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Vorarlberger Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts in 16 Lebensläufen

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Academic year: 2022

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BUCHER VERLAG Hohenems Austria Tel +43-55 76-71 18-0 office@quintessence.at www.quintessence.at Meinrad Pichler

Quergänge

Anhand von 16 Lebensläufen erzählt der Historiker Meinrad Pichler Vorarlberger Regionalgeschichte des 19. und 20. Jahr- hunderts. Es geht um Wanderarbeiter und Stadtdamen, um Industriepioniere und Landstreicher, um kämpferisch Engagierte und Kollaborateure, um Die- ner und Herren; auch um Widerstand und Karriere, um Aufbruch und Rück- kehr, um Migration und Deportation.

Kurz: um bewegte Biographien, die jeweils auch die Hinter- und Abgründe ihrer Zeit widerspiegeln.

Meinrad Pichler | 1947 in Hörbranz gebo- ren und aus einer Bauernfamilie stammend, studierte Deutsch und Geschichte in Wien.

Er befasst sich als Historiker seit vielen Jah- ren mit der Vorarlberger Auswanderung in die USA, mit Verfolgung und Widerstand im Nationalsozialismus, mit der Geschichte Vorarlbergs in der Ersten Republik und vor allem mit biographischer Sozialgeschichts- schreibung. Er hat über 90 Buch- und Aufsatz- publikationen verfasst. Lebt und arbeitet als Direktor des Bundesgymnasiums Gallusstra- ße in Bregenz.

Hardcover

15 x

21,721

21,5 cm | 320 Seiten

euro 22,50

ISBN 978-3-902612-33-5

134 135

FELDERS FREUND, DER

„FREMDLER“

J O S E F N AT T E R ( 1 8 4 6 – 1 9 2 8 ) AU S S C H O P P E R N AU

D i e K l e i d u n g d e r m ä n n l i c h e n F a m i l i e n m i t g l i e d e r ve r - we i s t d e u t l i c h a u f d e n B e r u f vo n Jo s e f N a t t e r : A u c h d e r S c h n e i d e r s e l b s t t r u g e i n e n b e s o n d e r s m o d i s c h e n u n d für damalige Wälder Verhältnisse ungewöhnlichen Anzug, tro t z s e i n e r A r mu t . D e n n s e i n e m mu t i g e n A u f b r u c h i n d i e we i t e F re m d e f o l g t e e i n e d e p r i m i e re n d e – we i l ve r - a r m t e – H e i m ke h r i n s e n g e S c h o p p e r n a u .

( F o t o : F r i e d r i c h B e r g e r, L i n g e n a u )

D o c h v i e l l e i c h t t r u g d e r F re m d l e r d a s i n d e r We l t d r a u ß e n A n g e l e b t e nu r w i e s e i n e n K r a u t h o b e l o d e r d i e A r b e i t e r s c h ü r z e u n d h a t a l l e s l ä c h e l n d we g g e l e g t , a l s e r w i e d e r z u d e n l i e b e n S e i n i g e n g e ko m m e n . – F ra n z M i c h a e l F e l d e r, 1 8 3 9 – 1 8 6 9

Es gibt Menschen, deren Biographie kürzer ist als ihr Leben.

Der Schoppernauer Schneider und Gipser Josef Natter hat sein eigenes Leben beschrieben, allerdings nur bis zu seinem 30. Lebensjahr, obwohl er 82 Jahre alt wurde. Denn er fand nur den in mehrfacher Hinsicht bewegten Teil notierenswert, während ihm die langen folgenden Jahre wenig bemerkens- wert erschienen. In der Tat waren sie von sozialem Abstieg, materieller Armut und bisweilen demütigender Anpassung gekennzeichnet.

Auch in dieser Beschreibung wird Natters erstes Lebens- drittel den breiteren Raum einnehmen. Dies hängt nicht nur mit der Quellenlage, sondern auch mit dem heutigen Interesse an historischer Denkwürdigkeit zusammen und mit

Vorarlberger Geschichte

des 19. und 20. Jahrhunderts in 16 Lebensläufen

wurde Josef Natter am 1. Dezember 1846 im Hause seiner Mutter, die aus dem Gasthaus Adler in Schoppernau, also aus einer recht gediegenen Wirtefamilie, stammte. Natters Vater, ein „ernster und wortkarger“ (2)3Mann, besaß ein kleines bäuerliches Anwesen mit nur zwei Kühen und hatte in den Jahren vor seiner Hochzeit mehrere Jahre beim Stukkateur und Kunstmarmorierer Hieronymus Moosbrugger in Wien gearbeitet. Meister Moosbrugger stammte ebenfalls aus Schoppernau, hatte sich in deutschen Städten und an Höfen als Stukkateur und Marmorierer einen Namen gemacht und war deshalb nach Wien gerufen worden. Fast hundert Jahre nach der Blüte des Barock war das Kunstgewerbe des Marmorierens, das heißt die Herstellung von Marmorimita- tionen aus Gips, nahezu in Vergessenheit geraten. Als man aber im Wien des beginnenden Historismus auf diese Technik zurückgreifen wollte, fehlten die Fachleute. So kam der tüch- tige Wälder als Epigone seiner berühmten Vorgänger wieder groß ins Geschäft. Alleine in den 1840er Jahren, in welchen Natter in Wien bei Moosbrugger arbeitete, schufen die Wälder das Dekor der Festsäle in den Palais Esterhazy, Lobkowitz, Dietrichstein, Palffy, Palavicini und Harrach.4Im Gegensatz zu anderen Landsleuten sei sein Vater nicht dem Luxus der Großstadt erlegen, sondern mit ansehnlichen Ersparnissen aus Wien zurückgekehrt, berichtet der alte Natter nicht ohne Stolz und im Hinblick auf seine eigenen Fremdlerjahre mit einem moralisierend- selbstanklagenden Unterton. Auch die Feststellung, er selbst sei während der zeitweisen Abwesenheit des Vaters im Hause seiner Großmutter bis zu seinem fünften Lebensjahr sehr verwöhnt worden, scheint ein rechtfertigen- der Vorgriff auf sein späteres Schicksal.

Das Glück der jungen Familie war allerdings von kurzer Dauer: Im sechsten Ehejahr starb die Mutter Anna Katharina Natter nach der Geburt ihres fünften Kindes, und die nun engagierte Haushälterin aus Schröcken konnte und wollte die 137 N AT T E R der Tatsache, dass Natter selbst über seine späteren Jahre

nichts schreiben wollte. Dass er seine Schoppernauer Her- kunft, seine Kindheit und Jugend, seinen Umgang mit dem Dichter Franz Michael Felder und seine Jahre in der Fremde im hohen Alter niedergeschrieben hat, geht auf eine Anregung von Felders Enkel Franz Michael Willam (1894–

1981) zurück. Willam war Geistlicher und Schriftsteller und beschäftigte sich neben theologischen Fragen mit Leben und Werk seines Großvaters und, wie dieser auch, mit Land und Leuten des Bregenzerwaldes.1Auf eine direkte Anfrage Willams hin hat Josef Natter im Jahre 1920 auch ein ausführ- liches Manuskript über seine Zeit mit Felder verfasst.2Doch davon später.

Josef Natter wurde von Felder direkt in Briefen und indirekt als literarische Figur beschrieben und besprochen. So hat etwa Jos, eine der Hauptfiguren im Roman „Reich und Arm“, mit Natter nicht nur den Schneiderberuf gemeinsam, sondern auch Jos’ Wesen als „Sonderling“ und sein Bildungs- interesse gemahnen an den Felder-Freund. In der Felder- Rezeption wird Natter in der Hauptsache als authentischer Zeuge bemüht. Hier aber soll Josef Natter selbst als Akteur ins Zentrum der Darstellung gerückt werden. Seine Prägung durch Erziehung und Herkunft, seine wenigen, aber intensiven Jahre als Mitstreiter an der Seite Felders, seine Jahre im Aus- land und schließlich seine Heimkehr und Wiedereingliede- rung in die engen Vorgaben des Schoppernauer Dorflebens sollen hier als die wesentlichen biographischen Abschnitte interessieren.

K I N D H E I T U N D J U G E N D

Natter selbst hat – allerdings als 65-jähriger Mann – recht positiv, fast verklärt, auf seine Kindheit zurückgeschaut, obwohl diese keineswegs nur harmonisch verlief. Geboren 136

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