Von Geknot Windfuhr, Ann Arbor, USA
Ein vielversprechender Ansatz der Sprachwissenschaft ist die distinctive
feature analysis und die generative Phonologie. Ihre Bedeutung für die
historische Sprachwissenschaft wurde in einer Reihe von Arbeiten auf¬
gezeigt. Sie scheint auch fürs Iranische vielversprechend. Obwohl die
Theorie gerade eben wieder an einem Wendepunkt angelangt ist, läßt sich
auch mit den bisher erarbeiteten Methoden das hier gewählte kleine Pro¬
blem relativ leicht durchleuchten, die traditionelle Rekonstruktion nach¬
prüfen und die Beschi-eibung des Wandels präzisieren und nicht zuletzt
vereinfachen. Es scheint, daß die einfachste Lösung gleichzeitig die aus¬
sagestärkste und wahrscheinlichste ist.
Das gewählte Problem ist der Wandel von Idg s zu Arisch s und von
Arisch s zu Iranisch h, die durch zwei traditionelle Regeln beschrieben sind.
Die Schritte der Argumentation könnte man als Manipulationen bezeich¬
nen, diese beiden Regeln auf den gleichen Nenner zu bringen und zu kürzen ;
auf den gleichen Nenner bringen, d. h. die Zwischenstufe Arisch auszuklam¬
mern, so daß beide Regeln einen Wandel von Idg - oder vorsichtiger - Vor-
Arisch zum Iranischen und somit Avesta direkt beschreiben. Kürzen, d. h.
Wiederholungen zu streichen xmd zusammenzufassen.
Die Manipulationen haben nicht nur didaktischen Wert, auch kann durch
die Ausschaltung der Zwischenstufe Arisch die Beschreibung nicht nur ver¬
einfacht werden. Wichtiger ist, daß der unmittelbare Zusammenhang der
beiden Regeln wieder deutlich wird. Beide Regeln beschreiben schließlich
den Wandel von Vor-Arisch s zum Iranischen und sollten daher sich gegen¬
seitig genau ausschließende Umgebungen beschreiben. Und eben weil sich
beide ausschließen, können beide vereint und vereinfacht werden. Dieser
selbstverständliche Zusamraenhang ist aber duroh die traditionelle Formu¬
lierung leidlich verdeckt. Die Ausschaltung einer Zwischenstufe hat einen
weiteren Grund und Vorteil: die herkömmhche Rekonstruktion des Wan¬
dels über die Zwischenstirte Arisch läßt sich so nachprüfen, denn die Be¬
schreibimg des Iranischen allein muß damit vereinbar sein.
Der erste Teil der Argumentation gilt der Aufbereitung des Materials,
d. h. die Regeln werden so umformuliert, daß die Bedingungen für den
Wandel mit den kürzest möglichen und mit möghchst gleichen Phonem¬
listen beschrieben werden. Hier wird die Manipulation besonders deutlich.
Idg. s im Avesta und einfache Regeln 986
Dieser Teil ist strikt phonemisch. Phonemlisten sind aher eben nur Li¬
sten, sie erklären nicht die lauthchen Bedingungen und Folgen des Wandels.
Das ist der Vorteil der distinctive feature analysis und generativen Phono¬
logie ; damit können die Phonemlisten auf ihre kleinsten gemeinsamen Merk¬
male reduziert und somit die Bedingung für den Wandel genau bestimmt
werden, d. h. jenes den Phonemlisten gemeinsame Merkmal, das den Wandel
eines Merkmals in einem anderen Phonem zur Folge hatte. Dies wird im
zweiten Teil gezeigt :
1. Liste von Klassen: es verhalten sich gleich bezüglich des Wandels:
Vor-Arisches e, a, o; Länge-Kürze; i, y und u, w; r, 1; £, k, k; aspirierte,
nioht-aspirierte. Ferner schwa = i, 0; anlaut, auslaut =
2. tenuis wird voraussagbar media;
3. s keine Umgebung, da ss vor dem Wandel zu s (s. sofort).
Unter Punkt 1 des Handzettels sind die beiden Regeln angeführt, die
den Wandel von Vor-Arisch s zu s und von Arisch s zu Iranisch h beschrei¬
ben. Die Formulierung folgt einer der letzten zusammenfassenden Be¬
schreibungen des Altiranischen. Die Studenten reagierten anders als er¬
wartet auf so vorsichtige Formuherungen: Warum so kompliziert? Denn
fürs Iranische muß hinzugefügt werden, daß VAr s auoh nach p zu s wird.
Außerdem war zu bestimmen, was Ar s ist; nämlich nichts anderes als das
VAr s, das nicht zu s wurde; d. h. aber, daß nicht nur p, t, k als Bedingun¬
gen für den Wandel, zu h ausgeschlossen sind, wie in der Regel angegeben,
sondern ebenso i, u, r, wo eben s zu s wird.
Unter Punkt 2 des Handzettels sind die Regeln so gefaßt, daß sie den
Wandel von VAr direkt zum Iranischen angeben. Sie sind auf den gleichen
Nenner gebracht. Dazu ist es, wie gesagt, ledighch notwendig, p als weitere
iranische Bedingung für den Wandel zu s hinzuzufügen, und als weitere
ausschließende Bedingung für h eben die Liste für § anzugeben, denn das
Ar s, das zu h wird, ist ja das VAr s, das nicht zu s wurde.
Der phonemische Zusammenhang ist mit dieser Formulierung offensicht¬
lich:
s ersoheint nach + [i, u, r, k, p]
h nach nicht: — [i, u, r, k, p, t.]
Für den Wandel zu h kommt die Liste hinzu, vör der der Wandel nicht
eintritt: [p, t, k, n].
Dieser Zusammenhang wird vielleicht noch deutlicher, wenn die Listen
gekürzt werden :
die Liste [i, u, r, k, p, t] enthält 6 der 10 möglichen Phonemklassen,
wonach der Wandel zu h nicht eintritt ; folglich tritt der Wandel ein nach
den resthchen 4 Klassen, nämlich nach + a n m].
Es muß betont werden, daß eben diese kürzere Liste gewöhnlich angege-
ben wird. Ich habe aber die negative Formuherung zum Ausgangspunkt
gewählt, einmal weil sie eine der letzten Handbuch-Formulierungen ist,
zum anderen um einen zusätzlichen Punkt für die Vereinfachung zu ge¬
winnen.
Die entsprechende Liste [i u r k p] für den Wandel zu s läßt sich nicht
kürzen, sie enthält 5 der 10 Klassen; sie läßt sich aber auf den gleichen
Nenner bringen mit der anderen und heißt dann statt -|- [i u r k p] : nach
(-[# anm t]).
Die Liste [ptk n], vör denen h auftritt, enthält 4 der 10 Klassen, und
kann somit nicht gekürzt werden. Sie braucht auch nicht auf den gleichen
Nenner gebracht zu werden, da sie die Bedingung ,vor' angibt und nicht
,nach', wie die anderen beiden.
Die beiden Regeln sind schließlich unter Punkt 4 vereinigt mit der Regel
für s = s, d. h. wo s unverändert bleibt. Diese Regel muß natürlich das
Negativum der beiden anderen sein und ist es auch.
Die Vereinigung der Regeln vereinfacht die Übersicht und Interpretation
des Wandels :
Zunächst ist wahrscheinlich, daß s nach t eine Sonderentwicklung sein
muß, sie stört die plus-minus Symmetrie der Regel 4.
Zweitens wird deutlich, daß für den Wandel von s zu h allein ausschlag¬
gebend ist, vör welchen Phonemen der Wandel eintritt; die Angabe, näch
welchen Phonemen s oder h erscheinen, ist überflüssig, denn die Bedingun¬
gen dafür sind bereits durch die Regel für s bestimmt. Das gilt, ob eine
Zwischenstufe Arisch angesetzt wird oder nicht.
Drittens erweist die Regel eine Selbstverständlichkeit, nämlich daß s, s,
und h ,historische' AUophone sind; sie sind schließlich bedingte Entwick¬
lungen ein und desselben Sibilanten, und zwar in folgender Weise: Die
Bedingung für § ist die negative Bedingung für s als auch h ; aber die Be¬
dingung für h ist das Negativum der Bedingung für s allein. Wohlgemerkt,
unter Ausschluß von t+s, wie oben gesagt.
Viertens schließlich besagt die Regel klar folgendes :
§ tritt auf nach 3 der 4 nicht-nasalen Konsonanten und nach 2 der 3
nicht-nasalen Vokale. Es tritt nur nicht auf nach #, a, Nasalvokalen, und
dann eben t. Und nur unter diesen beschränkten Bedingungen treten s und
h auf. s und h sind damit in ihrer Verteilung deutlich beschränkter als §.
Das läßt nur den Schluß zu, daß sich der Wandel umgekehrt vollzogen hat
als angenommen und zunächst in der Regel angesetzt: der ursprüngliche
Sibilant war nicht s, sondern das häufigere s, mit dem Allophon s und daraus
allophonisch h.
Aufgrund der Regel ist also zu schließen: der ursprüngliche Sibilant s
wird s näch [# a N], und bleibt s nur vor [p t k n], aber wird sonst zu h.
Schließlich wird § zu s nach t :
Idg. 8 im Avesta und einfache Regeln 987
8 ^ h : +
[# a N] [ ] + [ p t k n]
^ 8: +
—> 8 : sonst
§ s : [t] [ ]
Die umformulierten phonematischen Regeln geben Anlaß zu einer Revi¬
sion der herkömmlichen Interpretation des Wandels. Die folgende Analyse
der gemeinsamen Merkmale der Listen und somit der Merkmale, die s, s
und h unterscheiden, bestätigen die Revision (S. 985).
Zunächst die längere Liste für den Wandel zu h: [p t k n].
Die Klassen [p t k] sind [+ stimmhaft], sie stehen nach Definition für
beide. Sie sind außerdem keine Dauer laute, [n] muß stimmlos sein, denn
zn wird zu sn. Stimmlosigkeit aber hat [n] nur gemeinsam mit den stimm¬
losen Konsonanten; also kann das gesuchte gemeinsame Merkmal nicht
sein. Das kann folglich nur sein, was stimmhafte wie stimmlose Konsonan¬
ten gemeinsam haben, nämlich: kein Dauerlaut. Damit läßt sich diese
Liste bestimmen und reduzieren zu: [-dauer].
Wenn nun h vor Dauerlaut steht, dann muß es selbst ein Dauerlaut ge¬
wesen sein; und s, das vor Nicht-Dauerlaut steht, kann k6in Dauerlaut ge¬
wesen sein. So aber sind s und h nur durch dieses eine Merkmal verschieden,
und h könnte zumindest beim Wandel wie s ein Zischlaut gewesen sein.
Die Frage bleibt, in welcher artikulatorischen Position standen s und h ?
Diese Frage läßt sich beantworten durch die Bestimmung desjenigen Merk¬
mals, das der Liste für s gemeinsam ist und das somit s von (s und h) unter¬
scheidet :
s steht nicht nach a N] (t ausgeklammert),
[a] ist ein Vokal, und zwar der offenere der drei.
[N] steht für Nasal, und damit für Nasalierung von Vokalen vor dem
Konsonant s, ähnlich dem indischen Anusvara; es ist also vokalisch, aber
auch offener, denn sowohl Nase wie Mund bilden den Resonanzraum. Das
gilt für a-n-s, i-n-s und u-n-s (S. 985 hindü, paiti, t^,). Ich muß gestehen, keine Beispiele für wortinneres u-n-s und i-n-s zu haben.
Die Pause schließlich muß wie in jeder Sprache nach ihrem Verhalten
wie andere Laute bestimmt werden. Da sie gleich [a] und nasalierten Vokalen
kein s zuläßt, ist sie analog bestimmbar als vokahsch und offen, d. h. wahr¬
scheinlich kein Glottal Verschluß.
8 steht also : nicht nach [vokalisch]
[ofFener]
d. h. es steht nach [vokalisch] und Konsonanten (von t abgesehen)
[-offener] (Handzettel Nr. 6)
also stehen (s und h)
nach [vokahsch]
[+ offener]
Damit ist die Frage nach der Position von (s und h) gegenüber s gelöst :
(s und h) stehen nach offenen Vokalen, müssen also olfener sein als s, das
nach engen Vokalen steht. Von den beiden möglichen Positionen der Sibi¬
lanten, dental und palatal, ist die dentale Position enger, sie hat den klei¬
neren vorderen Resonanzraum ; also ist das s vor engen Vokalen dental und
(s mit h) vor offeneren Vokalen sind palatal.
Wie oben erwähnt, ist s der häufigere und damit wahrscheinlich ursprüng¬
liche Sibilant; er ist bestimmbar als dental. Das deckt sich mit der her¬
kömmlichen Annahme, daß der VAr Sibilant dental gewesen ist.
Somit ermöglicht die Bestimmung der kleinsten gemeinsamen Merkmale
der bedingenden Phonemlisten die Bestimmung der kleinsten unterschei¬
denden Merkmale der bedingten Laute s, s und h: s ist dental; (s und h)
palatal ! Dabei ist s kein Dauerlaut, aber h ein Dauerlaut.
Der Wandel läßt sich nun kurz und präzis formuheren (Handzettel Nr. 6):
dentaler Sibilant wird palatal, d. h. offener, nach offenen Vokalen, und wird
dann weiter zum Dauerlaut vor Dauerlauten. Er bleibt sonst dental. Die
,Irregularität' bezüglich t wird im folgenden kurz besprochen.
Der Schluß, daß s < s zunächst palatal gewesen sein muß, verblüfft. Er
ist aber wahrscheinhch, wenn er mit den Sibilanten aus der älteren Palatal¬
reihe in Bezug gebracht wird: £ wird s vor Dentalen, und nur dort, vgl.
asta < a£ta, spastar < spa£- ; spas < spa£s ; pasna < (s)pa£na. In allen ande¬
ren Fällen aber wird es zu s. Dies läßt den Schluß zu, daß s dental gewesen
sein muß, s aber palatal. Das aber ist der gleiche Schluß wie der bezüglich s, s < s in der aufgezeigten Analyse.
Andrerseits scheint dieses palatale s später auch dental geworden zu
sein, denn es tritt nach t auf, als einzigem der Konsonanten (das gleiche
erweist die spätere Sprachentwicklung). Der Wandel hat sich vermuthch
in folgenden Stufen abgespielt :
Bedingung: Position vor X
1. £ wird dental vor Dental, bleibt sonst palatal.
Bedingung: Position nach X
2. Alter Sibilant wird palatal naoh [§ a nasal], bleibt sonst dental.
Damit Verschmelzung von s < £, s und s < £, s.
3. Palataler Sibilant wird dental, wahrscheinlich bedingt durch
£
> tä —> ts ^ s ts
und damit Verschmelzung von s < ts und s < s.
Idg. s im Avesta und einfache Regeln 989
Da, wie oben gezeigt, s kein Dauerlaut gewesen sein kann, ermöglicht
sich der Schluß : das neue dentale s ist weiterhin kein Dauerlaut. Es steht
in Opposition zum Dental s, der folglich wohl ein Dauerlaut war (daraufhin
deuten möglicherweise die Entwicklungen: ps > fs; ks > xs; £s > ss > s).
Also, für das Avesta der Texte gilt:
s = [— dauer]
beide = [sibilant] und [dental], s = [+ dauer]
In der herkömmlichen Weise lassen sich die Stufen des Wandels nur recht
umständlich beschreiben in Form von ungedeuteten Phonemlisten. Die
Interpretation dieser Listen mit Hilfe der distinctive featme analysis er¬
möglicht nicht nur eine prägnante Verkürzung und damit Vereinfachung
der Listen, sondern bestimmt exakt die bedingenden und bedingten laut¬
lichen Merkmale im Zusammenhang des avestischen Lautsystems. Und
eben diese Bestimmung ist nicht nur exakt, sie vereinfacht die Regeln ins¬
gesamt und macht deutlich, daß der Wandel auf jeder Stufe einfach ist:
es wird jeweils nur ein Merkmal geändert. Diese Erkenntnis aber ermöglicht
neue Einsicht und Schlüsse auf die Geschichte des Wandels.
Handzettel
Abgek. Vor-arisches Phoneminventar (ohne s) :
#aiurmnptk
1 VAr s > Ar s Ar s > Ir h
nach i u r k nicht nach ptk, nicht vor p t k n
2 VAr s > Ir s VAr s > Ir h
nach i u r k p nach — (i u r k p t), vor -(p tkn)
3 nach — (# a n m t) nach + (# a n m), (wie oben)
4 Wenn : VA r s > Ir s naoh — (# a N) und nach — (t) ; sowie
h nach + (# a N) vor — (p t k n) ;
dann: s nach + (# a N) vor + (p t k n), und nach (t).
5 8, wenn nach Konsonanten und engen Vokalen
6 a) s > 8 nach offenen Vokalen (Pause, a, nasalisierte) b) 8 > h vor Dauerlauten
Kleinste unterscheidende Merkmale
A (p t k) = + stimmhaft] ; (n) = [— stimmhaft]
[— dauer] [— dauer]
[+ nasal]
(p t k n) = [— dauer]
Wenn (s) vor [— dauer], dann selbst [— dauer]
Wenn (h) vor [+ dauer], dann selbst [+ dauer]
B (a)= [+ vokal]; (N) =[+ vokalisch] ;(#)=[+ vokalisch]
[+ ofFener] [+ offener] [+ offener]
[+ nasal]
(# a N) = [+ vokalisch]
[+ offener]
Wenn (s h) nach [+ vokalisch], dann selbst offener : palatal.
[+ offener]
Wenn (s) nach [— offener], dann selbst enger : dental.
SS > s ^zahu zazasu ahi
# + 8+ X a + s + X X + s
K skonda asksnda vaxS
t stä ast -täs
P spas asporanah äfg
n snaOa asna xväng
m mahi ahmi däng
r ? hazaqra kars
VL xvar ahura haq hus hindü
i hindu ahi istis paiti
a haca ar)hat ahuro tq-
# ahuro haqhus
aus: skanda askanda vaks
stä ast -täts
späss asparnas äps
snatha asna svans
smasi asmi dams
- hazasra kars
svar asura sasus sinduns
sindu asi istis patins
saca asat asmas tans
- asuras hasus
DAS SYSTEM DER ALTPERSISCHEN SCHRIFT
Von Geenot Windeuhe, Ann Arbok, USA
(Dieses improvisierte Referat ist die Kurzfassung eines Aufsatzes, der im
Indo-Iranian Journal erscheinen wird.)
Die altpersische Schritt ist eine Keilschrift ; die Zeichen sind aus Keilen
zusammengesetzt. Das ist das einzige, was sie mit anderen Keilschriften
gemeinsam hat; bisher konnte kein paläographisches Zwischenglied gefun¬
den werden. Trotzdem halten einige Gelehrte die Schrift für historisch ge¬
wachsen.
Diese Annahme erscheint nunmehr erst recht äußerst unwahrscheinhch,
nachdem erstmalig das Prinzip der Zeichenkombination aufgedeckt ist.
Die 36 Zeichen (ausschheßlich Kürzel, Zahlzeichen und Trenner) sind ge¬
bildet aufgrund nur weniger, ausgewählter aller möglichen Kombinationen
von waagerechtem, senkrechtem und gewinkeltem Keil (nur diese drei For¬
men sind verwendet, kein Schrägkeil oder Kreuz).
Die Prinzipien der Kombination, die ohne Ausnahme für alle Zeichen
gelten, seien angedeutet :
1. Winkelhaken vs. Nicht-Winkelhaken. Dieses Prinzip teilt die Zeichen
in zwei Gruppen von je 18 Zeichen;
2. einfach vs. doppelter Keil. Dadurch wird zum Beispiel die Winkel¬
gruppe in eine Untergruppe von 6 mit doppeltem, und eine von 12 mit ein¬
fachem Winkel geteilt ;
3. Anzahl der Keile. Dadurch wird z. B. die erwähnte 12er-Gruppe in
drei Gruppen von je drei Zeichen geteilt.
4. QO^-Drehung eines Keils. Dadurch werden die drei Zeichen der Dreier¬
gruppen geschieden, z. B. :—<= <=| <= (jidugu):
waagerechter Keil links, aufrecht Mitte, waagerecht rechts.
5. Spiegelung, z. B. —<= -£ < (ji mu).
Daß dieses Ordnungsprinzip zufällig ist und somit natürlich und histo¬
risch gewachsen, oder stilistische Vereinfachungen sein könnte, widerlegt
bereits die elementare Erwägung der Wahrscheinlichkeit. (Der anwesende
Astronom Dr. Schlosser stellte freundlicherweise sofort die Wahrschein¬
lichkeit, nach erster Abschätzung, als unwahrscheinlicher als 1:50 000 fest.)
Allerdings ist kein direkter Zusammenhang zwischen diesem ausgeklü¬
gelten Zeichensystem und dem Lautsystem zu erkennen. Das Zeichensystem
wird dadurch nicht widerlegt, es ist eine Tatsache. Vielmehr hat man nun