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Archiv "Bischof und Ketzer" (15.12.1988)

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FuhrioTomizza DAS BÖSE KOMMT

VOM NORDEN

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Bischof und Ketzer

Fulvio Tomizza: Das Böse kommt vom Norden, Die Ge- schichte des Pier Paolo Ver- gerio — Bischof, Ketzer, Re- formator, Kiepenheuer &

Witsch, 1988, 594 Seiten, 44 DM.

In Capodistria, dem heuti- gen Koper, wurde dieser Vergerio (es gibt noch einen älteren, bekannteren) 1498 geboren. Er starb 1565 in Tü- bingen. Dazwischen liegt ein ungemein windungsreiches Leben, wie es wohl nur dem widerfährt, der zwischen ver- schiedenen Kulturen angesie- delt ist und der noch dazu in Zeiten gewaltiger Umbrüche lebt.

Vergerio gehörte zum ve- nezianischen Klein-Adel, der Capodistria beherrschte, und arbeitete anfangs in Venedig als Advokat. Er war offenbar durchaus erfolgreich und führte ein bürgerliches Le- ben, verheiratet, ohne Kin- der. Seine Frau starb früh.

Allem Anschein nach hat er sich aus dem ehelichen Leben ohnehin nicht viel gemacht.

Durch Beziehungen wird Vergerio — als Laie — päpst- licher Nuntius am kaiser- lichen Hof in Wien. Er be- reist sodann als strammer Gefolgsmann Roms das durch die Reformation er- schütterte Deutschland, trifft auch Luther, von dem er nicht viel hält.

Der große Bruch in sei- nem Leben kündigt sich zu- nächst nur vorsichtig an. Ver- gerio wird von reformatori- schen Gedanken angesteckt.

Er gerät in die auch in Italien verbreiteten reformatori- schen Kreise, ohne dabei aber mit Rom zu brechen.

Der Papst ernennt ihn viel- mehr — er ist immer noch Laie — zum Bischof des hei- matlichen Capodistria; in al- ler Eile werden die Weihen zum Priester und zum Bi- schof vollzogen. Zuhause hält es den Unruhegeist nicht lange, zumal er dort Krach mit reaktionären kirchlichen Figuren bekommt. Vergerio

bricht zu einem unsteten Wanderleben durch Italien und die Schweiz auf, zuneh- mend sich vom katholischen Kirchenmann wandelnd zum reformatorischen Prediger.

Er endet schließlich als her- zoglicher Ratgeber im kalten Deutschland.

Was genau den Vergerio bestimmt hat, mit der päpst-

lichen Kirche zu brechen, ist schwer auszumachen, ver- mutlich spielte ein Bündel von Motiven mit. Eine über- zeugt reformatorische Hal- tung dürfte dabei nicht an er- ster Stelle gestanden haben, sondern vielmehr Arger über Rom und den päpstlichen Hof, über vatikanische Intri- gen, denen Vergerio schließ- lich erlag; zuvor hatte er frei- lich jahrzehntelang kräftig

Leonard + Virginia

Leonard Woolf: Mein Le- ben mit Virginia, Erinnerun- gen, Frankfurter Verlagsan- stalt, Frankfurt/M., 1988, 324 Seiten, gebunden, 38 DM

In der literaturkritischen Diskussion wurde der Ein- fluß Leonard Woolfs auf das Leben und Schreiben seiner Frau Virginia immer sehr kontrovers beurteilt. An dem einen Ende der Meinungs- skala heißt es, Virginia Woolf hätte niemals erfolgreich

mitintrigiert. Vergerio, der immer zwischen Großspurig- keit und Selbstmitleid schwankte, fühlte sich vom Vatikan lebenslang zu schlecht bezahlt und insge- samt nicht gebührend aner- kannt. Er hatte zum Beispiel vergeblich auf die Ernennung zum Kardinal spekuliert. Mit solch weniger ehrenhaften Motiven einher ging sein ehr- licher Kampf für eine Volks- kirche und für die Befreiung des Glaubens von allerlei abergläubischem Tand. In der Hinsicht wurde er schon zu seiner bischöflichen Zeit immer rigoroser, bis hin zur Verdammung des Heiligen- kults.

Die Biographie führt uns in ein weithin unbekanntes Gefilde, die Reformation aus italienischer Sicht. Tornizza beschreibt Vergerio nicht als Helden, sondern er arbeitet die vielfältig gebrochene Per- sönlichkeit sorgfältig heraus, durchaus mit Sympathie, aber auch mit ironischer Di- stanz. Zweifellos fühlt sich der Autor mit seinem zwie- spältigen Nicht-Helden ver- wandt. Auch Tomizza stammt aus Capodistria, auch er ist ein Grenzgänger. Er lebt heute in Triest, nachdem er wie viele Italiener die frü- her venezianischen Gebiete verlassen hat. Davon handelt das einleitende Kapitel — auch das ein Abschnitt einer hierzulande weitgehend un- bekannten Geschichte.

Norbert Jachertz

schreiben können ohne seine Unterstützung — andere Kriti- ker hingegen vermuten enge Zusammenhänge zwischen ihrer psychischen Labilität und ihren konfliktreichen Versuchen, Kunst, Ehe und Emanzipation miteinander zu vereinbaren.

In seinen „Erinnerun- gen" erweckt Leonard Woolf den Eindruck, als seien Virgi- nias Krankheitsphasen und psychischen Zusammenbrü- che in erster Linie zu erklä- ren gewesen durch die beson- dere schöpferische Anstren- gung kurz vor Beendigung ih-

rer Romane — aus heutiger Sicht sicherlich nur eine Teil- erklärung. Seine Therapie in Krisenzeiten bestand darin, Virginia gesellschaftlich völ- lig zu isolieren und abzuschir- men. Er verordnete ihr, nach dem damaligen Stand des medizinisch-psychologischen Wissens, Ruhekuren und kontrollierte lebenslang ihren täglichen Arbeitsrhythmus Ob dies ihrem Werk und ih- rer Persönlichkeit förderlich war oder nicht, wird wohl nie eindeutig zu klären sein.

Aber nicht nur die Phasen ihrer Krankheit, sondern auch die Stufen ihres Erfol- ges werden in den „Erinne- rungen" nachgezeichnet. Ab 1917 betätigten sich die Woolfs außerdem als Heraus- geber und gründeten die Ho- garth Press. Mit diesem Ver- lag sind so illustre Namen verbunden wie T. S. Eliot, Katherine Mansfield oder James Joyce. So ist dieses Buch über persönliche und li- terarische Daten Virginia Woolfs hinaus auch für den weniger literarisch interes- sierten Leser ein spannender Einblick in die intellektuelle Elite der 20er und 30er Jahre in England.

Wie jeder Biographie und Autobiographie, so unterlie- gen auch Leonard Woolfs

„Erinnerungen" den Geset- zen der Selektion und des eingeschränkten Blickwin- kels — dies liegt in der Natur der Sache. Es wird daher nicht uninteressant sein, auch einmal in Virginas Schriften nachzublättern.

Brigitte Reiß

Simons Album

Claude Simon: SIGNA- TUR, Zeit-Schrift — Bild — Objekt, Nr. 8, Verlag Rom- merskirchen, Remagen, 1988, 29 x 30 cm, 56 Seiten, Auflage: 990, numeriert, handsigniert, 185 DM

Dieser „Amateur", ein Könner des geschriebenen Wortes — man lese seine Bü- cher! — ist einer, der sich mit A-3618 (84) Dt. Ärztebl. 85, Heft 50, 15. Dezember 1988

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Bildern aus Liebhaberei be- schäftigt. Sein „Album" ist eine Sammlung von Fotos und mehr. Es sagt aus, veran- laßt zum Nachdenken seiner Begleittexte, zum Nachse- hen, Nachempfinden und Nachsuchen. Zum Beispiel nach dem Harfenspieler von Keros aus dem Nationalmu- seum von Athen. Wußten wir, daß er aus bronzezeit- licher Kultur und von den Kykladen, auf denen sich das kultische Zentrum Delos be- fand, stammt? Und warum er am Anfang steht — doch, je- dem seine eigenen Phanta- sien.

Die Erinnerung, die Do- kumentation, eine Anregung und eine Aufregung. Der Schriftsteller erlebt ein Bild, setzt es um in Sprache und Schrift, er verschlüsselt, ent- ziffert, deckt auf. Er ist be- müht, zu fesseln, zu interes- sieren, vielleicht auch zu überzeugen. „Schreiben be- deutet komponieren". Bilder einzubeziehen heißt zu über- höhen, nicht abzulenken, es heißt, das Sinnenhafte zu übertreiben. Eine sinnvolle, sinnliche Rundreise im Laby- rinth von Erinnerungen, Empfindungen, im bekann- ten und im unbekannten Ich der Vergangenheit und der Zukunft. Hier ein Dorf in In- dien, dort die City von New York. Wir leben mit den Ge- gensätzen der Gegenwart.

Dann die Torii, die „Ruhe- stätten der Vögel", die Tor- bögen vor Schinto-Schreinen in Japan. Und: auf vergilbten Fotos häufig der Vater. Phar- salos , der Ort in Mittelgrie- chenland, an dem die Ent- scheidungsschlacht zwischen Caesar und Pompejus 48 vor Christus stattfand. Weltbe- wegendes und Privates, Welt- abgewandtes.

Simons Album läßt auf ihn rückschließen und ver- birgt dennoch so viel, daß man ihn durch seine Bücher kennenlernen möchte. Au-.

ßerdem: jeder ist ein Ama- teur des Albums seiner eige- nen Vergangenheit und Zu- kunft — in Worten und Bil- dern.

Horst Linker

Zu entfliehen vor diesen ständigen Wiederholungen, den allzu spießigen Selbstver- wirklichungsideen, der satten Wohlstandsmentalität und ih- rer kaschierten Zerstörungs- wut — aus der Bundesrepublik Deutschland also (oder vor seinen eigenen Werken gar?)

— beabsichtigte Günter Grass, als er 1986 sein Reise nach Indien und Bengalen antrat. Eine unbewältigte Reise, die von einem Extrem ins andere führte und ihre Spuren in den Tagebuchauf- zeichnungen hinterließ: in Form einer Reisebeschrei- bung, eines Gedichtes und zahlreichen Zeichnungen.

Diese mußten schweigend die Lücken füllen, wenn dem Schriftsteller angesichts der ungewohnten Verhältnisse die wortgewaltige Sprache aus dem „Butt" oder der

„Rättin" versagte. Und mit vehementen Pinselstrichen

„fallen sie dem Autor dann zeichnend ins Wort", versu- chen dem Betrachter ein Ausmaß an Armut und Elend aufzudecken, das er mitver- ursacht, aber hierzulande wohl kaum kennenlernen wird.

Ein Gefühl scheint Gün- ter Grass beim Anblick der erbärmlichen Lebensverhält- nisse zu beschleichen, das auch Kali, die Göttin der

Günter Grass: Zun- ge zeigen, Luchterhand Literaturver- lag, Darm- stadt, 1988, 237 Seiten, 56 Abbildungen schwarz- weiß, gebun- den, 48 DM

Zerstörung, seinerzeit emp- funden haben mag, als sie Shiva den Kopf abschlagen wollte. Im letzten Moment noch schoß ihr die Zunge aus dem Mund. Seither gilt

„Zunge zeigen" in Bengalen als Zeichen von Scham.

Ein nachdenklich stim- mendes Buch, das wohl auch beim Leser das Gefühl hin- terläßt, „Zunge zeigen" zu müssen. UF

Opfer der Frauen

Martin Walser: Jagd, Ro- man, Suhrkamp Verlag, 1988, 223 Seiten, 30 DM

Gottlieb Zürn, den wir aus anderen Romanen Mar- tin Walsers schon kennen (und in seiner spröden, selbstunsicheren Art viel- leicht auch lieben gelernt ha- ben), ist wiederum die Hauptperson. Zürn ist älter geworden, hat sich aus seinen Immobiliengeschäften, so- weit es der Anstand als Fami- lienoberhaupt zuläßt, zurück- gezogen und den schnöden Gelderwerb seiner Ehefrau Anna überlassen, die eh viel lebenstüchtiger ist als er. So- lange Walser diese Art des leisen Rückzuges beschreibt und die Ängste um die auf

Abwege (das heißt ins Un- bürgerliche) geratene Toch- ter und seine mit Bewunde- rung und Unverständnis ge- mischte Liebe zur tüchtigen Ehefrau — solange erweist er sich in der Beschreibung die- ser Alltäglichkeiten als ein Meister des Beobachtens.

Aber dann kommt's leider furchtbar dicke, und die Flut der Unglaublichkeiten wird immer gewaltiger. Schon daß die zu einem „Quickie" be- reite Zufallsfreundin unseren

„Helden" wochenlang mit telefonischen und schrift- lichen Zudringlichkeiten ver- folgt, entspringt wohl mehr dem Wunschdenken des al- ternden Zürn (Walser?) und könnte als Episode eines Simmel-Romans durchge- hen. Dann aber wird es noch peinlicher. Zum Zwecke ei- nes erotischen Abenteuers vermittelt die hartnäckige Freundin dem Gottlieb Zürn ein Treffen mit ihrer Bekann- ten Annette Mittenzwei und

— oh wunderbare Namens- symbolik — diese junge Frau erweist sich als gespaltene Persönlichkeit. Ihre anson- sten gewährte sexuelle Frei- zügigkeit darf Gottlieb nicht genießen, sondern ihm offen- bart sie ihre von bösen politi- schen Mächten geschundene Seele, nicht ihren reizvollen Körper. Solcherart erschüt- tert und gefrustet, wird Gott- lieb im weiteren Verlauf sei- nes Ausflugs vom heimatli- chen Bodensee Opfer einer gutbürgerlichen Dame, die, weil jahrelang mit bezie- hungsweise neben ihrem be- wegungslos kranken Ehe- mann lebend, nunmehr der- art liebesdurstig ist, daß Gottlieb ihrer Gier buchstäb- lich erliegt.

Natürlich kehrt er zurück zur Ehefrau an den Boden- see, und endete der Roman nicht an dieser Stelle, so wäre wohl aus der Beschreibung der Wiederkehr in die Rolle des Ehemanns, Vaters und Geschäftsmannes wohl wich- tigere psychologische Er- kenntnisse zu ziehen als aus den geschilderten „spannen- den" Ereignissen.

Adelheid Müser A-3620 (86) Dt. Ärztebl. 85, Heft 50, 15. Dezember 1988

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