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Archiv "Abschiedsraum für verwaiste Eltern: Würdevoller Ort für die Trauer" (28.05.2010)

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Deutsches Ärzteblatt

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28. Mai 2010 A 1065 ABSCHIEDSRAUM FÜR VERWAISTE ELTERN

Würdevoller Ort für die Trauer

Frauen und Paare, die mit einer Fehl- oder Totgeburt konfrontiert sind oder sich für einen späten Schwangerschaftsabbruch entschieden haben, finden im Virchow-Klinikum der Berliner Charité Unterstützung: in Form eines eigenen Abschiedsraums.

C

harité, Campus Virchow-Kli- nikum, Klinik für Geburts - medizin. Routinierte Betriebsamkeit.

Ärzte, Schwestern und Hebammen eilen durch den Schlauch blassen Deckenlichts, die Gummisohlen set- zen quietschende Spuren in den Flur.

Abseits des Eingangsbereichs der Geburtsklinik hängt an einer Tür gut sichtbar ein rotes Schild. Der Fin- ger ist über den Mund gelegt: Ein Symbol, das unmissverständlich zur Ruhe mahnt und Ungebetene vom Betreten des Raumes abhalten soll.

Hinter dieser Tür befindet sich der Raum der Stille, auch Abschiedsraum genannt.

Ein ruhiges, klares Zimmer.

Leichte, milchig-warme Stoffbah- nen schirmen das Rauminnere ab wie die Nussschale den Kern. Das blaue Sofa und der halbrunde helle Sessel bilden mit dem Holztisch eine tröstliche Dreiergruppe. Auf dem Tisch steht die mandelbraune Schale, in die die Hebamme das verstorbene Kind während des Ab- schiedsrituals bettet.

In der Klinik gibt es seit Septem- ber 2009 einen Raum der Stille, in dem Frauen, Paare und Familien ihr totes Kind begrüßen und ver- abschieden können. Es ist für die Betroffenen ein Ort des Anneh- mens und Loslassens. Jede zehnte Schwangerschaft endet mit einer Fehlgeburt. Jährlich verlören circa 3 000 Eltern ihr Kind in den ersten Stunden, Tagen oder Wochen nach der Geburt, schreibt die Bundeszen- trale für gesundheitliche Aufklärung.

Unabhängig vom Zeitpunkt und den Umständen ist der Verlust eines Kindes ein tiefer Einschnitt im Le- ben der Eltern. Einträge in Internet- foren des „Bundesverbandes Ver- waiste Eltern in Deutschland e.V.“

oder der „Initiative Regenbogen ,Glücklose Schwangerschaft‘ e.V.“

zeigen, wie wenig Verständnis ver- waisten Eltern gerade bei frühen Fehlgeburten entgegengebracht wird.

„Betroffene Frauen hören solche Sachen wie: Das ist ganz normal, das muss man eben verkraften, man soll nur recht schnell wieder schwanger werden“, berichtet Ellen Grünberg, Beratende Hebamme beim Deutschen Hebammenverband.

Wende zum würdevolleren Umgang mit Geburt und Tod Der Verband nimmt wahr, dass es in Bezug auf Geburt und Tod in den Kliniken eine Wende hin zu einem würdevolleren Umgang gegeben hat. „Heute gibt es fast überall die Möglichkeit, vom Baby Abschied zu nehmen, auch, wenn nicht alle verwaisten Eltern das nutzen und nicht immer ein separater Raum zur Verfügung steht“, sagt Grünberg.

Im Virchow-Klinikum hat es von den ersten Überlegungen bis zum fertigen Raum circa drei Jahre ge- dauert. Das ist lange, wenn man bedenkt, dass Prof. em. Dr. med.

Joachim W. Dudenhausen, bis 31.

März 2010 Direktor der Klinik für Geburtsmedizin, sich „mit dem Team von Anfang an für diese Idee begeisterte“, wie Cornelia Brust betont. Sie ist seit 1985 Hebamme, arbeitet am Virchow-Klinikum und hat gemeinsam mit der Arbeits - gruppe „Stille Geburt – Verwaiste Eltern“ das Projekt „Abschieds- raum“ initiiert, maßgeblich beglei- tet und unterstützt durch Oberärztin Dr. med. Christine Klapp.

Vor allem der Platzmangel in der Klinik hatte den Wunsch nach ei- nem Abschiedsraum entstehen las- sen. Zuvor wurden Eltern zum Abschiednehmen in einen leeren Kreißsaal oder den Reanimations- raum geführt. „Es ist uns gelungen, aus einem Es-geht-nicht, weil wir ja überhaupt keine Räume und kein Geld haben, ein Und-es-geht-doch zu machen“, sagt Brust stolz.

Problematisch waren vor allem die Bereitstellung eines Raums und dessen Gestaltung. Die Ausstattung des Abschiedsraums wurde am En- de dank einer Spende möglich. Der Raum der Stille ist aus Dudenhau- sens Sicht für die Eltern, aber auch für die Mitarbeiterinnen und Mit - arbeiter bei der Bewältigung der beruflichen Anforderungen von gro- ßer Bedeutung. Denn sie erfahren die Verzweiflung, den enormen Schmerz und die übermächtige Trauer der Betroffenen.

Dr. med. Jan-Peter Siedentopf, Gynäkologe und Geburtshelfer im Virchow-Klinikum, stimmt zu: „Ein totes Baby berührt mich immer wieder, egal, wie viele Kinder bei uns täglich gesund zur Welt kom- Geschützt, aber

nicht abgescho- ben: Hier können Eltern ungestört mit ihrem verstorbenen Kind sein.

Foto: Julia von Randow

T H E M E N D E R Z E I T

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28. Mai 2010 men.“ Siedentopf findet, dass der Ab-

schiedsraum allen die Möglichkeit gibt, die bedrückende Situation bes- ser zu verarbeiten. Er nutzt den Ab- schiedsraum auch für Nachbespre- chungen.

In der Ungestörtheit des kleinen Zimmers kann er besser auf die in- dividuellen Probleme seiner Patien- tinnen eingehen. „Die weitere Be- treuung einer Patientin, die ausrei- chend Zeit zur Verabschiedung und damit zur Verarbeitung hatte, gege- benenfalls Schuldgefühle anspre- chen konnte und den medizinischen Hintergrund verstanden hat, ist ein- facher. Auch der Schmerzmittel - bedarf scheint geringer zu sein“, meint der Arzt.

Der Abschiedsraum befindet sich im Bereich der Aufnahme, zwar in

angemessener Distanz, aber dennoch in der Nähe vom Kreißsaal. Eine be- wusste Entscheidung oder ein Verse- hen? „Uns es war wichtig, dass dieser Raum geschützt ist – nicht unmittel- bar dort, wo geboren wird, aber eben doch mitten im Leben“, erklärt Klapp. Die Oberärztin betont, dass die verwaisten Eltern dazugehören:

Sie werden nicht ins stille Kämmer- lein abgeschoben und ausgegrenzt.

Hebammen und auch Klapp als psy- chosomatisch geschulte und unter- stützende Ärztin sind bei Bedarf so- fort erreichbar, müssen jedoch nicht die ganze Zeit im Abschiedsraum da- bei sein. Das wollten und brauchten die Eltern gar nicht, sagt Klapp.

Die Verabschiedung kann an diesem Ort zudem ohne Zeitbe - grenzung organisiert werden. Das kommt den Eltern zugute. Denn oft entscheiden sich betroffene Frauen spontan, ihr totes Kind sehen zu wollen. Manchmal hat eine Mutter schon Abschied genommen, möch- te das Kind dann aber noch einmal in den Arm nehmen. Das ist nun einfacher als zuvor möglich.

Siedentopf sieht im Abschieds- raum ein Signal an die Familien mit unglücklichem Schwangerschafts- ausgang, ein Signal dafür, dass ihre Trauer ernst genommen wird. Sie

bekommen die gleiche Aufmerk- samkeit wie Familien nach der Ge- burt eines lebenden Kindes. „Natür- lich“, betont Siedentopf, „sehen verwaiste Eltern im Krankenhaus unweigerlich glückliche Eltern und hören Kindergeschrei.“ Das müsse aber nicht unbedingt von Nachteil sein, „denn spätestens mit Verlas- sen des Krankenhauses holt das Le- ben die verwaisten Eltern ein“.

Die Gestaltung des Raums hat eine ungewöhnliche Vorgeschichte. Dafür besuchten Klapp und Brust Schüle- rinnen und Schüler der Berufsfach- schule für Design vom Lette-Verein Berlin. Die stellvertretende Schul - leiterin, Julia von Randow, hatte das Thema „Sterben und Tod im Kreiß- saal“ als Schwerpunkt im Unterrichts- fach „Form und Farbe“ angesetzt.

Von Randow war es auch, die ei- nen Wettbewerb zur Gestaltung des Klinikraums anregte. Also schilder- ten die beiden Expertinnen den An- fang 20-Jährigen ihre Arbeit in der Klinik, sprachen über verwaiste El- tern und zeigten Fotos verstorbener Kinder. Was sie benötigten, war klar: Ideen, um eine Abstellkammer für medizinische Geräte, klein und fensterlos, umzugestalten in einen würdevollen Ort der Trauer.

Gewonnen hat der Entwurf der Arbeitsgruppe „Papaya“, zu der Flora Karger gehörte. Ohne diesen

Wettbewerb, versichert Karger, hät- ten sie sich nie mit Früh- oder Tot- geburt und Abschiedsritualen be- schäftigt. Doch so begannen ihre Mitschülerinnen und sie, Müttern und Verwandten Fragen zu stellen:

Wie es ist, wenn man erfährt, dass das Kind nicht leben wird? Oder schon im Mutterleib verstorben ist?

Ein Zwischenraum, der Eltern Halt geben kann

Die Schülerinnen richteten den Ab- schiedsraum im Sommer 2009 her.

Seitdem haben mehr als 35 Frauen, Paare oder Familien dort von ihrem Kind Abschied genommen. Oberärz- tin Klapp erzählt: „Fast alle Eltern haben den Wunsch, würdig von ih- rem toten Kind Abschied zu neh- men. Paare, die im Abschiedsraum ihr Kind gesehen, gekleidet und ver- abschiedet haben, sagen, dass sie diesen Ort als eine Art Zwischen- raum empfanden.“ Ein Raum, der ihnen einen angenehmen, nicht be- drückenden Rahmen gegeben habe.

Und das Wissen, dass hier schon an- dere Eltern mit ähnlichem Schmerz waren und sein würden.

Im Aufnahmebereich der Ge- burtsklinik wird es unruhig. Ver- mutlich kommt gerade eine Gebä- rende in die Klinik. Sacht schließt die Hebamme Cornelia Brust die Tür mit dem roten Schild und sagt:

„Dieser winzige Raum ist ein Ort der Wertschätzung und der Berüh- rung geworden, für den wir alle sehr dankbar sind.“ ■

Ulrike Hempel

Heute werde verwaisten Eltern mehr Raum für Schmerz und Trauer gelas- sen, sagt Ellen Grünberg.

Sie arbeitet unter anderem als Beratende Hebamme für den Deutschen Hebammen- verband.

Etwa seit den 80er Jahren entwickel- te sich nach ihrer Beobachtung eine Trauerkultur, auch für die früh verstorbe- nen Kinder. Grünberg meint, auch bei Spätabbrüchen und Totgeburten finde ein Umdenken statt. Die Hebamme, spe-

zialisiert auf die Begleitung von Eltern nach Pränatal - diagnostik und Spätabbrü- chen, sagt: „Vor 20 Jahren wurde noch gelehrt, dass es besser ist, wenn das tote Kind der Frau sofort wegge- nommen wird. Heute gibt es fast überall die Möglichkeit, Abschied zu nehmen.“

Woran es noch mangelt bei der Begleitung von Fehl- und Totgeburten und was für alle in der Geburtshilfe wünschenswert wäre, im Interview:

www.aerzteblatt.de/101065

RAUM FÜR DEN SCHMERZ

Die Betreuung einer Patientin, die ausreichend Zeit zur Verabschiedung hatte, ist einfacher.

T H E M E N D E R Z E I T

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