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Politische Naturlyrik

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Academic year: 2022

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Vorüberlegungen

Kompetenzen und Unterrichtsinhalte:

• Die Schülerinnen und Schüler machen sich die Unterschiede zwischen Naturlyrik und politischer Lyrik klar, erkennen aber auch mögliche Verknüpfungen.

• Sie recherchieren zu bedeutenden Autoren der politischen Naturlyrik, interpretieren ausgewählte Ge- dichte im zeitgeschichtlichen Kontext und refl ektieren das Verhältnis von Natur und Politik in diesen Gedichten.

• Sie systematisieren ihre Ergebnisse und verschaffen sich einen Überblick über die Stationen der deutschen (politischen) Naturlyrik.

Anmerkungen zum Thema:

„Anmut dürftiger Gebilde: / Kraut und Rüben gleich Gedicht, / Wenn die Bundes-Schäfergilde / Spargel sticht und Kränze fl icht.“ – So lässt Peter Rühmkorf sein bekanntes Gedicht „Lied der Naturlyriker“ aus dem Jahr 1959 beginnen und macht damit gleich zweierlei deutlich: was die meisten unbedarft un- ter Naturlyrik verstehen und wie sie seiner Meinung nach gerade nicht sein soll. Für Rühmkorf nämlich darf sie nicht in Kitsch und Idylle erstarren, für ihn muss sie explizit politisch sein: „Ich möch- te in diesem Zusammenhang behaupten, daß die Naturlyrik so lange kraftvoll, so lange fruchtbar war, als sie sich bestimmter zeittypischer Zu- und Gegenstände annahm, und daß sie immer tiefer in die Öde und in die Irre geriet, wo sie sich von allen gesellschaftlich bedingten Erscheinungsformen dieser Welt emanzi- pierte.“ (aus: Peter Rühmkorf, Die Jahre, die ihr kennt, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1972, S. 91) Rühmkorf stand mit dieser Forderung nach dem politischen Gehalt von Naturlyrik in seiner Zeit nicht allein. Sie setzt an mit Brechts berühmten Versen „Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“ und führt bis hin zu modernen Gedichten über unser problematisches, weil ausbeuterisches Verhältnis zur Natur.

Naturlyrik ganz generell erfreut sich heute durchaus einiger Beliebtheit, im Deutschunterricht ist die Naturlyrik gängiges Unterrichtsthema und ab 2016 sogar Schwerpunktthema im Abitur in Baden-Württemberg. Die vorliegende Unterrichtseinheit versteht sich als Teilbeitrag in dem breit angelegten Feld der Naturlyrik. Behandelt wird in dieser Einheit speziell die sich politisch verstehen- de Naturlyrik. Diese politische Naturlyrik spiegelt dabei aber gleichzeitig die moderne Natur- lyrik recht gut wider und zeigt beispielhaft, wie sich Naturlyrik positionieren kann und auch muss.

Literatur zur Vorbereitung:

Dietrich Bode (Hrsg.), Deutsche Naturlyrik. Eine Auswahl, Reclam, Stuttgart 2012

Hiltrud Gnüg (Hrsg.), Gespräch über Bäume. Moderne deutsche Naturlyrik, Reclam, Stuttgart 2013

Dieter Lamping, Wir leben in einer politischen Welt. Lyrik und Politik seit 1945, Vandenhoeck & Rup- recht, Göttingen 2008

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Vorüberlegungen

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Die einzelnen Unterrichtsschritte im Überblick:

Inhalte Methoden/Arbeitsformen

1. Schritt Natur und Politik – eine Verhältnis- bestimmung

• Brainstorming

• Gedichtinterpretation 2. Schritt Brecht und die Nachgeborenen –

politische Naturlyrik in Beispielen und im Überblick

• Arbeit in Kleingruppen

• Recherche

• Gedichtinterpretation

• Präsentation

• Analyse eines literaturwissenschaftli- chen Textes

Autorin: Claudia Schuler, Studienrätin, geb. 1977, studierte Deutsch, Geschichte und Philosophie in Freiburg und unterrichtet an einem Gymnasium in Rastatt. Sie arbeitete an mehreren Unter- richtswerken mit und ist Herausgeberin der Ideenbörse Deutsch Sekundarstufe II.

Gesellschaftskritische Lyrik von Heinrich Heine bis ins 21. Jahrhundert hinein bietet Ihren Schülerinnen und Schülern die Unterrichtseinheit 5.2.26 Formen der Gesellschafts- kritik im Gedicht (aus Ausgabe 56 dieser Reihe).

Ihnen fehlt diese Einheit in Ihrer Sammlung? Dann nutzen Sie die Ihnen als Abonnent(in)

zur Verfügung stehende Möglichkeit zum Gratis-Download (vgl. Umschlagseiten 2 und 4 Ihrer Print-Ausgabe) von der Online-Datenbank des Olzog Verlags: www.edidact.de.

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Unterrichtsplanung

1. Schritt: Natur und Politik – eine Verhältnis- bestimmung

Kompetenzen und Unterrichtsinhalte:

• Die Schülerinnen und Schüler machen sich die Unterschiede zwischen Naturlyrik und politischer Lyrik klar, erkennen aber auch mögliche Verknüpfungen.

• Sie interpretieren Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“.

Im ersten Unterrichtsschritt erfolgt eine Verhältnisbestimmung der an sich so ge- gensätzlichen Begriffe „Natur“ und „Politik“ sowie eine Verhältnisbestimmung von Naturlyrik und politischer Lyrik (vgl. Texte und Materialien MW1).

Die Schülerinnen und Schüler werden zunächst aufgefordert, über Natur und Politik sowie über Naturlyrik und politische Lyrik nachzudenken und ihre Assoziationen aufzuschreiben (Arbeitsauftrag 1). Diese Einzelarbeit kann nach einiger Zeit in ein Brain- storming im Plenum münden. Die Assoziationen zu Natur und Politik werden sehr in- dividuell sein; Naturlyrik und politische Lyrik lassen sich jedoch defi nieren:

Naturlyrik: „Sammelbezeichnung für alle Formen der Lyrik, deren Zentralmotive Naturerscheinungen (Landschaft, Jahres- und Tageszeiten, Wetter, Tier- und Pfl anzen- welt) sind und die auf dem Erlebnis der Natur aufbauen […]“ (Gero von Wilpert, Sach- wörterbuch der Literatur, 8. Aufl ., Kröner, Stuttgart 2001, S. 554)

Politische Lyrik: „Dichtung, die mit der Absicht direkter politisch-ideologischer Be- einfl ussung meist innenpolitische Probleme um Macht- und Herrschaftsverhältnisse in dichterisch werbende Form kleidet und die Literatur in den Dienst politischer Auseinan- dersetzungen stellt, sei es affi rmativ zur Verherrlichung bestehender Systeme, korrigie- rend-emanzipatorisch zur Verbesserung der Zustände oder aggressiv und kritisch- oppositionell als Anklage von Mißständen und Anreiz zu Änderungen bzw. Umstürzen“

(Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, 8. Aufl ., Kröner, Stuttgart 2001, S. 620)

Thematisiert werden sollte zu diesem Zeitpunkt bereits das Verhältnis von Naturlyrik und politischer Lyrik. Der Gegensatz – und entsprechend der Gegensatzpfeil in der schematischen Darstellung von MW1 – liegt nahe, doch vielleicht gelingt es den Schülerinnen und Schülern bereits hier, diesen Gegensatz zu hinterfragen.

Bertolt Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen I“, das im Anschluss daran gelesen und interpretiert wird (Arbeitsauftrag 2), macht deutlich, dass in bestimmten histori- schen Situationen „bloße“ Naturlyrik nicht genügt und sogar sträfl ich ist. Dabei rich- ten sich seine berühmten Verse „Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“ nicht gegen die Naturlyrik an sich, sondern gegen die fi nsteren Zeiten, die ein Verweilen bei der Natur unmöglich machen. Politik ist nicht generell wichtiger als Natur, aber wenn die Politik zur Unrechtspolitik wird, muss die Natur zurückstehen, weil ein Sprechen ausschließlich über die Natur Schweigen über das politische Unrecht bedeuten würde.

Brecht thematisiert in diesem Gedicht die Abkehr von der reinen Naturlyrik. Das ist eine Möglichkeit, wie Naturlyrik politisch werden kann (Arbeitsauftrag 3). Es ist aber auch denkbar, dass Natur und Naturdarstellung selbst dazu genutzt werden, um auf politische Zusammenhänge aufmerksam zu machen.

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Unterrichtsplanung

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2. Schritt: Brecht und die Nachgeborenen – politische Naturlyrik in Beispielen und im Überblick

Kompetenzen und Unterrichtsinhalte:

• Die Schülerinnen und Schüler recherchieren zu bedeutenden Autoren der politischen Naturlyrik, interpretieren ausgewählte Gedichte im zeitgeschichtlichen Kontext und refl ektieren das Verhältnis von Natur und Politik in diesen Gedichten.

• Sie präsentieren ihre Ergebnisse.

• Sie systematisieren die Ergebnisse und verschaffen sich einen Überblick über die Statio- nen der deutschen (politischen) Naturlyrik.

Die konkrete Auseinandersetzung mit Autoren der politischen Naturlyrik und ihren Gedichten steht in diesem Unterrichtsschritt im Mittelpunkt. Texte und Ma- terialien M2 bis M5 präsentieren solche Autoren und Gedichte in thematisch bzw.

zeitgeschichtlich passender Gruppierung.

Je ein Arbeitsblatt soll von einer Kleingruppe (d.h. ca. drei Schülerinnen und Schülern) bearbeitet werden: Dabei haben die Schülerinnen und Schüler die Aufgabe, Informa- tionen zu den Biografi en der Autoren (es handelt sich im Einzelnen um Bertolt Brecht, Nelly Sachs, Helmut Preißler, Volker Braun, Erich Fried, Peter Rühmkorf und Durs Grünbein) zu sammeln und Recherchen zu den historischen Umständen, den zeitge- schichtlichen Ereignissen und den Problemen der Entstehungszeit der Gedichte zu ermitteln. Mit diesem Hintergrundwissen gehen die Schülerinnen und Schüler an die Analyse der vorgelegten Gedichte, untersuchen die Naturdarstellung und bestimmen das Verhältnis von Natur und Politik.

Es ist vorgesehen, dass nach der Erarbeitungsphase eine Präsentation der Ergeb- nisse im Plenum erfolgt.

Im Zuge dessen können die Ergebnisse auch systematisiert werden. Lösungsvorschlä- ge hierfür fi nden sich auf Texte und Materialien MW6.

Bereits die Lösungstabellen von MW6 machen deutlich, dass man bei der modernen politischen Naturlyrik verschiedene Phasen und verschiedene Anliegen unter- scheiden kann. Eine theoretische Fundierung gibt diesem Sachverhalt Texte und Materialien M7. Der abgedruckte Text stellt die Veränderungen in der Lyrik nochmals in den Gesamtkontext der historischen Entwicklung seit dem 18. Jahrhundert.

Die Schülerinnen und Schüler bekommen die Aufgabe, diese Zusammenhänge aufzu- zeigen (Arbeitsauftrag 1). Ein Lösungsvorschlag für eine solche Übersicht wird auf Texte und Materialien MW8 mitgegeben.

Falls die ältere Naturlyrik im Unterricht schon behandelt worden ist, bietet es sich an, an dieser Stelle eine kurze Wiederholung zur Naturlyrik im Sturm und Drang einzubauen und so die aufgezeigten Stationen mit den epochentypischen Merkmalen zu verbinden.

Nachdem die Schülerinnen und Schüler in der Einheit ganz unterschiedliche Arten politischer Naturlyrik kennengelernt haben, sollen sie zum Abschluss eine eigene Stel- lungnahme, durchaus bezogen auf die heutige Situation, abgeben (Arbeitsauftrag 2):

Wie politisch darf bzw. soll Naturlyrik sein?

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Texte und Materialien – MW 1

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II. Verhältnisbestimmung

Bertolt Brecht (1898-1956): An die Nachgeborenen I (1939) 1

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Wirklich, ich lebe in fi nsteren Zeiten!

Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn Deutet auf Unempfi ndlichkeit hin. Der Lachende Hat die furchtbare Nachricht

Nur noch nicht empfangen.

Was sind das für Zeiten, wo

Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist

Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!

Der dort ruhig über die Straße geht

Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde Die in Not sind?

Es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts

Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich sattzuessen.

Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt, bin ich verloren.) Man sagt mir: Iß und trink du! Sei froh, daß du hast!

Aber wie kann ich essen und trinken, wenn Ich dem Hungernden entreiße, was ich esse, und Mein Glas einem Verdurstenden fehlt?

Und doch esse und trinke ich.

Ich wäre gerne auch weise.

In den alten Büchern steht, was weise ist:

Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit Ohne Furcht verbringen

Auch ohne Gewalt auskommen Böses mit Gutem vergelten

Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen Gilt für weise.

Alles das kann ich nicht:

Wirklich, ich lebe in fi nsteren Zeiten!

(aus: Bertolt Brecht, Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 12: Gedichte 2.

© Bertolt-Brecht-Erben / Suhrkamp Verlag 1988)

Arbeitsauftrag:

1. Schreiben Sie assoziativ auf, was Ihnen zu den Stichwörtern „Natur“ und „Politik“ sowie zu „Naturly- rik“ und „politische Lyrik“ einfällt, und führen Sie das Brainstorming im Plenum weiter.

2. Interpretieren Sie Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen I“: Wie wird darin das Verhältnis von Natur und Politik bestimmt?

3. Stellen Sie Überlegungen dazu an, auf welche Art und Weise Naturlyrik politisch werden kann.

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Texte und Materialien – M 3

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Volker Braun (*1939): Durchgearbeitete Landschaft (1971) 1

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Hier sind wir durchgegangen

Mit unseren verschiedenen Werkzeugen Hier stellten wir etwas Hartes an

Mit der ruhig rauchenden Heide

Hier lagen die Bäume verendet, mit nackten Wurzeln, der Sand durchlöchert bis in die Adern Und ausgepumpt, umzingelt der blühende Staub

Mit Stahlgestängen, aufgerissen die Orte, weggeschnitten Überfahren der Dreck mit rohen Kisten, abgeteuft die

teufl ischen Schächte mitleidlos

Ausgelöffelt die weichen Lager, zerhackt, verschüttet, zersiebt, das Unterste gekehrt nach oben und durchgewalkt und entseelt und zerklüftet alles Hier sind wir durchgegangen.

Und bepfl anzt mit einem durchdringenden Grün Der Schluff, und kleinen Eichen ohne Furcht Und in ein plötzliches zartes Gebirge

Die Bahn, gegossen aus blankem Bitum Das Restloch mit blauem Wasser

Verfüllt und Booten: der Erde Aufgeschlagenes Auge

Und der weiße neugeborene Strand Den wir betreten

Zwischen uns.

(aus: Volker Braun, Gegen die symmetrische Welt. © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1974.

Alle Rechte bei und vorbehalten durch Suhrkamp Verlag Berlin)

Worterklärungen:

• abteufen (Z. 9) : einen Schacht herstellen

• Schluff (Z. 16): Boden aus Sedimentgestein

• Bitum (Z. 18): Gemisch aus verschiedenen organischen Stoffen Arbeitsauftrag:

1. Sammeln Sie Informationen über die Biografi en der beiden DDR-Autoren.

2. Recherchieren Sie die Hintergründe von Dichtung in der DDR.

3. Analysieren Sie, wie die Natur in den Gedichten dargestellt wird.

4. Ziehen Sie ein Fazit zum Verhältnis von Natur und Politik in diesen Gedichten.

Volker Braun 1981 bei der Berliner Begegnung zur Friedensförderung

(Bild: Bundesarchiv, Bild 183- 1982-0104-301/Junge, Peter

Heinz/CC-BY-SA)

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Texte und Materialien – M 5

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25 Hör auf dein Herz und an! – ihm vertraue Unwiderrufl iches, eh es entfällt:

Diese vorüberrauschende blaue einzige Welt!

(aus: Peter Rühmkorf, Gedichte – Werke 1. Herausgegeben von Bernd Rauschenbach. Copyright © 2000 Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg)

Durs Grünbein (*1962): Biologischer Walzer (1994)

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Zwischen Kapstadt und Grönland liegt dieser Wald Aus Begierden, Begierden die niemand kennt.

Wenn es stimmt, dass wir schwierige Tiere sind Sind wir schwierige Tiere weil nichts mehr stimmt.

Steter Tropfen im Mund war das Wort der Beginn Des Verzichts, einer langen Flucht in die Zeit.

Nichts erklärt, wie ein trockener Gaumen Vokale, Wie ein Leck in der Kehle Konsonanten erbricht.

Offen bleibt, was ein Ohr im Laborglas sucht, Eine fl eischliche Brosche, gelb in Formaldehyd.

Wann es oben schwimmt, wann es untergeht, Wie in toten Nerven das Gleichgewicht klingt.

Fraglich auch, ob die tausend Drähtchen im Pelz Des gelehrigen Affen den Heißhunger stillen.

Was es heißt, wenn sich Trauer im Hirnstrom zeigt.

Jeden fl üchtigen Blick ein Phantomschmerz lenkt.

Zwischen Kapstadt und Grönland liegt dieser Wald … Ironie, die den Körper ins Dickicht schickt.

Wenn es stimmt, dass wir schwierige Tiere sind Sind wir schwierige Tiere weil nichts mehr stimmt.

(aus: Durs Grünbein, Gedichte. Bücher I-III. © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2006. Alle Rechte bei und vorbehalten durch Suhrkamp Verlag Berlin)

Arbeitsauftrag:

1. Sammeln Sie Informationen über die Biografi en der beiden Autoren.

2. Recherchieren Sie zeitgeschichtliche Ereignisse und Probleme in der Entstehungszeit der beiden Gedichte.

3. Analysieren Sie, wie die Natur in den Gedichten dargestellt wird.

4. Ziehen Sie ein Fazit zum Verhältnis von Natur und Politik in diesen Gedichten.

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Texte und Materialien – MW 6

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Ideenbörse Deutsch Sekundarstufe II, Ausgabe 71, 11/2015 15

Lösungsvorschlag zu M2 Bertolt Brecht und Nelly Sachs

Autor, Gedicht

Zeitgeschichte und biografi sche Bezüge

Naturdarstellung Verhältnis von Natur und Politik Bertolt Brecht:

Frühling 1938

• Kriegsgefahr ange- sichts aggressiver NS-Außenpolitik

• Brecht, von den Na- tionalsozialisten ver- folgt, fl oh bereits Anfang 1933 ins Aus- land (verschiedene Exilstationen; 1938 befand er sich in Dänemark).

• positiv besetzte Jah- reszeit des Frühlings (grünende Hecken, vergoldende Sonne, Blüten und Blätter, Vogelgezwitscher)

• negative Einbrüche:

Schneesturm, Regen- wolken, Kriegsvorbe- reitung

• Todesverkündigung durch das Käuzlein

Kontrast zwischen der aufblühenden, schö- nen Natur und dem aufziehenden Krieg Æ Aufgabe des

Schriftstellers:

Anklage und Warnung

Nelly Sachs:

Ihr Zuschauen- den (1946)

• Judendeportation und Judenvernich- tung in der Zeit des Nationalsozialismus

• Wegen ihrer jüdi- schen Herkunft ab 1933 von den Natio- nalsozialisten be- droht, gelang Nelly Sachs 1940 die Flucht nach Schwe- den.

• Nach 1945 wurden ihre Gedichte, die nun den Holocaust thematisieren, in Westdeutschland zunächst nicht ge- druckt.

Natur wird zur Personi- fi kation und Erinnerung an die Ermordeten:

Das Pfl ücken von Veil- chen erinnert an die brechenden Augen der Sterbenden, die Zweige der alten Eichen erin- nern an die fl ehend er- hobenen Hände der Deportierten und Ge- quälten, die Abendson- ne erinnert an das Blut der Getöteten und der Nachtruf der Turteltau- be erinnert daran, dass die Ermordeten keine Nachkommen haben.

Natur beschwört Fra- ge nach Schuld und Verantwortung herauf.

Æ Anklage der Angesprochenen:

Auch Zuschauen ist schuldhaftes Verhalten!

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Seite 15

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Texte und Materialien – MW 6

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Lösungsvorschlag zu M5

Peter Rühmkorf und Durs Grünbein

Autor, Gedicht

Zeitgeschichte und biografi sche Bezüge

Naturdarstellung Verhältnis von Natur und Politik Peter Rühmkorf:

Diese vorüber- rauschende blaue ... (1984)

• Umweltbewegung in den 80er-Jahren – angesichts der zu- nehmenden Um- weltzerstörung

• Selbstverständnis Rühmkorfs als Zeit- kritiker

Bedrohung der Natur und des Lebens auf Er- den: Sich-Verdüstern der Welt (Z. 7), Tauen der Gletscher (Z. 12), Ent- schwinden von allem (Z. 15);

Gefahr des „Weltunter- gangs“ („Diese vorüber- rauschende blaue / einzi- ge Welt!“, Z. 27 f.)

Naturdarstellung for- dert zum Bewusst- werden und zum Handeln auf.

Æ Appell

Durs Grünbein:

Biologischer Walzer (1994)

• Ausweitung der Na- turbeherrschung durch den Men- schen im Zuge des technisch-wissen- schaftlichen Fort- schritts

• Auseinandersetzung des Schriftstellers Grünbein mit den Naturwissenschaften (er selbst gab die Idee, Ingenieurwe- sen oder Veterinär- medizin zu studie- ren, auf)

• Bezeichnung der Menschen als

„schwierige Tiere“

(Z. 3): ursprüngliche Triebhaftigkeit der Menschen, von der sie sich aber lösen möchten

• Unterschied zwischen Mensch und Tier:

Sprache (2. Strophe)

• unbegrenzter For- schungsdrang des Menschen, Ausnut- zen und Quälen von Tieren zu For-

schungszwecken

• „Ironie“ (Z. 18): Dis- tanz des Menschen zu der Natur und auch zu seiner eige- nen Natur; Bemü- hungen des Men- schen, den Dingen (mithilfe der Natur- wissenschaften) auf den Grund zu gehen, bleiben letztlich er- folglos.

Aufl ösung der Vorstellung vom (Natur-)Ganzen Æ Refl exion und

Hinterfragung

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Texte und Materialien – M 7

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Ideenbörse Deutsch Sekundarstufe II, Ausgabe 71, 11/2015 19

Stationen deutscher Naturlyrik

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Das Naturgedicht ist ein relativ junges Genre, verglichen etwa mit dem Liebesgedicht oder der politischen Lyrik. Erst knapp zweihundertfünzig Jahre lässt sich in engerem Sinne von Naturlyrik sprechen, letztlich seit der Epoche des Sturm und Drang, in der das lyrische Ich sich als erleben- des, empfi ndendes Subjekt entdeckte: »Wie herrlich leuchtet / Mir die Natur! / Wie glänzt die Sonne! / Wie lacht die Flur!« – so beginnt Goethes Mailied. Exemplarisch artikuliert sich hier ein Naturgefühl, das neu und symptomatisch für die damalige Zeit war und die lyrische Entwicklung entscheidend prägte. Fragwürdig wurde dieses lyrische Konzept im Zeichen der Erlebnislyrik […]

erst sehr viel später für die Nachgeborenen. In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, in den »fi nsteren Zeiten« des Nationalsozialismus, schien »ein Gespräch über Bäume fast ein Ver- brechen« – so Brecht in seinem berühmten Gedicht An die Nachgeborenen, weil »es ein Schwei- gen über so viele Untaten« einschloss.

Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts erscheint Natur als freie schöpferische Kraft, als zweckfreie schöne Landschaft, der sich das empfi ndende Subjekt anvertraut, in der es sich in ästhetischer Stimmung wiederfi ndet. Es ist dieser Gedanke einer Harmonie von Ich und Natur, der Ende des 18. Jahrhunderts ein neues lyrisches Genre schuf, das Naturgedicht. Zwar fanden sich Natur- motive, Naturbildlichkeit auch in älterer Lyrik – an den locus amoenus, locus desertus usw. sei erin- nert –, doch sie blieben Topoi, Requisiten, bildeten die Szenerie einer erotischen Begegnung wie etwa in der Schäferpoesie oder verwiesen allegorisch auf die Schöpferkraft Gottes, so in den ba- rocken Jahres- und Tageszeitengedichten. Natur als Erlebnisraum des Subjekts – diese Vorstellung entwickelte sich erst im späten 18. Jahrhundert, zu einem Zeitpunkt also, als die Natur ihre my- thische Aura gerade verloren hatte, sie Objekt wissenschaftlichen Erkennens geworden war. Das lyrische Subjekt entdeckt in dieser vorindustriellen Ära – auf der Schwelle zur Industrialisierung – die Natur als selbständiges lyrisches Sujet. Es ist noch nicht die sentimentalische Sehnsucht nach der Restnatur, die Trauer über eine durch Technologie vergewaltigte Natur, deren Verstümmelung ihrerseits nun die menschliche Existenz bedroht – das ist eine Erfahrung, die erst später die Nach- geborenen machen mussten. Zu Goethes Zeit hatte die Industrielandschaft die Naturlandschaft noch nicht verdrängt, war Natur noch nicht zum Naturschutzgebiet geworden, zur grünen Lunge des industriegeschädigten Menschen. Noch lebte man im Rhythmus der Postkutsche, noch gab es kein Ökologieproblem, war die Naturkatastrophe und nicht die technische Panne bedrohlich.

Natur gab es gleichsam im Überfl uss, dringlich schien die Naturbeherrschung, ihre Nutzung, da nur dadurch der Mensch, genauer das bürgerliche Subjekt, sich ökonomisch und politisch von feudaler Herrschaft zu emanzipieren hoffte. Es scheint eine gewagte These zu sein, die lyrische Beschwörung von Natur dialektisch aus dem Verlust von Natur erklären zu wollen, und doch drängt sich diese sentimentalische Tendenz im bürgerlichen Naturverständnis auf. Bei Schiller heißt es in dem Gedicht Die Götter Griechenlandes, die Poesie gerade habe das Göttliche der Natur, das das mechanistische Weltbild der Naturwissenschaft ignoriert, zu bewahren. »Wo jetzt, wie unsre Wei- sen sagen, / Seelenlos ein Feuerball sich dreht«, das Sonnensystem in seiner Gesetzmäßigkeit er- kannt ist, hat die Dichtung die lebendige Schaffenskraft der Natur zu erinnern. […]

Da in der Folgezeit gerade diese Fluchttendenz im Naturgedicht überwog, die Diskrepanz von idyllischer Landschaftsmalerei und zunehmender Industrialisierung größer wurde, die gesell- schaftlichen Widersprüche krasser hervortraten, glitt das Dichten von mondbeglänzter Zauber- nacht und Maienlust zunehmend in falsche Idylle ab. […]

Erst Brecht in seinen »Svendborger Gedichten«, vor allem in seinem viel diskutierten Gedicht An die Nachgeborenen von 1939 stellt das Naturgedicht angesichts der bedrängenden gesellschaft- lichen Probleme im Faschismus in Frage. Seine pointierte Frage »Was sind das für Zeiten, wo /

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