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Archiv "Midlife-Crisis in Badenweiler" (15.03.1979)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen FEUILLETON

Der überfüllte Saal bei der Autorenlesung des „Buchmagazins für Mediziner" mit Gabriele Wohmann in Köln

Das "Buchmagazin für Medi- ziner" und dessen Verleger Dr. F. Klinkhammer hatten er- neut zu einer Autorenlesung eingeladen. Nach der erfolg- reichen Veranstaltung im Ok- tober 1978 mit der Autorenle- sung von Edgar Hilsenrath und Ernst Herhaus (DEUT- SCHES ÄRZTEBLATT, Heft 51-52/1978), war im Februar 1979 die Schriftstellerin Ga- briele Wohmann, Darmstadt.

eingeladen zusammen mit dem Kölner Ordinarius für Psychologie, Prof. Dr. phil.

Wilhelm Salber.

Konnte schon bei der ersten Autorenlesung die „Backstu- be", in der Buchhandlung des Deutschen Ärzte-Verlages in Köln, nicht alle Zuhörer auf- nehmen, so hatte man jetzt mit dem Kinosaal in der „Köl- ner Brücke", dem englischen Kulturinstitut, noch immer ei- nen zu kleinen Saai gewählt.

Viele Interessierte mußten draußen vor der Tür bleiben.

Gabriele Wohmann las eine Passage aus „Frühherbst in Badenweiler - . Ein Nachdruck aus der Schilderung dieser Begegnung zwischen dem hy- pochondrischen Kurgast und der Ärztin beginnt auf dieser Seite.

Midlife-Crisis in Badenweiler

Dr. Schliemann war fertig mit sämtli- chen Messungen, die das Thema Kur ihr auferlegte. Mit äußerlichen Maßnahmen also, wie Abtasten, Drücken, Beklopfen und Kneten am Halswirbel. Im Sprechzimmer wurde es allmählich zu warm. Das Passe- partout um einen mittelabstrakten Holzschnitt wirkte gelblich ver- schossen. Die Sonne schien durch etwas verstaubte Stores. Hubert stellte sich zwei Schritte aus dem Lichtkegel heraus. Im Schatten gab er sich den entscheidenden Ruck, raffte sich zum Mut für die Erkennt-

nis auf und brachte fahrig hervor, daß er sich frage, ob nicht auch ei- ner Fachärztin für Orthopädie wie ihr, Dr. Schliemann, einige überge- ordnete, allgemeine, eher internisti- sche Explorationen möglich seien.

Ein medizinisches Vollstudium habe doch auch sie absolviert!

Was genau meinen Sie? fragte Dr.

Schliemann.

Herz, Puls, Blutdruck, und so weiter, was es so alles gibt, sagte Hubert. Es sollte sich beiläufig anhören. Er fuhr

mit einer beabsichtigt schlaffen Ge- ste durch den Umkreis seines Schat- tenstehplatzes zwischen einem Pa- ravent, hinter dem die Patienten von Dr. Schliemann sich der Täuschung hingeben sollten, wenigstens der Akt des Ausziehens sei eine Sache, die nur sie allein etwas angehe, und einer Kombination aus Waschbek- ken und Spülbecken, darin einige Schläuche matt übereinanderge- sackt waren. Plötzlich fand er es doch unangenehm, mit bloßem Oberkörper herumzustehen. Es han- delte sich um einen Vertrauens-

758 Heft 11 vom 15. März 1979 DEUTSCHES ARZTEBL ATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Gabriele Wohmann

schwund, um einen Sympathiever- lust. Diese Ärztin mußte sich doch seiner recht plastischen Erzählung vom tückischen Herzgetöse wäh- rend der Tagesschau erinnern. Gab es überhaupt Patienten, die so schil- dern konnten, was sie empfanden, so anschaulich und drastisch und gleichzeitig selbstkritisch-ironisch?

Bizarr und exakt in einem? Er traf doch eigentlich ziemlich genau den zynischen Ton, dessen die Medizi- ner sich selber bedienten, vor lauter Kenntnisreichtum abgebrüht, aber unumwunden aufs Schlimmste ge- faßt. Oder nicht? Wirkte er zu neuro- tisch? Nun, wenn schon, wenn ja, dann erst recht mußte die stämmige Frau hellhörig werden. Längst heut- zutage nahm man die Neurotiker ernst, als guter Arzt zumindest, als Arzt, der abends nicht Kammermu- sik betrieb, sondern in den abon- nierten Fachzeitschriften las.

Dr. Schliemann legte sich das Ste- thoskop wie ein Halsband um. Erst recht glich sie mit der Fesselung durch dieses Gerät einem Boxer- hund, nun für den Ausgang bereit.

Nur nicht so eilig, sagte sie, ich hätte Sie sowieso noch auf Herz und Nie- ren untersucht.

Sie hörte an der Geheimsprache in Huberts Brust herum. Er fand, daß man schon seiner Haut Furcht und Schrecken ansehen mußte. Kurzat- miges Gehechel auf ihre Befehle hin. Was für Mitteilungen sandte er unfreiwillig aus? Sein Fleisch wirkte so verzagt, so verdächtig. Aus ihrem Zuhörergesicht ging nichts hervor.

Hubert hatte Lust, alles abzubre- chen. Er hielt sämtliche Erforschun- gen auf einmal für überflüssig. Wis- sen ist Ohnmacht, dachte er. Und außerdem: er fühlte sich doch unbe- droht, doch gesund! Solang er sich in der Praxis dieser Frau aufhielte, könnte ihm nichts zustoßen. Sie wä- re ja jederzeit fähig zur Reanimation seiner sterblichen Hülle. Schon die- ses Bewußtsein genügte, so kam es ihm vor, Schlimmeres zu verhindern.

Ganz heiter, ganz locker wollte er nun bekennen, was sie nicht so ge- nau wissen konnte, worüber er sie also, um ihr Mühe zu ersparen, drin-

gend aufklären mußte: Ich bin ein Hypochonder. Ich bin ganz groß im Einbilden von Krankheiten. Kaum le- se ich ein paar Zeilen lang den Be- richt über ein Leiden, da ist es auch schon mein eigenes. Hören wir also auf. Schonen Sie Ihre Konzentra- tionskräfte für die nicht eingebilde- ten Kranken draußen im Wartezim- mer. Aber lassen Sie mich noch eine Zeitlang hier bei Ihnen sitzen, ir- gendwo im Labor, falls es eines gibt, oder bei der Sprechstundenhilfe. Ich werde nicht stören. Ich werde mich wieder festigen.

Hubert sah, daß sich im Privatleben der persönlichen Bekleidung unter dem Berufskittel ein unerwarteter Aufwand, eine Selbstzuwendung ab- spielte und konnte es schwer fas- sen: Dr. Schliemann trug eine kleine Perlenkette. Falsch oder echt: sie hielt es für beträchtlich. Sie hielt sich für jemanden, der geschmückt werden mußte.

Gabriele Wohmann, 1932 in Darmstadt geboren, studierte in Frankfurt am Main und erhielt 1971 den Bremer Literatur- preis. Folgende Veröffentlichungen wur- den vom Verlag Luchterhand herausge- geben: Frühherbst in Badenweiler, Ro- man, 1978 - Grund zur Aufregung, Ge- dichte, 1978 - Materialienbuch, 1977 - Ausflug mit der Mutter, Roman, 1976 - Schönes Gehege, Roman, 1975 - Ländli- ches Fest, Erzählungen, 1975 - Paulin- chen war allein zu Haus, Roman, 1974 - Entziehung, 1974 - Gegenangriff, Prosa, 1972 - Ernste Absicht, Roman, 1970

Fotos (3): Diederichs

Die Blutdruckmanschette war kühl.

Mit einer gewissen Grobheit schnall- te Dr. Schliemann sie an Huberts Oberarm sehr fest. Dann belauschte sie wieder seine biologischen Wahr- heiten. Mischte sich wieder in seine inneren Angelegenheiten ein. Er be- schloß, etwaigen bedenklichen Be- funden mit größter Skepsis zu be- gegnen. Man las ja jetzt auch immer häufiger von der unbefriedigenden Lage, die darin bestand, daß der Arzt vorgab, ein Untersuchungsergebnis richtig einzuschätzen, das lediglich den Moment der jeweiligen Kontrol- le, diesen kurzen Moment einer Messung, ein punktuelles Geräusch etwa, widerspiegelte. Sie zogen ihr Fazit, ohne jeden Überblick! Die Ver- weildauer im Sprechzimmer war viel zu kurz und außerdem war sie völlig untypisch. Sensiblere Patienten be- fanden sich in einem Ausnahmezu- stand, in einem Erregungszustand.

Das Blutdruckmessen während der spezifisch eben nicht alltäglichen und nicht für den Patienten charak- teristischen Umstände im Verlauf gerade dieser von Empfindlichkei- ten beeinflußten ärztlichen Maßnah- me, es konnte doch kein Bild erge- ben, das außerhalb der Arztpraxis gültig war. Hubert wollte trotzdem erfahren, was diese Frau ihm nun an Wissen voraus hatte. Wie ist er, frag- te er. Lässig lässig, alter Freund, sprach sein innerer Berater.

Prima, sagte Dr. Schliemann.

Ah ja? Und was ist prima in Zahlen ausged rückt?

130. Sie können zufrieden sein.

130 zu wie viel?

Sie sind ein ganz Argwöhnischer, ja?

Mich interessiert so was, sagte Hubert.

Die Amplitude ist ebenfalls sehr schön. Der Blutdruck ist normal.

Was mich wundert, sagte Hubert, denn mein Blutdruck ist normaler- weise eher zu niedrig.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 11 vom 15. März 1979 759

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Gabriele Wohmann

Nun, zu niedrig ist er ganz entschie- den nicht.

Womöglich schon ein wenig zu hoch, fragte Hubert. Er zog sich an, vor Wissensdurst vergaß er den Pa-

ravent und stopfte sein Hemd von Angesicht zu Angesicht mit Dr.

Schliemann in die Hose. Es war ihm unbehaglich, plötzlich mit einem Blutdruck zu leben, der nicht in schlaffer lauer Infarktferne unter dem Normalwert lag. Lieber ruhig ein bißchen ohnmacht- und schwin- delbedroht ein als demnächst violetthäutig hitzig rotgeädert auf- platzend. Sie können das nicht wis- sen, sagte er, ich meine, daß ich fast gewöhnt bin an zu niedrigen Blut- druck, daß ich mich also eine Spur verunsichert fühle mit diesem Er- gebnis.

Ich verlange nicht Schönheit, er- kannte Hubert und glaubte kurz dar- an, das war lebenslänglich mein Irr- tum. Nützlichkeit, Sachverstand, und Geduld: welche Tugenden. Und ein Perlenkettchen, des frühen, auf- opferungsvoll unausgeschlafenen Morgens angelegt, kleiner Hinweis auf ein Selbst, wie genügsam das genügt!

Dr. Schliemann wurde hinter dem Schreibtisch wieder zur Fiktion ei-

ner nicht unter allen Umständen sehr kurzbeinigen Frau.

Sie stöbern wohl gern ein bißchen in medizinischen Nachschlagewerken herum, da lieg ich sicher richtig, Herr Frey?

(Der hier wiedergegebene Auszug ist dem Roman „Frühherbst in Badenwei- ler" von Gabriele Wohmann entnommen;

Luchterhand Verlag, Darmstadt, 1978, 265 Seiten, in Leinen gebunden 28 DM.)

Arzt - und Poet dazu

Es handelt sich um einen Idealwert,

sagte Dr. Schliemann.

Jutta Neumann

Basta oder etwas von ähnlichem Aussagecharakter schien sie nur mit Not zu unterdrücken. Die Gutmütig- keit der Boxerhunde ist schließlich nur eine menschliche Interpretation.

Sie ist nichts als eine Schlußfolge- rung aus einer unwandelbaren Phy- siognomie. Hubert spürte, daß er nur mit einem satirischen Zerrbild seiner Bewußtseinslage die Gewogenheit der Frau zurückgewinnen konnte. Er mußte sie zum Lachen bringen. Bei Ärzten erreichte man das mittels Sarkasmen, mit kaltschnäuzigen Ka- rikaturen.

Ich nehme an, daß ich von nun an zum Apoplektiker neigen werde, sagte er und lachte als erster. Aber nicht als einziger. Sie lachte tatsäch- lich auch. Er hatte den program- mierten Reflex ausgelöst. Ein sym- pathischer Mensch, das war sie doch entschieden. Reaktionsfähig.

Nicht ohne Humor. Warum studieren nicht viel mehr Frauen Medizin.

Wenn sie als Medizinerinnen auftre- ten, hat man so ganz und gar nichts gegen ihre Selbständigkeit und das ganze zeitraubende Verwirklichen.

Wie therapeutisch wirkt dann ihre leichte Verachtung. Wie gut es tut, sich ein wenig verspotten zu lassen.

Alles flößt ein großes Vertrauen ein.

Jutta Neumann ist Ophthalmologin und derzeit im Psychologischen In- stitut des TÜV Essen angestellt. Sie ist Jahrgang 21, gebürtige West- preußin, in Danzig aufgewachsen, lebte nach der Flucht in Tübingen, wo sie das Staatsexamen ablegte.

Von 1948 bis 1974 lebte sie in der DDR (Halle, Ostberlin, Oelsnitz/

Vogtland, Aschersleben). Nach 1974 war sie eineinhalb Jahre ohne Tätig- keit. In dieser Zeit entstanden Ge- dichte „Elegien", „in denen ich die tödliche Isolation aufzeigen wollte, unter der ich lange stand. — Inzwi- schen... auch ganz andere Sachen geschrieben ... " Deutlich drückt sich dies aus in:

Immer am Rande postiert, aufgabenbeschwert,

Nie . . . in die Mitte gerückt von lie- bender Hand, von Konventionen bestimmt, unglücklich machend,

da überfordernd, vergeblich lodernd wie eine Flamme

bis zum Erlöschen.

Niemand meint den andern wirklich!

Nur . . . sich selbst!

Spiegelung ist hübsch eine Zeit- lang ..

Als ich bei Tagesanbruch aufbrach, ahnte ich nichts

von den Dolchstößen, den Foltern die mich treffen würden

im Alltag

bis für den Abend... gar nichts mehr blieb.

So bleib ich verhaftet

im Provisorischen, Vorläufigen, nicht Gemeinten!

Setze mich fest

in kleinen Geschäftigkeiten ohne Spielraum und Lust

zerpflücke leicht Flüchtiges im Ansatz komme nie mehr... davon!

Wenn man diese schwermütigen Verse liest, möchte man der Autorin die Hand hinhalten: „Erzähle mir mehr von dem, was Du erlebt hast."

Und man ist froh zu erfahren, daß diese seelische Bedrückung inzwi- schen überwunden ist. Aber man möchte auch am Froheren (das ja schwerer auszusprechen ist) teilha- ben.

Die Adresse von Dr. med. Jutta Neu- mann lautet: Gärtnerstraße 41, 4300 Essen

Edith Engelke

760 Heft 11 vom 15. März 1979 DEUTSCHES ARZTEBL ATT

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