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Wenn gute Hoffnung nicht reicht. Schwangerschaft & Geburt

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Schwangerschaft & Geburt

Wenn gute Hoffnung

nicht reicht

Eine erfolgreiche künstliche Befruchtung ist die Voraussetzung für die Präimplantationsdiagnostik

ELTERN oktober 2011 116

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FOTOS: Ilona Habben, Hank Morgan/SPL/Agentur Focus

Gabriele* hat eine Erbkrankheit. Und ein Kind. Es ist gesund, weil es getestet wurde, bevor es in Gabrieles Bauch kam – in einem Brüsseler Labor. Denn in Deutschland war die Präimplantations-

diagnostik (PID) bisher verboten. Jetzt möchte Gabriele noch ein Baby.

Und gerade ändert sich in Deutschland die Gesetzeslage

text ELiSabETh huSSENdöRfER

* Namen von der Redaktion geändert

oktober 2011 ELTERN 117

(3)

FOTOS: Ilona Habben, Pascal Goetgheluck/SPL/Agentur Focus

M

an kann es so sagen wie die Ärztin kürz- lich am Telefon: „Es tut uns leid, aber es hat sich kein geeigneter Embryo ent- wickelt.“ Kritiker der Präimplantations- diagnostik würden vermutlich drastischere Worte wählen. Würden von „Kindern“ sprechen, die im

„Müll“ landen, wenn sie „krank“ sind.

Wann fängt Leben an? Gabriele, 36, selbst Medi- zinerin, will sich das gar nicht so genau ausmalen:

was in den Laboren der Uniklinik Brüssel mit ihren Eizellen und den Samenzellen ihres Mannes nach der Entnahme passiert ist. Wie das „Material“ drei Tage lang wohltemperiert in Schubladen aufbewahrt wurde. Bis dann mit der Pipette unter dem Mikro- skop einzelne Zellen herausgezogen und auf Gen- Defekte untersucht wurden. Und wie sie dabei ei- gentlich nichts tun konnte – außer sich möglichst nicht verrückt machen zu lassen. Und zu hoffen.

Es ist der Sommer 2011, ein Sommer, in dem in Deutschland viel diskutiert wird über die PID. Ein Sommer, in dem schließlich auch ein Gesetz (siehe

„Die Rechtslage“ auf S. 123) verabschiedet wird für Menschen, die wie Gabriele Zeiten durchlebt haben, in denen es für sie nur wenig Hoffnung gab.

Bei Gabriele begann es vor zehn Jahren: Sie war 26, als sie eine Kletterwand hochkraxelte. Sie hatte die Fäuste fest um die Nylonschnüre gelegt, da wollten plötzlich die Finger nicht mehr aufgehen. Ein

Mix aus Krampf und Schwäche war das. Sie erinnert sich, wie sie kurz danach dem Arzt gegenübersaß.

Wie er dieses Wort aussprach: „Muskeldystrophie.“

Der fortschreitende Abbau mache, dass sie eines Ta- ges im Rollstuhl sitzen würde. Und da sei noch etwas:

„Kinder werden Sie besser keine bekommen.“ Tro- cken hatte der Arzt die Zahlen genannt: In 50 Prozent sei der Nachwuchs betroffen. Und häufig zeigten sich die Symptome gleich nach der Geburt.

50 Prozent … heute, zehn Jahre nach der eige- nen Diagnose, geht Gabriele mit solchen statis- tischen Prognosen anders um.

Als der Anruf aus der Brüsseler Klinik kam:

„Leider kein geeigneter Embryo, es tut uns leid“, hat Gabriele zusammengepackt, ist zum Auto. Trau- rig war sie, ja, aber es gab etwas, was die Enttäu- schung zurechtrückte: Greta*, die im Reagenzglas gezeugte Tochter, die gesunde Tochter, ist andert- halb. „Riesige dunkelbraune Augen hat sie. Haare, die sich im Nacken zu Korkenzieherlocken krin- geln.“ Weich und liebevoll klingt Gabrieles Stimme, als sie das sagt. Vielleicht, weil zum ersten Mal die medizinischen Fachbegriffe fehlen. Und auch das, was dann kommt, passt so gar nicht zu dem, was Mütter sagen, für die Kinder mit Status zu tun ha- ben und Perfektion. Gelitten habe sie, als nach einem halben Jahr die Muttermilch nicht mehr Einzelne Zellen des Embryos wer-

den im Labor entnommen und dann auf Erbschäden untersucht Sie empfindet ihre Tochter als

Geschenk: Gabriele mit Greta, die jetzt eineinhalb Jahre alt ist

ELTERN oktober 2011 118

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reichte. „Vorbei dieser Zustand des vollkommenen Glücks.“ Oft nimmt sie die Tochter jetzt mit einer Tragehilfe auf den Rücken, oft schläft die dort ein, während die Mutter weiter Hausarbeiten erledigt.

Sie trifft sich mit Frauen, die Wert darauf legen, dass Kinder so kommen und so sein dürfen wie von der Natur gewollt. Sie sagt dann nichts.

„Greta ist ein Geschenk“, sagt sie jetzt. Demut schwingt mit. Aber auch Verletzungen sind da. Wird Betroffenen in Diskussionen über die PID nicht ge- nau das abgesprochen: Demut? Und wiederholen es kirchliche Vertreter nicht gebetsmühlenartig: Es ge- be „kein Recht“ auf ein gesundes Kind?

Greta lebt. Greta ist gesund. Und sie ist es des- halb, weil ihre Eltern gemeinsam gegen alle Wider- stände beschlossen haben: Wir gehen es an.

Es war irgendwann im Frühjahr 2008. Ein Termin an einer Uniklinik im Norden Deutschlands, Abteilung Reproduktionsmedizin. Ein Wartesaal, die Wände voller Babyfotos, Dankeskarten. „Hier wird alles getan für diesen Traum“ soll damit wohl rüber- kommen. Aber im Gespräch erleben Gabriele und ihr Mann das anders. Der junge Arzt wirkt verlegen, als sie ihn auf die PID ansprechen. Antwortet in abge- brochenen Sätzen. Sagt schließlich, mit „diesem The- ma“ wolle er nicht in Verbindung gebracht werden.

„Aber natürlich können Sie schwanger werden und die angebotenen Vorsorgemaßnahmen nutzen.“

Gabriele weiß, was damit gemeint ist. Ein Kind zwischen der 14. und 18. Woche per Fruchtwas- serentnahme auf Erbschäden untersuchen und sich bei Auffälligkeiten für einen Abbruch entscheiden – das ist in Deutschland schon lange erlaubt. Als Ärztin weiß sie aber auch, was viele Frauen nicht wissen: Ein Abbruch nach dem vierten Monat, das ist eine künstlich eingeleitete Geburt. Für sie kommt das nicht infrage: schwanger werden „auf Probe“

und das Kind dann, im Zweifelsfall, unter der Ge- burt sterben lassen. Das Kind, das dann vielleicht bereits am Daumen nuckelt, Purzelbäume schlägt.

„Fadenscheinig“ findet sie, dass solche Spätabtrei- bungen geduldet werden.

Wie gerne hätte sie es anders gehabt! Wie schön, wie sinnlich schon allein die Vorstellung: ein Kind der Liebe. „Es liegt ja nicht daran, dass es bei uns nicht klappen würde“, sagt Gabriele. Einmal ist die Periode zwei Tage überfällig. Was wäre, wenn? Sie verdrängt. Ist dann einfach nur froh über das Blut auf dem Toilettenpapier. Und macht das alles al-

Alternativen zur PID?

Schwanger auf Probe, Spätab- treibung, vielleicht nie ein gesundes Kind

Schwangerschaft & Geburt

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Schwangerschaft & Geburt

lein mit sich ab. Denn: Das Thema künstliche Be- fruchtung an sich ist ja schon intim. Aber mit der PID wird’s politisch. Und hochemotional. Auf Festen, bei Geburtstagsrunden. Jeder redet mit.

Einmal, kurz nach dem Gespräch mit dem Re- produktionsmediziner, ist sie mit einer Freundin auf der Autobahn unterwegs, es muss einfach raus.

„Hast du nicht mal überlegt, ob es vielleicht von höherer Macht gewollt ist, dass du keine Kinder kriegen sollst?“, kommt es vom Beifahrersitz. Wei- terfahren. Wut runterschlucken. Dann aber doch zurückfragen: „Ist es auch gottgewollt, dass ich krank bin?“ Warum sie? Natürlich gab es diese Fra- ge. Aber: Dürfen die auch Außenstehende stellen?

Immerhin: Ein weiteres Gespräch an der Klinik, diesmal mit einem anderen Arzt, zeigt Möglich- keiten auf, „vertraulich“. Im Nachbarland Belgien, in Brüssel, gebe es da eine Adresse …

Gabriele und ihr Mann fahren hin. Auffallend bei der Ankunft: die kahlen Wände, nirgends Baby- karten. Auffallend auch: die vielen verschleierten Frauen, Patientinnen aus Dubai. Gesunde Kinder – hier sind sie auch eine finanzielle Frage. Über 10 000 Euro kostet ein Befruchtungsdurchlauf in- klusive Gen-Check. Und den, schätzt Gabriele, las- sen hier wohl die allermeisten machen.

„Babymacher“: Es ärgert Gabriele, wenn die Ärzte in Brüssel so von PID-Kritikern genannt wer- den. Vorsichtig hat sie einmal nachgefragt. „Kann man, wenn man schon dabei ist, vielleicht auch ein Downsyndrom ausschließen?“ Konnte man nicht.

Ihr Mann streichelte ihr über den Kopf, während der Embryo eingesetzt wurde, einer von insgesamt

Kühn geschwungen, Träger aller Erbinformationen und

störanfällig: die DNA-Doppelhelix

Die PID ist ein hoch-

politisches Thema. Jeder redet mit.

das ist für betroffene kaum zu ertragen

Schwangerschaft & Geburt

FOTO: Avenue Images

vier gesunden. Der Arzt hantierte derweil mit einer Kanüle und sagte: „Das ist ja jetzt ein ganz beson- derer Moment. Die Empfängnis, sozusagen.“

Und die anderen, die übrigen intakten Embryo- nen, was passiert mit denen? „Man klärt das im Vorfeld.“ Ein Fragebogen, verschiedene Optionen, die man ankreuzen kann. Darf fremdgespendet wer- den? „Nein“, entschied das Paar. „Man will doch schließlich nicht, dass irgendwo auf der Welt die eigenen Kinder rumlaufen.“ Darf das Material für Forschungszwecke verwendet werden? Da haben sie gezögert. Dann aber doch „Ja“ angekreuzt. „Wir haben ja selbst von dieser Forschung profitiert.“

Froh war sie schließlich doch irgendwie, dass es keine weiteren Zellteilungen gab. Nur der eine eingesetzte Embryo ist weiter gewachsen. Wurde vom Acht- zum 16-Zeller, machte, dass Tränen flossen, als dann beim Ultraschall das Herz zu sehen war.

Während der Schwangerschaft gab es Komplikati- onen. Trotz Alkohol- und Sportverzicht. Trotz gesun- der Ernährung. Sie hat die Zähne zusammengebissen.

Hatte Blutdruckprobleme, vorzeitige Wehen und am Schluss, weil auch die Gebärmutter ein von der Dys- trophie betroffener Muskel ist, einen Kaiserschnitt.

Und danach? Wie ist das: eine Mama zu sein, die sich oft schwach fühlt, Schluckbeschwerden hat und Flaschen in den Fingern, die nicht aufgehen wollen?

„Im Moment geht eigentlich noch alles. Es ist halt wichtig, dass die Kinder aus dem Gröbsten raus sind, bevor mein Zustand sich merklich verschlechtert.“

Gabriele sagt ganz bewusst „die Kinder“.

Sie sagt auch, dass die nächste Fahrt nach Brüssel bereits geplant sei. Und dass wieder nur enge Freunde davon erfahren werden. Mediziner zumeist, die wis- sen wenigstens fachlich, worum es geht. Dass das gar nicht möglich ist: Augenfarben zaubern. Gabriele will nicht mehr diskutieren. Und sie will auch nicht, dass sich jemand unnötig Sorgen macht.

Vor zwei Jahren sei bei ihrer Mutter plötzlich das linke Bein so kraftlos geworden: „Muskeldystro- phie“ – inzwischen steht die Diagnose auch hier.

„Ein Segen, dass sie so lange unwissend sein durf- te“, findet Gabriele. Und irgendwo auch gut, dass es damals, vor 37 Jahren, die PID noch nicht gab.

Dieser Achtzeller, der sie selbst auch mal war, hät- te sich sonst nicht weiterentwickeln dürfen. Dann hätte es sie nie gegeben. Ein Widerspruch? „Mag sein. Aber keiner, der stark genug ist, um mich von einem weiteren Versuch abzuhalten.“

www.eltern.de

Unter www.eltern.de/pid haben wir alle Infos und Hintergründe zu diesem Thema für Sie zusammengestellt.

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Können Sie Paare verstehen, die eine PID machen lassen, weil das Risiko für

ein Baby mit Gen-Defekt sonst extrem hoch wäre – 50 Prozent zum Beispiel?

Im Einzelfall kann man dies gewiss nachvollziehen – und für Einzelfall entscheidungen habe ich ja auch plädiert, als ich im Bundestag als Expertin angehört wurde. Fälle wie der hier dargestellte sind allerdings wirklich selten und damit wenig aussagekräftig, was eine mögliche gesamtgesellschaftliche Entwick- lung angeht. Für mich ist der im Sommer beschlos- sene Gesetzesentwurf, der die PID in Deutschland ja offiziell weiter verbietet, eine Mogelpackung.

Denn das Kleingedruckte lässt viel mehr zu, als auf den ersten Blick erkennbar ist. In Zukunft wird wohl jedes Paar mit einer genetisch bedingten Krank- heitsgeschichte in der Familie die PID beantragen können. Die Auswahl zwischen verschiedenen Em- bryonen wird hier nun ganz legal.

In Ihrem Buch äußern Sie die Befürchtung, das Klima für Menschen mit Behinde- rungen könnte dadurch schwieriger werden.

Ja, aber das ist nur einer von mehreren Punkten.

Auch die Erfahrung von Elternschaft könnte sich verändern, wenn Kinder nichts „Gegebenes“ mehr sind, sondern etwas „Gewähltes“.

Wie meinen Sie das?

Elternschaft bedeutet, ein Kind so anzunehmen, wie es zu mir kommt – egal, wie es ist. Die moderne Medizin nährt aber die Illusion, dass wir genau die Kinder bekommen, die wir uns wünschen – oder diejenigen nicht bekommen, für die wir nicht sor- gen wollen oder können. Und dann tun wir so, als würde sich mit der Geburt alles ändern, und mei-

Hauptsache gesund?

Prof. Hille Haker ist Theologin und Ethikerin.

Sie hat einen Lehr- stuhl für Moraltheologie und Sozialethik an der Uni Frankfurt. Und sie hat kürzlich ein Buch zum Thema veröffentlicht:

„Hauptsache gesund?

Ethische Fragen der Prä- natal- und Präimplantations- diagnostik“ (Kösel, 19,99 Euro). ELTERN-Autorin Elisabeth Hussendörfer sprach mit ihr.

Schwangerschaft & Geburt

www.eltern.de/abstimmen

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Die Rechtslage

Die Präimplantationsdiagnostik ist ein Verfahren, das nach einer künstlichen Befruchtung erfolgt: Die Embryonen werden auf bestimmte krankhafte Gen- Veränderungen untersucht – in die Gebärmutter zurückgesetzt werden nur solche Embryonen, bei denen der Test negativ ausfiel. Im Ausland ist dieses Verfahren teilweise seit 20 Jahren möglich.

In Deutschland brachte ein Berliner Arzt die Dis- kussion 2006 ins Rollen, als er drei vorbelasteten Paaren durch Gen-Tests zu gesunden Kindern ver- half. Danach zeigte der Arzt sich selbst an. Das Bundesverfassungsgericht sprach ihn 2010 frei und forderte vom Bundestag eine Regelung der Sach- lage. Im Juli 2011 wurde ein Gesetz erlassen, das die PID zwar offiziell weiter verbietet, jedoch Aus- nahmen erlaubt: Paare, die Träger einer Erbkrank- heit sind und deshalb schwere Schäden für ihr Kind fürchten müssen, bleiben straffrei, müssen sich aber psychologisch und medizinisch beraten las- sen. Eine Ethikkommission soll im Einzelfall ent- scheiden, ob ein Paar für die PID infrage kommt.

Mehr Infos über die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik, www.gfhev.de

nen, nun – nachdem bestimmte Risken ausgeschlos- sen wurden – könnten wir das Kind wieder so neh- men, wie es ist. Ich habe einfach Zweifel, dass dies immer so möglich ist. Und natürlich wird eine Schwangerschaft, die mit einem reproduktionsme- dizinischen Eingriff beginnt, vor allem von der Mut- ter auch anders erlebt: Statt der Ahnung, da verän- dert sich etwas in mir, in meinem Körper, da ist etwas Wunderbares passiert, gibt es eine nahezu lückenlose Überwachung der Entstehung einer Schwangerschaft. Sie beginnt mit dem Abfragen am Telefon: War der Embryonentransfer erfolgreich?

Und aus diesen Gründen sind Sie gegen die PID?

Ich bin ja gar nicht pauschal dagegen. Auf der an- deren Seite sollte man sich nicht vormachen, dass es nur beim medizinisch Machbaren Veränderungen gegeben hat. Auch wenn Langzeitstudien über die Auswirkungen der PID aufs Elternsein noch ausste- hen: Ich finde es wichtig, neben den Chancen auch die möglichen Schattenseiten im Blick zu haben.

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Schwangerschaft & Geburt

Für Tanja Bahr* sind

Kinder mit Downsyndrom

„ganz besondere Menschen“.

Dann ist sie schwanger, es gibt Auffällig- keiten im Ultraschall, man rät

ihr zur Fruchtwasseruntersuchung.

Und plötzlich ist alles anders …

meines Lebens“

Wochen

„Die

schlimmsten

Protokoll EliSabEth huSSEnDörfEr

EltErn Januar 2012 70

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E

s ist Sommer, ein Nachmittag auf dem Spielplatz. Nils, unserer Jüngster, hat eine Freundin ge- funden, Sandkuchen wird geba- cken. Als das Mädchen sich umdreht, erschrecke ich. Der Mund ist geöffnet, die Zunge drückt gegen die Lippe. Down- syndrom. „Noch einen Keks?“, fragt die Mutter, geht hin und hat – zack – nicht nur die Knabberei los, sondern auch Ärmchen um den Hals.

90 Prozent aller Embryonen, bei de- nen während der Schwangerschaft eine Trisomie 21 festgestellt wird, werden ab- getrieben, hab ich mal gelesen. Die Mut- ter des Mädchens hat anders entschie- den. Wie wunderbar. Denke ich.

Es ist Winter, ich bin wieder schwan- ger. Mit Zwillingen. Eineiig. In der 14.

Woche lasse ich einen Feinultraschall machen. Wie schon bei meinen ersten beiden Kindern. „Und wenn was ist?“, fragte damals mein Mann. „Jedes Kind darf kommen“, gab ich mich entschlos- sen. Nur wissen wollte ich es, um mich darauf einstellen zu können.

Und jetzt? Dritte Schwangerschaften laufen nebenher. Wird schon alles gut gehen. Dann aber liegt man da, fühlt den Schallkopf über den Bauch gleiten, sieht das wachsende Leben am Daumen nu- ckeln, mit den Füßen treten, hört: „Ich sehe da einen weißen Punkt bei einem.

Auch die Herzklappe schließt nicht rich- tig.“ Hinterher versucht der Arzt, mich zu beruhigen: Das Downsyndrom-Risiko, das sich aus den zwei „Softmarkern“ er- gäbe, läge bei eins zu sechs: In fünf von sechs Fällen seien die Kinder gesund. Und Klarheit bringe ohnehin nur eine Frucht- wasseruntersuchung.

Die Kinder … ich begreife: Bei einei- igen Zwillingen wären beide betroffen.

„Zwei kranke Kinder …“, sage ich auf der Heimfahrt zu meinem Mann. „Das schaf- fen wir nicht“, sagt er. Sagt wohl sein Kopf. Und ich? Fühle, wie sich in meinem Herzen etwas verlagert hat. Weg vom Werden. Hin zu dem, was schon ist. Zu Nils und Sara, unseren beiden Kindern.

Denen ich doch, wie wohl jede Mutter, dieses Versprechen gegeben habe: Für dich, für euch werde ich da sein.

Wie aber soll das gehen, wenn der

Verdacht sich bewahrheitet? Dank di- verser Praktika als Pädagogikstudentin habe ich zumindest eine Ahnung von dem, was auf mich zukommen könnte.

Einmal war es ein anthroposophisches Heim. Nicht von „Behinderten“, sondern von „Seelenpflegebedürftigen“ sprach man da. Ich fand das schön: Seelen, nicht krank, nur am Ausdruck gehindert.

Meine Gedanken wandern in eine mögliche Zukunft. Ich sehe mich links und rechts mit Babyschalen bepackt zur Ergotherapie rennen, zur Logopädie, zur Krankengymnastik. Sehe Sara und Nils, wie sie mir nachschauen, wehmütig, weil sie zurückstecken müssen. Sehe mich selbst – und wie ich verloren gehe zwischen den vieren.

Aber hätte ich mir das nicht vorher überlegen müssen?

Kommt die Zerrissenheit nicht zwangs- läufig, wenn man mehr Kinder als Hän- de hat? Und: Wären solche Bedenken nicht eigentlich von vornherein ein Ar- gument gegen eine dritte Schwanger- schaft gewesen? Vielleicht muss man das so sehen. Andererseits kramt der Kinder- wunsch natürlich lieber in rosarot-hell- blauen Wunschkisten, statt nüchtern Risiken zu kalkulieren.

Bei mir waren’s Bullerbü-Szenen, die beflügelten. Die Drei-Kind-Familie, ein Astrid-Lindgren-Ideal. Die Abläufe Rou- tine, die Großen ganz selbstverständlich um die Kleinen bemüht. Wer rechnet schon damit, dass es beim dritten Mal besonders kompliziert werden könnte?

Wer wagt schon, eigene Bilder und Vor- stellungen komplett über Bord zu werfen und dem Schicksal mit ausgebreiteten Armen entgegenzugehen?

Aus der Distanz freilich urteilt sich’s leicht. Mein Hauptkritikpunkt, wenn wie- der mal eine schwangere Freundin eine Fruchtwasseruntersuchung hat machen lassen: Egoismus. Insgeheim warf ich die- sen Frauen vor, sie wollten vielleicht gar

nicht wirklich ein Kind. Wüssten vielleicht gar nicht, was das bedeute: zu lieben, be- dingungslos. „Traurig“ hab ich ihn ge- nannt, diesen Trend, Kinder möglichst perfekt haben zu wollen. Sie schon als Babys wie kleine Models in Markenkla- motten zu stecken. Wer war hier eigent- lich wirklich krank? Die mit dem einen Gen zu viel? Oder eine Gesellschaft, die es offensichtlich verlernt hat, das Leben als bunt zu begreifen – und den Umgang mit vermeintlichen Makeln als Chance?

Graue Theorie, so seh ich es jetzt.

Viel zu zerbrechlich erscheint mir unse- re kleine Familie, um eine Unbekannte wie zwei behinderte Kinder reinzulas- sen. Als ob ich es nicht wüsste: Was für besondere Menschen gerade Downsyn- drom-Kinder sind. Weil sie sich mit dem ganzen Körper freuen können. Seismo- grafisch auf Gefühle und Stimmungen anderer reagieren. Ich weiß aber auch, was der weichgezeichnete Blick vieler auf Behinderte gern ausblendet: Ein Großteil der Partnerschaften mit solchen Kindern geht kaputt. Und: Geschwister- beziehungen können zwar durchaus rei- fen an der Herausforderung. Aber auch dramatisch belastet sein.

Ja, das Zurechtrücken von Zerrbildern ist wichtig. Wichtig ist aber auch: Ehrlich- keit mit sich selbst. Ich versuche, mir das vorzustellen: die Reaktionen der Leute.

Beim Blick in den Kinderwagen. Später:

auf dem Spielplatz, im Supermarkt. Ich fühle: Das könnte ich aushalten. Wirklich weh tut was anderes. Zu Nils und Sara ans Bett zu gehen, wenn sie schon schla- fen. Ihre puppenhaften Gesichter zu se- hen. Dabei die Worte von Frank im Ohr, als ich ihn nach seiner Haltung zur Prä- nataldiagnostik fragte: „Geschwister von Behinderten werden schneller groß.“ Und die Eltern? Wir arbeiten beide, mein Mann und ich. Mein Schreibtisch war zu- mindest stundenweise ins Projekt Famili- enzuwachs mit einkalkuliert. Nicht aber für doppelten und dazu noch kranken Zuwachs. Klar, wir könnten in eine billi- gere Wohnung ziehen. Das Essen künftig nur beim Discounter kaufen. Wo aber ist die Schmerzgrenze? Sie stellt uns vor die Wahl, die moderne Medizin. Zwischen der Herausforderung und dem Risiko, WEbtiPP

Unter www.eltern.de/praenatal diagnostik-forum können Sie sich mit anderen Schwangeren über Ihre Sorgen und Ängste austauschen

* Name von der Redaktion geändert

Januar 2012 EltErn 71

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ihr nicht gewachsen zu sein. Und der Schuld, die man auf sich lädt, wenn man von vornherein kneift. Schwangerschaften abbrechen können, das heißt ja auch: Ein behindertes Kind, das bekommt man be- wusst. Und die anderen wissen es dann vermutlich wieder besser: Ihr wolltet es doch. Wieso beklagt ihr euch also?

„Das sind doch noch keine richtigen Babys!“ Der Kommentar einer Freundin tut gut, entlastet. Aber nur kurz. Tief drinnen nämlich spüre ich: alles Lüge.

Ich bin in der 15. Woche. Der Bauch wölbt sich, ich glaube bereits Kindsbe- wegungen zu spüren. Liege viel auf der Couch in letzter Zeit, die Hände aufge- legt – Kontaktaufnahme. Jetzt ist alles taub. Ein Selbstschutz. Aber ich muss sie nur anschauen, die Couch, und die Trä- nen laufen, weil: Da war, ist doch Liebe.

Und wo soll die jetzt hin?

Vier endlose Wochen muss ich warten.

Bei Zwillingen mache man die Frucht- wasseruntersuchung erst ab der 18. Wo- che, sagt man mir. Wie hält man das aus?

Das Dehnen der Mutterbänder? Das Spannen in der Brust? So tun, als spüre man nichts dabei?

Ich lenke mich ab. Lese Promi-Hefte statt Eltern-Magazine. Verschiebe den Einkauf von Babywäsche auf unbestimmt.

Rede mich raus, wenn Leute fragen, ob ich schon weiß, was „es“ wird. Bloß die- sen Kindern nicht zu viel Gesicht geben.

Bloß einen möglichen Abschied nicht noch schwerer machen dadurch.

Und bloß nicht darüber nachdenken, was er genau beuteten würde, dieser Ab- schied: ein Abbruch im fünften Monat.

Das ist eine Geburt. Die Geburt von zwei toten Kindern. Wir würden sie anschau- en, vielleicht fotografieren, bestatten.

Und später am Grab: Wie geht man da- mit um? Wie lebt man damit weiter? Wie rechtfertigt man sich – vor sich selbst?

Gibt es dafür überhaupt eine Rechtferti- gung? Und würde ich immer denken:

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Vielleicht hätten wir es doch geschafft?

Ich will jetzt am liebsten nur eines:

weg! Von meinen Gedanken, weg von meinem Körper, diesem Zustand. Die verbleibenden Wochen bis zur Untersu- chung sind die schlimmsten meines Le- bens. Ich stecke das Telefon aus, nur die Familie darf an mich ran.

Die Nadel in den Bauch zu bekom- men schließlich ist unangenehm. Die Wehen danach machen mir den Preis für die Untersuchung, die Klarheit bringen soll, bewusst: Sie könnten sterben, die Kinder. Obwohl sie gesund wären.

Am nächsten Tag ab drei sei das Ergeb- nis des Schnelltests da, hatte es geheißen.

Ich zähle die Minuten, die Sekunden bis

dahin. Greife wie in Trance zum Hörer, wähle die Nummer der Genetischen Be- ratungsstelle. „Die Ergebnisse sind da, müssen aber noch ausgewertet werden“, sagt eine Frau. Noch mal 20 Minuten warten. Wie ein Tier im Käfig laufe ich im Zimmer auf und ab.

Aber vielleicht ist ja auch alles gut?

Eins zu sechs … Blödsinn! Fifty-fifty, so sieht’s de facto für mich aus. „Ihr Name?

Das Geburtsdatum?“, fragt beim zwei- ten Mal die Frau. Schweigen. Schließ- lich: „Alles in Ordnung.“ Ich breche zusammen. Schluchze.

Eine Woche später liegt das endgül-

tige Ergebnis in der Post. Letzte Zweifel, eine Zahl im Promillebereich, sind jetzt weg. Zwei Jungs werde ich bekommen.

Gesunde Jungs? Zumindest die wich- tigsten Gen-Mutationen sind ausge- schlossen. Und: die restlichen Monate der Schwangerschaft dann entspannt. Bis sie endlich da sind. Winzige Finger, Ge- sichter wie gemalt. Ein Wunder. Und doch mischt sich Nachdenklichkeit in die Freude. Ich denke an die Frauen, bei de- nen das Ergebnis anders ausgefallen ist.

Und ich denke dar an, dass Kinder vor Autos rennen, aus Fenstern fallen und dann behindert sein können. Am Ende kommt mir das, was ich durchgemacht habe, irgendwie völlig unwirklich vor.

Schwangerschaft & Geburt

„Wo soll meine

Liebe jetzt hin?“

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