Auf dem europäischen Festland wird uns weiterhin keltischer Wind um die Nase wehen, solange das französische Nationalgefühl intakt bleibt, die beliebtesten Zigaretten „Gauloises" heißen, Asterix sich als Alibicomic in Kulturkritikerkreisen erhält und die Druiden für Immobilien werben; ob da- bei allerdings ein wie auch immer geartetes keltisches Bewußtsein eine Rolle spielt, darf wohl füglich bezweifelt werden Fotos (2): Econ Verlag
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
KULTURMAGAZIN Keltisches Bewußtsein
schlag finden könnten. Zum Auf- takt von vier der fünf Veranstal- tungstage betonte eine mor- gendliche Harfenmeditation die spirituelle Gewichtung des Se- minars, tagsüber wechselte sich Wissenschaftliches in Vorträgen namhafter Kapazitäten zu kelti- scher Geschichte, Geomantie, Tradition und Mythologie mit Selbstengagement in Semina-
ren, Workshops und Diskus- sionsrunden ab. Bestandteil
letzterer waren schamanische Freiluftübungen, bei denen die Beteiligten mit mäßig, bisweilen gar übermäßig starken Erleuch- tungen die Wirksamkeit von
Druidenritualen, beispielsweise einer Wassermeditation, an Kör- per und Geist verspüren konn- ten.
Die musischen Soiröes boten selbstverständlich spätkeltische Kost. Neben Musik bretonischer Art und frischfolkloristischen Klängen der irischen Gruppe
„Grannog", wurden Waldvierte- ler-Lieder von Lotte Ingrisch ge- spielt, die außerdem im Tages- programm über die lokalen Hei- matkobolde referierte.
Über die Veranstaltungen im einzelnen und über ihr Gesamt- konzept wurde bereits im „Spie- gel" reichhaltig gestichelt. Wei-
teres kann man der Buchveröf- fentlichung entnehmen, die auch die Seminarabschlußdis- kussion „Liegt Europas Zukunft in seinen Anfängen?" enthält.
Dort erfuhr man seinerzeit, daß die heraufbeschworene Kelten- seligkeit während des Seminars doch gewaltig zur „Wischi-Wa- schi-Keltisiererei" ausgeufert sei, die Kritikfähigkeit gegen- über Mißbrauch von Außen ein- schlummen ließ und so der Ger- manomanie des Dritten Reiches gefährlich nahe kam.
Die Zukunft Europas im Kelten- tum scheiterte also vorerst an der Barriere der guten alten deutschen Vergangenheitsbe- wältigung, an der jede vorüber- gehende Laune zerredet wird, bevor eine bleibende Idee dar- aus erwächst. Christian Kohl
Literaturhinweise: Herrn, Gerhard:
Die Kelten. Das Volk, das aus dem Dunkel kam. Econ, Düsseldorf/Wien 1975; Sills-Fuchs, Martha: Wieder- kehr der Kelten. Dianus Trikont, München 1984; Markale, Jean: Die keltische Frau. Dianus Trikont 1984;
Lancelot Lengyel: Die Kelten. Her- mann Bauer, Freiburg; sowie diver se Aufzeichnungen von Seminarver- anstaltungen auf Cassetten des Avi- va W. Dahlberg-Verlages, Frankfurt.
Evangeliar Heinrichs des Lö- wen in Berlin — Im Berliner Kunstgewerbemuseum, Tiergar- tenstraße, kann bis zum 10. Ja- nuar 1986 eine spektakuläre Ausstellung besucht werden: Ei- nes der bedeutendsten Bücher der deutschen Geschichte, das Evangeliar des Welfenherzogs Heinrichs des Löwen wird in Berlin zusammen mit dem soge- nannten „Welfenschatz" ge- zeigt, dem Kirchenschatz des
Braunschweiger Dorns, für den das Evangeliar einst geschaffen wurde. Vor zwei Jahren wurde es bei Sotheby's in London für 32,5 Millionen Mark gemeinsam von Bundesrepublik Deutschland, Bayern, Niedersachsen und der Stiftung Preußischer Kulturbe- sitz „zurückgeholt". WK Carl Spitzweg in München — Bis zum 2. Februar 1986 zeigt das Haus der Kunst in München eine umfassende Retrospektive des Werkes von Carl Spitzweg (1808-1885) mit Leihgaben aus aller Welt. Und weil die Stadt München ihren großen Sohn zur 100. Wiederkehr seines Todes- jahres gleich richtig ehren will, sind in der Schack-Galerie, Prinzregentenstraße 9, bis 2.
Februar „Spitzweg, Begegnung mit Moritz von Schwind und Ar- nold Böcklin" und im Palais Preysing, Prannerstraße 2, bis zum 31. Januar Zeichnungen und Skizzen von Spitzweg zu se- hen. EB Marc Chagall in Mainz — Das Landesmuseum Mainz stellt bis zum 19. Januar 1986 die frühe Druckgraphik von Marc Chagall aus als Dank der Stadt Mainz und des Landes Rheinland-Pfalz für die von Chagall geschaffe- nen neun Glasfenster der Main- zer Pfarrkirche St. Stephan, die heute zu einem besonderen An- ziehungspunkt in Mainz gewor- den sind. LM
Aktuelle Kulturnotizen
3788 (62) Heft 50 vorn 11. Dezember 1985 82. Jahrgang Ausgabe A