• Keine Ergebnisse gefunden

Trend: Spiritualität – Zugang zu einer neuen Sinnorientierung

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Trend: Spiritualität – Zugang zu einer neuen Sinnorientierung"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

68 VHN, 85. Jg., S. 68 –70 (2016) DOI 10.2378/vhn2016.art06d

© Ernst Reinhardt Verlag TREND

Spiritualität –

Zugang zu einer neuen Sinnorientierung

Otto Speck

LM-Universität München

Erst seit etwa zwei Jahrzehnten ist Spiritualität zu einem dynamischen Trendwort geworden.

Davon zeugt nicht nur ein expandierender

„Esoterik“-Markt, sondern auch ein verstärk- tes Interesse von Wissenschaft und Religion, wie es vornehmlich aus dem angelsächsischen Raum bekannt geworden ist. Hier spricht man von einem „Spiritual Turn“ oder einer „Spiri- tual Revolution“. Vor allem aus den USA liegt eine Fülle empirisch-wissenschaftlicher For- schungsarbeiten zu diesem Thema vor; es wird hier kaum zur Kenntnis genommen (Oser u. a.

2006). Mehr bekannt ist hier die von A. H. Mas- low begründete und von Ken Wilber weiterent- wickelte „Transpersonale Psychologie“. Hierzu- lande hat die Arbeit von A. Bucher (2007) auf das neue Thema aufmerksam gemacht.

Selbst religiös distanzierte Menschen fragen sich, ob es gegenüber der erlebten Alltagsmüh- le nicht „etwas darüber Hinausgehendes“ gibt.

„Is that all there is?“ Ist Leben nicht mehr, als individuelle und soziale Erfolge hergeben? Ge- sucht wird nach einer übergreifenden Ganz- heit und nach der Freiheit des Selbst gegenüber übermächtig werdenden Fremdbestimmun- gen, nach mehr Raum für innerliche und über- dauernde Freude am Leben und für erfüllen- den Lebenssinn über alle Oberflächlichkeiten hinweg. Es muss etwas existenziell sehr Bedeut- sames sein, wenn sich mehrere zehntausend junge Christen aus aller Welt und verschiede- ner Religionen regelmäßig und tagelang in Taizé zu Gemeinschaften und Gottesdiensten unter dem Motto „Gott macht glücklich!“ zu-

sammenfinden. Gesucht wird nach einer „hö- heren Wahrheit“, nach etwas, was das vorge- fundene materielle Leben transzendiert. Dass es sich um einen universalen Wert handelt, geht u. a. daraus hervor, dass diese Bewegung auch Menschen einbezieht, die nicht religiös gebunden sind.

An sich ist spirituelles Erleben so alt wie die Menschheit, ein verlässlich integrierter Be- standteil menschlichen Lebens. Dass dieses Weltbild vor allem im Westen nahezu ver- schwunden ist und Spiritualität heute wieder zur Geltung gebracht wird, hängt vor allem mit der „Entzauberung“ der Welt durch den ratio- nalen Fortschritt zusammen, der inzwischen an Grenzen gestoßen ist, die den Menschen ratlos machen. Die Entspiritualisierung ging mit sozio-kulturellen Veränderungen einher, die durch Aufklärung, Industrialisierung, Techni- sierung, Ökonomisierung und Postmoderne bedingt waren. Sie bedrohen inzwischen auch real den Sinn und die Qualität menschenwür- digen Lebens bzw. letztlich sogar das Überle- ben. Durch das Übergewicht versachlichender Lebensformen und die vorherrschende imma- nente Lebensorientierung ist das Leben eher leer und flach geworden. Verloren zu gehen droht nicht nur das Glauben, sondern auch das Vertrauen zueinander.

Soziologische Studien zeigen, wie sehr der Mensch zum Getriebenen unter ständig stres- sigem Kontrolldruck geworden ist. Überforde- rungen, soziale Entfremdungen und psychi-

PDF bereitgestellt von Reinhardt e-Journals | © 2022 by Ernst Reinhardt Verlag Persönliche Kopie. Zugriff am 14.02.2022

Alle Rechte vorbehalten. www.reinhardt-verlag.de

(2)

VHN 1 | 2016 69

OTTO SPECK

Spiritualität – Zugang zu einer neuen Sinnorientierung TREND

sche Störungen seien die Folgen. Das Leben sei weithin auf diesseitiges Glück (happiness) re- duziert. Die ursprüngliche Konzeption eines

„guten Lebens“ auf der Basis von „Selbstver- wirklichung“ erscheint verbaut, zumal der Mensch seine letzte Zielorientierung nicht mehr in der Ewigkeit eines „höheren“ Lebens erkennt, sondern sich nur in einem durch den Tod begrenzten und in Konkurrenz mit ande- ren zu managenden Leben sieht. Die auffallend verbreitete Depression wird als Erschöpfung des souveränen Individuums gedeutet, das ver- geblich versucht, nur es selbst zu sein und eine Metaautorität für sich ablehnt, die aber im Grunde der Menschenwürde einen nicht nur sozialen, sondern darüber hinaus einen sakra- len, einen transzendental gesicherten Wert geben könnte.

In spirituellen Erfahrungen, wie sie seit je in allen Kulturen und Religionen tief verankert sind oder waren, transzendiert das Selbst zu einer Verbundenheit mit dem Alleinen und Ganzen und begegnet dabei letztlich auch dem

„Geheimnis, das wir Gott nennen“. Es geht also nicht um eine bloße Übersteigerung des Ich- Erlebens. Diese wäre ein esoterischer Narziss- mus, darauf angelegt, das eigene Wohlergehen zu optimieren und sich sein „Glück“ oder sein Heil selbst zu verschaffen. Spiritualität oder spirituelles Bewusstsein ist eine Grundeigen- schaft des Menschen, die darauf gerichtet ist, sich über das physisch-materiell Gegebene und das sinnlich Wahrnehmbare hinaus Sinnhin- tergründe und universale Gültigkeiten zu er- schließen, die ein inneres Gegengewicht zum Leben in seiner Begrenztheit und äußeren Ab- hängigkeit bilden können. Spiritualität wird als Intuition, als Ergriffensein, als Ahnung, Er- leuchtung oder als plötzliche Idee erlebt, die man sich jedoch nicht hinreichend erklären kann. Was dabei zutiefst angesprochen wird, ist das „Herz“. Dieses gilt in allen Kulturen als die Mitte des Menschen, als der tiefste und wirkliche Grund seines Wesens – nicht der Kopf!

Starke Belege für die Realität spirituellen Erle- bens erbringt die Nahtod-Forschung. Nahtod- Erfahrungen kommen bei etwa 5 % aller Men- schen vor. Es handelt sich dabei um übersinn- liche Erfahrungen, die ein Mensch bei einem unfalls- oder operationsbedingten Herzstill- stand (Koma) für kurze Zeit erlebt, wobei er in einer unbeschreiblich schönen lichterfüllten Umgebung bestimmte Szenerien mit lebensbe- deutsamen Inhalten erlebt, z. B. eine Erkennt- nis gebende Lebensrückschau, ein liebevolles Mit- und Füreinander, die klare Unterschei- dung von Recht und Unrecht, eine nicht-ver- urteilende Umwelt und/oder Vertrauen in das Leben. Das Besondere daran ist das Erleben des eigenen Bewusstseins außerhalb des Kör- pers, ein Indiz dafür, dass das Bewusstsein ein unendliches sein muss, also mit dem Tod des Körpers nicht erlischt, was jedoch nicht be- deutet, dass es etwas „Übernatürliches“ sei.

Wissenschaftliche Befunde deuten darauf hin, dass Spiritualität genisch angelegt, ihre Ent- wicklung aber auf eine spirituelle Erziehung angewiesen ist; diese müsste schon in den ers- ten Lebensjahren beginnen und sich besonders auf das unmittelbare Erleben spirituell-emotio- naler Situationen stützen, bezogen etwa auf Natur und Kosmos, auf die soziale Mitwelt, auf sich selbst und auf ein höheres, göttliches We- sen (Bucher 2007). Fragen über „Gott und die Welt“, über Himmel und Erde, über sich selbst als Mensch und über den Sinn des Lebens und den Wert der Dinge, wie sie schon kleine Kin- der stellen, müssten glaubwürdig beantwortet werden können.

Das Thema Spiritualität dürfte für die Heilpäd- agogik insofern besonders wichtig sein, als es bei einer Behinderung um besonders heraus- fordernde Lebenslagen geht, die durch soziale oder pädagogische Arrangements allein nicht nachhaltig bewältigt werden können. Die hel- fende Wirkung der Religiosität für die Bewäl- tigung schicksalhafter Belastungen, z. B. durch eine Behinderung, ist wissenschaftlich belegt.

PDF bereitgestellt von Reinhardt e-Journals | © 2022 by Ernst Reinhardt Verlag Persönliche Kopie. Zugriff am 14.02.2022

Alle Rechte vorbehalten. www.reinhardt-verlag.de

(3)

VHN 1 | 2016

70

OTTO SPECK

Spiritualität – Zugang zu einer neuen Sinnorientierung TREND

Immer mehr Bedeutung gewinnt heute Spiri- tualität in Bezug auf Gesundheit und Krank- heit. Wissenschaftliche Untersuchungen bele- gen u. a., dass spirituelles Bewusstsein die Ge- sundheit stärken und erhalten kann, dass Hei- lungen durch bestimmte Bewusstseinszustän- de und spirituelle Einstellungen und Praktiken unterstützt und sogar Selbstheilungen möglich werden. Deshalb sollte nicht die Krankheit, sondern der Kranke mehr im Vordergrund ste- hen. An einigen Medizinischen Fakultäten wurden Professuren für „spiritual care“ einge- richtet.

Die Chancen für einen spirituellen Wandel sind heute deshalb so groß, weil erstmals in Ost und West übergreifende spirituelle Weisheiten lebendig sind.

Literatur

Bucher, A. (2007): Psychologie der Spiritualität.

Handbuch. Weinheim: Beltz

Oser, F. K.; Scarlett, W. G.; Bucher, A. (2006): Reli- gious and Spiritual Development throughout the Life Span. In: Damon, W.; Lerner, R. M. (Ed.):

Handbook of Child Psychology, Vol. 1. New York:

Wiley & Sons, 942 –998

Speck, O. (2015): Spirituelles Bewusstsein. Nah- tod-Erfahrungen – Wissenschaftliche und kul- turelle Aspekte. 2. Aufl. Norderstedt: BoD

Anschrift des Autors

Prof. em. Dr. Otto Speck Pfarrer-Grimm-Straße 42 D-80999 München otto.speck@superkabel.de

PDF bereitgestellt von Reinhardt e-Journals | © 2022 by Ernst Reinhardt Verlag Persönliche Kopie. Zugriff am 14.02.2022

Alle Rechte vorbehalten. www.reinhardt-verlag.de

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

„Mit sich beginnen – aber nicht bei sich enden; bei sich anfangen – aber sich nicht zum Ziel haben.“ (Martin Buber).. Wie behandle ich mich und andere gesund – ohne dem

Nach der Predigt werden Möglichkeiten zum Reagieren auf diese Predigt und auf das, was in den Zuhörern ausgelöst wurde, angeboten: Eine Response Zeit kann auch

Bei Symptomen sofort testen lassen und zu Hause bleiben..

Damit verbunden ist ein Zweites: Es geht aus exegetischer Sicht nicht da- rum, das Neue Testament als Gegenstand späterer spiritueller Entwürfe zu betrachten, gleichsam als

Auch hier raten wir immer sicherheitshalber zu einem Darlehen ohne Schufa, das ebenfalls für Angestellte und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst zu guten Konditionen erhältlich ist

Institut für Anatomie der Universität Leipzig (derzeit: Yale School of Medi- cine, Section of Comparative Medi- cine, New Haven, CT, USA), habili- tierte sich und es wurde ihm die

Als Jesus ihren Glauben sag, sagte er zu dem Mann: „Dir sind deine Sünden vergeben....Ich befehle dir: Steh auf, nimm deine Trage und geh nach Hause!“ Sofort stand der Mann auf,

Wie kann sich eine Gesellschaft, in der es unmöglich war nicht an Gott zu glauben, zu einer Gesellschaft wandeln, in welcher der Glaube für viele Menschen nur eine