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Archiv "Ausstellung im Willy-Brandt-Haus Berlin: Auf der Suche nach der verlorenen Identität" (12.12.2003)

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ls kleiner Junge wollte ich keine Gelegenheit verpassen, ins Stadtzen- trum zu gehen, es war wie eine Reise für mich.“ Das Interesse am Besuch des Florentiner Zentrums hat sich etwa 40 Jah- re später im Jahr 2002 für Mas- simo M., Buchhändler in Flo- renz, verändert.

„Wenn ich sehe, dass das Zentrum immer weniger Ak- tivitäten innerhalb des Vier- tels hat und stattdessen immer mehr Kommerz für Touristen entsteht und der eigentliche Charakter der Stadt abhan- den geht, dann beunruhigt mich das“, sagte Massimo M.

zu Studierenden, die in Flo-

renz Menschen befragten:

Wie es sich aus ihrer Sicht (der Sicht der Bewohner) in den historischen Vierteln europäi- scher Städte lebt? Wie wirkt sich Massentourismus und ökonomische Aufwertung auf das urbane Sozialgefüge und die lokale Kultur aus?

Die Fragen wurden in Flo- renz, Berlin und Neapel ge- stellt, und aus den Antworten daraus wurden 60 fotografi- sche und psychologische Be- wohnerporträts erstellt – vom illegalen Parkplatzwärter über den Geigenbauer, die Profes- sorin für Urbanistik, den Ver- leger bis zum Bundestags- präsidenten. Die Ausstellung

„Erzählungen und Bilder der

Stadt: Lebensqualität und Tourismus in historischen Vierteln von Florenz, Berlin und Neapel“ ist noch bis zum 30. Dezember im Willy- Brandt-Haus in Berlin-Kreuz- berg zu sehen.

Gibt es einen Ausweg für den Identitätsverlust berühm- ter Städte und ihre Plätze?

Antworten auf diese Frage versucht die Ausstellung zu geben. „Die Vielfalt der Ant- worten und Perspektiven, die in der Ausstellung zu Wort kommen, ergibt jedoch keine einheitliche politische Bot- schaft“, sagte Prof. Dr. med.

Dr. phil. Heiner Legewie bei der Ausstellungseröffnung An-

fang November in Berlin. Er absolvierte mit einer Gruppe von Studierenden und Mitar- beitern von 2000 bis 2002 ein Feldforschungsprojekt in zwei historischen Vierteln Berlins – Spandauer Vorstadt (Berlin- Mitte) und Kollwitzplatz- Viertel (Prenzlauer Berg) und

als Gast der Universität Flo- renz im historischen Zen- trum (Centro storcio). Lege- wie war von 1977 bis zu seiner Emeritierung 2002 Professor für Klinische Psychologie, Ge- sundheits- und Gemeindepsy- chologie an der Technischen Universität Berlin. Die Kura- toren der Exposition sind Le- gewie und Dr. Maurizio Mor- dini, der als klinischer Psycho- loge und Gemeindepsycholo- ge in Stadtteilprojekten in Florenz arbeitet und einen Treffpunkt für Obdachlose leitet.

Die Antworten der Be- wohner sind vielfältig. Man- che beschwören nostalgisch das „alte Kiezmilieu“, andere entwickeln Ideen, wie dieser Wandel nach „menschlichem Maß“ vollzogen werden soll- te, wieder andere fühlen sich durch Tourismus verdrängt.

Den Auswirkungen des öko- nomischen Wandels steht auch der Geigenbauer Jörg L.

kritisch gegenüber. Er be- treibt seine Werkstatt in der Spandauer Vorstadt. „Das war früher mal ’ne schlichte Wohngegend und droht zu ei- nem Ausstellungsstück, zu ei- ner Kulisse, zu verkommen. “ Mariella Z., Professorin für Urbanistik in Florenz, kon- statierte, dass nur etwa fünf Prozent der Besucher wirkli- che Kulturtouristen seien.

Die Stadt werde durch die Massen in Mitleidenschaft ge-

zogen, dass der eigentliche Alltag, die Identität, verloren geht. Der Reiz von Florenz war aber gerade dieses Ver- hältnis zwischen den Trattori- en, den Handwerkerwerk- stätten und der Kunst. Die steigenden Mieten könnten sich die Künstler nicht mehr leisten.

Über schmerzliche Verän- derungen durch die ökonomi- sche Aufwertung in Touristen- vierteln weiß auch Bundes- tagspräsident Wolfgang Thier- se (SPD) zu berichten. Er lebt am Kollwitzplatz in Prenzlau-

er Berg. Thierse räumt ein, dass der Kollwitzplatz 1989 ein Mythos wurde, was sich sofort verteuernd auswirkte.

Da seien manche verdrängt worden, weil die Mieten ge- stiegen sind. „Es sind manche Geschäfte kaputtgegangen, die vierzig Jahre Kommunis- mus überstanden haben, aber zehn Jahre Kapitalismus nicht“, sagte Thierse. Er sehe das mit Trauer. „Aber ich ha- be immer gesagt, man konnte den Kollwitzplatz nicht unter eine Käseglocke stellen“, so Thierse. Vorschläge zur Ver- besserung der Situation hat der Florentiner Buchhändler Massimo M.: „Die begehrten Plätze müssen mit kulturellen Veranstaltungen wie Bücher- verkäufen, Theatervorführun- gen oder Konzerten belebt werden. Wir brauchen Qua- lität, nur so können wir zu un- ser Identität zurückfinden und wirklich etwas Nützliches tun, auch für die, die nur einen Tag kommen.“ Susanne Lenze Die Ausstellung läuft bis zum 30.

Dezember im Willy-Brandt-Haus, Wilhelmstraße 141 in Berlin-Kreuz- berg und ist von Dienstag bis Sonn- tag, außer montags, täglich von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Der Katalog kostet sechs Euro.

V A R I A

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 5012. Dezember 2003 AA3327

Ausstellung im Willy-Brandt-Haus Berlin

Auf der Suche nach

der verlorenen Identität

Studie: Massentourismus zerstört Lebensqualität.

„Es sind manche Geschäfte kaputtgegangen, die vierzig Jahre Kommunismus über- standen haben, aber zehn Jahre Kapitalismus nicht.“

Wolfgang T., 59 Jahre, Bundestagspräsident, lebt seit 25 Jahren am Kollwitzplatz in Berlin- Prenzlauer Berg.

„Die Leute sagten:

Also in dieser Gegend wollen wir nicht mehr wohnen. Die ziehen weg!

Wir sind eine Single- Gegend geworden.“

Waltraud B., 65 Jahre, Bäckermeisterin, betreibt eine 1926 gegründete Bäckerei in Berlin-Spandau.

„... einer der hier geboren ist, kann mitunter sehr provinzell sein und die Reichtümer seiner Stadt nicht zu schätzen wissen.“

Giannozzo P., 57 Jahre alt, Verleger, Nachfahre einer der ältesten Familien von Florenz

Fotos:Willy-Brandt-Haus

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