Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 51–52|
24. Dezember 2012 A 2597 POETRY SLAM FÜR GEHÖRLOSEPoesie der Gebärden
Im Heidelberger Karlstorbahnhof stellen Gehörlose literarische Beiträge mit der Sprache ihrer Gebärden dar.
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as hat es in der deutschen Kulturszene bislang noch nicht gegeben: Die auf der Bühne stehenden Nachwuchspoeten, die in einem „Poetry Slam“ um die Gunst des Publikums kämpfen, sind, wie auch viele ihrer Zuschauer, gehör- los – sie stellen ihre literarischen Beiträge mit der Sprache ihrer Ge- bärden dar. „Deaf Slam“ („deaf“steht für taub oder hörgeschädigt) nennt sich diese spezielle Form des ebenso speziellen Vortragswettbe- werbs, der bisher nur in den USA und in der Schweiz veranstaltet wurde. Zur Deutschland-Premiere hatte jetzt das Heidelberger Kultur- haus Karlstorbahnhof eingeladen, wo das zeitgleich unter der Ägide der Aktion Mensch laufende Film- festival „überall dabei“ sich schwer - punktmäßig dem Thema Inklusion widmete.
Premierenstimmung im kleinen, aber feinen „Klub K“ des Kultur- zentrums in der Heidelberger Alt- stadt: Spannung liegt in der Luft, etwa 80 Menschen sitzen oder ste- hen rund um die noch leere kleine
Bühne. Man unterhält sich vielfäl- tig, mit der Sprache der Stimme oder der Gebärde, Hörende und Gehörlose, bunt durcheinander. Ein Stück Inklusion vorweg. Gebärden- sprachdolmetscher Florian Hallex stimmt das Publikum, soweit hö- rend, ein: Geklatscht werden darf und soll zwar auch, um die einzel- nen Slammer nach ihrem Auftritt zu bewerten, aber völlig lautlos – in- dem die Hände in bestimmten Abstufungen nach oben gehen und hin und her bewegt werden. Man lernt: „Hände über den Kopf“ heißt stärkste Zustimmung, wobei der Begeisterung auch noch mit Tram- peln der Füße Nachdruck verliehen werden kann, „Hände unten“ be- deutet null Beifall.
Fünf Minuten Zeit hat jeder Slammer für sein poetisches Kunst- Stück, das in der Deutschen Gebär- densprache vorgetragen wird. „Jo Jo“ ist als erster Bewerber ausgelost worden und muss das Eis brechen.
„Flugzeugabsturz“ heißt seine klei- ne, mit witzigen Pointen garnierte Geschichte über das Stranden auf
einer einsamen Insel, die er plas- tisch erzählt: Hände und Finger wirbeln durch den Raum, unter- stützt von ständig changierender Mimik, überwiegend lautlos ge- sprochenen Wörtern oder Silben so- wie fantasievoll ausgeführten Kör- perbewegungen. Auf der Bühne ist jede Menge „action“, und doch herrscht Stille im Raum. Zwischen- durch dolmetscht Florian Hallex das Geschehen, als Hilfe für die Hörenden, die nicht immer verste- hen, worum es geht.
Konzentriert folgt das Publikum den Schlag auf Schlag präsentierten Beiträgen und geizt nicht mit Ap- plaus. Inhaltlich ist der Bogen weit gespannt, häufig ist ein Bezug zum Thema Gehörlosigkeit in die selbst geschriebenen Geschichten einge- baut. Am Ende wird Poetry Slam- mer „Löwe“ alias Vadim Eichwald mit der Nummer „Umwelt und Ge- bärdensprache“ zum Sieger gekürt.
Zusammen mit „Olala“ alias Olga Hertle, die mit „Taubsein ist Luxus“
Platz zwei belegt, darf er nächstes Jahr zur nationalen Endausschei- dung nach Hamburg – als Haupt- preis winkt eine Reise nach New York mit der Chance, bei einem be- kannten Poetry Slam aufzutreten.
Für Mitorganisator Ralf Baum- garth, Bezirksgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, hat die Heidelberger Premiere des
„Deaf Slam“ das Potenzial, die In- klusion voranzubringen: „Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie Kunst und Kultur mithelfen kön- nen, Brücken zu schlagen, wenn man eben auch die entsprechenden Zielgruppen bedient.“
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Arndt Krödel Fünf Minuten Zeit
hat jeder Slammer, hier Teilnehmer Mir- ko Scheit, für sein poetisches Kunst- stück.
Foto: Aktion Mensch, Martin Kleinmichel
Die Sieger Olga Hertle und Vadim Eichwald dürfen nächstes Jahr an der nationalen End- ausscheidung in Hamburg teilneh- men.
Foto: Aktion Mensch, Michael Plundrich