Editorial
415 Agrarforschung Schweiz 4 (10): 415, 2013
Liebe Leserin, lieber Leser
Als Max Frisch 1979 seine Erzählung «Der Mensch erscheint im Holozän»
veröffentlichte, ahnte er kaum, dass ebendieses geologische Zeitalter im Begriff ist zu Ende zu gehen. Auch wenn der Titel naturwissenschaftlich gesehen falsch ist, hat er doch in Bezug auf den modernen Menschen seine Richtigkeit: Das Holozän – ein relativ warmer und klimatisch stabiler Zeit- raum von 10 000 bis 12 000 Jahren – hat die günstigen Rahmenbedingungen für die kulturgeschichtliche Entwicklung geschaffen, die den heutigen Men- schen prägen.
Doch in den letzten 200 Jahren ist der Mensch zunehmend selber zu einem geologischen Faktor geworden: Ein neues Zeitalter, das Anthropozän hat begonnen. Die immer deutlicher werdenden Folgen des menschlichen Wirkens auf Klima und Ökosystem sind uns allen bekannt. Gemäss Paul J.
Crutzen, Athmosphärenforscher und Nobelpreisträger, der massgeblich den Begriff Anthropozän geprägt hat, kann das neue Zeitalter – bislang – in drei Phasen unterteilt werden. Die erste Phase von zirka 1800 bis 1945, also im Wesentlichen das Industriezeitalter umfassend, steht für den sich verbreiten- den Einsatz von fossilen Brennstoffen. Bis 1945 stieg die CO2-Konzentration bereits auf ein Mass an, das die statistische Variation während des Holozäns bei Weitem überstieg. In der zweiten Phase, die von 1945 bis – wie Crutzen erwartet – zirka 2015 dauern wird und die er «The Great Acceleration» nennt, nimmt die Dynamik des menschlichen Einflusses auf die Umwelt dramatisch zu. Typisch für diese Phase ist, dass ein Umdenken beim Einzelnen wie auch bei den zentralen Entscheidungsträgern in Wirtschaft und Politik nur zöger- lich beginnt, und Anstrengungen, um auf internationaler Ebene Lösungen zu finden, nur mit sehr bescheidenem Erfolg gesegnet sind.
Dass die Menschheit für die nächsten Tausende wenn nicht für die nächs- ten Millionen Jahre ein wichtiger geologischer Einflussfaktor bleiben wird, ist unbestritten. Die grosse Frage für die dritte Phase des Anthropozän ist jedoch, welche Rolle der Mensch in Zukunft dabei übernimmt. Die Entwick- lung von international anerkannten, wirkungsvollen Strategien, um das menschliche Handeln und das globale Ökosystem in eine nachhaltige Balance zu bringen, ist eine der grössten politischen und wissenschaftlichen Heraus- forderungen überhaupt. Und da sich langsam die Erkenntnis durchsetzt, dass herkömmliche Denkansätze, etwa zur Reduktion des CO2-Ausstosses, wohl zu wenig schnell wirken werden, um für den Menschen schwerwiegende Folgen des Klimawandels noch rechtzeitig abwenden zu können, werden immer mehr Wege diskutiert, wie in Zukunft aktiv in das globale Klimage- schehen eingegriffen werden kann. Diese unter dem Begriff Geo-Enginee- ring zusammengefassten Ansätze haben in der Regel das Bremsen der Klima- erwärmung, den Abbau der CO2-Konzentration oder die Verhinderung der Übersäuerung der Meere zum Ziel.
Wir stehen in dieser Entwicklung noch ganz am Anfang und es ist zu hoffen, dass der Mensch seine Fähigkeiten dazu einsetzen wird, seine Rolle als «geologischer Faktor» in Zukunft verantwortungsbewusst wahrzuneh- men. Einer auf nationaler wie internationaler Ebene erfolgreichen Agrarfor- schung wird in diesem Zusammenhang eine grosse Bedeutung zukommen.
Paul Steffen, Leiter Agroscope Reckenholz-Tänikon ART