Fachgruppe Moderner Orient
Leitung: Hans-Georg Ebert (Leipzig) und Eckehard Schulz (Leipzig)
Folgende Vorträge wiu-den in der Fachgruppe gehalten:
Silvia Naef (Freiburg): Aufklärung in einem schütischen Umfeld. Die libanesische Zeit¬
schrift al-'Irfan.
Jens-Uwe Rahe (Bonn): Konfession und Opposition: Anmerkungen zur politischen Ideologie irakischer Schiiten im Londoner Exil.
Rainer Brunner (Freiburg): Ein umstrittener Briefwechsel: 'Abd al-Husain Saraf ad-Dins al-Muräga'ät und die Bemühungen um eine simnitisch-schiitische Annäherung im 20. Jh.
Monika Fatima Mühlböck (Wien): Suimiten und Schiiten in Bahrain.
Kamran Amir Arjomand (Köln): Ptidää as-Saltana und die Anhänger der alten Wissen¬
schaften. Ein Beitrag zur Geschichte des Unwissens im Iran des 19. Jh.s.
Maurus Reinkowski (Bamberg): Überlegungen zur Konstruktion eines libanesischen Nationalismus seit 1990.
Regina Panzer (Hamburg): Zum Geschichtsbewußtsein der griechisch-orthodoxen Christen im Maäriq (Libanon, Syrien, Jordanien, Palästina, Ägypten).
Axel Havemann (Berlin): Tendenzen der zeitgenössischen Geschichtsschreibung im
Libanon.
Bernd Radtke (Utrecht): Der Ibriz Lamatis.
Stefan Reichmuth (Bochum): Islamische gelehrte Netzwerke im 18. Jh.: Murtadä az-Zabidi (gest. 1791) und sein Mu'gam al-maSä'il}.
Wieske Walther (Saarbrücken): Frauen müssen und köimen schreiben lemen! Rifä'a
at-Tahtäwis Ansichten zur Mädchenerziehung und Position der Frau in seinem al-Mursid al- amm (1873).
Stefan Guth (Beimt): Mutafami§ und Alafranga züppe - ein Vergleich.
Hermann Kandler (Komotini): Am Rande des Orients - Muslime in Westthrakien
(Griechenland) und ihre Beziehungen zu ihren christlichen Mitbürgem.
Martin Strohmeier (Freiburg): Bemerkungen zu einigen kurdischen ZeiUingen am Beginn des 20. Jh.s.
Dietrich Reetz (Berhn): Die Hijrat der Bauem aus Nordindien nach Afghanistan im Jahre 1920: Politik, Religion oder regionale Identität.
Angela Parvanta (Bamberg): BaöSa-i Saqqä' - afghanischer Robin Hood oder Räuber?
Halilulläh Halilis Neubewertung der Ereignisse von 1929.
Albrecht Fuess (Köln): Zwischen Intemierung und Propaganda. Die deutsche Gemeinde in Ägypten 1919-1939.
Hans-Georg Ebert (Leipzig): Das Pflichttestament in arabischen Rechtsordnungen.
Silvia Tellenbach (Freiburg): Zum Umweltrecht in der Türkei.
Heiko Schuss (Bochum): Islamische Finanzwirtschaft.
GÜNTER Barthel (Leipzig): Wassermangel im Vorderen Orient - Konfliktstoff mit wachsen¬
der Dimension.
Michael A. Köhler (Brüssel/Bonn): Privatsektor und Zivilgesellschaft: Untemehmer als Katalysator des politischen Pluralismus?
Birgit Martin (Mainz): Islam, Geschlecht und Migration im Nordsudan.
Hanne Schönig (Beimt): Traditionelle Schönheitsmittel der Jemenitinnen. Anmerkungen zur Terminologie.
Konfession und Opposition:
Anmerkungen zür politischen Ideologie irakischer Schiiten im Londoner Exil
Von Jens-Uwe Rahe, Bonn
I.
Das Verhältnis von Konfession und Opposition, genauer: von konfessionsbezogenem Denken und oppositionellen Zielen, ist ein zentrales Problem in der politischen Ideolo¬
gie irakischer Schiiten. Der Grund dafür ist die ungleiche Machtverteilung im Irak
zwischen Sunniten und Schiiten. Schon unter osmanischer Herrschaft waren die
Schiiten - damals wie heute knapp über die Hälfte der Bevölkerung - weitgehend von
Regierung und Verwaltung ausgeschlossen. Dabei blieb es nach Gründung der iraki¬
schen Monarchie im Jahre 1921: Mit König Faisal üh)emahm eine osmanisch geschulte, sunnitische Ehte die Staatsführung, und sie zeigte wenig Neigung, die Macht mit den Schiiten zu teilen.' Auch die Revolution von 1958 und die Machtergreifung der Ba't- Partei 1968 änderten nichts an der politischen Diskriminierung der Schiiten. Bis heute regiert in Bagdad eine sunnitische Minderheit, an deren Spitze der Clan von Präsident Saddäm Husain steht.
Die Machtverteilung entlang konfessioneller Grenzen über Jahrzehnte hinweg hat zu einem latenten, manchmal offenen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten geführt.
Die Ursachen dieses Konflikts sind primär sozialer, wirtschafthcher und machtpoliti¬
scher Natur, weniger religiöser.^ Eine rehgiöse Dimension erhält der Konflikt erst
dadurch, daß die Konfessionen zum identitätsstiftenden Merkmal von Interessen¬
gruppen werden. Historisch hat sich die Opposition der Schiiten auf unterschiedliche Weise artikuliert: in den dreißiger Jahren in Form von Stammesunruhen am Mittleren Euphrat, in den fünfziger Jahren durch starken Zulauf zur Kommunistischen Partei und seit den sechziger Jahren besonders im Rahmen der islamischen Bewegung.
' Der Anteü schütischer Kabinettsmitglieder süeg von 17,7 Prozent im ersten Jahrzehnt der Monarchie (1921-32) auf 34,7 Prozent im letzten Jahrzehnt (1947-58); er betrug im Schnitt 27,7 Prozent. Vgl. die Tabelle bei H. BataTU: The Old Social Classes and the Revolutionary Movements oflraq. A Study of Iraq's Old Landed and Commercial Classes arui of its Communists, Ba'thists, and Free Officers.
Princeton 1978, S. 47.
- Vgl. hierzu M. FAROUK-SLUOLETTund P. SLUGLETT: Some Reflections on the Sunni/Shi'i Question in Iraq. In: Bulleün of the Briüsh Society for Middle Eastem Studies 5 (1978), S. 79-87; sowie J.-U.
RaHE: Die iraqischen Sunniten und Schiiten aus deutscher Perspektive (1927-41): Ein konfessioneller Konflikt? In: P. HEINE (Hrsg.): Al-Rafldayn. Jahrbuch zu Geschichte und Kultur des modernen Iraq.
Bd. 2. Würzburg 1993, S. 67-82.