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Zehn Jahre Bürgerkrieg

Wiederaufbau in Assads Syrien trotz exklusivem Gesellschaftsvertrag?

von Tina Zintl,Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) und Yannick Sudermann, Universität Tübingen

Die aktuelle Kolumne

vom 15.03.2021

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Zehn Jahre Bürgerkrieg

Wiederaufbau in Assads Syrien trotz exklusivem Gesellschaftsvertrag?

Am 15. März 2011 begannen im südsyrischen Deraa friedliche Demonstrationen gegen das Assad-Regime, welches die Pro- teste blutig niederschlug. Dies markierte den Beginn des syri- schen Bürgerkriegs. Innerhalb eines Jahrzehnts wurden große Teile des Landes zerstört, die Auswirkungen auf die Nachbar- länder sind wegen der hohen Flüchtlingszahlen immens. Mitt- lerweile gilt die herrschende Assad-Clique als militärisch sieg- reich, dennoch steht rund ein Drittel des syrischen Staatsge- biets außerhalb ihrer Kontrolle. Die wirtschaftliche und huma- nitäre Lage spitzt sich durch eine galoppierende Inflation und COVID-19 immer weiter zu. Rund 90 % der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Es kommt wieder zu offenen Protesten gegen das Regime. Syriens ursprünglicher, von je- her ungleicher Gesellschaftsvertrag ist durch den Krieg implo- diert. Assad verschärft die Situation, indem er auf einen „Eli- ten-Vertrag“ setzt, der ausschließlich Loyalisten und Kriegs- gewinnler einschließt. Allen anderen Syrer*innen entzog er sukzessive staatlichen Schutz und Daseinsvorsorge. Politische Teilhabe hatte es ohnehin nie gegeben. Während die interna- tionale Gemeinschaft mit der Agenda 2030 darum ringt, nie- manden zurückzulassen, betreibt Syriens Machthaber die Ex- klusion aller (vermeintlich) Andersdenkenden.

Am problematischsten für den zukünftigen Wiederaufbau ist der fehlende Schutz von Grundbesitz. Das Eigentumsgesetz von 2018 bereitet den Boden für Enteignungen und treibt dadurch die Entrechtung „unerwünschter” Bevölkerungsteile voran. Nur ein Bruchteil der Geflüchteten führt gültige Identi- fikations- oder Eigentumsnachweise mit sich. Letztere gab es in informellen Siedlungen ohnehin oft nicht. Doch nur mit entsprechenden Dokumenten können Betroffene innerhalb eng gesetzter Fristen Eigentumsansprüche geltend machen.

Damit orientiert sich staatliche Wiederaufbauhilfe vornehm- lich an der Loyalität der Betroffenen gegenüber Assad, nicht am Grad der Zerstörung eines Stadtviertels. Mitunter werden ganze Bezirke, meist ehemalige Rebellenhochburgen, zu- gunsten von Luxuswohnraum abgerissen.

„In Anbetracht der Machtverhältnisse vor Ort sollten Geber über humanitäre Hilfe hin- aus zunächst sozialen – statt physischen – Wiederaufbau forcieren.“

Zudem macht sich die fehlende staatliche Schutzfunktion ausgerechnet bei sogenannten „Aussöhnungsabkommen“ in zurückeroberten Gebieten und am Rechtsstatus ehemaliger Kämpfer*innen bemerkbar: Beides wird vom Regime diktiert – wer den Bedingungen nicht zustimmte, wurde in die Region Idlib, jetzt ein Sammelbecken für Oppositionelle, umgesiedelt – und dient weniger der Konfliktbeilegung als der staatlichen

Machtdemonstration. Denn auch gültige Aussöhnungspa- piere bieten keinen Schutz; nachweislich werden immer wie- der vermeintlich rehabilitierte Personen in ihrer Bewegungs- freiheit eingeschränkt, inhaftiert und gefoltert, zwangsrekru- tiert oder ermordet. Dokumente, die während des Krieges etwa durch den Islamischen Staat (IS) oder die Syrische Über- gangsregierung ausgestellt wurden, werden von der Assad- Regierung nicht anerkannt. Sie bieten keine juristisch garan- tierte Wiedereingliederung in den syrischen Gesellschaftsver- trag.

Auch viele Personen, die ununterbrochen auf syrischem Staatsgebiet und im politisch „richtigen“ Lager lebten, spielen in Assads Syrien allenfalls noch eine nachgeordnete Rolle: Das Regime ist finanziell und politisch von wenig verlässlichen ausländischen Partnern und einer Handvoll Wirtschaftsmag- naten – Kriegsprofiteure mit guten Kontakten in die Politik – abhängig. Assads Fokus auf finanzstarke Stakeholder liegt an Syriens klammen Kassen: ein Jahrzehnt horrender Militäraus- gaben, Zerstörung produktiver Infrastruktur sowie der Verlust wichtiger Rohstoffvorkommen haben ein tiefes finanzielles Loch gerissen. Ob Immobilien, Agrarflächen, Rohstoff-Förde- rung oder Pachtverträge für Marine- und Luftwaffenbasen:

Syriens Regime verkauft offensichtlich das Tafelsilber, um langjährige Getreue und Bündnispartner zu entlohnen.

Dies treibt die westliche Staatengemeinschaft in eine Zwick- mühle: Dringend benötigte Hilfen für die notleidende Zivilbe- völkerung werden zuweilen vom regimenahen Organisatio- nen abgeschöpft. So können bereits begonnene Rehabilitati- onsmaßnahmen städtischer Infrastruktur Assads hochexklu- siven Gesellschaftsvertrag sogar noch zementieren, nicht zu- letzt da die syrische Bauwirtschaft von Assads Protegés domi- niert wird.

Dennoch müssen Geber weiterhin versuchen, Bedürftige auf allen Seiten zu erreichen. Eben wegen ihrer beschränkten Ein- flussmöglichkeiten sollten sie ihr gesamtes außenpolitisches Handeln (Diplomatie, Zusammenarbeit, Migrationspolitik) eng und möglichst widerspruchsfrei koordinieren. Sie müssen im Blick behalten, welche staatlichen Dienstleistungen bereits abgebaut wurden und welche Gesellschaftsgruppen derzeit außen vor bleiben. In Anbetracht der Machtverhältnisse vor Ort sollten Geber über humanitäre Hilfe hinaus zunächst sozi- alen – statt physischen – Wiederaufbau forcieren. Kleinteilige, flexible Maßnahmen auf lokaler Ebene, die auf vulnerable Gruppen abzielen und sozialen Zusammenhalt befördern, sind zu priorisieren. Die internationale Gemeinschaft muss die Folgen ihres Tuns abschätzen und im Verlauf monitoren, um einen in Grundzügen inklusiven Gesellschaftsvertrag zu er- möglichen oder diesem zumindest nicht entgegenzuwirken.

Im Zweifelsfall darf selbst bei begonnenen Projekten der Mut zu einem ‚take it or leave it‘ nicht fehlen.

Die aktuelle Kolumne von Tina Zintl und Yannick Sudermann, 15.03.2021, ISSN 2512-9074

© German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

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