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Archiv "Skelette erzählen . . ." (27.01.1984)

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Renate Scheiper

Kulturmagazin

GESCHICHTE DER MEDIZIN

Skelette erzählen . .

Eine Ausstellung zeigt Menschen des frühen Mittelalters im Spiegel der Anthropologie und Medizin

Wohl dem Museum, das eine Moorleiche vorweisen kann. Ein steter Besucherstrom ist damit gesichert. Auch eine Mumie oder außerordentliche Goldschätze locken die Besucher. Es sind Din- ge, mit denen jeder sich in irgend- einer Weise identifizieren kann — und wenn es nur der wohlig-gru- selige Schauer ist, der einem an- gesichts des Schicksals einer Moorleiche über den Rücken läuft.

Nun jedoch wird das Rheinische Landesmuseum in Bonn seine To- re für eine Ausstellung öffnen, die jedem in der einen oder anderen Weise die Möglichkeit gibt, sich mit unseren Vorfahren zu identifi- zieren — gewissermaßen hautnah.

In interdisziplinärer Zusammenar- beit haben der Tübinger Anthro- pologe Dr. Alfred Czarnetzki, die prähistorische Archäologin Dr.

Rotraud Wolf aus Stuttgart und der Arzt Dr. Christian Uhlig vom Katharinenhospital in Stuttgart die Idee realisiert, die Vergangen- heit nicht nur nach kulturellen Hinterlassenschaften zu durchfor- schen, sondern in Frühmittelalter- lichen Gräberfeldern das Eigent- liche, nämlich die Skelette, zum Hauptgegenstand ihrer Forschun- gen zu machen.

Um so erstaunlicher sind die Er- gebnisse, die jetzt in ausgedehn- ten Grabanlagen im heutigen Württemberg für das Frühe Mittel- alter zutage kamen. Da die dort vom fünften bis zum achten Jahr-

Künstlich geformter Schädel durch Bandagierung des Kopfes über Stirn- und Hinterhaupt vom Säuglings- bis ins Erwachsenenalter

hundert siedelnde alamannische Bevölkerung über einen langen Zeitraum kontinuierlich ihre Toten unverbrannt bestattete, sind diese Gräber ein Dorado speziell für po- pulationsgenetische Forschun- gen und Untersuchungen von Ver- letzungen, Krankheiten, Heilung oder Todesursachen unserer Vor- fahren.

Insgesamt wurden bisher die sterblichen Überreste von 2095 Personen untersucht. Die interes- santesten Fälle sind in dieser Aus-

stellung — nach Krankheitsbildern und speziellen Verletzungen ge- trennt — übersichtlich und mit her- vorragenden Legenden versehen ausgestellt.

Wirbel- und Gelenkerkrankungen Zu den wenigen Krankheitsbil- dern, die zahlenmäßig sinnvoll an Skelettresten erfaßt werden konn- ten, gehören neben Zahnerkran- kungen Veränderungen der Wir- belsäule. Ein großer Teil altersbe- dingter Veränderungen fällt aller- dings aus, weil das Durchschnitts- alter der damaligen Population bei vierzig Jahren lag. Am häufig- sten ist bei Frauen und Männern die Lendenwirbelsäule befallen.

Ein relativ hoher Anteil der Frauen weist Halswirbelsäulenverände- rungen auf, bei den Männern ist die Brustwirbelsäule dagegen öf- ter anomal. Vergleichsuntersu- chungen an heute lebenden Men- schen können nicht auf Klärung der Ursachen bei unseren Vorfah- ren beitragen, da unsere heutigen Lebensbedingungen nicht mehr identisch sind.

Obwohl vom medizinischen Standpunkt aus nicht gerechtfer- tigt, sind wegen der besseren Übersichtlichkeit in der Ausstel- lung Wirbel- und Gelenkerkran- kungen getrennt dargestellt. Wir finden Fälle von Wirbeltuberkulo- se und Krankheiten des rheumati- schen Formenkreises, darunter Funde mit besonders schweren Verlaufsformen.

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 4 vom 27. Januar 1984 (99) 223

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Öffnung der Schädeldecke zu Lebzeiten mit einem relativ stumpfen Bohrinstru- ment; der Kranke ist nicht an den Folgen der Operation gestorben, da die Hirnhäute nicht beschädigt wurden

Skelette erzählen

Gonarthrose

Eine weitere Gruppe von Wirbel- und Gelenkerkrankungen ist die Folge von Stoffwechselstörungen, wie bei einer erwachsenen Frau starke Verbiegung der Beine durch Knochenerweichung infol- ge Vitamin-D-Mangels im Kindes- alter: Abknickung des Unter- schenkelkopfes beidseitig zur Mitte hin. Zusätzliche Absenkung der inneren Gelenkfläche nach hinten. Verdrehung des Unter- schenkelschaftes beiderseits nach innen. Am rechten und lin- ken Kniegelenk Teil der Gelenk- fläche spiegelblank geschliffen, nur noch dort bestand Kontakt zwischen Ober- und Unterschen- kel. An der Innenseite des linken Kniegelenks fast vollständige Ver- zahnung der verformten Gelenk- flächen. Auswirkung: Durch ein- seitige Belastung bei 0-Beinen schwerste Gonarthrose.

Zwei Funde einer chronischen Osteomyelitis werden in der Aus- stellung gezeigt. Bei einem 30 bis 40 Jahre alten Mann ist die Ursa- che eine gut verheilte Oberschen- kelhalsfraktur. Die charakteristi-

schen Fisteln im chronischen Sta- dium bedeuten, daß der Umgang mit dem Erkrankten für seine Um- welt durch den ständig fließenden

Eiter und die damit verbundene penetrante Geruchsbildung äu- ßerst unangenehm war. In diesem Fall war der Kranke offensichtlich ein hoher Amtsträger. Die auch seine Mitmenschen belästigende schwere Krankheit war kein Grund, ihn seines Amtes zu enthe- ben. Denn in seinem Grab fällt un- ter anderen Beigaben besonders ein kostbares Langschwert auf, dessen Griff mit Goldblech belegt ist. Solche „Goldgriffspathen"

sind keine Gebrauchsschwerter, sondern dienen der Repräsenta- tion. Das dünne Goldblech hätte einer robusten Verwendung im Kampf nicht standgehalten.

Der Mann war in seiner Bewe- gungsfähigkeit stark einge- schränkt; er hatte Schmerzen und Beschwerden beim Gehen. Daß er trotz allem offenbar sein Amt bis zu seinem Tode ausübte, spricht für die damalige Gesellschaft, die Kranke aufgrund ihrer Leiden nicht aus der sozialen Gemein- schaft ausschloß.

Eines der Anliegen der Ausstel- lung ist es, individuelle Schicksale einzelner Menschen im Frühen Mittelalter zu verdeutlichen und die herrschenden Sozialstruktu- ren aufzuschlüsseln.

Arbeitsweise der Wissenschaftler

Die Bergung der sterblichen Re- ste ist den Prähistorikern vorbe- halten. Die Arbeit der Anthropolo- gen beginnt im Labor. Die Skelett- reste müssen vom anhaftenden Erdreich gründlich befreit wer- den. Danach werden die Bruch- stücke so weit wie möglich restau- riert, um die ursprüngliche Form des entsprechenden Skeletteils wieder zu erhalten. Bereits wäh-

rend der Präparation können wichtige Veränderungen an den Bruchkanten des Knochens beob- achtet werden. Gleichzeitig kön- nen die altersabhängigen Merk- male, nach denen das biologische Alter der einzelnen Personen be- stimmt wird, genauer als im re- staurierten Zustand beobachtet werden. Auch krankhafte Verän- derungen können während dieser Vorarbeiten bereits radiologisch, rasterelektronenmikroskopisch und photographisch festgehalten werden.

Nach diesen Arbeiten folgt die Al- ters- und Geschlechtsbestim- mung. Da das biologische Alter vom kalendarischen Alter abwei- chen kann, darf es nicht so genau bestimmt werden, wie es anhand der erarbeiteten Methoden mög- lich wäre. So werden der Entwick- lungszustand der Zähne und die Verknöcherung der Epiphysenfu- gen nur auf zwei Jahre genau und der Verknöcherungsgrad der Schädelnähte in Zeitspannen von zehn Jahren bestimmt. Das Ge- schlecht kann bei gut erhaltenem Skelett (ausgenommen bei Kin- dern) in 96 Prozent aller Fälle si- cher bestimmt werden. Dazu eig- nen sich unter anderen Merkma- len die Incisura ischiadica maior (große Sitzbeinfuge) und die Überaugenregion des Schädels.>

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Im nächsten Arbeitsgang wird an- hand von Meßstrecken und epige- netischen Merkmalen die Mor- phologie rekonstruiert. Liegen von allen untersuchten Individuen die erfaßbaren Daten wie Alter, Geschlecht, metrisch erfaßte Mor- phologie und epigenetische Merkmale vor, werden die Einzel- informationen mit statistischen Methoden zusammengefaßt. Aus einer größeren Anzahl von erfaß- ten Mittelwerten können Dendro- gramme erstellt werden für ver- schiedene Populationen. Außer- dem sind Kombinationen ver- schiedener Merkmale möglich.

Man kann die Verteilung der Krankheitsbilder aufgeteilt nach sozialen Schichten ermitteln, aber auch Gesichts- und Schädelfor- men, Körperhöhe und Sterblich- keit. Diese Bilder können wieder- um nach unterschiedlichen Epo- chen und regionale Gebiete auf- geschlüsselt werden. In großen, übersichtlichen Tafeln sind sol- che Ergebnisse in der Ausstellung wiedergegeben.

Soziale Unterschiede

Durch die interdisziplinäre Zu- sammenarbeit war es möglich, neben den rein paläopathologi- schen Forschungen auch die ar- chäologischen Funde auszuwer- ten und auf diese Weise Schlüsse über die Gesellschaftsstruktur der Alamannen im Frühen Mittelalter zu ziehen. Die sozialen Gruppen konnten in vier Klassen eingeteilt werden: Adel, Freie, Halbfreie und Unfreie.

Zum Beispiel würde man anneh- men, daß mit zunehmender Höhe der sozialen Klasse die Erkran- kungen der Wirbelsäule seltener wurden. Die Untersuchungser- gebnisse aber widersprechen dem: In der Gruppe der Freien fanden sich keine erkrankten Wir- bel; die der höher gestellten Adli- gen sind dagegen zu 25 Prozent erkrankt. Besonders hoch, näm- lich rund 50 Prozent, ist der Anteil der Wirbelsäulenveränderungen bei den Halbfreien. Und die Grup-

pe der Unfreien zeigt einen Befall weit unter den Erwartungen mit nur 25 Prozent, also identisch mit dem der Adligen. Geht man davon aus, daß eine übermäßige Arbeits- belastung die Hauptursache für Wirbelveränderungen ist, stehen wir vor einem Rätsel. Zwar kann auch häufiges Sitzen oder exten- sive sportliche Betätigung (Adli- ge) zu Wirbelsäulenerkrankungen führen. Doch sollte man anneh-

Die Ausstellung „Skelette erzählen ..." wird vom 9.

Februar bis zum 18. März 1984 im Rheinischen Lan- desmuseum in Bonn zu se- hen sein. Diese Funde aus frühmittelalterlichen Grä- berfeldern, die bereits im Westfälischen Museum für Archäologie in Münster in Westfalen zu sehen wa- ren, werden auch im Kan- tonsmuseum Baselland in

Liestal und im Muse de ('Homme in Paris ge- zeigt. Voraussichtlich 1986 kommt die Ausstellung nach Wien.

men, daß die Unfreien weit schwerere körperliche Arbeiten zu verrichten hatten als die Halb- freien. Hinsichtlich der Untertei- lung in die einzelnen sozialen Schichten kann aber kein Irrtum vorliegen, da in jeder Epoche — auch heute noch — die Ausstat- tung der Gräber und früher die unterschiedlich wertvollen Grab- beigaben ein untrügliches Zei- chen sozialer Zuordnung sind.

Solche und andere Rätsel bleiben zu lösen.

Weitere interessante Aussagen sind hinsichtlich der Körperhöhe und der Schädeltypen möglich.

Erreichten früher die Frauen im württembergischen Raum zwi- schen 88 und 94 Prozent der Kör- pergröße der Männer (Ge- schlechtsdimorphismus), sind es heute in Württemberg 96 Prozent.

Und, wie zu erwarten, findet man Unterschiede in der Körperhöhe zwischen den sozialen Gruppen:

Zu jeder Zeit und grundsätzlich haben Angehörige der sozial hö- heren Schichten eine größere Körperhöhe als die der niedrige- ren. Das ist ein bisher nicht zu klä- rendes Phänomen. Czarnetzki zieht daraus den Schluß, daß es möglicherweise eine Art Sie- bungseffekt gegeben hat; daß nicht unbedingt der älteste Sohn das Geschlecht weiterführte, son- dern der edlere, der größere. Also kann es eine Art morphologische Auslese gewesen sein.

Die Untersuchung der Schädelty- pen ergibt ein ähnliches Resultat:

Die Abnahme der Höhenmaße vom Adel zu den Unfreien ist so- wohl beim Gesicht als auch beim Hirnschädel eindeutig. Der obere Bereich des Gesichts ist bei den Halbfreien und Unfreien breiter.

Hohe, schlanke Schädel sind ein- deutig das Kennzeichen der ala- manischen Adligen.

Schädel-Hirn-Verletzungen Daß es Ärzte gegeben hat, wissen wir nur aus dem ,Lex Alamanno- rum`, wo mehrfach das Wort „me- dicus" in juristischem Zusammen- hang erwähnt wird. Wenn bei ei- ner Verletzung, die einer dem an- deren zugefügt hat, ein Arzt zuge- zogen werden mußte, war die Strafe höher. Aus diesen Rechts- vorschriften gibt es auch Hinwei- se auf offene Schädelhirnverlet- zungen, die vom Arzt behandelt wurden: „Wenn der Arzt das Ge- hirn mit einer Nadel oder einem Tuch berühren kann ... ", war die Strafe höher.

Reichlich liegen Schädel mit Kopfverletzungen der streitbaren Alamannen vor. Mehrere Beispie- le in der Ausstellung beweisen, daß Knochensplitter entfernt wor- den sind und daß Eröffnung der Schädeldecke und der Hirnhäute überlebt wurden, wie zum Bei- spiel bei einem 50 bis 60 Jahre al- ten Mann: Ursache war ein schrä- Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 4 vom 27. Januar 1984 (103) 225

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Trepanation, vermutlich wurde zu Lebzeiten mit einem scharfen Bohrinstrument der Schädel eröffnet; der Eingriff wurde nicht überlebt

Foto (3): Württembergisches Landesmuseum, Stuttgart Skelette erzählen

ger Hieb auf die rechte Stirnseite.

Dreieckiger Defekt im Stirnbein oberhalb des rechten Auges, obe- rer Augenhöhlenrand mehrfach eingebrochen. Eröffnung beider Stirnhöhlen. Alle Ränder des De- fektes durch Knochenumbildung abgerundet. Es lag also eine offe- ne Schädelhirnverletzung mit Freiliegen des Gehirns vor. Kno- chenfragmente wurden bei der Wundbehandlung entfernt, da- nach Ausheilung der Verletzung mit bleibendem Defekt. (Häufig Verhaltensstörungen als Spätfol- ge einer Hirnquetschung im Stirn- bereich.)

Auch findet man an Schädeln mit verheilten knöchernen Verletzun- gen oft erstaunlich reizlose Kno- chenränder, was auf eine fehlen- de Infektion hinweist. Ob aller- dings, wie bereits bei Hippokrates beschrieben, desinfizierende Substanzen wie Steinkohleteer u. ä. verwendet wurden, läßt sich nicht klären. Nur über die Verwen- dung von Brenneisen bei Blutun- gen („ si calidum ferrum intra- verit . . ") gibt es Hinweise. — Par- allel mit den Schädelverletzungen durch Schwerthiebe gehen iso- lierte Ellenschaftbrüche, typische Parierf rakturen.

Trepanationen

Die Alamannen waren sogar in der Lage, Trepanationen durchzufüh- ren, wie zwei Fälle in der Ausstel- lung zeigen. Bei einem 20- bis 30jährigen Mann befindet sich ei- ne kreisrunde Öffnung von zirka einem Zentimeter Durchmesser in der Schädeldecke. Die Öffnung verjüngt sich nach innen. Scharfe Randkonturen. Vermutlich wurde die Schädelöffnung mit einem scharfen Bohrinstrument durch- geführt. Im Gegensatz zu dem an- deren ausgestellten Fall wurde der Eingriff nicht überlebt, und zwar wahrscheinlich wegen einer durch die Schärfe des Werkzeu- ges bedingten Verletzung der Hirnhäute mit folgender Gehirnin- fektion oder nicht beherrschbarer

Blutung aus einem Hirnhautgefäß.

Nicht klar ist, ob die Trepanatio- nen in der Absicht vorgenommen wurden, zu heilen oder ob es ein religiöser Ritus war, der bei Per- sonen, die religiöse Ämter inne- hatten, eine Bewußtseinserweite- rung herbeiführen sollte. Die älte- ste bisher bekannte Trepanation wurde im Gebiet des heutigen Ma- rokko gefunden und stammt aus der ausgehenden Altsteinzeit (10 000 v. Chr.).

Karzinome —

schwierig zu diagnostizieren Eine ebenfalls interessante Grup- pe in der Ausstellung bilden die Lungen-, Mamma- und Prostata- karzinome, die an den durch Me- tastasen gebildeten Knochen- markveränderungen nachgewie- sen werden können. Allerdings wurden sie bisher selten an Ske- lettfunden erkannt, da die Verän- derungen im Knochengewebe so

minimal sind oder wegen ihrer Ähnlichkeit mit Verwitterungsvor- gängen meist mit diesen verwech- selt werden. Um so beachtens- werter ist der Fall eines jungen Alamannen (16 bis 18 Jahre), der offensichtlich an den Folgen ei- nes besonders bösartigen Osteo- sarkoms gestorben ist.

Künstliche Schädelverformungen Eine bemerkenswerte, wenn auch nicht krankhafte Veränderung weiblicher Schädel ist noch zu er- wähnen: Vermutlich eine von den Hunnen im fünften Jahrhundert aus Asien mitgebrachte Sitte ist das Bandagieren des Schädels im Kleinkindalter. Auch Langobar- den, Thüringer und Burgunder ha- ben diesen Brauch übernommen.

Der Kopf wurde über Stirn, vorde- rem Scheitelbereich und Hinter- haupt bandagiert. Das Ergebnis ist Eindellung der Stirn, oberhalb

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davon Vorwölbung, weitere Ein- dellung im vorderen Schädelbe- reich, starke Aufwölbung kurz vor dem Hinterhaupt und steiles, hochgedrücktes Hinterhaupt. Die- se Methode der künstlichen Über- längung des Gesichts- und Kopf- schädels führt nur selten zu Stö- rungen im Gehirn, da das Gehirn an die Form des Schädels anpas- sungsfähig ist. Die Talsache, daß eine solche künstliche Verfor- mung des Schädels bisher nur bei Frauen festgestellt wurde, läßt die Vermutung zu, daß es sich viel- leicht um die Einheirat „exoti- scher" Frauen gehandelt hat. Die ursprünglichen Motive für eine solche Verformung sind vermut- lich im sakralen Bereich zu su- chen. Für die weitere Verbreitung mag später ein bestimmtes Schönheitsideal maßgebend ge- wesen sein.

Beispielhafte Zusammenarbeit Wenn man sich vergegenwärtigt, daß normalerweise bei archäolo- gischen Ausgrabungen die Kno- chen weggeworfen oder besten- falls in irgendeiner dunklen Ecke ein trauriges Schattendasein fri- sten, kann man ermessen, wel- cher Stellenwert in der Wissen- schaft dieser neuen Zusammenar- beit von Naturwissenschaftlern und Historikern zuzumessen ist.

Das Ergebnis dieser interdiszipli- nären Gemeinschaftsforschung nun auch noch in einer so hervor- ragenden Ausstellung der Allge- meinheit zugänglich zu machen und nicht nur in Fachzeitschriften zu publizieren, verdient als muti- ge und engagierte Novität beson- dere Anerkennung.

Anschrift der Verfasserin:

Dr. Renate Scheiper Semperplatz 5 2000 Hamburg 60

Erich Heckel:

„Brücke" und mehr

Bis 12. Februar ist noch Gelegen- heit, im Münchener „Haus der Kunst" die große Ausstellung von Gemälden, Aquarellen, Zeichnun- gen und Druckgraphiken des 1970 verstorbenen Expressionisten Erich Heckel zu sehen.

87 Jahre alt war Erich Heckel ge- worden; aber viele Kunstfreunde verengen im Rückblick sein Le- benswerk auf jene acht Jahre, welche die berühmte Künstlerge- meinschaft „Brücke" bestand (1906/1913). Über diese histori- sche Enge greift die Ausstellung weit hinaus. Sie gibt ein Bild des ganzen Heckel, der in späteren Jahren ganz offensichtlich von der neuen Sachlichkeit beein- druckt war, bis hin zur harmo- nisch-reichen Ornamentik des Spätwerks.

Allerdings: Die Werke der „Brük- ke"-Zeit machen nach wie vor den stärksten Eindruck; sie sind in den Augen der Kunstfreunde eben

„die typischen" (wie zum Beispiel die auf diesen Seiten in starker Verkleinerung abgebildeten Holz- schnitte (mit freundlicher Geneh- migung des Prestel-Verlags, Mün- chen, dem Katalogwerk*) entnom- men).

Zwei Frauen, ein Holzschnitt Erich Heckels aus dem Jahre 1910

Ein Selbstbildnis Erich Heckels aus dem Jahre 1917 (Holzschnitt)

Nur marginal sei hier daran erin- nert, daß Erich Heckel als Kran- kenpfleger in einem flandrischen Lazarett des Ersten Weltkriegs tie- fe Eindrücke empfing, die lange in seinen Arbeiten nachwirkten. Die Bildnisse von Ärzten und Pfle- gern, Verwundeten und Genesen- den, die in der Ausstellung zum Teil zu sehen sind, zeugen davon.

EB

*) Erich Heckel (1883-1970), Gemälde — Aqua- relle — Zeichnungen — Graphik. Katalog der Gedächtnisausstellung zum 100. Geburtstag in Essen und München. 1983/84. Herausge- geben von Zdenek Felix. 240 Seiten mit 313 Abbildungen, davon 87 in Farbe. 21 x 30 cm Leinen 48 DM, Prestel-Verlag, München

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 4 vom 27. Januar 1984 (107) 227

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