A 1158 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 21|
27. Mai 2011QUALITÄTSSICHERUNG
Neues machen, um Neues zu sehen
Beim AQUA-Institut in Göttingen werden derzeit die Weichen gestellt für den baldigen Routinebetrieb in der sektorenübergreifen Qualitätssicherung.
G
esucht werden zum nächst- möglichen Zeitpunkt ein Arzt oder Gesundheitswissenschaftler, ein Java-Programmierer und ein Me- dizinischer Dokumentar. Die Stel- lenangebote auf der Stellwand im Foyer der Stadthalle Göttingen, wo die zweite Jahrestagung des AQUA- Instituts am 18. Mai unter dem Mot- to „Qualität kennt keine Grenzen – Transparenz und Verbesserung“stattfand, zeigen: Das Unternehmen, seit 2009 vom Gemeinsamen Bun- desausschuss (G-BA) mit der Um- setzung der neuen sektorenübergrei- fenden Qualitätssicherung beauf- tragt, aber auch mit der Fortführung der externen stationären Qualitätssi- cherung, ist auf Expansionskurs.
Noch sei man nicht bei den 600 Mit- arbeitern angelangt, wie kürzlich in einem Pressebeitrag zu lesen gewe- sen sei, merkte der Leiter von AQUA, Prof. Dr. med. Joachim Szecsenyi, bei der Eröffnung an.
Diese Zahl beziehe sich auf die mehr als 600 Experten aus allen Bereichen des Gesundheitswesens, darunter auch zahlreiche Patientenvertreter, die inzwischen in die Entwicklungs- arbeit des AQUA-Instituts eingebun- den seien. Aber auch die Zahl von mehr als 60 festen Mitarbeitern zeigt deutlich, dass es sich bei AQUA, dem „Institut für angewandte Quali- tätsförderung und Forschung im Ge- sundheitswesen“, um eine mittler- weile fest etablierte Größe im deut- schen Gesundheitssystem handelt.
Die Qualität der medizinischen Versorgung stetig zu verbessern – über dieses Ziel herrscht Konsens bei den Akteuren im Gesundheits- wesen. Nur über den Weg dorthin wurde im Gemeinsamen Bundesaus- schuss mitunter vehement gerungen, wie zum Beispiel bei der Rahmen- richtlinie zur sektorenübergreifen- den Qualitätssicherung. Für den Unparteiischen Vorsitzenden des
G-BA, Dr. jur. Rainer Hess, ist dies allerdings kein
Grund zur Sorge, son- dern die normale Aus-
gangslage, wenn die beteiligten Organisatio- nen im Zuge der gemein- samen Selbstverwaltung zentrale Fragen der ge- sundheitlichen Versorgung
selbst, ohne staatliche Ad- ministrierung, zu re- geln versuchten.
„Die Interes- sengruppen
ringen um Lösungen, da
werden bewusst Interessen gegen - einander gestellt, und deshalb brau- chen wir auch die Unparteiischen.
Wenn diese Interessen sich nicht ausgleichen lassen, wenn es nicht zum Kompromiss kommt, bedarf es der Unparteiischen“, führte Hess – sicher nicht ohne Bezug zu gerade diskutierten Vorschlägen für eine Reform des G-BA – bei der AQUA- Fachtagung in Göttingen aus.
Mehr als 600 Teilnehmer hatten sich dort eingefunden. Enttäuscht mussten sie zur Kenntnis nehmen, dass die angekündigte gesundheits- politische Prominenz abgesagt hatte.
AQUA-Chef Joachim Szecsenyi nahm es gelassen und stimmte die Zuhörerschaft mit einem Aphoris- mus des Göttingers Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799) auf die Ta- gung ein: „Man muss etwas Neues machen, um Neues zu sehen.“ Und Neuland stelle die sektorenübergrei-
fende Qualitätssicherung dar. Es ge- he hierbei darum, Prozesse und Pa- tientenverläufe über Sektorengren- zen hinweg abzubilden. Szecsenyi hofft, dass dadurch eine Entwicklung in Gang gesetzt wird, in deren Ver- lauf man zu neuen Erkenntnissen ge- langt und sich die verschiedenen Sektoren und Ebenen gegenseitig zum Wohl des Patienten befruchten.
Das Gesundheitswesen, daran er- innerte Szecsenyi im Tagungsver- lauf, müsse sich zunächst an den Be- dürfnissen der Patienten orientieren.
Dazu gehöre auch, dass die Patien- ten überhaupt eine Chance hätten, gute Informationen über die Qualität der Versorgung zu erhalten und so Wahlentscheidungen treffen zu kön- nen. Dass es hier noch viel Verbes - serungsbedarf gibt, zeigt eine Unter- suchung zu Rezeption und Nutzung der vorgeschriebenen Qualitätsbe- richte der Krankenhäuser. Die Er- gebnisse, vorgestellt von Prof. Dr.
med. Max Geraedts (Universität Witten/Herdecke), zeigen: Patien- ten, die wegen einer elektiven Proze- dur im Krankenhaus waren, wussten nichts von den Qualitätsberichten.
„Wenn wir ihnen diese gaben, ver- standen sie diese nicht und hielten die Berichtsinhalte für nur wenig hilfreich.“ Die Krankenhauswahl fin- de auf einer anderen Grundlage statt:
Der Patient orientiere sich zunächst an den Erfahrungen von Verwandten und Bekannten sowie an der Emp- fehlung der behandelnden Ärzte.
Auch diese – so ein weiteres Ergeb- nis der Studie – kannten zumeist die Qualitätsberichte nicht und richteten sich bei ihren Empfehlungen nach den eigenen Erfahrungen oder den ihrer Patienten. Und die Befragung der Krankenhäuser ergab: Für diese standen Nutzen und Aufwand bei den Qualitätsberichten in keinem an- gemessenen Verhältnis. ■ Thomas Gerst
„ Unser Gesundheitswesen kann Patientinnen und Patienten nur dann gerecht werden, wenn wir es für sie ,handhabbar‘ machen.
“
Joachim Szecsenyi, Geschäftsführer AQUA-Institut
Foto: AQUA-Institut