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Archiv "Frédéric Chopin: Husten mit unendlicher Anmut" (14.04.2000)

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C

hopin wird am 22. Fe- bruar 1810 in Zelazo- wa-Wola bei Warschau geboren. Mit sieben Jahren erhält er Klavierunterricht beim kauzigen tschechischen Geiger Albert Zywny, und er komponiert seine erste Polo- naise für Piano. Mit 16 ist er im Tuberkulose-Sanatorium zur Prophylaxe und als Be- gleiter seiner kranken Schwe- ster. Er muss sehen, wie die 14-jährige Emilka unter

„Aderlässen, einmal, ein zwei- tes Mal, unzähligen Blutegeln, Blasenpflastern . . ., Aventü- ren über Aventüren“, so Cho- pin, dahinsiecht und stirbt.

Den 19-Jährigen beschreiben Zeitgenossen als offenherzige liebenswürdige Person, von geschlechts- und altersloser Schönheit, auffallend blass und schlank.

Ein charmanter Unterhalter

Chopin macht Konzert- reisen nach London und Wien. 20 Jahre alt, gibt er sein Abschiedskonzert in War- schau; am 1. November 1830 verlässt er Polen mit einem Pokal polnischer Erde und mit der Vorahnung: „Ich den- ke, dass ich abreise, um zu sterben.“ In Wien muss er acht Monate lang auf einen Pass warten. Auf der Weiterreise 1831 in Stuttgart erfährt Cho- pin von der Besetzung War- schaus durch die russische Ar- mee. Kampfbereite Freunde ziehen in die Heimat zurück;

Chopin klagt im „Stuttgarter

Tagebuch“: „Wem bringt mein Dasein Nutzen? Unnütz bin ich den Menschen, kein Maul hab ich und keine Waden? . . . Der Leiche gleich . . . Es man- gelt mir also an nichts zu einer Verbrüderung mit dem Tod.“

Er ist kein Soldat. Seine Waf- fe im Kampf für Polen ist Mu- sik. Furios, ohne Unterbre- chung, komponiert er die

„Revolutionsetude“.

Ende 1831 erreicht er Pa- ris. Nach anfänglichen Sorgen bringt eine Soirée bei der Ba- ronin de Rothschild den Er- folg. Mit seinen exquisiten Manieren, seinem sensiblen Pianospiel, seiner expressi- ven Musik bricht Chopin in höchste Gesellschaftskreise ein. So erblüht nun seine Kunst in der Atmosphäre des kleinen Zirkels im Salon.

Der Salon wird Chopins Welt: ein charmanter Unter- halter – umwittert vom Ge- heimnisvollen fremder Her- kunft. Faszination ging von ihm aus, Interesse für andere nicht; er fragt, außer Höflich- keiten, kaum, was aber ei- gentlich heißt: er will von an- deren Menschen nichts wis- sen. Selbst den engen Freund Eugène Delacroix, dem die Nachwelt ein Porträt des 28- jährigen Chopin verdankt, hat er nie nach seiner Kunst befragt.

1835 in Dresden verliebt sich Chopin, der höchstbe- zahlte Klavierlehrer von Pa- ris, in seine 16-jährige Schüle- rin Maria Wodzinska – je- doch, sein Hüsteln und seine nervöse Konstitution wirken

wenig ermutigend. Chopin erkrankt schon auf der Rückreise schwer. Dr. Raci- borski in Paris diagnostiziert eine „Grippe“ mit Bluthu- sten. Chopin wähnt das Echo von Kirchenglocken zu sei- nem eigenen Begräbnis zu hören; bedrückt von Ahnun- gen verlorener Liebe und frühen Todes, komponiert er den „Trauermarsch“.

Der Todkranke steht wie- der auf und stürzt sich aufs Neue gierig in sein hektisches Leben: tags Unterricht, nachts Komponieren – ein Perfek- tionist.

Entschlossen, den 26-jäh- rigen Chopin zu erobern, wartet in Paris die 33-jährige Amantine-Aurore-Lucile Du- pin-Dudevant alias George Sand – nach Ehe und etlichen Liebschaften – in Männer- kleidern, Zigarren rauchend, die meistgelesene Autorin der Zeit. „Was für eine schreckliche Frau“, so Cho- pin, „falls sie überhaupt eine Frau ist, ich bezweifle es.“

Und doch wurden sie im Sommer 1838 ein Paar, und sie gab Chopin ein Zuhause, stabilisierte sein Leben – neun Jahre lang.

Im Oktober 1838 reist George Sand mit ihren beiden Kindern und Chopin nach Mallorca. Es wird eine ka- tastrophale Zeit. Chopins Krankheit exazerbiert mit Bluthusten, und es findet das berühmt-komische Konsil der drei von George Sand gerufe- nen mallorquinischen Ärzte statt. Chopin am 3. Dezember

1838 an Fontana: „Der erste beroch das, was ich ausspuck- te; der zweite klopfte mich ab, um zu erfahren, woher die Spucke kam; der dritte tastete und lauschte, während ich spuckte. Der erste sagte, ich sei krepiert, der zweite – dass ich im Begriff wäre, zu krepie- ren, der dritte – dass ich kre- pieren werde . . .“

Die Ärzte machen Cho- pins Tuberkulose publik; und es werden Räumung und neu- es Tünchen des Hauses sowie Verbrennen der Bettwäsche verlangt, unter Berufung auf die spanischen Seuchengeset- ze. Der französische Gesand- te in Palma besorgt eine neue Unterkunft in der geräumten Kartause von Valldemosa in den Bergen an der Westküste Mallorcas.

George Sand erinnert sich:

„In einer verlassenen . . . Kar- tause hatten wir eine sichere und pittoreske Bleibe gefun- den.“ Tatsächlich hat sich Chopin dort elend gefühlt.

Die alte Kartause ist ihm kalt und voller Gespenster, seine Zelle „wie ein hoher Sarg“.

Zu schwach, die Sand und Kinder auf Ausflügen zu be- gleiten, bleibt er oft allein.

Und sie beginnt, ihn als ihr drittes Kind zu bezeichnen.

In den Wintermonaten wurden die kaum heizbaren Zellen kalt und Chopin so krank, dass er leicht dort hät- te sterben können. Anders als der bis zum Aberglauben gläubige Chopin war die Sand eine lebenspraktische ratio- nale Frau von unkonventio- A-1007 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 15, 14. April 2000

V A R I A GESCHICHTE DER MEDIZIN

Frédéric Chopin

Husten mit

unendlicher Anmut

Der Komponist ist möglicherweise an einer Morphinabhängigkeit gestorben.

Der 39-jährige Chopin/ManuskripteCollage: Timm Ludwig

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neller Lebendigkeit in jeder Beziehung. Oft schlief sie am Tag, um nachts, rauchend und Kaffee trinkend, Artikel zu schreiben für Pariser Zeitun- gen – in ihren Auffassungen 150 Jahre voraus. Mit ihrem

„Un Hiver à Majorque“ bleibt sie die „Entdeckerin Mallor- cas“.

Im Frühjahr 1839, unter den Strapazen der Rückreise, treten wieder abundante Hä- moptysen ein, Waschbecken voll Blut, schreibt Sand. Ein Marinearzt hilft mit Eis, Opi- um und Ruhe. In Marseille übernimmt der mit der Sand befreundete Chefchirurg Cau- vière die Behandlung. Im Mai reist man zurück nach No- hant, auf George Sands Land- gut südlich von Paris.

Eine Schülerin erinnert sich (an 1839): „Ach! und er war sehr leidend; matt, bleich, hustete viel, nahm oft Opium- tropfen in Zucker und Gum- mi-Wasser, . . . und dennoch unterrichtete er mit einer Ge- duld, Ausdauer und einem Eifer, die bewundernswert waren.“ Später verblasst seine noble Ausstrahlung; bei di- lettantischem Spiel kann er schweigend vor Wut ganze Bündel von Bleistiften in kleine Stücke zerbrechen, er kann schreien, sich in hefti- gem Zorn wie rasend herum- werfen. Um dann wenig spä- ter den verzweifelt schluch- zenden Schüler zu trösten.

„Chopin hustet mit un- endlicher Anmut“, so die Comtesse d’Agoult – anders kennt man ihn nicht mehr, ei- nen chronisch Lungenkran- ken, ab Ende 1843 häufig bettlägerig, und er schreibt:

„Ehe ich mich in der Frühe aushuste, ist es bereits 10 Uhr.“ Dr. Molin, Homöopath und Kinderarzt, genießt sein Vertrauen. „Er weiß mich am besten zu behandeln, denn in mir ist etwas vom Kinde ge- blieben.“ Diät, Schwefelmix- turen, Opiumtropfen, Letzte- re sicher zeitweise lebensret- tend und -qualitätverbes- sernd – zumindest solange er noch nicht beginnt, reichli- cher davon zu nehmen.

Unter seinen mehr als 30 Ärzten haben Jean-Jaques

Molin und der polnische Arzt Jas Matuszynski Chopin be- sonders nahe gestanden – der Schwerkranke sollte auch diese beiden überleben. Seine Kreativität nimmt nun be- ständig ab, seit 1845 spricht Chopin selbst in Briefen of- fen von Arbeitsunlust. Er hat beständig sein Schicksal her- ausgefordert durch unange- messenen Lebensstil, hat die Salons der Sandschen Fürsor- ge vorgezogen. 1847 kommt es zum Bruch mit der Sand.

Chopin, ein schwerkranker Mann, kann kaum noch un- terrichten.

Chopin lässt sich von sei- ner Schülerin Jane Sterling, einer reichen ledigen Schot- tin, eine Konzertreise arran- gieren. Diese sechs Monate, die Chopin durch Großbri- tannien reist, offenbaren voll- ends, dass er schier nicht mehr kann. Ein schwerst-

kranker Mann wird in Kon- zerthallen geschleppt, um vor leeren Reihen oder vor ge- kauftem Publikum zu spielen, kraftlos, für britische Ohren zu kraftlos. Er spielt in Lon- don vor Queen Victoria und Prinz Albert, in Glasgow, in Edinburgh.

Miss Sterling kutschiert ihn durchs ganze Land, zu all ihren Verwandten und Freun- den. Plant sie, ihn zu heira- ten? Chopin entsetzt an Grzy- mala, den polnischen Grafen in Paris: „Wenn ich mich in ein Wesen verlieben könnte, das mich so lieben würde, wie ich es mir wünsche, würde ich noch immer nicht heiraten, weil wir nichts zu essen hät-

ten. Wo ist meine Kunst ge- blieben? Und mein Fühlen – wo habe ich es vergeudet?

Kaum weiß ich noch, wie man in Polen singt. Die Umwelt entschwindet mir in ganz selt- samer Weise – ich verliere mich, habe keine Kraft mehr.

So kläre ich Dich darüber auf, dass ich dem Sarge näher bin als dem Ehebett.“ Zu den Lungensymptomen treten Zeichen der Herzschwäche.

Jeden Abend, nach dem Di- ner in einem der schottischen Paläste und nach dem Spiel für die Gäste, trägt ihn sein Diener Daniel die Treppen hinauf und bringt ihn zu Bett.

Chopins Krankheit Anfang 1849 hinfällig nach Paris zurückgekehrt, erfährt Chopin, daß Dr. Molin, Arzt seines Vertrauens, nicht mehr lebt. Vier Ärzte behandeln

ihn, Dr. Roth, Dr. Simon, Dr.

Louis und Dr. Frenkel. Er schreibt: „ . . . allein sie tasten nur herum und verschaffen mir keine Erleichterung. Alle sind sich einig bezüglich Kli- ma, Ruhe und Schonung. Die Ruhe werde ich eines Tages auch ohne sie finden.“ Die Krankheit hat ihn unaufhalt- sam verändert, als Menschen, als Komponisten und als Pia- nisten. „Er bediente sich der Kunst nur noch, um sich selbst die eigene Tragödie zu gestalten“, so Franz Liszt.

Im Juli 1849 peinigen ihn Durchfälle; im September ra- ten ratlose Ärzte, innerhalb Paris ein wenig weiter nach Süden zu ziehen. Die hübsche

Wohnung am Place Vendoˆm e ist Chopin viel zu teuer – aber er braucht sie nicht mehr lan- ge. Im Oktober verliert seine Stimme, die immer leise ge- wesen war und oft heiser, vollends ihren Klang – Kehl- kopftuberkulose. Chopin fühlt seine Kräfte schwinden; er denkt an zu Hause, er schreibt seiner Schwester Ludwica, und sie kommt.

Der Maler Kwiatkowski hat die Szene aus Chopins Sterbezimmer realistisch fest- gehalten. Chopin, bei Be- wusstsein bis wenige Stunden vor seinem Tod, äußert drei Wünsche. Er wolle obduziert werden, und Ludwica möge sein Herz zurück nach Polen bringen. Seine unveröffent- lichten Manuskripte sollten verbrannt werden. Nur der letzte Wunsch blieb unerfüllt.

Chopin stirbt früh am Mor- gen des 17. Oktober 1949 in seiner Wohnung am Place Vendoˆme Nr. 12.

Cruveilhier, bedeutender Arzt, in der Todesstunde bei Chopin, hat als Todesursache nicht Tuberkulose angege- ben, sondern „Herzversagen bei allgemeiner Kachexie“ – und zwar aufgrund seines Ob- duktionsbefundes. Die land- läufige Meinung heute: Tod an Tuberkulose – ist sie denn gut begründet und die ganze Wahrheit?

Schiller, Kafka, Orwell, Weber – andere tuberkulose- kranke Künstler – haben auf das Nachlassen der Kräfte mit Schaffensunrast reagiert, nicht mit Resignation wie Chopin. Fehlt noch eine Er- klärung? Cruveilhier hat die Lungen als weniger betroffen beschrieben. Sein Papier ist verbrannt, wenn man Cruveil- hiers Zeugnis aber glaubt, und Aussagen zu Chopins Opium- konsum? Opium wurde da- mals großzügig gehandhabt.

Entwicklung einer Morphin- abhängigkeit bei Chopin ist denkbar: Ein hochsensibler Mensch, der litt, wenn seine Wünsche nicht erfüllt wurden.

Der bei Hämoptoen, medizi- nisch indiziert, Opium be- kommt und lernt, dass alles mit Opium besser auszuhalten ist. Dr. med. Timm Ludwig A-1008 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 15, 14. April 2000

V A R I A GESCHICHTE DER MEDIZIN

Frédéric Chopins Krankheiten

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