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rattus norvegicus: Thomas Rieck

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1 Dr. Gerd Mörsch

rattus norvegicus: Thomas Rieck

Der geschundene Körper, ein mit wenigen, schnell ausgeführten Pinselstrichen auf durchtränktem Stoff von Thomas Rieck gemaltes Wesen (ohne Titel, 1999) hat keinen Namen und erinnert durch seine Haltung an die groteske Graphik Paul Klees ‚Zwei Männer einander in höherer Stellung vermutend‘ (1903). Die

scheinbar im Übergang befindliche Kreatur, deren Füße und Hände zum Boden streben, gewinnt durch die rohe Ausführung und den dreckigen Träger einen bestialischen Charakter.

Doch im Gegensatz zu der im selben Ausstellungsraum in Düren gezeigten Plastik (‚Hool‘, 2005) von Beer, die von ihrem Sockel aus aggressiv den Betrachter und die gegenüber positionierte Arbeit von Oehlen angreift, scheint das Wesen von Rieck Opfer zu sein. Es wendet dem Betrachter das verzerrte Gesicht zu.

Haut, Körpersprache und unnatürliche Glieder negieren die menschlichen Züge der Figur.

Auch die zweite im Saal zwischen Beer und Zipp präsentierte Arbeit Riecks (ohne Titel, 2002) aus der Sammlung Dahlmann fügt sich in diese Stimmung. Es zeugt zugleich – wie der als Träger für das zuvor genannte Werk verwendete, profane Stoff – von der Vielseitigkeit des Künstlers. Seine Bilder sind in der Regel das Ergebnis eines langwierigen, vielfachen Überarbeitungsprozesses, motivisch und technisch.

Das Abfotografieren von Vorlagen führt zu Spiegelungen und Verzerrungen. Lack, Kaffee und Fett stehen wie Tipp-Ex und Filzstift gleichberechtigt neben klassischen Mitteln wie Kreide und Öl auf Leinwand. Der Blick auf Riecks Werk offenbart eine virtuose Technik, aufwendige Marmoriertechnik findet sich ebenso wie das Durchtränken des Bildträgers. Das Beschmutzen, Durchstechen und Zerkratzen des Malgrundes deutet auf eine unterschwellige Aggressivität, die sich auch in den skurrilen Wesen als ein zentrales Thema zeigt. In diesem Sinne sind sie der expressiven Zerrissenheit und Deformation der Figuren Francis Bacons sehr nahe.

Der Technik- und Stilmix von Rieck harmoniert auf subtile Weise mit der Infragestellung der Realität und den Konditionen der Wahrnehmung; die des Künstlers selbst und jene der Betrachter seiner Bilder. Traum, Wahn und Wirklichkeit sind nicht zu unterscheiden und verdeutlichen auf diese Weise die grundlegende Fragilität vermeintlich objektiver Realitätskonzepte.

Als Symbol für diesen stetigen Wandel und die aus ihm resultierende Ungewissheit können auch die mit Öl oder Lack auf Fotografien ausgeführten und in diesem Sinne alchemistisch anmutenden Arbeiten Riecks gelesen werden. Denn der fixierte fotochemische Prozess wird durch die Übermalungen wieder gestartet und die den Künstler ursprünglich inspirierende Vorlage mutiert. Im Laufe der Zeit verschwindet sie

gänzlich. In diesen technischen wie inhaltlichen Kontext des immerwährenden Wandels fügt sich auch das Interesse Riecks für den indischen Kulturraum, das sich in zahlreichen Motiven und Titeln (‚Ich bin Du, Alles ist Alles‘, 1998 oder ‚Hinduhundi‘, 2006) zeigt.

Trotz solcher Titel, die eine ironische Distanz - wie etwa am Ausstellungstitel ‚Goyayoga‘ deutlich wird – zu den tendenziell düsteren Szenen schaffen, lässt die Werkschau eine klassisch anmutende Konzentration auf den menschlichen Kopf als Motiv sichtbar werden. Er ist die Quelle aller Konzeptionen von Realität, ob Wahn, Wunsch oder vermeintlich objektive Wirklichkeit.

In diesem Sinne charakterisierte Arthur Schopenhauer in seinem 1818 veröffentlichten, gleichnamigen Hauptwerk – ‚Die Welt als Wille und Vorstellung‘ - den Kern seiner Philosophie. Die Negation des Willens galt Schopenhauer als Schlüssel für die Befreiung des Subjekts. Dieser Gedanke findet sich in einem frühen Werk Riecks aus dem Jahre 1983: Eine Figur, deren scheinbar entflammter Kopf sich aufzulösen droht, fragt den Betrachter und sich selbst: ‚Why can‘t I stop thinking?‘

Originalveröffentlichung in: Rattus norvegicus : Sammlung Dahlmann [Katalog zur Ausstellung 18.6. - 13.8.2006 Leopold-Hoesch-Museum Düren], herausgegeben vom Leopold-Hoesch-Museum, Düren 2009, S. 46-47 (hier Text des Katalogbeitrags ohne Abbildungen)

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2 THOMAS RIECK

*1951 in Hamburg

1973-80 Studium Hochschule für Bildende Künste, Hamburg 1980 Stipendium Studienstiftung des Deutschen Volkes 1983 Hamburger Arbeitsstipendium

1985-86 Rom-Preis, Villa Massimo

1987 Arbeitsstipendium Kunstfonds e.V, Bonn 1992-93 Barkenhoff-Stipendium, Worpswede

1997-99 Vertretungsprofessur, Hochschule für Bildende Künste, Hamburg 1999 Gastprofessur Pentiment, Akademie für Kunst & Gestaltung, Hamburg 2001-02 Cité Internationale des Arts-Stipendium, Paris

AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL)

2009 Goyayoga, Galerie Renate Kammer, Hamburg

2008 Coincidentia Oppositorum, SchauRaum Produzentengalerie, Hamburg Ach so!, Makii Masaru Fine Arts, Tokio

2006 rattus norvegicus, Leopold-Hoesch-Museum, Düren

Ausschnitte deutscher zeitgenössischer Kunst, Jeonbuk Province Art Museum, Korea 2005 Wunsch Indianer zu werden - Zeichnungen und Bilder, Galerie Claudia Delank, Köln

Thomas Rieck, Kunsthalle Hamburg

Der weitere Blick - Photographie von Malern, Galerie Claudia Delank, Köln Meilenstein, Kunstverein Harburger Bahnhof, Hamburg

2004 Suche durch Summen, Kunstverein Harburg, Hamburg 2003 Harakiri Bonbon, 25 Jahre Künstlerhaus Hamburg, Hamburg

Thomas Rieck/Rolf Schanko - Bilder und Zeichnungen, Galerie Claudia Delank, Köln 2001 Alone Ahead, Kunstverein Harburger Bahnhof, Hamburg

Body as Metaphor, Detroit Artist Market, Detroit 2000 Zeichnungen, Künstlerhaus, Hamburg

Thomas Rieck - Bilder und Zeichnungen, Galerie Claudia Delank, Köln 1999 Thomas Rieck, Clifford-Smith Gallery, Boston

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3 Thomas Rieck, Agentur für zeitgenössische Kunst, Hamburg

1998 Thomas Rieck, Klostergalerie, Zehdenick Thomas Rieck, Galerie du Tableau, Marseille Thomas Rieck, Galerie Hauptmann, Hamburg 1996 Thomas Rieck - Zeichnungen, Kunsthalle, Hamburg

Thomas Rieck, Galerie Claudia Delank, Bremen 1995 Erste Wahl, Kunstverein, Hamburg

10. Nationale der Zeichnung, Augsburg

1994 Nietzsche in der Bildenden Kunst, Stiftung Weimarer Klassik, Weimar 1993 Thomas Rieck, Künstlerhaus Hamburg e.V, Hamburg

1991 Linie und Farbe, Galerie Pels-Leusden, Berlin 1990 Thomas Rieck, Micalady Gallery, Tokio

Hamburg - Leipzig, Emschertalmuseum, Herne Thomas Rieck, Kunstzentrum, Hengelo

LITERATUR (AUSWAHL)

2005 Willkommen alter Mann, mit F. Fux und G. F. Gerlach, Eigenverlag, Hamburg 2003 Renaissance, mit F. Fux und G. F. Gerlach, Eigenverlag, Hamburg

1996 Zeichnungen, Kunsthalle, Hamburg

1993 Barkenhoff-Stipendiaten 1992/93, Schäfer Verlag, Hannover

1990 Menschenbilder, Städtische Galerie im Schlosspark Strünkede, Herne

Der Text ist Teil des rattus norvergicus genannten Ausstellungskataloges (S. 46 - 47), herausgegeben vom Leopold-Hoesch-Museum, Düren 2009, ISBN 978-3-925955-01-3.

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