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Zum christlich palästinischen Evangeliar.
Von Tranz Praetoriu».
Lagarde hat Mittheilungen IV, 340 die ihm ,bis heute un¬
verständlich gebliebenen Worte" |cDOV«iS 0)tk0, die so vielen
Abschnitten des christlich palästinischen Evangeliars voraufgehen,
vermutungsweise einem griechischen ev rä uvra xaiQa gleichgesetzt
und hat an diese Vermutung dann weitere Folgerungen über die
Entstehung des vorliegenden Evangeliars angeknüpft. — Soviel ich
sehe, hat seitdem niemand über dieses ]cDOV«J3 0)fc>-0 und über
Lagarde's Vermutungen gehandelt.
Das "Studium frühmittelgriechischer ') Evangeliare (die als Vor¬
lage des christlich palästinischen anzusehen sind) zeigt mir, dass
Jcön-^ nC O)^^ vielmehr Übersetzung ist von tw xcaQä Ixeiva.
Durch diese Worte wird der folgende Abschnitt in Zusammenhang
gesetzt mit demjenigen Tage, für den die Lektion desselben be¬
stimmt ist, wie mir scheint, als ob an dem betreffenden Tag einst
das in dem folgenden Abschnitte envähnte Ereignis geschehen sei,
der betreffende Tag mithin sein Gedenktag sei. Der betreffende
Tag selber ist am llande genannt-). Oft genug werden in den
griechischen Evangeliaren diesem einführenden tm kuiqcö exsiv(o zu
liebe die Anfangsworte des Evangeliente,xtes leicht abgeändert. So
Joh. III, 22— IV, 1 (Handschrift der kgl. Bibliothek zu Berlin ms.
graec. quart. 44, fol. 7 b) tw xctigä tKeivia [bezüglich auf das am oberen Rande stehende tw aa{ßßdra)) xTjg diaxivijaC^ov] ijl&ev 6 'Ir/öovj xxi.
Im Evangelium heisst es dagegen ^ixa ravtu ijX&ev 6 'IijGovg xxL;
aber da sich fiexu xavxct mit tw kuiqw ixtivio nicht verträgt, so ist
ersteres fortgelassen. Im palästinischen Evangeliar ist es dagegen
trotz des ]dd0V-j0 OtN^ geblieben oder wieder hergestellt (s. Lewis- Gibson S. 10 vorletzte Zeile). Ebenso Joh. II, 1—11 (ms. fol. 9—10) TW xaiQÜ ixeivco yäfxog iysvsxo iv Kavä xxk. , während das palästi-
1) In dem Sinne wie bei 0. Fleischer, Neumen-Studien, I, 69 ff.
2) Also gerade so wie in den Synaxarien erst Tag und Monat angeführt wird, und dann der Text einsetzt „An diesem Tage starb u. s. w."
112 Praetoriits, Zum chfistlich paldstinischen Evangeliar.
nische Evangeliar wiedemm, trotz des |cD0V~O 0)bk0, doch aucli
die dem griechischen Anfange xal Tij xqlxri rjfiiqa entsprechenden
Worte aufweist (Lewis-Gibson S. 12). Ich führe schliesslich noch
an Joh. II, 12—25 (ms. fol. 6—7) tw Kciiqä ixeiva rjl&ev 6 'Irjoovg
eig KaneQvaovfi xxL, während der Text im Evangelium beginnt
fiexa xovxo xateßri eig Kuneqvaovfi. Man vergleiche hierzu Lewis-
Gibson S. 9 unten.
Ich verweise noch auf M. Gerbert, De cantu et musica sacra
II, tab. 1. 4. 5; Sabas, specimina palaeographica , Tafel 2 u. 3;
Wattenbach, Schrifttafeln zur Geschichte der griechischen Schrift,
Tafel 8 u. 14; Montfaucon, palaeographia graeca S. 234; Thibaut
in Byz. Zeitschr. VIII , Tafel 2; Graux et Martin , Pac-simil6s de
manuscrits grecs d'Espagne, planche I n" 1.
Aramäische Introduktionen zum Thargumvortrag an Festtagen.
Von Babb. Dr. M. Ginsburger.
Nach der Zerstörung des Tempels und dem Aufhören des
Opferdienstes bildete die Synagoge für die in der Welt zerstreut
lebenden Juden den Mittelpunkt des religiösen Lebens. Hier ver¬
sammelten sie sich besonders an den Sabbathen und Festtagen zum
Gebete und zur Erhauung. Bei diesen Versammlungen war es
jedoch nicht sowohl das Gebet als vielmehr die Vorlesung und
die Übersetzung in die Landessprache der für die einzelnen Tage
bestimmten Thoraabschnitte, welche die erste und wichtigste Stelle
einnahm, üm diese konzentrierte sich fast der ganze Gottesdienst,
denn sie bildete ja hauptsachlich an den Festen gewissermassen
die Quelle für alle die geschichtlichen Erinnerungen, die sich an
die betreffenden Tage knüpften.
Es ist daher kein Wunder, wenn im Laufe der Zeit diejenigen
Männer, welche damit betraut waren, den jeweiligen Bibelabschnitt
zu übersetzen, diese ihre Übersetzung durch mannigfache zumeist
der Haggada entlehnte Zusätze zu erweitern und zu illustrieren
pflegten. So haben wir uns die Entstehung jener, teils in Prosa,
teils in Poesie abgefassten Introduktionen in aramäischer Sprache
{nT'iiai) zu denken, von denen bereits Zunz in seiner Litteratur¬
geschichte der synagogalen Poesie (Berlin 1865) eine grosse Anzahl
erwähnt hat. Eine zusammenfassende Veröffentlichung derselben
hat bis jetzt noch nicht stattgefunden, nur einzelne Stücke sind in
mehreren weiter zu erwähnenden Schriften zum Abdrucke gelangt.
Im Polgenden sollen nun sämtliche mir bekannt gewordene
Piöcen aufgezählt und, soweit dies noch nicht geschehen ist, ver¬
öffentlicht werden. Die meisten derselben habe ich aus den in
Parma befindlichen Machzorhandschriften kopiert, andere habe ich
mir in München, Breslau, Oxford und Paris abschreiben lassen.
An dieser Stelle möchte ich daher besonders Herrn Prof.
Xl. Modona, Bibliothekar in Parma, der mich in zuvoi'kommendster
Weise unterstützt hat, wie auch den Herren Rabbiner Dr. Ehrentreu
in München, Rabb. Dr. J. Wiener, früher im Rabbinerseminar in
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