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Archiv "Minimalinvasive Hüftendoprothetik" (08.12.2006)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 49⏐⏐8. Dezember 2006 A3333

D

ie minimalinvasive Hüftendoprothetik stößt in der Laienpresse auf ein großes Interesse – wis- senschaftliche Grundlagen zu diesem Thema gibt es deutlich weniger. Im Januar 2006 erbrachte der Such- begriff „total hip replacement“ bei Google 1 820 000 Einträge, bei Medline 8 747. Hieraus ergibt sich eine Relation von Werbe- zu Wissenschaftsportal von 208.

Führt man die gleiche Suche mit dem Zusatz „minimal- invasive“ durch, so zeigt Google 308 000 Einträge, Medline nur 17 Einträge. Die Relation beträgt hier 18 118.

Wie bei allen neuen Verfahren sollte auch bei der minimalinvasiven Endoprothetik (MIS, „minimal in- vasive surgery“) die Promotion dieser Technik in den Laienmedien zurückhaltend erfolgen, bevor sie nicht grundlegend in Peer-reviewed-Zeitschriften beurteilt wurde. Evidenz-Stufe-1-Studien, Meta- oder Coachraine-Analysen liegen zur MIS noch nicht vor.

Grundlage der vorliegenden Arbeit sind die Literatur- suche in Medline mit den Suchbegriffen „total hip re- placement – minimalinvasive“, Kongressmitteilungen auf den Jahrestagungen der Deutschen Orthopäden und Unfallchirurgen sowie der Jahrestagung der Aca-

demy of Orthopedic Surgeons (AAOS) in Nordameri- ka von 2002 bis 2006.

Die MIS-Techniken zählen gegenwärtig zu den am meisten beachteten Neuerungen im Bereich der Chir- urgie. In den letzten fünf Jahren bemühte man sich beim Hüftgelenkersatz, den Hautschnitt auf maximal 10 cm zu begrenzen oder gleichzeitig mehrere Mini- Zugänge zu verwenden. Das theoretische Konzept von MIS in der Hüftendoprothetik ist nicht allein durch kleinere Hautschnitte gekennzeichnet. Es umfasst eine geringere Gewebsschädigung, verminderte Blutung und weniger Schmerzen sowie eine rasche postoperati- ve Belastung bei Aufrechterhaltung der hohen Stan- dards von Sicherheit, Effizienz und Langlebigkeit der implantierten Endoprothese.

Vorteile minimalinvasiver Techniken bei der Implantation von Hüftendoprothesen

Für den Patienten ist der auffälligste Unterschied der kosmetisch kürzere Hautschnitt. Dieser beeinflusst je- doch die Qualität der Operation nicht positiv. Die kur- ze Hautinzision birgt sogar die Gefahr, dass sie bei feh- lender Übersicht zu Fehlimplantationen führen kann.

ÜBERSICHT

Minimalinvasive Hüftendoprothetik

Jörg Jerosch

ZUSAMMENFASSUNG

Einleitung: Das Thema „minimalinvasive Hüftendoprothe- tik“ (MIS) wird derzeit in den Medien stark diskutiert. Ein Vorteil dieser Technik liegt in dem kürzeren Hautschnitt.

Bedeutsamer ist die Weichteilschonung der Muskelansät- ze bei der tiefen Präparation, die mit Gewinnen für die Sensomotorik und die Knochensubstanz des proximalen Femurs einhergeht. Methoden: Literaturrecherche in Medline mit den Suchbegriffen „total hip replacement – minimal invasive“ sowie Auswertung der Kongressmittei- lungen der Deutschen Orthopäden und Unfallchirurgen sowie der Academy of Orthopedic Surgeons von 2002 bis 2006. Ergebnisse: Ein hoher Body-Mass-Index bedeutet nur selten eine Kontraindikation. Bei muskelkräftigen Menschen kann ein minimalinvasives Vorgehen erschwert oder sogar unmöglich sein. Spezialinstrumente sind nur in geringem Umfang notwendig. Wichtiger sind die Prinzipi- en der veränderten OP-Taktik wie etwa das Prinzip des mobilen Fensters und die intermittierende Weichteilrela- xation. Diskussion: Die vorliegende Literatur erlaubt noch kein abschließendes Urteil über die Effektivität der MIS.

Zunehmend werden auch die Gefahren der Methodik be- kannt. Jeder Operateur sollte bedenken, dass die Lernkur- ve für MIS-Zugänge lang und unter Umständen komplika- tionsreich ist. Dtsch Arztebl 2006; 103(49): A 3333–9.

Schlüsselwörter: Hüftendoprothetik, minimalinvasiv, Ergebnisse, Komplikationen

SUMMARY

MINIMAL INVASIVE HIP REPLACEMENT Introduction: Minimally invasive hip replacement is widely discussed. The shorter skin incision is only the most superfi- cial of its advantages. A more important advantage is the management of soft tissue in the deeper layers, avoiding detaching the tendon insertions of the stabilizing muscula- ture. This brings advantages for the sensorimotor function as well as for the bone mineral density of the proximal fe- mur. Methods: Medline review using search terms "total hip replacement – minimally invasive," analysis of conference reports of the German colleges of Orthopaedics and Emer- gency Medicine, and the Academy of Orthopedic Surgeons, from 2002 to 2006. Results: A body mass index (BMI) > 30 is only rarely a contraindication for minimal invasive hip re- placement (MIS). However, minimally invasive access to the hip can be technically difficult in patients with good muscula- ture. Surgical strategies involve for example moving windows, and intermittent relaxation of the soft tissues. Occasionally, special instruments are needed. Discussion: The current lit- erature does not allow a final judgement about the advan- tages and the dangers of MIS in total hip replacement. Sur- geons should bear in mind, that the learning curve for MIS approaches at the hip is long, and can entail severe complica- tions. Dtsch Arztebl 2006; 103(49): A 3333–9.

Key words: hip replacement, minimal invasive, results, complications

Klinik für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie, Johanna- Etienne-Krankenhaus, Neuss (Prof. Dr. Dr.

Jerosch)

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Bei manchen Zugangstechniken fordern die Befür- worter deshalb intraoperativ eine Röntgenbildwand- lerkontrolle und/oder ein Navigationssystems zu ver- wenden. Aus biomechanischer Sicht ist die Schonung der Abduktorenmuskulatur viel wichtiger. Der dadurch erreichte funktionelle Gewinn für den Patienten wirkt sich insbesondere in der postoperativen Frühphase sehr positiv aus. Der weitestgehende Erhalt der Senso- motorik (Propriozeption) ist ebenfalls ein klinisch re- levanter Vorteil, der einer besseren Frührehabilitation zugute kommt.

Ursprünglich rechnete man auch mit einem geringe- ren Blutverlust und mit verminderten postoperativen Schmerzen. Dieser Benefit stellte sich jedoch nicht in allen Studien ein. Darüber hinaus erwartete man eine zügigere Wundheilung. Dabei gilt auch bei MIS zu be- achten, dass Wunden Seit-zu-Seit und nicht End-zu- End heilen, sodass ein kurzer Hautschnitt keinen Vor- teil bringt. Bei unsachgemäßem Vorgehen kann es bei den kurzen Hautschnitten aufgrund des Hakenzugs und -drucks sogar eher zu Hautproblemen kommen.

Spezifische Operationsschritte Spezialinstrumente

Bei manchen Zugängen sind Spezialinstrumente und/

oder Spezialtische notwendig. Das erhöht die Kosten in der Anfangsphase.

Intraoperative Bildwandlerkontrolle/Navigationssystem Eine operationsspezifische intraoperative Bildwand- lerkontrolle ist speziell bei der Doppelportal-Technik prinzipiell angezeigt. Bei anderen Techniken hängt ihr Einsatz von der Erfahrung des Operateurs ab. Aller- dings wird nach wie vor der Bildwandler zum Ab- schluss der Operation vor der Narkoseausleitung ver- wendet, um die Lage des Implantats zu dokumentie- ren. Die Nutzung eines Navigationssystems wird von manchen Autoren empfohlen. Meistens werden die Eingriffe jedoch ohne Navigationssystem durchge- führt.

Implantate

Bei den meisten Zugangstechniken können alle Stan- dardhüftendoprothesen angewendet werden. Vorteil- haft sind anatomische Endoprothesen, die erlauben, die Femurschaftpräparation möglichst weit medial zu belassen, um den Ansatz des M. gluteus medius zu schonen. Auch die Implantation von Oberflächenpro- thesen ist über MIS-Zugänge möglich. Hier können antero-lateral minimalinvasive (ALMI-)Techniken für die Kopfpräparation sogar günstig sein, weil der Fe- murkopf sich bei Außenrotation aufgrund der Antetor- sion aus der Wunde in das Operationsfeld herausdreht.

Hautinzision

Der etwa 6 bis 10 cm lange Hautschnitt (Abbildung 1, 2) ist je nach Zugangsrichtung – anterior, anterolateral oder posterior – unterschiedlich. Bei der Doppelinzisi- onstechnik sind zwei Hautschnitte notwendig (Abbil- dung 3).

Präparation der Weichteile

Nach dem das Subkutangewebe durchtrennt wurde, wird die weitere Weichteilpräparation zugangsspezi- fisch vorgenommen. Bei allen MIS-Zugängen werden möglichst wenig oder sogar keine Sehnenansätze ab- gelöst.

Femurosteotomie

Die Osteotomie des Femurhalses erfolgt je nach Zu- gang entweder bei nicht luxierter (posteriorer oder OCM-Zugang) oder luxierter Hüfte (ALMI-Zugang).

Anschließend wird der Hüftkopf entfernt.

Präparation der Pfanne

Um die Hüftpfanne darzustellen, wird das Hautfenster in der Regel leicht verschoben. Dieses Prinzip des be- weglichen Fensters ist essenziell für eine gute Über- sicht bei MIS-Hüftzugängen. Die weitere Präparation der Hüftpfanne sowie das Einbringen der künstlichen Gelenkpfanne verläuft bei allen Varianten der mini- malinvasiven Hüftendoprothetik wie bei einem Stan- dardzugang.

Präparation des Femurschafts

Zur Femurschaftpräparation wird das Bein bei den un- terschiedlichen MIS-Zugängen unterschiedlich gela- gert. Das Zugangsfenster wird durch entsprechende Platzierung der Hohmann-Haken positioniert (Prinzip des beweglichen Fensters). Die weiteren Operations- schritte erfolgen wie bei konventionellen Standard- verfahren.

Auf Redondrainagen kann beim minimalinvasiven Vorgehen in der Regel verzichtet werden.

Mobilisation

Den Patienten wird empfohlen, die operierte Extre- mität schmerzadaptiert voll zu belasten. Dies ist nach eigenen Erfahrungen bei etwa 50 bis 60 Prozent der Patienten zum Zeitpunkt der Entlassung, das heißt sieben bis zwölf Tage nach der Operation, möglich).

Die Unterarmgehstützen sollen nur solange verwendet werden, bis die subjektiven Beschwerden eine Vollbe- lastung erlauben; dieses ist jedoch unabhängig vom MIS-Konzept der minimalinvasiven Hüftendoprothe- tik. Alle MIS-Hautnarben schrumpfen innerhalb des ersten Jahres noch deutlich (Abbildung 4).

Diskussion

Mini-Inzisions-Zugänge wurden in den letzten Jahren von verschiedenen Autorengruppen propagiert (Ta- belle 1). Leider wird nicht nur in der Laienpresse der Begriff „minimalinvasive Hüftendoprothetik“ oft le- diglich an der Länge des Hautschnittes festgemacht.

Viel wichtiger ist jedoch die Weichteilbehandlung, insbesondere die Schonung der Sehnenansätze. Der postoperative Aufenthalt im Krankenhaus ist beson- ders in Nordamerika ein wichtiger Grund für die Durchführung der MIS, weil dort jeder Krankenhaus- tag unmittellbare erhebliche Kosten zur Folge hat. Da in den USA jeder Krankenhaustag unmittelbare direk-

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A3336 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 49⏐⏐8. Dezember 2006 Abbildung 1:

Hautschnitt beim ALMI-Zugang

Abbildung 2:

Hautschnitt beim posterioren minimalinvasiven Zugang

Abbildung 3:

Hautschnitte bei der Doppelinzisions- technik

(4)

te Kosten verursacht, ist die besonders frühe Entlas- sung notwendig. Die Honorierung nach dem DRG- System in Deutschland bietet keinen solchen hohen fi- nanziellen Anreiz für eine frühe Entlassung. Es zeigt sich auch vor allem in der deutschsprachigen Litera- tur, dass die Länge des Hautschnittes nicht mit der Aufenthaltsdauer im Krankenhaus korreliert.

Erhöhter Body-Mass-Index

Ein Body-Mass-Index > 30 wird von manchen Auto- ren als Kontraindikation für MIS bei der Hüftendo- prothetik angesehen. Andere Autoren sehen hier keine Einschränkung (1, 11). Ab einem bestimmten Körper- umfang wird es unter Umständen nicht mehr möglich sein, den Hautschnitt kleiner als 10 cm zu wählen.

Wenn die Körperfülle vornehmlich durch Subkutan- gewebe bedingt ist, kann dieses oftmals gut mit Re- traktoren an der Seite gehalten werden. Schwierig ist hingegen die Retraktion von Muskelgewebe. Bei mus- kelkräftigen Patienten stößt die MIS an der Hüfte so- mit gelegentlich an ihre Grenzen.

Belastung der Wundränder

Auch wenn Wundheilungsstörungen, Wundrandne- krosen oder Weichteilinfekte für Mini-Zugänge im Vergleich zu Standardhüftzugängen in der Literatur nicht häufiger beschrieben wurden, bleibt die Gefahr hierfür bestehen. Grundsätzlich ist bei einem mini- malen Zugangsweg im Vergleich zum klassischen Zu-

Abbildung 4:

Narbe ein Jahr nach ALMI-Zugang

MIS, minimalinvasive Hüftendoprothetik; BMI, Body-Mass-Index TABELLE 1

Literaturübersicht MIS-Hüftendoprothetik

Autor Studiendesign Zugang Kommentar

Sculco et al. (2) prospektiv kontrolliert MIS posterior >MIS-Gruppe: Operationsdauer kürzer

>keine signifikanten Unterschiede beim Blutverlust oder der Kranken- hausverweildauer

>MIS-Gruppe keine Dislokationen, eine Dislokation in der konventionellen Gruppe

>postoperativer Harris-Hip-Score (hüftgelenkbezogener Gelenkscore) in der MIS-Gruppe früher verbessert

>MIS-Technik nicht geeignet für Patienten mit einem BMI von mehr als 28

Dorr (3) retrospektiv posterior >keine Dislokationen (N = 105)

>eine Lähmung des N. ischiadicus

>eine Infektion

>Wiedererlangen des Gangbildes und der Muskelkraft zügiger bei Studienteilnehmern mit der MIS-Technik

Chimeto et al. (4) prospektiv randomisiert posterior >MIS-Gruppe: weniger Blutverlust, raschere Wiedererlangung des normalen Gangbildes bei Patienten mit einem BMI von weniger als 30

>keine Erhöhung der Komplikationsrate

Goldstein et al. (5) prospektiv kontrolliert posterior MIS >keine Unterschiede bezüglich des Alters, der Operationszeit und des versus Bedarfs an Bluttransfusionen (N = 170)

posterior Standard >signifikanter Unterschied zwischen schlanken Patienten und solchen mit einem BMI von 27 bis 31

>In beiden Gruppen kam es zu keiner Dislokation.

Berger (6) prospektiv unkontrolliert Doppelinzision >Bei 100 Patienten seien 97 % bereits am OP-Tag entlassen worden.

DiGioia et al. (7) prospektiv kontrolliert posterior mit >MIS-Gruppe: niedrige Prävalenz beim Hinken und bessere Bewältigung Navigation des Treppensteigens

>Ein Jahr nach der Operation gab es zwischen beiden Gruppen keinen signifikanten Unterschied mehr.

Chung et al. (8) prospektiv kontrolliert posterior MIS >MIS-Technik: signifikant weniger intraoperativer Blutverlust, geringere versus Krankenhausverweildauer, geringere Notwendigkeit für Gehhilfen posterior Standard

Wenz et al. (9) prospektiv kontrolliert posterior MIS >MIS-Technik: geringere OP-Dauer, reduzierter Blutverlust, geringerer versus Bedarf an intraoperativen Bluttransfusionen, weniger postoperative posterior Standard Komplikationen, Reduktion der Krankenhausverweildauer Woolsen et al. (10) prospektiv kontrolliert posterior MIS >MIS-Technik: kein geringerer Blutverlust oder geringere

versus Traumatisierung der Weichteile

posterior Standard >bei Begrenzung der Inzisionslänge auf 10 cm eine Verschlechterung der Frühergebnisse bei manchen Patienten

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A3338 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 49⏐⏐8. Dezember 2006 gang das Risiko erhöht, den Wundrand beim Ein-

führen von Raspeln oder durch Retraktorzug zu verletzen. Aus diesem Grund sollte die OP-Taktik hinsichtlich der Weichteilbehandlung modifiziert werden. Dies umfasst beispielsweise das Prinzip des beweglichen Fensters oder das Nachlassen des Re- traktorzugs, wenn dieser nicht notwenig ist. Zudem sollten möglichst wenige Raspel- und Fräsenwechsel erfolgen.

Proximaler Knochenverlust

nach hüftendoprothetischer Versorgung

In der Diskussion um minimalinvasive Hüftendopro- thetik wurde die Frage nach postoperativem Knochen- verlust am proximalen Femur bisher wenig beachtet.

Die Analyse der frühen muskuloskelettalen Belastung stützt den Verdacht, dass die Art des chirurgischen Zu- gangs den Knochenverlust mitbeeinflusst (12). Die Ablösung der Glutealmuskulatur triggert den Kno- chenverlust. Verglichen mit dem anterolateralen Zu- gang verändern die posterioren und posterolateralen Zugänge die Femurbelastung durch eine geänderte Verteilung der Muskelkräfte (12). Die veränderte Krafteinwirkung auf den Femur erklärt die niedrigere periprosthetische Knochendichte (BMD, „bone mine-

ral density) in den grünen Zonen I, II, VI, VII (13).

Die intraoperative Weichteilrekonstruktion, bezie- hungsweise deren Schonung und Erhalt, haben somit scheinbar einen großen Einfluss auf Art und Umfang des Knochenverlusts.

Sensomotorische Aspekte

Es ist bekannt, dass die Mechanorezeptoren vor allem am Sehnen-Knochen- sowie am Sehnen-Muskel- Übergang lokalisiert sind. Zur Schonung dieser ent- scheidenden neurologischen Strukturen ist es wichtig, eine Sehnenablösung zu vermeiden. Die chirurgische Reinsertion mag dem Operateur ein gutes Gefühl ver- mitteln, sie ist aus neurophysiologischer Sicht jedoch nicht sinnvoll, weil die chirurgische Abtrennung die Mechanorezeptoren beziehungsweise ihre neuronale Versorgung stört. Eine mögliche geringe Störung der Sensomotorik (Propriozeption) erlaubt es, einen für die Lokomotorik wichtigen Regelkreis wiedereinzu- setzen. Klinisch kommt dies durch die schnelle und für den Patienten komfortable Vollbelastung zum Ausdruck.

Komplikationen

Die Rate an perioperativen Komplikationen beim mi- nimalinvasiven Vorgehen variiert zwischen null und 26 Prozent (Tabelle 2). Besonders die Doppelinzisi- onstechnik von Berger (6) scheint mit Problemen be- haftet zu sein. Bal et al. (20) führten als erfahrene Hüftoperateure nach entsprechender Schulung bei 89 Patienten in der Doppelinzisionstechnik eine Hüftim- plantation durch. Zehn Prozent der Fälle erforderten frühe Reoperationen: zweimal wegen Femurfraktu- ren, einmal wegen einer Luxation, zweimal wegen Wundkomplikationen und viermal wegen Nachsintern der femoralen Komponente. Bei 25 Prozent der ope- rierten Patienten war der N. cutaneus femoris lateralis beschädigt und ein Patienten erlitt eine Neuropraxie des N. femoralis. Über ähnlich schlechte Ergebnisse berichteten auch Berry et al. (21). Sie dokumentierten bei 75 mit der Doppelinzisionstechnik operierten Pati- enten in 16 Fällen eine Beeinträchtigung der Ober- schenkelsensibilität, in zwei Fällen eine Femurfraktur und bei einem Patienten eine Frühsinterung des Fe- murschaftes. Andere Autoren berichten über ähnlich schwierige Lernkurven bei der Doppelinzisionstech- nik (22) oder bei der anterioren MIS-Inzision (23).

Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammen- hang, dass es sich bei Bal et al. (20) um hochspeziali- sierte Operateure handelt, die ausschließlich Hüftim- plantationen durchführen. Bei Operateuren mit geringe- rer Erfahrung ist wahrscheinlich von einer noch höheren Komplikationsrate und einer langsameren Lernkurve auszugehen.

Es ist daher keinesfalls zutreffend – wie manchmal auf Kongressen zu hören –, dass jeder Operateur die MIS-Technik nach 20 bis 30 Eingriffen beherrscht. Be- vor die Methode am Patienten angewandt wird, sollte der Operateur unbedingt an entsprechenden Ausbil- dungskliniken hospitieren und/oder Kurse besuchen, TABELLE 2

Komplikationen bei MIS-Hüftendoprothetik

Autor Komplikationen

Rachbauer et al. (14) 3 Frakturen (N = 100) 3 Wundheilungsstörungen

Berger (6) eine periprothetische Fraktur (N = 100) Goldstein et al. (5) 1 Luxation (N = 100)

2 Wundheilungsstörungen Hartband (15) keine Komplikationen (N = 100) Higuchi (16) 3 Luxationen (N = 115)

1 Fraktur 1 Pfannenlockerung

Kennon et al. (17) 46 periprothetische Frakturen (N = 672) 9 Luxationen

Thomas/Benecke (18) 1 N.-obturatorius-Neuropraxie (N = 29) Wohlrab et al. (19) 6 periphere Nervenschäden (N = 27)

1 Fraktur Woolson et al. (10) 2 Frakturen (N = 50)

2 Thrombosen 1 Wundinfekt

1 peripherer Nervenschaden Bal et al. (20) 10 % frühe Reoperationen (N = 89)

– 2-mal wegen Femurfrakturen – 1-mal wegen einer Luxation – 2-mal wegen Wundkomplikationen

– 4-mal wegen Nachsintern der femoralen Komponente In 25 % der operierten Patienten fand sich eine Schädigung des N. cutaneus femoris lateralis.

Ein Patient mit Neuropraxie des N. femoralis.

Berry et al. (21) 16-mal Beeinträchtigung der Oberschenkelsensibilität (N = 75)

3 Fälle einer Femurfraktur

1-mal eine Frühsinterung des Femurschaftes

(6)

die in verschiedenen anatomischen Instituten angebo- ten werden. Durch den begrenzten Einblick auf das OP- Gebiet ist ein spezielles dreidimensionales Denken not- wendig, worin nicht jeder Operateur geschult ist. Es ist empfehlenswert, nicht gleichzeitig mit einem neuen anatomischen Zugang, einem neuen Implantat sowie dem begrenzten Einblick einer MIS zu beginnen.

Klinische Relevanz

Der Vorteil von minimalinvasiver Hüftendoprothetik besteht oberflächlich betrachtet in dem kürzeren Hautschnitt. Wichtiger ist jedoch die Weichteilscho- nung der Muskelansätze, die mit Gewinnen für die Sensomotorik und die Knochensubstanz des proxima- len Femurs einhergeht. Ein hoher BMI stellt nur selten eine Kontraindikation für eine MIS dar. Demgegenü- ber kann bei muskelkräftigen Patienten ein minima- linvasives Vorgehen erschwert sein. Spezialinstru- mente sind nur in geringem Umfang notwendig.

Wichtiger sind die Prinzipien der veränderten OP- Taktik wie etwa das Prinzip des mobilen Fensters. Die Frage, wie schonend MIS-Zugänge zur Hüfte im Ver- gleich zu Standardzugängen wirklich sind, kann auch bei Bewertung der verfügbaren aktuellen Literatur nicht abschließend beantwortet werden. Die Ergebnis- se verschiedener Studien sind widersprüchlich. Ver- gleichende Untersuchungen müssen besonders dann vorsichtig interpretiert werden, wenn bei signifikan- ten Unterschieden zwischen MIS- und Standard- Gruppe in einer Gruppe nur schlankere Patienten wa- ren oder eine Gruppe nur von erfahrenen Operateuren operiert wurde.

Jeder Operateur sollte bedenken, dass die Lernkur- ve für MIS-Zugänge am Hüftgelenk lang ist.

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 24. 1. 2006, revidierte Fassung angenommen: 17. 7. 2006

LITERATUR

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Anschrift des Verfassers Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jörg Jerosch

Klinik für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie Johanna-Etienne-Krankenhaus

Am Hasenberg 46 41462 Neuss

E-Mail: j.jerosch@ak-neuss.de

English version of this article is available online:

www.aerzteblatt.de/english

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