Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 40|
8. Oktober 2010 A 1889 DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN UND FAMILIENMEDIZINHausarzt dringend gesucht
Die wissenschaftliche Fachgesellschaft der Allgemeinmediziner hat sich
dafür ausgesprochen, hausarztzentrierte Versorgungsmodelle weiter zu fördern.
Ansonsten werde sich der Hausärztemangel noch verschärfen.
D
eutschland benötigt dringend qualifizierte Fachärzte für Allgemeinmedizin“, lautet ein Ap- pell, den die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Famili- enmedizin (DEGAM) im Rahmen ihres 44. Kongresses Ende Septem- ber in Dresden formulierte. In den nächsten zehn Jahren gehe ungefähr die Hälfte der bundesweit circa 58 000 Hausärztinnen und -ärzte in den Ruhestand. Diesem Rückgang stünden aber nach Angaben der Bundesärztekammer nur jährlich etwa 1 200 Facharztprüfungen für Allgemeinmedizin gegenüber – mit abnehmender Tendenz.Die DEGAM forderte deshalb die Politik auf, hausarztzentrierte Ver- sorgungsmodelle weiter zu fördern.
Denn für eine qualitativ hochwertige Grundversorgung der Bevölkerung seien Hausärzte unverzichtbar. Ge- linge es nicht, verlässliche Rahmen- bedingungen und positive Perspekti- ven sicherzustellen, verschärfe sich der Hausärztemangel weiter.
„Wir haben jetzt schon Nach- wuchsprobleme auf dem Land und in den ärmeren Gegenden der Groß- städte“, sagte Prof. Dr. med. Ferdi- nand Gerlach, frischgewählter Prä - sident der DEGAM (siehe auch Per-
sonalie in diesem Heft). Dazu kom- me, dass die Zahl der älteren chro- nisch Kranken und Multimorbiden aufgrund der demografischen Ent- wicklung in den nächsten Jahren steige. Vor allem diese Patienten profitierten aber von einer allge- meinmedizinisch koordinierten Ver- sorgung. Auch der Sachverständi- genrat zur Begutachtung der Ent- wicklung im Gesundheitswesen, dessen Mitglied Gerlach ist, sei in seinem Sondergutachten 2009 zu dem Schluss gekommen, dass eine qualitativ hochwertige Primärver- sorgung durch Hausärzte das Fun- dament jeder sinnvollen Gesund- heitsversorgung sein sollte.
Grandiose Überdiagnostik
„Wir haben in Deutschland in vie- len Bereichen eine grandiose Über- diagnostik“, kritisierte Gerlach, der auch das Institut für Allgemeinme- dizin an der Johann-Wolfgang- Goethe-Universität Frankfurt am Main leitet. „Wir brauchen stattdes- sen eine angemessene Stufendia - gnostik.“ Auf diesem Gebiet leiste- ten sowohl die Fachgesellschaft als auch die allgemeinmedizinischen Lehrstühle wertvolle Arbeit. So habe die DEGAM inzwischen 14 Leitli-
nien für die allgemeinmedizinische Praxis entwickelt, die die Filter- und Steuerfunktionen der Hausärz- te unterstützten. Denn man treffe in den Hausarztpraxen auf völlig an- dere Krankheitswahrscheinlichkei- ten als bei den niedergelassenen Fachärzten oder im Krankenhaus.
„Wir sind die Spezialisten für die großen Versorgungsfragen“, meinte Gerlach. Denn der weitaus größte Teil der medizinischen Ver- sorgung finde im ambulanten Be- reich statt. Die Netze für die For- schung knüpften in der Regel die allgemeinmedizinischen Institute an den Universitäten mit den aka- demischen Lehrpraxen.
Neben den Fortschritten in der Versorgungsforschung birgt die fortschreitende Akademisierung der Allgemeinmedizin nach Ansicht von Gerlach einen weiteren posi - tiven Aspekt: Sie verschafft dem Fach bereits im Studium einen hö- heren Stellenwert und macht es at- traktiver für den Nachwuchs. „Wir leiden im deutschen Gesundheits- wesen an einer doppelten Fehlver- teilung“, erklärte der Allgemein- arzt. So sinke die Zahl der Hausärz- te, während die der Spezialisten steige: „Die meisten Ärzte sind also dort, wo sie am wenigsten ge- braucht werden.“ Dazu komme das Versagen der Bedarfsplanung.
„Wir benötigen intelligente Lö- sungen“, meinte Gerlach, Lösun- gen, die dazu beitrügen, die Sekto- rengrenzen zu überwinden und die Zusammenarbeit mit anderen Ge- sundheitsberufen auszubauen. Au- ßerdem müsse man aufhören, den Beruf des Hausarztes schlechtzure- den. „Wir reden über einen Beruf, in dem Arbeitslosigkeit ein Fremd- wort ist, in dem die Honorare stei- gen und der bei den Patienten das
beste Image hat.“ ■
Heike Korzilius Nicht nur im Film:
Die DEGAM sieht den Hausarzt nicht nur als ersten An- sprechpartner bei allen Gesundheits-
problemen. Er nimmt seine Patien- ten auch im Umfeld der Familie wahr (hier eine Szene aus dem Film „Ein langer Abschied“).
Foto: picture-alliance