erbände, Politiker und Vertre- ter der Kirchen nahmen – teil- weise schon wenige Tage vor der Verabschiedung – Stellung zu den
„Grundsätzen der Bundesärztekam- mer zur ärztlichen Sterbebegleitung“.
Dabei war das Echo durchaus unter- schiedlich: Es reichte von über- schwenglichem Lob bis zu heftiger Kritik.
Auf Widerstand stoßen vor allem diejenigen Passagen, die sich mit nicht- einwilligungsfähigen Patienten be- schäftigen. Der SPD-Bundestagsab- geordnete Dr. med. Wolfgang Wodarg befürchtet sogar eine „neue deutsche Euthanasie“. Die Beendigung lebens- erhaltender Maßnahmen im Vorfeld der Sterbephase bezeichnete er in ei- nem offenen Brief an den Präsidenten der Bundesärztekammer, Prof. Dr.
med. Karsten Vilmar, als „aktive Ster- behilfe“. Hinzu komme, daß die Richtlinie zum Umgang mit kranken, unreifen oder geschädigten Neugebo- renen einen „Joker in einem Spiel oh- ne ausreichend definierte Regeln“
darstelle, meinte Wodarg. Auch die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen weist in einer kleinen Anfrage auf die Gefahr hin, daß eine mögliche Sterbehilfe auf Nicht-Ster- bende ausgedehnt werde.
Der CDU-Bundestagsabgeordne- te Hubert Hüppe beanstandet außer- dem, daß Wachkomapatienten eigens erwähnt sind. Zwar werde ihnen zunächst das Recht auf lebenserhalten- de Therapie zugesprochen, doch bei fortgeschrittener Krankheit könnte die Unterlassung lebenserhaltender Maß- nahmen in Betracht kommen, heiße es in den Grundsätzen. „Was ist in bezug auf Wachkomapatienten fortgeschrit-
tene Krankheit? Handelt es sich um ei- ne Abgrenzung hinsichtlich Ursache und Dauer des Komas, sind das Alter des Patienten, seine Prognose oder das Auftreten zusätzlicher, aber behandel- barer Störungen dafür maßgeblich?“
fragt Hüppe.
Nach Auffassung der Deutschen Hospiz Stiftung hätten die Grundsät- ze hilflose Neugeborene und Wachko- mapatienten „unter besonderen Le- bensschutz“ stellen sollen. Die Orga- nisation wirft der Bundesärztekam- mer vor, in das Grundgesetz und die Zuständigkeit des Parlamentes einzu- greifen. Es handele sich um Fragen, die direkt das Grundgesetz und damit die Zuständigkeit des Bundestages berühren, kritisierte auch Wodarg.
„Begrüßenswerte Klärung“
Ganz anderer Ansicht ist der noch amtierende Bundesgesundheits- minister Horst Seehofer (CSU). Er betont, daß sich die Grundsätze im Rahmen des geltenden Rechts und der Rechtsprechung des Bundesge- richtshofs zur zulässigen Sterbebe- gleitung hielten. Der Gesetzgeber sei gut beraten, in diesem Bereich der Gesundheitspolitik die Grundsätze der Subsidiarität staatlichen Han- delns und der primären Verantwor- tung der ärztlichen Selbstverwaltung zu beachten. Seehofer begrüßt die
„klare Absage an jede Form der akti- ven Sterbehilfe“. Gerade deshalb hält auch der Vizepräsident des Kirchen- amtes der Evangelischen Kirche in Deutschland, Dr. Hermann Barth, die Grundsätze für sehr hilfreich. „Die Bundesärztekammer unterstützt da-
mit alle, die sich im Sinne einer Ethik der Würde dafür einsetzen, der akti- ven Sterbehilfe eine kategorische Ab- sage zu geben, und die in dem Zwie- spalt zwischen Lebenserhaltung und Sterben-lassen-Können einen verant- wortungsvollen Weg suchen“, erklär- te Barth.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Prof. Dr.
Dr. Karl Lehmann, hat die Grundsät- ze ebenfalls in diesem Sinne interpre- tiert. Auch wenn er einige Präzisie- rungen für notwendig erachtet, so zie- hen seiner Meinung nach die Grundsätze eine klare Grenzlinie ge- gen aktive Euthanasie. Der Arzt wer- de eindeutig zur Basisbetreuung ver- pflichtet; Wachkoma-Patienten wür- den als Lebende betrachtet. Nach sei- ner Auffassung bedeutet es eine „be- grüßenswerte Klärung, daß Neugebo- rene mit schwersten angeborenen Fehlbildungen und extrem unreife Kinder praktisch wie Erwachsene be- handelt werden, was ihren Schutz ver- bessern dürfte“. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz wendet sich gegen
„gesetzgeberische Festlegungen, die in der gegenwärtigen Situation nur allzu leicht grundsätzlich zweideutige Formulierungen schaffen“ würden.
Vilmar hält den erneuten Ruf nach einem rechtlichen Klärungspro- zeß durch Regierung und Parlament für unberechtigt; dies sei von seiten der Politik bereits seit 1979 als nicht sachgerecht abgelehnt worden. Der Präsident der Bundesärztekammer bezeichnete die Äußerungen Wo- dargs von einer neuen Euthanasie als
„infame Unterstellung“. Aus den Grundsätzen ginge vielmehr eindeu- tig hervor, daß die aktive Beendigung menschlichen Lebens nicht Aufgabe des Arztes sei.
Entscheidend sei vielmehr, ob bei einem aller Erfahrung nach tödlich verlaufenden Krankheitsverlauf eine technisch mögliche Intervention unter- bleibe. In entsprechenden Situationen könne sich der Arzt am besten auf eine Patientenverfügung verlassen. Anson- sten müsse der mutmaßliche Wille des Patienten mit Hilfe der Angehörigen erforscht werden. „Und wenn niemand da ist, muß der Arzt gegebenenfalls die Hilfe eines Richters annehmen“, sagte Vilmar. Gisela Klinkhammer
A-2520 (28) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 41, 9. Oktober 1998
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