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EINE TEILA
LANTA
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
POST SCRIPTUM
Boshaftigkeiten
Der bedeutende Wiener Psych- iater Julius Wagner-Jauregg fei- erte im Jahre 1927 seinen 70.
Geburtstag und nahm damit Ab- schied von der Universität. Man bereitete ihm die üblichen Eh- rungen, zahlreiche Reden wur- den gehalten und die vielfälti- gen Verdienste des Jubilars ge- bührend gewürdigt.
Am Schluß der Feier stand Wag- ner-Jauregg auf und begann seine Dankrede mit folgenden Worten: „Die Herren Festredner haben von meinen verschiede- nen Eigenschaften berichtet, aber keiner von ihnen hat er- zählt, was für ein boshaftes Lu- der ich eigentlich bin .. "
Viele von Wagner-Jaureggs selbsteingestandenen Boshaf- tigkeiten sind überliefert. So sagte er einmal über seinen ei- genen Berufsstand: „Meine Herren, geben wir doch zu, daß sich die Irrenärzte von ihren Pa- tienten in den meisten Fällen nur durch die akademische Vor- bildung unterscheiden!"
Ein junger österreichischer Neurochirurg, der in Deutsch- land ausgebildet worden war,
Julius Wagner-Jauregg, Porträt von Alfred Gerstenbrand
hielt in der Wiener Gesellschaft der Ärzte einen Vortrag über Gehirnoperationen. Mit der Un- bekümmertheit der Jugend be- richtete er über die gewagte- sten Eingriffe aller Art und über die zahlreichen Gehirnpartien, deren operative Entfernung ge- glückt sei. In der anschließen- den Diskussion stand Wagner- Jauregg auf und sagte: „Herr Kollege, ich habe heute gelernt, daß ich mich das ganze Leben mit einem Organ beschäftigt ha- be, das der Mensch eigentlich gar nicht braucht."
Ebenfalls 1927, im Alter von 70 Jahren, hatte Wagner-Jauregg für die Malariatherapie der Para- lyse den Nobelpreis erhalten. Er hat in seinen Lebenserinnerun- gen sehr anschaulich beschrie- ben, weshalb er den Preis zu- nächst einmal nicht erhielt:
„Den Nobelpreis für Medizin verleiht das Karolinische Institut der Universität Stockholm, wel- ches unserem medizinischen Professoren-Kollegium ent- spricht. Über meinen Vorschlag mußte natürlich der Professor der Psychiatrie, Gadelius, refe- rieren, der sagte, er könne sich nicht entschließen, einem Arzt, der einem Paralytiker noch Ma- laria einimpfe, den Nobelpreis zu verleihen, denn er sei in sei- nen Augen ein Verbrecher. So mußte ich also warten, bis die- ser alte Herr pensioniert wurde.
Ich habe ihn übrigens, als ich im Dezember 1927 den Nobelpreis in Stockholm bekam, kennen- gelernt, und wir haben uns ganz freundschaftlich unterhalten.
Über die Malariatherapie haben wir allerdings nicht gespro- chen ... "
Aus: „Der liebe Gott ist Internist oder der Arzt in der Anekdote" von Profes- sor Dr. Walther Birkmayer und Gott- fried Heindl, 200 Seiten mit 16 Bildsei- ten, 22 DM; Reihe Kleine Neff-Brevie- re, Paul Neff Verlag, Wien
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310 (108) Heft 5 vom 3. Februar 1984 81. Jahrgang Ausgabe A