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Ueber die Erklärung des Wortes ägama im Väkya¬
padiya II. 1—6.
Von G. BUhler.
In der bekannten Stelle des Väkyapadiya 1 — 6 über die
Schicksale des Mahäbbasbya, weicbe Goldstücker (Mänavakalpasütra
p. 238) zuerst an's Liebt gezogen hat, kommt der Ausdruck
ägama mehrmals vor und ist von verscbiedenen Sanskritisten
sehr verschieden gefasst worden. Es heisst dort erstens, dass der
ägama der Grammatik den Schülem des Patanjali abhanden ge¬
kommen sei (yah Patanjalisishyebhyo bhrashto vyakaranägamah) und
zweitens, dass Candräcärya und andere den ägama von Parvata
erhalten und weiter verbreitet hätten (Parvatäd ägamam labdhvä etc.).
Goldstücker übersetzte ägama durch „Document" oder ,Ma-
nuscript" , Weber (Indische Studien V, 161) durch „Text", und Stenzler (ibidem, 448) durch „Ueberlieferung". In einem Artikel
über die Frage, ob der Text des Mahäbhäshya als authentisch
anzusehen sei, hat Kielhorn (Indian Antiquary V, 245) auf Grund
von Punyaräja's Commentar zum Väkyapadiya dasselbe Wort durch
„traditional knowledge" wiedergegeben, dessen Sinn mit Stenzler's
Erklämng übereinstimmt und Weber hat in seiner Besprechung
von Kielhorn's Artikel (Indian Antiquary VI. 303) anerkannt, dass
Kielhorn's Uebersetzung „dieselbe Beachtung wie seine eigene"
verdiene. Da mich die Frage über die Autbenticität des Bhäshya
stets sehr lebhaft interessirte und ich es fiir ebenso nothwendig
wie möglich halte die Bedenken zu beseitigen, welche Weber's
und Bumell's , meiner Ansicht nach , unbegründetes Misstrauen
gegen die Tradition der Indischen Schulen hervorgerufen hat, so
wendete ich schon früher der Bedeutung von ägama meine Auf¬
merksamkeit zu und habe die Resultate meiner Erkundigungen
bei den berühmtesten Indischen Grammatikern der Jetztzeit, welche
Kielhorn's Ansicht vollständig bestätigen, Kasmir Report p. 71
mitgetheilt. Derselbe Grund wird es entschuldigen, wenn ich
jetzt noch einmal auf die Frage zurückkomme und einen weiteren
654 Bühler, uher die Erhlärung des Wortes ägama im Väkya/padtya.
Beleg dafür gebe, dass Bbartribari in der oben citirten Stelle nur
sagen will, ,die traditionelle Erklärung des Mabäbbäshya und der
grammatischen Wissenschaft sei den Schülem des Patanjali (d. h.
in der directen Linie des vidyävamsa) verloren gegangen, jedoch
später durch Candra und andere von Parvata erlernt und weit
verbreitet". Dieses Mal kann ich mich auf den Autor des Väkya¬
padiya, Bhartrihari, selbst berafen. Dieser Grammatiker hat auch
einen Commentar zu einem kleinen Theile des Mahäbhäshya ge¬
schrieben (Ganaratnamahodadhi L 2), von dem sich ein unvoU-
ständiges, nicht sehr gutes MS. in Berlin, Cbambers 553, befindet.
Bei einer Durchsicht dieses Werkes fand ich, dass Bhartrihari die
Bedeutung des Wortes agama, fol. 8 a. 1, in seiner Note zu
Bhäshya p. 1, Z. 17 (Kielhom) selbst definirt und durch päram -
paryenävicchinna upadesah erklärt'). Dies bedeutet wört¬
licb : „eine vermöge einer Reihenfolge ununterbrochene Unter¬
weisung", oder freier übersetzt : „eine traditionelle Lehre , welche
ununterbrochen von einer Generation (des vidyävamsa) auf die
andere übergegangen ist". Ich glaube nicht, dass sicb ein klarerer
Beweis für die alleinige Richtigkeit der von Stenzler, Kielhom,
Punyaräja und den jetzigen indischen Grammatikern gegebenen In¬
terpretation finden wird oder gefordert werden kann, und es scheint
mir nicht wohl möglich fernerhin zu behaupten, Bhartrihari könne
vielleicht im Väkyapadiya sagen wollen, dass Candra oder andere
Grammatiker den Text des Mahäbhäshya remodelhrt oder revidirt
hätten. Zugleich möchte ich darauf hinweisen , dass Bhartrihari's
Commentar zur Tripädi des Bhäshya eine Bearbeitung durch einen
tüchtigen Grammatiker verdient. Derselbe ist für den Text des
Bhäshya sehr wichtig, da er, wie M. Müller gezeigt hat, im sieben¬
ten Jahrhunderte unserer Aera verfasst ist. Wie mir nach einer
allerdings nur flüchtigen Durchsicht des Werkes scheint, zeigt
dasselbe, dass der Text des Bhäshya seil^ den letzten zwölf Jahr¬
hunderten nicht wesentlich verändert ist. Bhartrihari's Buch ent¬
hält auch höchst interessante Aufschlüsse' über litterarbistorischeA
Prägen. So citirt es Stellen aus den Srautasütren des Asvaläyana
und Apastamba und führt Commentare zu denselben an.
1) Die g.tnze Note lautet: ägamah khalimpi \ pärampar y e n a vi c c h 1- nun upadesa ägam ah { s ru t ilaksh anah smii til ak sh an as c a |{