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Archiv "Bundestagswahl 2005: Sieger ohne Mehrheiten" (23.09.2005)

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n Sekt haben die Organisatoren der CDU-Wahlparty im Berliner Konrad-Adenauer-Haus nicht ge- spart. Gut gekühlt stehen Hunderte Flaschen bereit. Dieser 18. September sollte eine rauschende Wahlnacht wer- den. Doch schon um 18 Uhr ist klar, dass daraus nichts wird. Auf den Moni- toren im Lichthof der CDU-Zentrale flimmern magere 35,5 Prozent für die Union. Von Sektlaune ist

nichts geblieben, Kater- stimmung macht sich breit.

Der Schreck steht der CDU-Vorsitzenden Ange- la Merkel ins Gesicht ge- schrieben, als sie eine hal- be Stunde nach der ersten Hochrechnung ins Ram- penlicht tritt. Sie hätte sich ein anderes Ergebnis gewünscht, sagt Merkel.

Doch wichtig sei: „Rot- Grün ist abgewählt in Deutschland.“ Es gehe jetzt darum, für die Men- schen eine starke Regie-

rung zu bilden: „Dafür haben wir ganz eindeutig den Auftrag.“ Mit wem dies gelingen soll, ist unklar. Mit Ausnahme der Linkspartei werde man mit allen Lagern Gespräche führen, kündigt CSU-Chef Edmund Stoiber an – also auch mit den Grünen. In den Gängen des Konrad-Adenauer-Hauses macht schnell das Wort von der „Jamaika-Ko- alition“ die Runde, einem Bündnis der Union mit FDP und Grünen.

Mit welchem Partner sich CDU und CSU besser verständigen könnten, wird innerhalb der Union unterschiedlich bewertet. Annette Widmann-Mauz, ge- sundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, hat ihren Wahl- kreis in Tübingen wiedergewonnen. Sie zieht ebenso wie Dr. med. Hans-Georg Faust und Andreas Storm erneut in den

Bundestag ein. Die 39-Jährige sieht in der Sozialpolitik Schnittmengen mit der SPD. Das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) habe gezeigt, dass Union und SPD Reformen gemeinsam schultern könnten. Die Union habe bei der Eta- blierung von Medizinischen Versor- gungszentren die Hand zum Kompro- miss gereicht und befürworte wie die SPD den Ausbau der Integrierten Ver-

sorgung. Und auch beim Dauerstreit um Bürgerversicherung und Gesund- heitsprämie will die CDU-Sozialexper- tin nicht schwarz malen: „Wenn man bei den GMG-Verhandlungen konsens- fähig gewesen ist, kann dies auch bei ei- ner Finanzreform der Gesetzlichen Krankenversicherung gelingen.“

Anderer Auffassung ist Wolfgang Zöller, CSU-Politiker und stellvertre- tender Fraktionsvorsitzender der Uni- on. Er hält eine große Koalition für die schlechteste Lösung. Sollten die neu in den Bundestag gewählten SPD-Linken Prof. Dr. med. Karl W. Lauterbach und Andrea Nahles in der Gesundheitspoli- tik aktiv werden, habe man schlechte Karten, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Generell hat die SPD im Bundestagswahlkampf nach Zöllers

Meinung einen deutlichen Linksruck vollzogen, was eine Zusammenarbeit erschweren würde.

Wenn eine Partei von sich behaupten kann, nicht die Umfragen, sondern die Wahl gewonnen zu haben, dann die FDP.

Die Liberalen können sich über das beste Ergebnis bei einer Bundestagswahl seit 15 Jahren freuen. Mit 9,8 Prozent und 61 Sitzen stellen die Freien Demokraten die drittstärkste Fraktion im neuen Bundestag.

Entsprechend eupho- risch ist der Empfang für Parteichef Guido Wester- welle im Berliner Thomas- Dehler-Haus. „Die Klarheit hat gesiegt“, ruft er seinen begeisterten Parteifreun- den zu. Den deutlichen Stimmenzuwachs führt We- sterwelle auf die verlässli- che inhaltliche Positionie- rung der FDP zurück. Doch die Freude der Liberalen ist getrübt. Nachdem sich das schlechte Abschneiden der Union in den Hochrechnungen verfe- stigt, wird die anfängliche Euphorie von Ratlosigkeit überschattet. Westerwelle richtet deutliche Worte an seine Partei:

„Für eine Ampel oder andere Hampe- leien stehen wir nicht zur Verfügung.“

Gesundheitspolitiker Daniel Bahr in- terpretiert das gute Ergebnis als Bestäti- gung für die liberalen Reformkonzepte.

Inwiefern die Freien Demokraten ihre gesundheitspolitischen Vorstellungen in der nächsten Legislaturperiode einbrin- gen könnten, bleibe abzuwarten. Bahr rechnet mit einer großen Koalition. Sei- ne Sorge: Union und SPD könnten sich blockieren.

Detlef Parr teilt diese Befürchtung:

„Das Volk hat im Grunde einen Still- stand gewählt.“ Neben Bahr und Parr haben Dr. Heinrich Leonard Kolb, P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 38⏐⏐23. September 2005 AA2519

Bundestagswahl 2005

Sieger ohne Mehrheiten

Die Wahlbeteiligung betrug knapp 80 Prozent – doch eine handlungsfähige neue Regierung ist noch nicht in Sicht.

Wollen beide die neue Regierung führen: Gerhard Schröder, Angela Merkel

Fotos:ddp

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Michael Kauch und Dr. med. Karl Ad- dicks ein Mandat erhalten. Überra- schend zieht auch Dr. med. Konrad Schily ins Parlament ein. Der 67-jährige Facharzt für Neurologie und Psychia- trie ist Gründungspräsident der Privat- universität Witten/Herdecke und erst seit diesem Jahr FDP-Mitglied.

SPD-Zentrale, 18.02 Uhr: Ein Rau- nen geht durch den Saal, als die wichtig- ste Zahl eingeblendet wird: SPD 34 Pro- zent. Jubel brandet erst auf, als die Pro- gnose für die Union erscheint: 35,5 Pro- zent. Der Rest wird zur Kenntnis ge- nommen. „Wir sind ratlos“, ruft einer in sein Handy. In der SPD-Zentrale ver- drängt man die Niederlage für Rot- Grün und beschäftigt sich lieber damit, dass man dem angeblichen schwarz-gel- ben Trend und den missgünstigen Medi- en ein Schnippchen geschlagen habe.

Beifall für Fraktionschef Franz Münte- fering, der verkündet: „Das Land will Gerhard Schröder als Bundeskanzler haben!“ Toben im Saal, als der gegen 19.30 Uhr auftritt. Gerhard Schröder lässt sich feiern dafür, dass er „das Er- gebnis gewendet hat“. Nun würden Ge- spräche geführt, aber nicht „mit Herrn Lafontaine“. Spricht es und verlässt die Bühne. Ob der Griff zur rot-grün-gelben Krawatte Zufall war?

Die sozialdemokratischen Gesund- heitspolitiker feiern lieber in ihren Wahl- kreisen. Ulla Schmidt hat ihr Direkt- mandat in Aachen wiedergewonnen.

Lauterbach ist auf Anhieb der Einzug in den Bundestag gelungen. Seine Kam- pagne für die Bürgerversicherung sei sehr erfolgreich gewesen, freut sich der langjährige Berater der Bundesgesund- heitsministerin. Dass das Modell nach wie vor eine Chance hat, davon ist er

überzeugt. Ohne eine Verbreiterung der Einnahmebasis mithilfe einer Bür- gerversicherung müsse der Leistungs- katalog der GKV verkleinert werden.

Angesichts einer solchen Perspektive ließen sich möglicherweise Union oder FDP von einer Bürgerversicherung überzeugen.

Nicht geglückt ist Dr. med.

Erika Ober der Wiedereinzug in den Bundestag. Die nieder- gelassene Gynäkologin verlor ihren hessischen Wahlkreis an die CDU – 82 Stimmen fehlten.

Auch der Einzug über die Lan- desliste scheiterte. Trotz aller Enttäuschung will Ober aktiv bleiben: „Gesundheitspolitik ist für mich ein wichtiges The- ma, auch weiterhin.“ Wieder- gewählt wurden die beiden Staatssekretäre, Marion Cas- pers-Merk und Franz Thönnes, sowie Dr. med. Wolfgang Wodarg. Ein Mandat hat auch Andrea Nahles, wie Lauterbach eine vehemente Kämpferin für die Bürgerversicherung. Zudem sind zahlreiche Gesundheitsausschuss- Mitglieder der SPD wieder im Bundes- tag, darunter Dr. Marlies Volkmer. Sie hat über die sächsische Landesliste ein Mandat bekommen, macht aber noch Wahlkampf in Dresden, wo erst am 2.

Oktober gewählt wird. Vorbehaltlich des dortigen Wahlergebnisses hat die SPD 34,3 Prozent und 222 Sitze im Bun- destag erreicht.

Im Hangar 2 des Berliner Flughafens Tempelhof wollen sich die Grünen auf die Landung in der Opposition einstim- men. Entsprechend verhalten ist die Stimmung unter den rund 2 500 Anhän-

gern vor den ersten Hochrechnungen.

Als sich auf den Fernsehbildschirmen der grüne Balken aufbaut, braust Jubel auf.

Mit 8,1 Prozent bleiben die Grünen von größeren Stimmenverlusten verschont.

Am Ende beträgt das Minus gegenüber 2002 nur 0,5 Prozentpunkte.

Petra Selg aus Baden-Württemberg, seit 2002 im Gesundheitsausschuss ver- treten, hat den Wiedereinzug in den Bundestag verpasst. Mehr Erfolg hat die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Birgitt Bender, die über die Landesliste in Baden-Württemberg wieder in den Bundestag einzieht.

Zwar sei man offen für Koalitions- verhandlungen, betont Bender. Doch großen Erfolg verspricht sie sich davon nicht: „Die Liberalen wollen das Soli- darsystem zerschlagen und eine private Krankenversicherung einführen. Das ist mit unseren Plänen einer Bürgerver- sicherung nicht zu vereinbaren.“ Eher ließen sich die grünen Vorstellungen mit denen der Union vereinbaren, so Bender. Deren Wahlergebnis habe die CSU gegenüber der CDU gestärkt,

„und die CSU war als soziales Gewissen der Union gegenüber der Kopfprämie bekanntlich immer skeptisch“.

Sehr zufrieden mit dem Wahlausgang gibt sich die Linkspartei/PDS. Mit 8,7 Prozent Stimmenanteil konnten die So- zialisten ihr Ergebnis gegenüber 2002 mehr als verdoppeln.Von derzeit 613 Sit- zen im Bundestag erhält das Bündnis 54 und wird damit zur viertstärksten Frakti- on. Endlich gebe es wieder eine neue po- litische Kraft links der SPD, freute sich Parteichef Lothar Bisky am Wahlabend.

Gesundheitspolitikerin Dr. Gesine Lötzsch eroberte in ihrem Wahlkreis Berlin-Lichtenberg mit 43,5 Prozent er- neut ein Direktmandat. Sie hatte sich im Vorfeld verstärkt für eine Bürger- versicherung ausgesprochen und enga- giert sich für ein Gemeindeschwestern- programm mit Blick auf den Ärzteman- gel im Osten. Außer Lötzsch ziehen für die Linkspartei die Gesundheitspoliti- ker Monika Knoche und Dr. Ilja Seifert aus Sachsen, Dr. Martina Bunge aus Mecklenburg-Vorpommern und Inge Höger-Neuling aus NRW in den Bun- destag ein.

Bericht aus Berlin über die Bundestagswahl: Timo Blöß, Dr. med. Birgit Hibbeler, Martina Merten, Samir Rabbata und Sabine Rieser

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A2520 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 38⏐⏐23. September 2005

Dann eben Opposition: Guido Westerwelle, Joschka Fischer

Fraktionsduo: Gregor Gysi, Oskar Lafontaine

Foto:ddp Foto:dpa Foto:dpa

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