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rattus norvegicus: Paul McCarthy

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Academic year: 2022

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1 Dr. Gerd Mörsch

rattus norvegicus: Paul McCarthy

‚Body fluids are base material. Disneyland is so clean; hygiene is the religion of fascism. The body sack, the sack you don’t enter, it’s taboo to enter the sack. Fear of sex and the loss of control; visceral goo, waddle, waddle.‘1 (P. McCarthy 2003)

Die im ‚Evening Sale‘ bei Christies am 12. November 2008 für über 2 Millionen versteigerte Bronzeplastik

‚Michael Jackson Fucked Up‘ (2002) von Paul McCarthy dürfte ihrem neuen Besitzer trotz der vielbeschworenen Kunstmarktkrise eine inzwischen ansehnliche Rendite beschert haben. Es ist ein düsteres, nicht nur aufgrund der monumentalen Maße, klassisch anmutendes Werk und zeigt den tragischen Popheroen mit zwei Köpfen in traditioneller Pose auf einem tumbenähnlichen Sockel sitzend.

Das riesige, wie das zweite komplett in Mullbinden gehüllte Haupt der Figur versinnbildlicht die melancholische Konnotation des Titels und die empathische Dimension der Arbeit.

Es handelt sich nicht um eine vermeintlich witzige Provokation des als Enfant terrible der US-

amerikanischen Kunst gefürchteten McCarthy, wie man aufgrund des Titels mit dem tabuisierten F-Wort auf den ersten Eindruck vermuten könnte. Die Plastik zeigt den von Massenmedien verspotteten

Pophelden, der seit Mitte der 1990er Jahre zunehmend als monströser Freak dargestellt wurde. Subtil verweist McCarthy mit einer schlichten Geste – ein Keil, der den riesigen Kopf mit der geometrischen, antik anmutenden Nase vom Körper trennt – auf den brutalen wie tiefen Sturz. Jackson ließ für seine ‚HIStory World Tour‘ (1996/97) werbewirksam blasphemisch hohe Statuen in europäischen Großstädten aufstellen.

McCarthy thematisiert den einleitend erwähnten Disneyland-Faschismus, die Schattenseiten des ‚American Way of Life‘, wie sie auch am Schicksal des verstorbenen ‚King of Pop‘ deutlich werden, bereits seit den 1960er Jahren. Doch entgegen dem Punk-Klischee ist er nicht in erster Linie daran interessiert, Tabus zu brechen. Seine oft zynische wie absurde, stetig wiederkehrende Betonung von Sex und Gewalt richtet sich gegen die symbolische, sublimierte Gewalt, die von Massenmedien und den in ihnen reproduzierten, konservativen Familienwerten ausgeht.

McCarthys künstlerische Untersuchungen der Mechanismen dieser sozialen Strukturen sind vielschichtig und bringen monströse, kopulierende Tierfiguren hervor, wie ‚Bear and Rabbit on a Rock‘ (1992) oder den unheimlichen ‚Spaghetti Man‘ (1993), dessen Penis sich spaghettiartig auf dem Boden ausbreitet. Die in Düren passend in einem Raum mit Büttner, Meese und Melgaard gezeigte Lithografie (Ohne Titel, 2005) McCarthys zeigt seine oft beschriebene Nähe zum abstrakten Expressionismus, Wiener Aktionismus und Action Painting, die in frühen Performances und Videos besonders deutlich wird.

Statt Blut verwendet er Ketchup, Mayonnaise und andere Markenprodukte, die zu Ikonen US-

amerikanischer Konsumkultur geworden sind. Diese sind wie Sex und Gewalt und die zu Freaks mutierten Comichelden und Märchenfiguren markante Kennzeichen seines Oeuvres. Es steckt voller

kunsthistorischer (Minimal und Pop Art) wie gesellschaftskritischer (Freud und Marcuse) Referenzen und Anleihen, die sich dem – in der Regel zunächst irritierten – Betrachter erst auf dem zweiten Blick

offenbaren.

McCarthy gelingt es auf diese Weise, eine wirkungsmächtige, weil einprägsame Bildsprache zu kreieren, was sein bis heute andauernder Einfluss auf zeitgenössische Künstler zeigt. Wie Bruce Naumans frühe Werke kreisen seine aggressiven, sexuell provokativen und teils brutal selbstzerstörerischen Werke um das Thema des menschlichen Körpers. Sie treffen den voreilig urteilenden Betrachter wie ein Schlag ins Genick – say goodbye to neverland.

1McCarthy in: BOMB-Magazin 84/2003

Originalveröffentlichung in: Rattus norvegicus : Sammlung Dahlmann [Katalog zur Ausstellung 18.6. - 13.8.2006 Leopold-Hoesch-Museum Düren], herausgegeben vom Leopold-Hoesch-Museum, Düren 2009, S. 36-37 (hier Text des Katalogbeitrags ohne Abbildungen)

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2 PAUL MCCARTHY

*1945 Salt Lake City

1969 Kunststudium Universität Utah und San Francisco Art Institute (SFAI) 1972 Bachelor of Fine Arts Malerei am SFAI, University of Southern California 1973 M.F.A. Film/Video/Intermedia, University of Southern California

Seit 1982 Professur an der UCLA, Los Angeles

AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL)

2009 Sonic Youth etc.: Sensational Fix, Kunsthalle, Düsseldorf 2008 Here Is Every, MoMA, New York

Paul McCarthy, Middelheimmuseum, Antwerpen

Central Symmetrical Rotation Movement, Whitney Museum, New York Head Shop/Shop Head, Stedelijk Museum, Gent

2007 Live/Work: Performance into drawing, MoMA, New York Nothing Else Matters, De Hallen Haarlem, Haarlem

Kunst aus Los Angeles der 60er bis 90er Jahre, Kunstverein, Braunschweig There is never a stop and never a finish, Hamburger Bahnhof, Berlin

2006 Full House, Kunsthalle, Mannheim

Los Angeles 1955-85, Centre Pompidou, Paris rattus norvegicus, Leopold-Hoesch-Museum, Düren Paul McCarthy, Moderna Museet, Stockholm

Faites vos jeux! Kunst und Spiel seit Dada, Museum für Gegenwartskunst, Siegen 2005 Superstars, Kunsthalle, Wien

Wild Gone Girls, Frac, Ile-de-France, Paris Multiple Räume - Film, Kunsthalle, Baden-Baden LaLa Land Parody Paradise, Haus der Kunst, München 2004 Das große Fressen, Kunsthalle, Bielefeld

Paul McCarthy, CAC, Malaga

Brain Box - Dream Box, Van Abbemuseum, Eindhoven Playlist, Palais de Tokyo, Paris

2003 Spiritus, Magasin 3, Kunsthalle, Stockholm

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3 Paul McCarthy, Tate Modern, London

Bankett/banquete, Palau de la Virreina, Barcelona M_ARS - Kunst & Krieg, Neue Galerie, Graz

2002 Clear Thoughts, Luhring Augustine Gallery, New York

Paul McCarthy - Video & Fotografie, Frans Hals Museum, Haarlem

Passenger - The Viewer as Participant, Fearnly Museum of Modern Art, Oslo Plus Ultra, Kunstraum, Innsbruck

2001 Let‘s Entertain - Life‘s Guilty Pleasures, Museo Rufino Tamayo, Mexico City Paul McCarthy, Villa Arson, Nizza

Extreme Connoisseurship, Harvard University Art Museum, Cambridge Paul McCarthy - Video & Fotografie, Kunstverein, Hamburg

2000 The Fashion Show, Los Angeles

Pinturas Amuebladas, Galeria OMR, Mexico City Lost, Ikon Gallery, Birmingham

Around 1984, PS1, New York

LITERATUR (AUSWAHL)

2007 Franke/Knapstein: There is never a stop and never a finish, Köln 2003 Paul McCarthy at Tate Modern, London

2003 Engelbach: McCarthy, Paul, Hammer, Oranges, Apple, Frankfurt a.M., Revolver Verlag 2000 Meyer-Hermann: Paul McCarthy - Dimensions of the Mind: The Denial and the Desire in the Spectacle, Köln

Der Text ist Teil des rattus norvergicus genannten Ausstellungskataloges (S. 36 - 37), herausgegeben vom Leopold-Hoesch-Museum, Düren 2009, ISBN 978-3-925955-01-3.

Referenzen

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