Literatur kompakt
Wenn der Tumor unter der Behandlung nahezu explodiert
Manche Tumoren machen unter der Therapie der eigentlich sehr wirksamen Immuncheckpointinhibitoren (ICI) eine erstaunliche Entwicklung: Sie fangen an, extrem schnell zu wachsen, es kommt zur hyperprogressiven Erkrankung (HPD). Aber wie genau wird diese eigentlich definiert? Eine Metaanalyse.
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n der Ära der Tumorimmuntherapie haben ICI einen hohen Stellenwert erreicht. Doch manchmal kommt es unter der Therapie mit diesen Agenzien zu einer atypischen Reaktion: Manche Tumoren reagieren mit extrem beschleu- nigtem Wachstum auf die Behandlung, es kommt zur HPD. Wann genau eine solche HPD vorliegt, ist allerdings bis- lang nicht einheitlich definiert. In einer Literaturanalyse haben sich koreanische und US-amerikanische Forschende des- halb diesem Phänomen genähert.In den Datenbanken fanden sie 24 Studien mit 3.109 Patienten, in denen eine Definition der HPD versucht
wurde: Diesen Studien zufolge variier- te die Inzidenz der HPD unter den mit einem ICI behandelten Patienten zwi- schen 5,9 und 43,1 %. Dabei unter- schieden sich die Definitionen der HPD allerdings zum Teil erheblich. Die For- schenden teilten diese in die folgenden 4 Kategorien ein:
1. Quotient der Tumorwachstumsrate:
Hier lag die gepoolte Inzidenz einer HPD bei 9,4 %.
2. Quotient der Tumorwachstumskine- tik: 15,8 %
3. Zuwachs an früher Tumorlast: 20,6 % 4. Kombinationen von (1), (2) und (3):
12,4 %
Die HPD konnte demnach über- oder unterschätzt werden, wenn die Beurtei- lungskriterien auf die Tumorwachstums- rate oder aber auf die Tumorwachs- tumskinetik, die Targetläsionen oder die Regeln für die Bewertung des Anspre- chens der Behandlung bei soliden Tumo- ren limitiert waren. Entsprechend hetero- gen waren die Ergebnisse zum klinischen Outcome, sie unterschieden sich zwischen Patienten mit HPD und solchen mit na- türlich progredierender Erkrankung.
Fazit: Die Definition der HPD erweist sich als ausgesprochen divers und resul- tiert in einer großen Bandbreite in der festgestellten Inzidenz. Eines aber zeigt diese Metaanalyse deutlich: Das Auftre- ten der HPD unter ICI-Therapie ist insge- samt nicht selten. Umso wichtiger wäre es, einheitliche und klinisch relevante Kriterien zu erstellen. Christian Behrend Park HJ et al. Definition, Incidence, and Challeng
es for Assessment of Hyperprogressive Disease During Cancer Treatment With Immune Check
point Inhibitors: A Systematic Review and Me
taanalysis. Jama Netw Open. 2021; 4(3):e211136
Wie sicher ist die Behandlung mit Checkpointhemmern bei Krebs und COVID-19?
Es gibt nur wenige Daten zum Krankheitsverlauf von Krebspatienten, die sich während einer Immuncheckpointinhibitor(ICI)Therapie mit SARSCoV2 infiziert haben. Chinesische Forscher haben diese zusammengetragen und teilen ihre Erfahrungen, um Therapie
entscheidungen in Zeiten der Pandemie zu erleichtern.
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s gibt noch keine validierte Vor- gehensweise zur ICI-Therapie bei an COVID-19-erkrankten Krebspatienten.Forschende um Chen Shen, Wuhan, Chi- na, fanden diesbezüglich in den bisher publizierten Daten kein generell zusätz- lich erhöhtes Risiko für Atemwegsinfek- tionen oder immunvermittelte Neben- wirkungen durch ICI für die Mehrheit der Krebspatienten mit COVID-19. Im Gegenteil könnte eine ICI-Therapie vor einer SARS-CoV-2-Infektion oder im frühen Stadium der COVID-19-Erkran- kung sogar von Vorteil sein, indem ICI auch die antivirale T-Zell-Zytotoxizität
fördern. Deshalb wird nun die Effektivi- tät von PD-1-Hemmern bei COVID- 19-induzierter Sepsis in einer Phase-II-
Studie untersucht (NCT04268537).
Im Verlauf der COVID-19-Erkran- kung kann sich allerdings das Blatt wen- den, denn womöglich verändern sich Differenzierung und Aktivierung von T- Zellen, es können wahrscheinlich patho- gene T-Zell-Subtypen entstehen. Diese fördern eine überschießende Immun- reaktion vor allem in der späten Phase von COVID-19, die durch ICI noch un- terstützt wird. Als pathogene T-Zell- Subtypen mit großer klinischer Signifi-
kanz wurden IL-6-produzierende Th1- Subtypen und IL-17-produzierende Th17-Subtypen identifiziert. Zusätzlich könnten die pathogenen T-Zell-Sub- typen durch ICI überaktiviert werden, was schwere Nebenwirkungen wie eine explosionsartige Entzündungsreaktion in der Lunge oder im gesamten Körper nach sich ziehen würde.
Fazit: Für eine sichere ICI-Therapie emp- fehlen die Forscher bei Krebspatienten mit und nach einer COVID-19-Erkran- kung regelmäßig die Gesamtzahl der Lymphozyten zu ermitteln, sowie auch die Anzahl der pathogenen T-Zellen und deren Expressionslevel von PD-1 und CTLA-4 zu überwachen. Sabrina Kempe Shen C et al. Management of immune check
point therapy for patients with cancer in the face of COVID19. J Immunother Cancer.
2020;8(2):e001593
Im Fokus Onkologie 2021; 24 (4) 43