem dung und Verrohung des M e n s c h e n ... 28

3. Die D arstellung des M enschen in den einzelnen W e r k e n ... 31

3.1 D ie E nttäuschung des Bekov in ״ Pročie naselennye p u n k ty“ ... 34

3.2 Kaips A brechnung mit dem Leben in ״ Vtoroe putešestvie K a i p a " ... 39

3.3 D ie Einsam keit des G eiers in ״ V ladenija“ ... 43

3.4 Die U nentschlossenheit des Achun in ״ Zavsegdataj“ ... 45

3.5 Die Zw iespältigkeit des Tarazi und die M etam orphosen des Bessaz in ״ C erepacha Tarazi“ ... 48

4. Religiöse Elem ente ... 57

4.1 Religiöse Elem ente als Darstellungsm ittel für den gesellschaftlichen Rahm en d er Werke ... 58

4.2 Religion und Lebensphilosophie a ls bew ußtseinsfordernde Einw irkung au f den M e n s c h e n ... 62

4.3 Religionskritik ... 67

5. S c h lu ß w o rt... 71

6. A nm erkungen ... 75

7. Literaturverzeichnis ... 92

(5)

Stiü d'jfevTSO /г J i tid » ! 1

(6)

1. Einleitung

Timur Ischakovič Pulatov wurde am 22. 7. 1939 in Buchara als Sohn eines usbe- kischen Lehrers und einer Tadžikin geboren und lebt heute in Taschkent. Seine Werke verfaßt e r ausschließlich in russischer Sprache, obwohl er sie erst in der Schule erlernt hat. Er arbeitet außerdem als Publizist.

In seiner Jugend war er in einer Schuhfabrik und au f Bohrtürmen in der Wüste beschäftigt. Er beendete 1963 sein Studium am Pädagogischen Institut in Buchara, arbeitete danach als Lehrer in einer Dorfschule und besuchte 1967 die Höheren Kurse für Drehbuchautoren in Moskau.

1964 begann er, seine Werke zu veröffentlichen. 1966 erschien die Povest’

״Otklikni menja v lesu“ in der Zeitschrift ״ Drużba narodov“, deren Redaktion er heute an g eh ö rt.1

Für Pulatov steht in seinen Werken stets der Mensch im Mittelpunkt und nicht das Problem2, was ihn erheblich von vielen anderen usbekischen Schriftstel- lern unterscheidet, die fast ausschließlich propagandistische Literatur veröf- fentlichen.3

Zu seinen wichtigsten Werken gehören die Trilogie ״ Chor mal’čikov“ (1974),

״ Cisia i stupeni“ (1979) und ״ Sem’ udovol’stvij i sorok pečalej“, die 1985 unter dem Titel ״ Strasti bucharskogo doma“ erschienen ist und in der das Leben eines Jungen von der Geburt bis zur Jugend nachvollzogen wird. Danach schrieb er die parabelhafte Povest’ ״ Vladenija“ (1976), in der am Beispiel eines alten Gei- ers die Probleme zwischenmenschlicher Beziehungen veranschaulicht wer- den.4 Ferner der Roman ״ Čerepacha Tarazi“ (1985), in dem es um einen Men- sehen geht, der seiner Unaufrichtigkeit wegen in eine Schildkröte verwandelt wurde; die Povest’ ״ Pročie naselennye punkty“ (1966/67), die sich mit dem Schicksal eines alten Kommandeurs beschäftigt, dessen Lebenswerk im Begriff ist, sich selbst zu zerstören; die Povest’ ״ Zavsegdataj“ (1977), die die Probleme eines Menschen behandelt, der seinen Platz im Leben noch nicht gefunden hat, eingebettet in eine Art Kriminalgeschichte; der Rasskaz ״ Pöslednyj sobesed-

(7)

nik“ (1982), der die letzten Tage eines einst mächtigen Herrschers beleuchtet, dem kurz vor seinem Tod Zweifel an seinem Leben kommen; die Pövest’ ״Vto- roe putešestvie Kaipa“ (1969), in der ein alter Mann sich kurz vor dem Tod mit den Veränderungen, die sich während seines Lebens ereignet haben, auseinan- dersetzt und der außerdem für die Schuld, die er in seiner Jugend auf sich gela- den hat, büßen möchte.

1990 erschien die bislang letze Pövest’ ״ Plavajuščaja Evrazija“, die an einer mit- telalterlichen Stadt, die vor einem Erdbeben steht, symbolhaft die heutige Welt in der Endzeit darstellt.

Pulatov liebt die bildreiche Sprache. Besonders kommt dies in den Werken

״ Ćerepacha Tarazi“ und ״ Zavsegdataj“ zum Ausdruck, in die er viele Verglei- che, Verrätselungen und Symbole einbezieht. Dies liegt ganz in der Tradition des orientalischen Stils und eröffnete ihm in der Zeit der Zensur zusätzlich die Möglichkeit, seine Gesellschaftskritik so zu verpacken, daß man sie erst beim zweiten Hinschauen entdeckt.

In der Brežnev-Zeit hatte er Probleme, seine Werke in Usbekistan zu publizie- ren, da er sich weigerte, den Personenkult um den usbekischen Parteichef Raši- dov zu unterstützen5, und es ist auffällig, daß er die Handlungen seiner Werke, wie ״ Pöslednij Sobesednik“ (1982), ״ Čerepacha Tarazi“ (1985) und ״ Plavaju- ščaja Evrazija“ (1990) alle ins Mittelalter transponiert, vielleicht, um eher als harmloser M ärchenerzähler zu gelten. Daß seine Werke in Usbekistan selbst keinen besonderen Anklang fanden, sieht man auch daran, daß er in der

״Geschichte der Usbekischen Sowjetischen Literatur“ von 1987/88 nur am Rande erwähnt w ird .6 Es wird dort a u f keines seiner Werke eingegangen.

Ich denke, daß Pulatov auch durch seinen verrätselten Stil und die vielen, durch bildsprachliche Elemente verschleierten Bestandteile seiner belletristischen Werke das sagen kann, was er in direkter Form als Publizist in der Brežnev-Zeit niemals hätte sagen können.

In Anbetracht der Tatsache, daß Pulatov auch einige Aufsätze über gesellschaft- liehe Probleme, wie Armut und M ißwirtschaft7 geschrieben hat, gewinnt sein Werk eine zusätzliche Dimension, nämlich die der versteckten Kritik am Staat, die er zwar für angebracht hält, die aber nicht dazu führt, seine Heimat Mittel- asien zu verunglimpfen, sondern anhand von Einzelschicksalen wird aufge- zeigt, inwieweit der Mensch in der Lage ist umzudenken und da dies nach Pula- tovs Meinung der Fall ist, besteht noch Hoffung.

(8)

Pulatovs Werke wurden in viele Sprachen, u .a . ins Tschechische, Polnische, Deutsche, Bulgarische, Englische, Spanische, Finnische und Arabische, über- setzt.8 1966 bekam er einen Preis von der Zeitschrift ״ Družba narodov“ für einen Artikel über das Erdbeben in Usbekistan9 und 1989 verlieh ihm der usbe- kische Oberste Sowjet den Ehrentitel ״ Narodnyj pisatel’“ 10.

Pulatov hat sich in seiner Jugend mit den Werken Dostoevskijs, Bulgakovs, Pau- stovskijs und Platonovs beschäftigt,11 deren Einflüsse auch in seinen Werken sichtbar werden, wie z. B. der Paustovskijs in der Povest’ ״Vladenija“, wo an einer Stelle elfmal und an einer anderen siebenmal a u f einer Seite von ,Gerü- chen‘ die Rede ist. Außerdem bringt auch Pulatov öfters sehr lange Naturbe- Schreibungen und Beobachtungen des Tierlebens, was ebenfalls an Paustovskij erin n ert.12 Und ebenso wie dessen Werke leben Pulatovs Werke von Ankunfts- und Abschiedsmotiven, denn seine Figuren befinden sich stets im Wandel und dies wird dadurch unterstrichen. An Platonov erinnert die Grundproblematik seiner Werke, nämlich die Darstellung von M enschen, die sich aus irgendwel- chen Gründen etwas abseits der Gesellschaft befinden, bzw. nicht mehr mit ihren Regeln klarkommen oder an ihnen zweifeln. Diese Problematik ist eigent- lieh weder zeit- noch ortsgebunden und obwohl alle Werke Pulatovs als Hand- lungsort Mittelasien aufzeigen, könnten sie doch von der Problematik her über- all und zu jeder Zeit spielen. Wenn Zeitsprünge Vorkommen, beispielsweise der

• »

Übergang von Erinnerungen zur Gegenwart, werden diese fast nie formal durch einen Absatz gekennzeichnet, sondern gehen sofort ineinander über.

An Platonov orientiert ist auch sein Grundkonzept, immer den Menschen ins Zentrum des Interesses zu stellen. Mit diesem wird er deshalb am häufigsten in Verbindung gebracht.13

Bei Pulatov steht dabei die Rückbesinnung auf die eigentlichen Werte des Men- sehen im Vordergrund. So hat auch die Schildkröte am Schluß von ״ Ćerepacha Tarazi“

... die Sehnsucht aller ihrer A rtgenossen nach M enschlichem .“ 14

Hier zeigt sich die geistige Verwandtschaft mit Platonov, wird hier doch deut- lieh, daß die Kennzeichnung dessen Werkes durch Kasack, daß nämlich ״ der Mensch im Zentrum seiner von gutem psychologischen Gespür durchdrunge- nen Prosa“ 15 steht, sich mit voller Berechtigung auch au f Pulatov übertragen läßt, der der Psyche seiner Hauptfiguren besonders großes Interesse widmet.

Auch vom Stil her ist er dem frühen Platonov nahe.

(9)

Zu Bulgakovs Einfluß läßt sich anmerken, daß Pulatov der Übersetzer von ..Der Meister und Margarita" ins Usbekische ist. und so läßt sich auch ein Satz, den Bulgakov Christus in den Mund legt und der lautet: ..die Feigheit sei eine derГ w w Hauptsünden".16 auf Bessaz in ..Čerepacha Tarazi" anwenden, der um seiner Feigheit willen in eine Schildkröte verwandelt wurde. Auch die Vielschichtig-W ^ keit dieses Werkes und die phantastische Ebene erinnern daran.

Auch Dostoevskijs Einfluß ist zu spüren, denn Pulatov dringt tief in die Psyche seiner Hauptfiguren ein. Sie reflektieren über das Dasein, wie z. B. Tarazi über das Recht, jemandem 10 Jahre seines Lebens zu rauben, ähnlich wie Ras- kol'nikov in ..Schuld und Sühne” über das Recht. Leben, das aus seiner Sicht unwert ist. zu vernichten.

Pulatovs Werke sind stets davon geprägt, den Leser mitdenken zu lassen. Er lie- fert keine vorgefertigten U rteile17, sondern überläßt dem Leser die Entschei- dung seines Gewissens, was auch schon dadurch ausgedrückt wird, daß er ihn einbezieht, z. B. mit Wendungen wie ״ unser G eier" 18 oder durch längere Hin- Wendungen an den Leser, was wohl in der Tradition orientalischer Werke steht und darüber hinaus auf seine frühere pädagogische Tätigkeit hinweist. Seine Prosa ist lyrisch und philosophisch, seine Welt ist reich an Allegorien und Gro- tesken. die immer seine Treue zur Wahrheit des Lebens sichtbar werden las- s e n .19

Aus diesen Schwerpunkten, die Pulatov setzt, leitet sich auch die Dreiteilung der vorliegenden Arbeit in die Darstellung von Mensch, Gesellschaft und Reli- gion ab; da jeder Mensch innerhalb einer Gesellschaft lebt, muß man deren Einflußnahme auf seine Bewußtseinsbildung berücksichtigen, und auch die Religion bzw. Philosophie eines jeden muß miteinbezogen werden, da diese im inneren Leben eines Menschen wahrscheinlich den größten Raum einnimmt.

Im Vordergrund steht bei Pulatov stets die Dialektik des menschlichen Geistes, in dem sich Gut und Böse vereinigen. Dieses Prinzip überträgt er sogar auf die Umwelt, wie z. B. in ״Vladenija“ auf die Luftströme:

... wo sich w arm e und kalte Luftström e treffen, und, indem sie sich m iteinander verm ischen, ein Sturm geboren wird.“ 20

und auf die Tierwelt, wie z. B. auf Fledermäuse:

״ Diese M erkw ürdigkeit d er N atur überraschte ihn, die ungetrennt in einem Wesen sowohl einen Vogel als auch ein N agetier beherbergte.“ 21

(10)

Diese Arbeit behandelt zuerst den Rahmen, in dem sich alles abspielt: die Gesellschaft, dann die Darstellung des Menschen und schließlich die religiöse Seite, von der mehr oder weniger alle betroffen sind, selbst wenn sie angeben, Atheisten zu sein und sich dann einen Ersatzgott schaffen, wie z. B. Egamov in

״ Procie naselennye punkty“. Zudem weist die Vielfalt der von Pulatov beschriebenen Religionen bzw. religiösen Gebräuche und Riten einmal mehr auf die unabhängig von Zeit, Raum und Weltanschauung in jedem Menschen aufkommenden Fragen nach Moral und Sinn des Lebens hin.

Zur Analyse wurden die folgenden Werke Pulatovs gewählt: ״ Pročie naselen- nye punkty“, ״Vtoroe putešestvie Kaipa“, ״Vladenija“, ״ Zavsegdataj“ und

״ Cerepacha Tarazi“, die zusammen einen guten Überblick über das Gesamt- werk bieten.

Zum Stil Pulatovs gibt es verschiedene Meinungen. Einige Kritiker sind von ihm begeistert und andere wiederum halten ihn für schlecht. Ich möchte zwei Beispiele anführen: Der Literaturkritiker Lev Anninski schreibt, daß Pulatov oft überflüssige Kommentare gäbe, Nachlässigkeiten bei der Wortwahl zu fin- den seien und e r kein gutes Russisch schreibe, führt jedoch auch an, daß gerade dies den Reiz der Werke eines nichtrussischen Schriftstellers ausmachen kann.22

Sergej Baruzdin, der Herausgeber vieler Werke Pulatovs, u .a . in seiner Zeit- schrift ״ Drużba narodov“, vertritt dagegen die Meinung, Pulatov sei schon als Meister in die Literatur gekommen. E r verstehe alle Nuancen der Seele, versu- che ohne Eile — die übrigens in Pulatovs Werken oft ausdrücklich verpönt wird

— diese darzustellen und poetische Allegorien wechselten sich bei ihm mit dem alltäglichen Realismus ab und Symbolik mit der Realität.23

Darin zeigt sich erneut Pulatovs Grundtenor der Dialektik: einerseits die äußere Welt, die Realität, und andererseits die Wunschträume, bzw. unerfüllt gebliebe- ne Träume der Jugend, die innere Welt, die man sich ja meist in den schönsten Farben ausmalt.

Baruzdin weist weiterhin auf die zwei Ebenen hin, in die sich Pulatovs Werke gliedern lassen: die Ebene der Handlung (der Außenwelt) und die der Psyche (der Innenwelt) seiner Figuren. Als besonders positiv unterstreicht er die Ein- beziehung des Lesers bei diesem Schriftsteller.

(11)

00056857

2. Die Darstellung der Gesellschaft

2.1 Die orientalische Gesellschaft

Pulatovs Werke spielen ausnahmslos in Mittelasien. Daher ergibt sich, daß die Handlung auch in der dortigen Gesellschaftsstruktur angesiedelt ist und sich die Personen gemäß ihren Regeln verhalten. Obwohl von seiten der Sowjetregierung vieles getan wurde, um die Menschen in Mittelasien von ihren alten Traditionen abzubringen, ist ihnen dies dennoch nicht gelungen, denn die Menschen halten an

ihrer Kultur und Religion fest.24

Dies läßt sich auch in seiner Prosa der 60er und frühen 70er Jahre, wie z. B.

״Vtoroe putešestvie Kaipa“ sehen, in der auf die schlechten Russischkenntnisse der Bevölkerung hingewiesen wird.25 Die Rückbesinnung auf die alten Traditio- nen, die auch bei der Jugend immer mehr zunimmt, wird darin deutlich, daß M aruf in ״ Pročie naselennye punkty“, einer Povest’, die in den frühen 60er Jahren spielt, wieder einen Chalat trägt und nicht, wie sein Vater, auf die Sowjetuniform stolz ist.26

Die Schildkröte in ״ Čerepacha Tarazi“ ist nicht mit einem Chalat bekleidet, weil Abitaj der Meinung ist, man solle dieses Monstrum nicht mit der Nationaltracht kleiden, und er schneidert ihm deshalb ein frackähnliches Gewand.27 Dies zeigt sein ausgeprägtes Nationalgefuhl und gleichzeitig, daß es ihm selbst lächerlich erscheint, sich anders als mit dem Chalat zu kleiden, also nach orientalischen Sit- ten. Auch auf andere alte Sitten wird in den Werken eingegangen, so z. B. darauf, daß eine Frau in dieser Gegend nicht viel gilt. Es heißt beispielsweise in ״ Pročie naselennye punkty“ :

״Wer hat eine Tochter?“ ״ Schön. Wozu hinterm Berg halten. Ist ja , Gott sei D ank, nicht, als sei man taub und stum m . ,

was verdeutlicht, wie geringschätzig die Frauen gesehen werden.

Die Familie wird in Pulatovs Werken als eine Institution dargestellt, die die Gesellschaft trägt. Er zeigt sie so, wie es der Auffassung der Orientalen ent- spricht, nämlich, daß jeder die Familie braucht, um das eigene Gleichgewicht

(12)

und das der Natur zu erhalten. Entsprechend dieser Auffassung sieht Achun in

״ Zavsegdataj" die Familie als so gut wie ״ Aktie, Anteil und Gewinn“ an, da sie einem Menschen erst die Kraft zum Arbeiten gebe.29

In ״ Procie naselennye punkty“ heißt es, als man über Bekov redet:

״ Und ein M ann, d er keine K inder in die Welt gesetzt hat, ist sow ieso ein Baum mit dürren Zweigen.“ 30

Diese Metapher weist gut au f die Familiengefühle der Orientalen hin.

Ganz besonders häufig geht Pulatov auf die unterstellte Faulheit und Langsam- keit der Orientalen ein, was als ein äußeres Symbol für das innere Leben des Menschen gedeutet und somit auf alle Menschen übertragen werden kann. Die Faulheit der Orientalen wird nicht nur angedeutet, sondern er weist mehrfach ausdrücklich und teilweise spöttisch daraufhin. Besonders ausführlich themati- siert er sie in der Burleske Tarazis, dem ״ Chvala leni“ 31. In dieser Episode sagt er, daß Faulheit alle Orientalen kennzeichne. Die Burleske umfaßt sechs Seiten;

und schon diese Länge bekräftigt quasi ihren Inhalt, nämlich die Langsamkeit.

Andererseits aber sieht Pulatov auch Gutes in der Gemächlichkeit, die in ״Vto- roe putešestvie Kaipa“ den Gegenpol zu ״ tödlicher Hetze“ 32 bildet, vor der der Protagonist Kaip die größte Angst hat. Dies ist ein Beleg für die Pulatovsche Dialektik, die jeder Sache zwei Wertungsmöglichkeiten unterstellt und ver- langt, sorgfältig auszuwählen, wann die eine und wann die andere anzuwenden ist.

An Bessaz, der in eine Schildkröte verwandelt wird, kann die positive Seite bekräftigt werden. Er sagt zu Tarazi:

״ Es gibt Um stände, da ist es besser, ein T ier zu bleiben.“ 33

Eine Schildkröte muß sich nicht den Gesetzen der Gesellschaft unterwerfen, sie zieht daher auch keine übereilten Schlüsse, weil sie nicht hetzen muß — ja dies nicht einmal kann. Ein Resultat daraus ist auch, daß sie in der Lage ist, Dengis Chan ins Gesicht zu sagen, was sie von ihm hält, was sich Bessaz als Mensch niemals traute.

Das Traktat ״ Chvala leni“ hätte Pulatov nicht so schreiben können, wenn er es nicht Tarazi als Autor in den Mund gelegt hätte. Der Topos ״ Faulheit“ kommt häufiger in Pulatos Werken vor. So läßt er beispielsweise Tarazi zu Bessaz sagen:

״Von Ihrer asiatischen Faulheit m üssen Sie jetzt A bschied nehm en.“ 34

(13)

Der Asket, mit dem Tarazi spricht, hält die Faulheit sogar für eine Charakter- eigenschaft des Orientalen, die dazu dient, Böses zu vermeiden:

...H andlung — das ist die E roberung frem den Besitzes, frem der Frauen. Energie bedeutet Böses.“ 35

In diesem Kontext zeigt Pulatov auch die Unfähigkeit der Männer, die Kontrolle über sich zu behalten. Er läßt den Stammgast sagen, daß

״ Müßiggang für einen Mann, gar kein so schlechtes Image“ 36 ist.

Unschlüssigkeit und Streunen ist also ein Privileg der Männer.

Pulatov zeichnet aber auch die Neuerungen der Sowjetzeit. So finden sich in seinen Stücken Hinweise auf die multikulturelle Gesellschaft in Mittelasien:

Fremde Händler kommen auf die Basare, um ihre Waren feilzubieten, sogar aus dem fernen Litauen.37 Er verschweigt auch die Rückständigkeit der Region nicht und setzt beide Elemente in Wechselbeziehung zueinander. So spielt

• •

״ Zavsegdataj“ in der Sowjetzeit, aber zum Uberfell auf einen Zug reisen die Akteure in einer Kutsche an, obwohl Achun bis zur Stadt mit dem Flugzeug kam. Die althergebrachten Sitten werden also bewahrt, Neuerungen nur sehr langsam akzeptiert. Die Großmutter indes schenkt ihrem Enkel einen Walk- m an.38 Deutlich wird hier sichtbar, daß alles im Umbruch ist: einerseits möch- te man auch gern von den neuesten Errungenschaften der Technik profitieren, andererseits aber besteht man z. B. in der Frauenfrage au f dem Althergebrach- ten und möchte sich nicht von seinen Privilegien trennen.

Diese Widersprüchlichkeit unterstreicht Pulatov auch dadurch, daß er russische und orientalische Motive und Begriffe verknüpft. So benutzt er beispielsweise nicht die usbekischen W örter aul oder kišlak für ״ D o r f ‘, die durchaus auch ein Russe verstehen würde, sondern das russische Wort derevnja.39 E r selbst sieht es als sehr positiven Prozeß, wenn Kulturen sich einander nähern und gegensei- tig bereichern. Er ist entschieden dagegen, daß man die Volkstraditionen ver- nachlässigt oder unterdrückt und daß versucht wird, kulturell alles au f einen einzigen Nenner zu bringen,40 wie es viele usbekische Sowjetschriftsteller tun, die all das, was bei den Kommunisten als verpönt gilt, aber trotzdem Bestandteil des mittelasiatischen Lebens ist, einfach verschweigen oder zu suggerieren ver- suchen, der Sowjetstaat hätte all diese Elemente ausgemerzt.

(14)

2 . 2

Basar und Wüste als Mikrokosmen

Wüste und Basar bilden bei Pulatov zwei M ikrokosmen, in denen man das menschliche Leben erforschen kann; au f dem Basar unmittelbar durch Beob- achtung der Menschen und ihrer Handlungen, in der Wüste durch Beobachtung von Tieren und dem Verhalten von Wanderdünen; die Schlußfolgerungen lassen sich au f das menschliche Verhalten verallgemeinern. Pulatov legt sein Maß an der orientalischen Gesellschaft an, die sich durch die Farbenpracht ihres All- tags ganz besonders dazu eignet. Er geht ausführlich a u f das Basarleben ein, das er in allen Schattierungen zeichnet. Außerdem auch au f die Sitten des Volkes, die er vor allem in ״ Zavsegdataj“ lebendig werden läßt, wo er auch genau die Psychologie der Basarhändler und die Philosophie des Basars beschreibt.41 Die Basarszenen sind es auch, die belegen, daß Usbekistan nach wie vor eher den orientalischen Ländern zuzurechnen ist als Sowjetrußland; Pulatov nutzt dies, um auch indirekt auf die Ablehnung des sowjetrussischen Kulturgutes einzuge- hen, das unter den Usbeken immer weniger Anhänger findet.42

Wie schon erwähnt, sieht Pulatov im Basar ein Abbild des Lebens. Auf ihm ver- einigen sich Ankunft und Abschied, als Symbole von Leben und Tod; dort trifft man auf alle Schichten und Nationalitäten, man kann sich über alle Neuigkeiten informieren. Die Händler gelten selbst unter den Orientalen als Betrüger und ebenso zahlreich, wie diese auf dem Basar, sind auch in der Gesellschaft die unehrenhaften Menschen. Das Lachen a u f den Gesichtern der Basaris trügt, so wie die Lügen der Menschen.

Im Mikrokosmos Basar kommt auch die Verspieltheit des Lebens zum Aus- druck: Man verliert jede Menge Zeit mit Unwichtigem, was deutlich wird an stundenlangem Feilschen um den Preis einer Ware — genau dies kann gerade den Reiz des Lebens ausmachen, so wie die Kleinigkeiten des Lebens das Glück ausmachen.

Auch die Nationalitätenvielfalt des Basargewimmels sieht Pulatov als Spiegel des Weltgeschehens. Er schreibt in einem Aufsatz, daß all die Traditionen in einen einzigen Ozean fließen sollten.43

Ebenso wie jede Gesellschaft hat der Basar feste Regeln, an die man sich halten muli, wenn man dazugehören will, und wenn sich jem and regelwidrig verhält, wird er geächtet.44

(15)

Der Basar steht also für einen Lebensraum, in dem eine bestimmte Ordnung herrscht. Es herrscht aber auch die Bosheit, denn die Händler gelten als ausgc- kochte, profitsüchtigc Menschen, bei denen mit allem zu rechnen ist. Und eine ..geschickte Verpackung“ ist wichtig, um Mangelhaftes dennoch an den Mann zu bringen.4‘’ Das Fehlen von mitmenschlichen Gefühlen bei den Händlern stellt Pulatov dar, indem er schreibt, sie hätten Probleme mit ihren Familien. Er zieht damit die orientalische Auffassung, dali die Familie als einzig erstrebens- werte Lebensform gilt, zur Wertung heran.46

Die intensive, detailgetreue Beschreibung des Basarlebens, besonders in .,Za- vscgdataj“, kommt dem orientalischen Stil sehr nahe; ebenso die lange, digres- sive Beschreibung eines Pistazienkerns, aus dem schließlich die Lebensstufen des Menschen abgeleitet werden.47

Die Pulatovsche Dialektik spiegelt sich in einem Satz von Achun wider, der sagt:

... die Außenseite des Basars verschweigt den Kern, das Spiel und Widerspiel der Elem ente‘‘.48

Die Verbundenheit Achuns mit dem Basar manifestiert sich auch darin, daß sei- ne Liebiingsgeschichte die alttestamentarische Geschichte von Joseph ist. die ebenfalls eng mit dem Handel verbunden ist. Gleichzeitig charakterisiert dies Achun selbst als flatterhaft.

Die negativen Seiten der Händler werden noch durch einen weiteren Ausspruch Achuns unterstrichen:

״ N iem and a u f d e r Welt ist nämlich von reizbarerer Streitsucht als Händler.“ 44

Dies ist eine Welt, in der die Händler unter sich leben wollen und sie lassen auch nicht gern Fremde in diese Welt hineinschauen.50

Ein weiterer Aspekt: Das Basarleben ist nicht ernst zu nehmen, weil viel gelo- gen wird. Dies wird durch Äußerungen der Figuren in Čerepacha Tarazi betont:

So ״ begann Bessas wieder, genau wie a u f dem Basar, lauter Unsinn zu schwal- zen.“ 51

Achuns erste Aufzeichnung ist eine Basaranschauung mit dem Titel ״ Bazar“ 52, was daraufhindeutet, daß auch die ganze Povest’ dem Basarleben gewidmet ist.

Alle diese Mosaiksteine setzen sich zusammen zu einem Bild der orientalischen Gesellschaft und bringen gleichzeitig zum Ausdruck, daß der Faule weniger Unheil anrichtet als der Fleißige, denn ohne Bewegung des einzelnen keine

(16)

Dynamik, weder zum Guten, noch zum Schlechten. Einen Beweis dafür sieht Pulatov in der mittelasiatischen Gesellschaft, die auf einer frühen Stufe stehenge- blieben zu sein scheint.

Die Wüste, als weiteres symbolträchtiges Element in Pulatovs Werk, erscheint als Synonym für Ratlosigkeit, Weglosigkeit und Unerfaßbarkeit. Er beschreibt häu- fig das Leben in der Wüste, auch das Leben der Tiere mit- und gegeneinander, das durchaus auf die menschliche Gesellschaft übertragbar erscheint, umsomehr, als Pulatov seine Tiere räsonieren läßt und sie mit menschlichen Eigenschaften ausstattet.53

An dem alten Geier in ״Vladenija“ läßt sich das Verhalten eines einsamen Men- sehen nachempfinden, der sich von seiner Familie getrennt hat und dies nun bitter bereut.54 Die Freiheit hat ihm kein Glück gebracht, er sehnt sich nach Geborgen- heit. Ein ausdrucksstarkes Bild für den Versuch, die traditionellen Werte des orientalischen Familienverständnises zu mißachten und an den neuen, modernen Werten zu zerbrechen.

Auch andere Topoi können auf die menschliche Gesellschaft übertragen werden.

So gibt es die ״Vogelgesetze“ 55, die jeder Vogel befolgen muß und die manchmal gebrochen werden, es werden die Grausamkeiten beschrieben, die den erwarten, der in das Territorium eines anderen vordringt; und die Schadenfreude der ande- ren, wenn etwas mißlingt,56 ist auch den Menschen nicht fremd. An den Regeln der Natur läßt sich das Gesetz der Gesellschaft ablesen: Der Stärkere gewinnt und die Gesellschaft steht auf der Seite des Gewinners, weil er Erfolg hat. Die Kleinen leben in ständiger Angst vor den Großen, wie die ״ Ziesel, die hin- und herhuschen, in ständiger Angst, überfallen zu werden.“ Allerdings hat der Ziesel auch einen ״ Notausgang“ 57 in seinem Bau, damit er jederzeit flüchten kann. Die Botschaft lautet: Um zu überleben, muß man schlau und wendig sein.58

Die Grausamkeiten des Brautwerbens werden ebenso sichtbar. Dies ist ein Spie- gel der orientalischen Gesellschaft: Der Stärkere (oder Reichere) bekommt die Frau, sie selbst wird gar nicht gefragt.59

In der Wüste kämpft alles gegeneinander; dieser Widerstreit spielt sich auch in jedem einzelnen der Pulatovschen Hauptfiguren ab; sogar die Naturgewalten stel-

len sich gegeneinander:

״ Regen und Sonne arbeiten gegen den W ind“.60

Alle zusammen bilden bei Pulatov einen Naturkreislauf. Der Basar, die Wüste, die Pflanzen-, Tier- und Menschenleben: alles ähnelt einander und kann mitein-

(17)

ander verglichen werden. Doch auch in der Wüste folgt das Leben einer stren- gen Hierarchie: Die kleinen Tiere sind dem Geier, doch dieser wiederum dem Königsadler unterstellt.61

2

.3 Kritik an der Gesellschaft

Die Gesellschaft wird bei Pulatov in verschiedenen Epochen der Geschichte Mittelasiens dargestellt. In ״ Pročie naselennye punkty“ wird das Hauptgewicht au f die Sowjetisierung gelegt. Diese Povest’ steht eher in der Tradition der usbe- kischen Schriftsteller, die das sowjetisierte Mittelasien zeigen, als in der der alten Orientalen, in deren Tradition die anderen Werke geschrieben sind. Aber der ent- scheidende Unterschied zu den anderen usbekischen Schriftstellern besteht dar- in, daß Pulatov nichts verherrlicht, sondern auf die Nachteile hinweist.

Er versteckt seine Gesellschaftskritik und die Kritik an der Staatsgewalt auf vie- lerlei Weise, teils transponiert er menschliche Verhaltensmuster au f die Tierwelt, wie in ״Vladenija“, wo er Ziesel sehr überlegt handeln läßt62 und wo er die stren- ge Hierarchie beschreibt, nach der sich das Leben in der Wüste zu richten hat.

Oder er projiziert die Handlung ins Mittelalter, wie in ״ Čerepacha Tarazi“.

Manchmal verpackt er die Kritik auch in sogenannte Burlesken. So in den Burles- ken Tarazis zum ״ Na prieme u gospoda“ oder in ״ Chvala leni“.63 Diese Burles- ken bilden ein retardierendes Moment, das den Leser zum Nachdenken anhalten soll. Dies wird schon an formalen Aspekten deutlich: Sie sind in der Regel sehr lang und ausführlich, bilden ganze Episoden innerhalb des Romans und erinnern an die digressiven Vergleiche von Gogol’, in die er alles hineinpackt, was sonst nicht in den Handlungsstrang des Werkes zu integrieren gewesen wäre.

Pulatov hat gerade mit ״ Na prieme u gospoda“ eine Form gewählt, in der er besonders gut verhüllt Kritik üben kann. Erstens durch die Form einer hyperboli- sehen Burleske, die dem Leser zunächst den Eindruck vermittelt, daß alles maß- los übertrieben sei und lediglich der Belustigung diene; zweitens dadurch, die Handlung am mittelalterlichen Hofe eines Emirs, also eines Monarchen anzusie- dein, einer ganz anderen Staatsform als heute. Aber auch Rašidov zeigte Züge eines Monarchen. Außerdem tritt nicht der Erzähler als Verfasser dieser Burleske in Erscheinung, sondern Tarazi, der als Querulant bekannt ist und deshalb auch schon im Exil leben muß.

(18)

Gesellschaftskritik findet man vor allem in ״ Ćerepacha Tarazi“ und ״ Pročie naselennye punkty", .,Vtoroe puteSestvie Kaipa" und ״Vladenija“ ; ״ Zavsegda- taj" ist hauptsächlich der Darstellung der orientalischen Gesellschaft und ihrer Umgebung gewidmet.

_ • ф___

2.3.1 Staatsgewalt und Überwachung

Alle hier behandelten Werke Pulatovs sind zwischen 1966 und 1985, während der Brežnevzeit, entstanden, als sich jeder Autor einer strengen Zensur ausgesetzt

• »

sah. Deshalb konnte Pulatov seine Kritik an Staatsgewalt und Überwachung nicht explizit ausdrücken, sondern nur andeuten bzw. auf fiktive Regierungsformen und Zeiten transponieren, um sie zu verschleiern. Die Staatsgewalt kommt in

״ Pročie naselennye punkty“ zum einen dadurch zum Ausdruck, daß hier die Namen aller wichtigen Personen russifiziert sind, wie z. B. (Bekov, Nurov, Ega- mov. Tursunov) und der Name Bobo Nazars, der von den Machthabern diskrimi- niert wird, nicht.64 Dies weist auf den starken Einfluß der sowjetischen Regie- rung Mittelasiens hin. Aber Pulatov zeigt auch Widerstand dagegen auf, wie an Maruf, der wieder einen altertümlichen Chalat anstelle der modernen Kleidung trägt und seinen Bruder verurteilt, der in die Stadt zog, um sein Leben mit techni- sehen Erungenschaften, wie z. B. Fernsehen, zu verbessern:

״ Das G lück liegt doch nicht im Wohlstand, stim m t’s?“,

sagt er.65

Die Unsinnigkeit der Verwaltung wird daran gezeigt, daß in Gebietsparteikomi- tees über Ortschaften entschieden wird, ohne sich vor Ort zu informieren; Orte, die die Komiteemitglieder nicht einmal auf der Karte finden können.66

In ״Vtoroe putešestvie Kaipa“ wird herausgestellt, daß die Planerfüllung in jedem Fall über die Interessen des einzelnen gesetzt wird und somit die Menschen auch ihr Privatleben nicht in der Hand haben, wie es früher war. Alles wird jetzt von oben angeordnet. So können Aralov, der Genossenschaftsvorsitzende, und ein Verwandter von Kaip kein Boot für private Zwecke ausleihen.67 Daß dies frü- her anders gewesen ist, kann der Leser aus der Aussage der Frau Aralovs schlie- ßen, die es nach wie vor für selbstverständlich hält, daß Verwandte einander hei- fen, gleichgültig, unter welchen Umständen.68 Auch in dieser Povest’ ist der Name des Moskautreuen russifiziert.

(19)

In ״Vladenija" ist der Geier die Verkörperung der Uberwachungsmacht und des- halb einsam. Analogien mit dem KGB werden dem Leser nahegelegt, denn sei- ncn scharfen Augen entgeht nichts, was in der Wüste, also seinem Lebensumfeld, geschieht. Hier wird offenbar, daß die sorgfältige Ausgestaltung der Mikrokos- men Plazierungmöglichkeiten für Kritik schafft.

Noch deutlicher und offener ist der Bezug in ״ Cerepacha Tarazi“ : Im Tunnelsy- stem im Stadtstaat Degis Chans, der zum Palast des Emirs führt, sind überall Luken angebracht, durch die die Fremden und ihre Führer ausgespäht werden können,69 und auch in dem Dorf, in das es Bessaz verschlagen hat, kann wegen der Konstruktion der Bauten jeder alles mithören und ist über alles informiert.

Nicht einmal die allerintimsten Augenblicke bleiben unbeobachtet.70 Diese

• •

Vision eines totalen Ubenvachungsstaates mit seiner Allgegenwart im und All- wissenheit über das Leben seiner Bürger symbolisiert die Lage Usbekistans zur Regierungszeit Rašidovs. Pulatov sagte in einem Interview, daß auch er in dieser Zeit ständig in Angst gelebt habe:

... das allgegenwärtige Auge d er Spitzel von Rašidov fürchtend . . .“ 7,

Eine Reihe von Symbolen läßt erahnen, daß eine Unrechtsgesellschaft auf Dauer nicht bestehen kann. So ist es schließlich der ״ Herrscher Sand“, der den Stadt- staat Dengis Chans schließlich verschlingt.72 Dies wird von Anfang an angedeu- tet: Die Wüste als Symbol der Ordnungs- und Ratlosigkeit rückt immer näher an die Stadtmauern heran, bis sie schließlich die Stadt verschluckt.

Dengis Chan läßt sich immer unmenschlichere Methoden als Strafe einfallen und kann damit den Untergang nicht aufhalten. Er wird unterstützt von seinem grau- samen deutschen Diener, der, wie sich später herausstellt, ein Raubmörder ist.

Ihm muß man huldigen, um die Strafe zu mildern.73 Der Imam in ״ Ćerepacha Tarazi“ ist das Abbild des Herrschers, der sein Volk unterdrücken will, und zugleich ein Symbol für die Zentralsierung der Macht, denn er vereint in seiner Person alle wichtigen Posten im Dorf.74 Pulatov dürfte hier die Gestalt eines Geistlichen gewählt haben, um so von der kommunistischen Herrschaft abzulen- ken, aber dennoch deutlich zu machen, daß dies parabelhaft auf die sowjetische Realität zu übertragen ist, besonders in Mittelasien, wo versucht wurde, die Men- sehen vom Islam zum Kommunismus zu bringen; andererseits ist dies wohl auch als Kritik am Islam und seinen Herrscherpraktiken zu verstehen. Besagter Imam versucht mit allen Mitteln, die Bewohner des Dorfes zu ändern. Pulatov läßt ihn zu Bessaz sagen:

(20)

..Steter Tropfen höhlt den Stein“,75

als er über seine Missionsarbeit bei den Muschriks redet. Er hat also die Hoff- nung, daß er mit der Zeit alles ändern kann, bedauert nur, daß er es nicht mit Gewalt machen darf.76 Indem der Leser sich über das Verhalten des Imams em- pört, wird ihm klar, wie es um das Sowjetregime bestellt ist.

Der Imam versucht, den Gefesselten, dessen Tod Bessaz aufklären soll, zu diffa- mieren, der für die Muschriks eine Gottheit ist, weil er — wie Prometheus — das Feuer gebracht haben soll. Man wird an die Verleumdungen, die die Kommuni- sten über das Christentum verbreitet haben, erinnert. Pulatov zeichnet die Muschriks jedoch als Symbol für den Widerstand, denn sie lassen sich nicht auf das Drängen des Imams ein. Die Parallele zu den vergeblichen sowjetischen Bestrebungen, die Menschen in Mittelasien zu ändern, drängt sich auf.

Auch die Figur Tarazi nutzt Pulatov zur Gesellschaftskritik, die sich in die heuti- gen Verhältnisse umsetzen läßt. Tarazi fragt:

״Wo ist es denn — dieses Allgemeinwohl? ! .. .1 Was haben w ir erreicht? Eine Recht- fertigung läßt sich für alles finden, selbst für den M ord an einem Unschuldigen.“ 77

Genau dieses, Mord an Unschuldigen (und Psychoterror), wurde während der Stalinzeit und auch später noch in der Sowjetunion oft verübt.78

Unrecht erkennt man auch an den unterschiedlichen Strafen, die die Beteiligten an der Ermordung Achuns in ״ Zavsegdataj“ für ein und dieselbe Straftat erhalten.79

In ״ Čerepacha Tarazi“ führt Pulatov die Folgen staatlicher Gewalt und Unter- drückung vor Augen: Der Mensch zerbricht, entweder äußerlich — d. h. er paßt sich nicht an und wird deshalb malträtiert — oder innerlich — d. h. er paßt sich an und wird dann mit dieser Schuld nicht fertig. In ״ Čerepacha Tarazi“ steht die Figur Tarazis für den ersten und Bessaz’ für den zweiten Fall. In einem Unrechts- staat — so legt Pulatov nahe — hat der Mensch keine Chance, ein lebenswertes Leben zu führen.

2 .3.2 Intoleranz und Unterdrückung

Auch diese beiden Erscheinungen autoritärer Herrschaft waren in der Brežnev- Ära an der Tagesordnung. Darauf spielt Pulatov, wiederum verrätselt, in ״ Čere- pacha Tarazi“ an. Die Figur Tarazi spiegelt die Intoleranz der Machthabenden

(21)

gegenüber Andersdenkenden und die damit verbundene Unterdrückung, die in dem Stück an der Verbannung Tarazis durch das Herrscherhaus zum Ausdruck kommt, wider. In dem dargestellten mittelalterlichen Staat werden Andersgläu- bige verbannt, wie Tarazi, der für 10 Jahre seine Heimatstadt verlassen mußte,

״ a u f daß e r weise, gläubig und an nichts zweifelnd zu rü ck k eh re“ .ЯП

Dieses Szenario ist ein eindeutiger Verweis au f die vielen Bürger, die vom Sowjetregime verbannt wurden.

Regimekritik zeigt sich auch in der Burleske ״ Na priem e u gospoda“, wenn der Bittsteller sein ״ Zweites Ich“ herauskramen muß, um etwas zu erreichen. Dies wird hier plastisch am ״Ja-Tak-Sebe,ģ und , Ja-Èto-Da “ dargestellt.81 Wenn sich das geistige Ich befreit, muß das körperliche dafür leiden. In dem Stück heißt es:

״ . . . weil mein Körper doch für die Befreiung des Geistes büßen muß“ .82

Dies ist ein Hinweis auf die vielen Straflager, in denen Andersdenkende gezüch- tigt wurden.

Und auch die Aussage

... ich werde nicht gerufen, ich bin ein Namenloser, ein M ensch ohne Heimat, ohne Familie, ein Fremdling.“ 83,

weist auf all diejenigen hin, die, ähnlich wie Tarazi, in der Verbannung leben mußten und verschwiegen wurden, also Namenlose waren.

Über die Wege des Herrn wird nur geflüstert84, weil jeder weiß, daß vieles nicht mit rechten Dingen zugeht. Die Bittsteller werden vom Katib geschlagen, wenn sie etwas Vorbringen wollen.85 Dem Leser wird die Parallele zur Wirklichkeit bewußt, zu Demütigungen, denen man ausgesetzt ist, wenn man etwas erbitten möchte, worauf man sogar ein Recht hat, beispielsweise in der Stadt zu leben, wo es einem gefallt. So hat Tarazi große Sehnsucht nach seinem geliebten Buchara und kommt oft heimlich dorthin. Er ist jetzt heimatlos, entwurzelt und muß sein Leben lang in der Einöde der Wüste umherstreifen — dieser Metapher für Weg- und Ratlosigkeit — weil er nicht so akzeptiert wird, wie er ist, weil es den Mach- tigen nicht gefällt.

Pulatov setzt seine Figuren ein, um Kritik auszudrücken. So hat Tarazi alles ver- loren, weil er seinen eigenen, von der Staatsgewalt nicht gebilligten. Weg gehen wollte. Pulatov läßt seinen Protagonisten klagen:

״ U m dieser Freiheit willen habe ich meine Familie, m eine Freunde, meine Heimat verloren“ .86

(22)

Er läßt Tarazi in einer Gesellschaftsform leben, die nicht fähig ist, sich mit Andersdenkenden auseinanderzusetzen und die diese deshalb einfach verbannt, genau wie dies der Sowjetstaat lange Zeit praktiziert hat. Grausamkeiten von Despoten werden dargestellt: Dengis Chan erlegt seinen Wegführern, die Fremde für Geld in die Geheimnisse der Stadt einweihen, hohe Steuern auf, aber durch seine Dekadenz geht er schließlich zugrunde. Pulatov kritisiert die Praxis der Gerichtsverfahren anhand der Beschreibung des Gerichtssaales in ״ Čerepacha Tarazi“ :

..A llein die Tatsache, daß man einen M enschen hinter solch einen Verschlag sperrte.

m achte ihn in den Augen des Saales zu einem Verbrecher, selbst wenn e r g ar keiner war.“ 87

So ist es vielen Schriftstellern und sonstigen Regimegegnern ergangen, die oft viele Jahre in Gefangenschaft verbrachten, ohne an etwas anderem schuldig geworden zu sein, als daran, die Wahrheit zu sagen.88 Weiter zeigt Pulatov hier die Auffassung des Volkes, daß allein das Gericht Gottes die Macht habe, einen Menschen zu richten,89 was auch als Plädoyer für das Selbstbestimmungsrecht jedes Menschen über sein Leben angesehen werden kann.

Der Imam verkörpert in ״ Ćerepacha Tarazi“ den Unterdrücker seines Dorfes.

Er will die Menschen unbedingt zum Islam bekehren und bedauert, daß er dies nicht mit Waffengewalt erreichen kann.90 Er schreibt den Menschen vor, wie sie sich dem Richter gegenüber verhalten sollen. Das ist als Hinweis au f die Beeinflussung der Sowjetbürger von oben zu verstehen.

Der Roman ״ Čerepacha Tarazi“ ist teilweise sehr verrätselt und er legt auch Kritik an der Hauptfigur, dem Forscher Tarazi, nahe, der ja als Opponent gegen die Obrigkeit dargestellt wird. Die Absicht Tarazis, aus einer minderwertigen Kreatur ein höherwertiges Wesen, nämlich einen Menschen, zu schaffen, zeigt die Tendenz der sowjetischen Pölitik, die ja auch beabsichtigt hatte, den Nasto- jaščijsovetskij čelovek zu schaffen; wobei sich heute herausstellt, daß alle diese Versuche kläglich gescheitert sind und daß das Urmenschliche, wie z. B. der Drang nach Eigenständigkeit, Individualität und auch Besitz, sich nicht einfach dem Kollektivwillen unterordnen läßt. Hier klingt Pessimismus an, was den menschlichen Charakter betrifft, wenn Pulatov seine Figur Tarazi, die selbst unter der Unterdrückung zu leiden hat, versuchen läßt, sich mit Gewalt ein Lebewesen untertan zu machen und es völlig zu ändern.

(23)

00056857

2.3.3 Mißwirtschaft und Umweltzerstörung

Die Werke Pulatovs spielen in einer Gesellschaft, die sehr mit der Natur ver- bunden lebt und deren Traditionen sich auf den Einklang von Mensch und Natur gründen. Daher hat ein Einschnitt in diese Welt besonders gravierende Auswir- kungen, denn die Zerstörung des Gleichgewichtes der Natur trifft Menschen, die in Einheit mit ihr gelebt haben, viel härter als jene in einem städtischen Kul- turkreis.

Besonders eindringlich geht Pulatov auf die Mißwirtschaft in Usbekistan bzw.

in ganz Mittelasien in dem Werk ״ Procie naselennye punkty“ ein. Hier wird deutlich, daß es nicht gut gehen kann, wenn man versucht, den natürlichen Lauf eines Flusses mit Gewalt umzuleiten.91 Die Probleme der Wasserversorgung sind einer der zentralen Punkte der Mißwirtschaft in Mittelasien.92 Der Gegen- satz zwischen den hochtechnisierten, mit modernen Schalttafeln ausgerüsteten Gebietsparteikomitees und der Rückständigkeit Gaždivans, das nur ״ ein kleines Licht" unter den anderen ist,93 was daraus resultiert, daß man nicht wiedergut- zumachenden Raubbau an der Natur bzw. am Fluß getrieben hat. Dem wird die Kolchose Nurovs, dessen Name im Arabischen ״ Licht“ bedeutet, gegenüber- gestellt: Nurov hat es geschafft, sie hochzubringen.

Die Geschichte macht deutlich, daß die einfachen Menschen froh wären, wenn alles beim alten geblieben wäre. Sie haben keine Vorteile von der Technisierung:

..Glücklich , als der Sohn, der im Feld geboren wird.“ 94,

sagt ein Dorfbewohner. Dieses Zitat unterstreicht die Betonung der Naturverbun- denheit.

Dem wird die Lage in Gaždivan gegenübergestellt. Die Fabrikhalle des Ortes ist total heruntergewirtschaftet und Nurov beschuldigt die Einwohner, nur an ihren eigenen Profit zu denken 95 Die Bewohner werden als Spekulanten apostro- phiert. Nurov muß zu einem kleinen Lagerverwalter gehen und diesen Mann um Bretter für ein Lagerhaus anbetteln, was dieser sichtlich auskostet96, aber ohne Lagerhaus kann die Ernte nicht geschützt werden. Die ganze Misere wird daran verdeutlicht, daß die einfachsten Dinge, wie Holz für Lagerräume, nicht beschafft werden können und deshalb Produkte im Wert von 100.000 Rubeln ver- derben.97 Abgerundet wird das Bild vom geschilderten Spekulantentum der Bewohner. Als Ursache stellt Pulatov vor, daß Bekov wie ein Gott verehrt wird, ihm vertrauen alle und kritische Stimmen, wie Nurov, der von Anfang an zur

(24)

Besonnenheit mahnt und voraussagt, daß eine Vergewaltigung der Natur fatale Folgen haben müsse, werden nicht gehört. Bekov setzt als Technokrat dagegen, man werde den Fluß und die Wüste zwingen, fur die Menschen zu arbeiten.98 Pulatov macht deutlich, daß sich auch im Sozialismus , als der Stärkere durch- setzt, in diesem Falle Bekov. Der stille und empfindsame Tursunov, der diesen vor der Fehlplanung w arnt, bleibt auf der Strecke, er gibt nach und das Unglück nimmt seinen Lauf.99

Das Scheitern des Sozialismus zeigt Pulatov daran auf, daß es viele Spekulanten in Gaždivan gibt, die nur au f den eigenen Profit aus sind. Er zeichnet ein Men- schenbild, das davon ausgeht, daß die meisten Menschen Egoisten sind und auch bleiben, egal unter welcher Herrschaft.

Auch die Verlogenheit des Systems wird skizziert: Als Bekov erwartet wird,

»

verlangt Egamov, daß jed er vor den Häusern fegen soll, wo der Kommandeur vorbeigeführt werden s o ll.100 Alles wird — im Stil der Pötemkinschen Dörfer

— schnell noch einmal verschönt, um die wahre Häßlichkeit des Dorfes nicht zu zeigen und eine heile Welt vorzugaukeln. Die Menschen aber haben ihre Identi- tat verloren. Sie leben jetzt ohne Familien- oder Sippenzusam m enhalt.101 Die sowjetische Realität holte das Stück ein: Die Dreharbeiten zu einem Film nach Motiven dieses Pövest’ wurden eingestellt,102 wahrscheinlich, weil die Kritik zu deutlich herausgestellt war.

Die Fabrikhalle von Gaždivan verdeutlicht symbolhaft, daß die Vorstellungen Bekovs keine Zukunft m ehr haben:

״ H ier herrschte d e r Tod, es w ar aber ein launischer Tod. E r bereitete unnötige Sehe- rereien.“ 103

Daran läßt sich unschwer die Auffassung Pulatovs ableiten, daß man ein nicht funktionstüchtiges System so früh wie möglich abschaffen soll, solange noch nicht alles zu spät ist.

Zur Auseinandersetzung mit dem Sozialismus setzt Pulatov ein Gleichnis ein:

Nurov, der Leiter des Kolchos, erinnert sich in dieser Situation an eine Heili- genlegende: Ein Heiliger möchte einem Pflüger etwas Gutes tun und läßt ihn im Schatten eines in seiner Hand wachsenden Baumes sitzen. Der Mann gibt das Pflügen auf und fangt Geschäfte im Schatten des Baumes an. Am Ende aber ver- kümmert der Baum und die Männer sitzen in der Sonnenglut. Der Heilige hatte beabsichtigt, dem Menschen etwas Gutes zu tun, aber er hatte dabei zwei wich-

(25)

tige Dinge vergessen, und zwar die Erde und die M enschen, die sie bearbeiten müssen, damit etwas darauf wächst.

Auch Bekov geht mit falschen Voraussetzungen an seine vielleicht glorreiche Idee, verwechselt Theorie und Praxis, weil er die Umstände und Zusammen- hänge völlig aus den Augen verliert.

Die Erde wurde in Usbekistan oft vergessen. Man baute ohne Rücksicht au f den Boden immer m ehr Baumwolle an, bis der Boden durch diese M onokultur völ- lig ausgelaugt war und sich nicht m ehr regenerieren konnte. Massiv vorange- trieben wurde das unter der Rašidov-Regierung.104 Pulatov verdeutlicht diese Fehlentwicklung an Bekov, der Menschen und Land nicht berücksichtigt, son- dern nur seine Vision einer großen Fabrik im Kopf hat. Daß es kein Wasser gibt und deshalb die M enschen leiden müssen, erscheint ihm nicht so wichtig, weil er davon ausgeht, daß man der Natur den menschlichen oder gesellschaftlichen Willen aufzwingen könne.105 Mit Hilfe der Heiligenlegende unterstellt Nurov Bekov aber eine gute Absicht. Damit wird allzu starke Kritik abgeschwächt.

Pulatov stellt der Mißwirtschaft immer wieder die Urkraft der N atur gegenüber, die weiß, was sie will und die sich nicht durch den Menschen unterjochen läßt.

So läßt sich auch der Fluß in Gaždivan nicht umleiten, sondern wehrt sich. Die Eigengesetzlichkeit unterstreicht der Autor durch die Personifizierung des Was- sers. Die Dauer des Entwicklungsprozesses — in Gaždivan waren es 30 Jahre — muß als Hinweis darauf verstanden werden, daß es länger dauern kann, bis die Auswirkungen einer Mißwirtschaft deutlich werden.

Die Menschen in Gaždivan werfen unreife Tomaten über den Zaun. Diese Tomaten werden blind zerstört — genauso unbesonnen ist man mit den Schätzen der Natur um gegangen.106 Bekov und seine Zeitgenossen haben nur das Zerstö- ren, nicht aber das Aufbauen gelernt. Sie hatten es relativ leicht, die Basmačen zu schlagen, aber danach haben sie nichts aus dem Land gem acht.107 Immerhin aber denkt Nurov, dessen Name ja ״ Licht“ und somit auch Hoffnung bedeutet, auch über den Umweltschutz nach. Der Denkprozeß hat also begonnen.

Auch in ״ Vtoroe putešestvie Kaipa“ wird au f die Auswirkungen der Industriali- sierung hingewiesen. Das Gleichgewicht der N atur wird durch den Industrie- lärm gestört108 und Kaip kann deshalb nicht der Stimme seiner Ahnen lau- sehen, d. h. er kann nicht nach den alten Traditionen leben. Dies wirft ihn völlig aus der Bahn. Lobend dargestellt werden hingegen die Lebensumstände der Muschriks in ״ Ćerepacha Tarazi“, die fern der Zivilisation leben:

(26)

... die B ew ohner d e r Salzhäuser, die w eder S ch m erzen kannten, noch Vergiftung und Z erstörung ihrer sauberen U m w elt, bei denen L äuse, W anzen, W ü rm er und andere niedere L ebew esen nicht gediehen.“ 109

..Läuse und Wanzen“ dürfte hier auch als Symbol für Spitzel und Schnüffler stehen, d. h. für andere Nebenerscheinungen der sogenannten Zivilisation.

2.3.4 Korruption

Korruption bestimmt das offizielle Leben in der Sowjetunion und auch in Usbe- kistan in hohem M aße.110 Pulatov sagt über Rašidov, den früheren Parteichef Usbekistans, er wäre wohl zu anderen Zeiten Imam einer großen Moschee ge- w orden,111 um so zu verdeutlichen, daß Menschen bereit sind, für die Erhal- tung ihrer Macht alles zu tun. Diese Aussage findet eine Parallele im Imam in

״ Cerepacha Tarazi“, der durch seine Ausdrucksweise als nicht überzeugt gläu- big gekennzeichnet w ird .112

Pulatov betont in einem Interview, daß es schwer sei, über diese Zeit zu reden, aber man müsse es tun zur Reinigung der Seele und des G ew issens.113 Gemeint ist hier die Zeit des Rašidov-Kultes in Usbekistan, eine Periode in der Brežnev-

9

Ara, in der Korruption und schamlose Unterdrückung an der Tagesordnung waren, in der auch Pulatov selbst Schwierigkeiten hatte, weil er sich dem Druck nicht beugte.

V __

Sein Werk ״ Cerepacha Tarazi“ ist voller Anspielungen und auch direkter Aus- sagen zur Korruption. So steht am Anfang des Werkes die Burleske Tarazis über

״ Na prieme u gospoda“. Darin heißt es, daß man nur durch Schmiergelder zum Herrn gelangt, um seine Bitte vorzubringen. Das normale Verhalten des Katib wird so dargestellt:

... den Katib mit dem B ackenbart, weil er, d e r G ottlose, wie sich herausstellte, für ein Bestechungsgeld je d e m den besten Platz a u f d e r Liste, in d e r N ähe d e r T ü r zum H errn, versprochen hatte.“ 114

Die ganze Burleske ist eine Anklage gegen das korrupte System.

Auch im Stadtstaat Dengis Chans herrscht die Korruption. Fremde werden gegen Bezahlung von einem Fremdenführer in alle strategischen Geheimnisse des Staates eingeführt.115

Die Geschichte von Bessaz sei eine einzige Anklage gegen Opportunismus, schreibt Korinevskaja.116 Man ist in der Gesellschaft nur dann erfolgreich,

(27)

00056857

wenn man sich anpaßt und schließlich dem Druck beugt. Dabei wird man inner- lieh zerrieben und verliert die Selbstachtung. Letztendlich kommen aber auch

• •

Tarazi Zweifel, denn er hat zwar seine Überzeugung behalten, aber dafür alles andere, was ihm im Leben wichtig war, verloren.117 Bessaz beugte sich und verlor dadurch sein menschliches Aussehen und schließlich auch die Achtung der Gesellschaft. Pulatov thematisiert eindringlich die Ausweglosigkeit. Er zeigt, daß in einem Unrechtsstaat der Mensch keine Chance hat. Gleichgültig, wie er sich verhält, er muß dafür büßen. Bessaz gibt dem Drängen des Imams nach und wird durch diese Missetat zur Schildkröte. Seine Korruption mani te- stiert sich in der Aussage über den Imam:

״ Schließlich verkörpert ja auch e r die M ach t”. 118

Dies verdeutlicht, daß er eigentlich dagegen ist, aber, um seine eigene Haut zu retten, schließlich nachgibt und dabei seine Menschlichkeit verliert.

Die Anklage gegen Korruption wird auch sichtbar, wenn in ״ Cerepacha Tarazi“

der Richter seinem Sohn Bessaz eine Stelle als Richtergehilfen kauft.

... da e r offenbar sowohl das G esetz als auch den unredlich erw o rb en en Reichtum

— die ganze Fülle des L ebens — in d e r Hand haben wollte“. 119

2.3.5 Entfremdung und Verrohung des Menschen

Die Veränderungen der gesellschaftlichen Situation ziehen auch Veränderungen der zwischenmenschlichen Beziehungen nach sich und rufen gesellschaftliche Probleme hervor. So muß in ״Vtoroe putešestvie Kaipa“ Aralov, der für die Fischfangboote zuständig ist, seinem Verwandten Kaip die Bitte abschlagen, sich ein Boot privat auszuleihen.120 Alles gehört zwar jetzt angeblich allen, aber der einzelne hat nichts davon. Und das ist der springende Punkt.

Pulatovs Kritik beschränkt sich allerdings nicht au f die Sowjetregierung, son- dern schließt auch die zunehmende Verrohung der Beziehungen der Menschen untereinander mit ein. Er verdeutlicht das daran, daß viele Traditionen des Gemeinschaftslebens den Neuerungen zum Opfer fallen, so die traditionell selbstverständliche Bereitschaft zur Nachbarschafts- und Familienhilfe.

In der Parabel ״ Vladenija“ thematisiert er das Unrecht unter den Wüstentieren symbolhaft für die menschliche Gesellschaft:

(28)

..D e r G eier beobachtete | . . .| und sah Betrug und D iebstahl.“ 121

Diese Fehlentwicklung erscheint jedoch allgemeinmenschlich und nicht beschränkt a u f die Sowjetunion, obwohl in der sowjetischen Gesellschaft mehr als anderswo der Wille der Obrigkeit geachtet werden muß. Pulatov skizziert in

״ Čerepacha Tarazi“ am Verhalten der Vögel, daß seiner Meinung nach dieses Verhalten in der Natur des Menschen begründet ist, daß jeder — oder doch die große Mehrheit — nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist:

...wie ein Schw arm K rähen. U nd je d e r w artet d arau f, bis e r an die Reihe kom m t, denn sobald d er eine zugrunde geht, nim m t d e r nächste sofort seinen Platz ein, und e r unterscheidet sich w eder durch sein Verhalten noch durch sein G efieder von dem vorigen.“ 122

Aus Langeweile kommen die Menschen au f dumme Gedanken, denn:

...w om it sollten sie sich auch sonst beschäftigen an den langen A benden in ihren Salzhöhlen beim Schein ru ß en d en H am m el fetts.“ 123

Die Gesellschaft erweist sich als unfähig, diese Unzulänglichkeiten in den G riff zu bekommen; ebenso wie in der Tierwelt gilt auch hier das Gesetz des Stärke- ren, der über den Schwächeren herrscht und deshalb hat der ,kleine Mann‘ kei- ne Chance, sich zu wehren, es sei denn, er schließt sich mit anderen zusammen

— und daran hindern ihn sein eigener Egoismus und seine Eitelkeit.

In ״ Zavsegdataj“ weigern sich alle Bekannten Achuns strikt, an der Aufklärung des Verbrechens an ihm mitzuwirken, weil sie Angst haben, in etwas hineinge- zogen zu werden. Man leugnet einfach, ihn gesehen zu hab en .124

Pulatovs pessimistisches Weltbild bestimmt den melancholischen Grundton in seinen Werken: Jeder Mensch muß seine eigenen Erfahrungen neu machen, mit jedem Menschen fangt die Welt von vorn an und wegen der begrenzten Lebens- dauer kann jed er auch nur eine begrenzte Anzahl von Erfahrungen machen — und nur bei jedem Menschen individuell kann der Prozeß zum Besseren ablaufen.

Pulatov greift auch das Drogenproblem auf, das sich in den letzten Jahren in Mittelasien verschärft h a t.125 E r zeigt die Kumpane Achuns beim Alkohol- und Drogenkonsum und läßt Achun darüber folgendermaßen reflektieren:

״ Ich weiß, in dem G eträn k ist viel V erschlagenheit, viel Lug und T r u g ." 126

Später erklärt er auch, wie der Rausch wirkt:

(29)

״ Dies nämlich ist eine w eitere bem erkensw erte E igenschaft des R ausches: Er verän- dert und verstärkt Zeit, O rt und H andlung und wirft ihre klassische Dreieinigkeit über den H aufen“. 127

Genau dies wird Achun zum Verhängnis. Dies war der letzte Satz seiner Auf- Zeichnungen vor seiner Ermordung. Man erkennt daran die Gefahr, die von der Enthemmung des Menschen unter Drogeneinfluß ausgeht.

Auch in Čerepacha Tarazi wird au f die Sucht eingegangen und das Haschisch- rauchen folgendermaßen erklärt:

״ Sie wollen dadurch eine Schuld verdrängen, die sie quält. A nders finden sie keinen Halt, haben Angst vor dem L eben, suchen Vergessen.“ 128

Die Menschen werden jedoch auch als Opfer der gesellschaftlichen Zwänge dargestellt. So heißt es über Bessaz’ Sippe:

...je d e r aus dem G eschlecht d e r B akkalsades trug ein Schildkrötenm al.“ 129

Der Name ״ Bakkalsade“ ist von taschbakkal (Schildkröte) abgeleitet, was an- deutet, daß die Metamorphose zur Schildkröte bereits vorbestimmt war. Nicht der einzelne trägt allein die Verantwortung für sein Tun, sondern wird geprägt von den gesellschaftlichen Bedingungen seiner Umwelt. Die Beziehungen der Sippe Bakkalsade stehen stellvertretend für die Gesellschaft. Kritik an ihrem Verhalten sind somit als Gesellschaftskritik interpretierbar.

Auch Tarazi hat die negativen Seiten der Menschen längst durchschaut, wenn er zu Bessaz sagt:

״ Stets betrügen w ir irgendwen, nicht vorsätzlich, nein , aus Schw äche, aus Egois- mus, weil w ir uns etwas vorm achen. D och am E nde sind w ir die B etrogenen . . . Sie möchten eine Frau und setzen alles d a ran , sie zu kriegen, o h n e daran zu denken, w as dann aus ihr wird.“ 130

In diesen Worten schwingt jedoch auch wieder die Ohnmacht des Menschen mit, der sich der Schwächen, die durch gesellschaftliche Normen determiniert sind, nicht bewußt wird.

(30)

3. Die Darstellung des Menschen in den einzelnen Werken

Pulatovs Werke beginnen stets damit, daß sich die jeweilige Hauptperson über etwas Wichtiges klar wird, nämlich, daß sie einen entscheidenden Fehler gemacht hat und diesen jetzt bewältigen muß. Erst durch den Prozeß des Bewußtwerdens des Problems, kommt der Mensch schließlich dazu, das zu sagen, was er wirklich denkt. Enttäuschung und unerfüllte Wünsche spielen bei Pulatovs Hauptfiguren stets eine große Rolle — sie setzen den Denkprozeß in Gang.

An den Hauptpersonen seiner Werke verdeutlicht Pulatov immer den Bewußt- werdungsprozeß. Die Protagonisten werden durch bestimmte Umstände auf die Unzulänglichkeiten ihrer Lebensumstände hingewiesen und der Autor führt sie in der Retrospektive ihres bisherigen Lebens zum Ausgangspunkt der jeweili- gen Erzählung zurück; dabei eröffnet er die neuen Perspektiven der Bewertung;

die Haupthand lungsträger finden heraus, was man ändern könnte oder inwie- fern man so sehr in die Gesellschaft integriert und damit von ihr abhängig ist, daß dies unmöglich ist. Pulatovs Hauptfiguren stehen in ständigem Widerstreit zwischen der äußeren und der inneren Welt. Während die innere genau weiß, was sie will, verhindert die äußere Welt oft genug die Verwirklichung der Wünsche.

Der Autor stellt in seinen Werken stets den einzelnen Menschen in den Mittel- punkt des Geschehens und beschreibt dessen Seelenzustände. Ausgehend von den Problemen des jeweiligen Protagonisten ordnen sich die Nebenfiguren in die Handlung ein; sie nehmen oftmals aktiv am Geschehen teil, bestimmen den Verlauf der Handlung mit und im Wechselprozeß wirken sie auf den Bewußt- seinsprozeß der Leitfigur ein und werden gleichzeitig von den Entscheidungen der Hauptperson betroffen.

Die Helden handeln oft unbewußt falsch und gewissenlos, oft gemäß den gelten- den Traditionen oder unter aktuellem gesellschaftlichen Zwang; sie werden sich dann aber durch bestimmte Schlüsselerlebnisse ihrer falschen Handlungs­

(31)

000БѲ857

weise bewußt und versuchen, diese zu ändern — dabei müssen sie aber meist dennoch scheitern, was dazu führt, daß das Ende meist tragisch ist.

Pulatov zeigt eine Vorliebe für gesellschaftliche Außenseiter, deren Schicksale er lebendig zeichnet. Diese Darstellung der Hauptpersonen bildet den jeweili- gen Gesamtrahmen für das Werk, durch den sich alle übrigen Beziehungen und Prozesse bestimmen.

Nebenpersonen erscheinen teils episodisch, teils durchgängig, und nehmen teil- weise großen Einfluß auf das Gesamtgeschehen, wie beispielsweise Nurov in

״ Procie naselennye punkty“, der durch das Erzählen der Heiligenlegende Bekov zum Nachdenken bringt, wodurch diesem die .Erleuchtung' kommt — was durch das plötzliche Aufleuchten eines Autoscheinwerfers dramaturgisch unterstrichen w ird.131

Die Folgerungen der Entscheidungen der Hauptperson für die Nebenfiguren wer-

»

den deutlich am Beispiel von Egamov in ״ Procie naselennye punkty“, der immer treu an der Seite Bekovs gestanden hat und für dessen Ideale und Ziele mitkämpf- te und nach dem plötzlichen Sinneswandel Bekovs gezwungen ist, auch sein Leben neu zu überdenken.

Pulatov arbeitet auch die innere Welt seiner Nebenfiguren heraus und läßt sie damit mehr werden als bloße ״ Stichwortgeber“ für den Handlungsfortgang.

Bemerkenswert (für einen in der orientalischen Tradition stehenden Autor) ist, daß das auch für seine Frauengestalten gilt. Einerseits wird die Stellung der Frau in Mittelasien realistisch dargestellt (vgl. dazu auch Punkt 2.1), andererseits macht er deutlich, daß Frauen ihre eigene Innenwelt haben, also nicht nur als Anhängsel des Mannes zu betrachten sind. Sein großes psychologisches Gespür zeigt sich dabei m. E. vor allem darin, daß es ihm gelingt, mit oft nur wenigen Strichen auch das Innenleben von scheinbar weniger wichtigen Gestalten leben- dig werden zu lassen. Als Beispiel dafür möchte ich zunächst Chatun anführen, die Bessaz nach seiner Metamorphose zum Menschen heiraten soll. Ihre Ängste werden dargestellt und auch ihr Vorleben dem Leser nahegebracht. In ״ Zavseg- dataj“ wird auf die Lebensgeschichte von Savia, die mit Achun ein Verhältnis hat, eingegangen. Durch Savia bekommt die Ich-Erzählung eine ganz neue Dirnen- sion. In ihrem Dialog mit Achun wird dieser erstmals im Spiegel und aus der Sicht einer anderen Person dargestellt und erscheint dabei als weniger positiv als in der Eigendarstellung. Dem Leser werden so seine Schwächen auf diese Weise nochmals deutlich vor Augen geführt.132

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Ueber die genialen Entdeckungen Nikola Teslas auf dem Gebiete der Elektrizität, die sich bereits die ganze technische Welt zunutze macht, wird dieser Tage zur Geburtstagsfeier

Die Christen wurden, wie auch Jesus selbst, verfolgt, festgenommen und teilweise getötet. Men- schen starben, weil sie von Jesus begeistert waren. Trotzdem hörten die Christen

[r]

Ich habe meinen Hund lieb.. Zeichne

Bevor ich, Putnam folgend, erörtern möchte, ob uns diese Diagnose Wittgensteins unwiederbringlich in den relativistischen Abgrund stürzen muss, will ich fragen: Woran lässt

Schon 1707 schreibt der hochgesinnte Mä- zen an die Hofkammer, daß er „di- sen Franz Remb vor sehr Vill Jah- ren vor Seinen Maller aufgenum- ben“, daß er ihn lange im Palais bei

Tina singt sehr schön.. ______ Meer zu schwimmen

[r]