A-3206 (74) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 47, 21. November 1997
V A R I A WIRTSCHAFT
A
m 2. Juli mußte Thai- land seine Landeswäh- rung freigeben und eine Abwertung des Baht um mehr als ein Fünftel hinneh- men. Bereits zuvor waren die Aktienkurse eingebrochen;sie konnten sich trotz der Abwertung, die die Wett- bewerbsfähigkeit eigentlich stärken sollte, nicht erholen.
Bangkok verlor im bisherigen Jahresverlauf über 47 Pro- zent, Manila über 40 Prozent, Kuala Lumpur und Jakarta über 35 beziehungsweise über 30 Prozent.
Das hat sich verständli- cherweise auch auf die Wert- entwicklung vieler in Asien anlegender Emerging-Mar- kets-Fonds ausgewirkt. „Asi- en war im dritten Quartal kein Platz für Fondssparer“, stellte das amerikanische Fondsanalyse-Unternehmen Lipper Services fest. Die in Asien anlegenden US-Fonds verloren nach Berechnungen der Analysefirma im dritten Quartal durchschnittlich 16 Prozent. Der höchste Verlust betrug fast 44 Prozent.
In mehrfacher Hinsicht erinnert das Debakel in Thai- land und den anderen kleinen Tiger-Staaten an die Krise in Mexiko zur Jahreswende 1994. Auch in Mexiko begann alles mit einer Währungskri- se. Das mittelamerikanische Land hatte denselben Fehler begangen wie in diesem Jahr Thailand: zu lange hatte man an einem überhöhten Wech- selkurs gegenüber dem US- Dollar festgehalten. Beide Länder hatten ein hohes Lei- stungsbilanzdefizit, das mit kurzfristigen Krediten finan- ziert worden war. Diese wer- den aber sofort abgezogen, wenn Gefahr im Verzug ist –
und so nahm die Währungs- krise ihren Lauf.
Als diesmal Thailand – viel zu spät – die Bindung an den Dollar aufgab, wurden Parallelen mit Mexiko strikt geleugnet. „Thailand ist nicht Mexiko“, versuchten thailän- dische Regierungsbeamte zu beschwichtigen. Jetzt, vier Monate nach Ausbruch der Krise, zeigt sich, daß die Thailand-Krise viel tiefere Wunden geschlagen hat als seinerzeit jene in Mexiko.
Der Tequila-Effekt der Mexiko-Krise, nämlich die
„Ansteckung“ der benachbar- ten Länder, war auch in Ost- asien festzustellen. Aber in Lateinamerika dauerte die Talfahrt der Aktienkurse nur zweieinhalb Monate, dann war das Schlimmste überstanden.
In Ostasien sind nach vier Mona- ten noch kei- ne Ansätze der Erholung der Börsen- kurse zu er- blicken, im Gegenteil.
Kaufen, wenn die Ka- nonen don- nern, ist ein alter Anle- ger-Grund- satz – er hat sich in Mexiko aus- gezahlt. Gilt er aber für
Thailand? Anleger, die nach den ersten schlimmen Kurs- stürzen in Mexiko und in den Nachbarländern eingestiegen waren, befinden sich heute wieder deutlich im Plus. Die mexikanische Wirtschaft hat sich so gut erholt, daß die
Kredite, die zur Überwindung der Zahlungsbilanzkrise auf- genommen wurden, inzwi- schen zurückgezahlt werden konnten. An den Anlei- hemärkten ist Mexiko heute ein gern gesehener Schuldner.
Märkte sind aufgebläht
Thailand ist nicht Mexiko – dies meinte unlängst auch der ehemalige stellvertreten- de thailändische Premier Suopachai Panitchpakdi, heute Parlamentsmitglied, auf einer Vortragsveranstal- tung der Asian Development Bank in Frankfurt. Die Be- gründung: Während Mexiko das hereinströmende Aus-
landskapital für den Konsum verwandte, sei es in Thailand in die Aktien- und Grund- stücksmärkte und in Prestige- Investitionsobjekte geflos- sen. Beides ist volkswirt- schaftlich betrachtet von Nachteil, aber die Folgen
scheinen im Fall von Thai- land schwerer zu bewältigen.
Die Aktien- und Grund- stücksmärkte sind aufgebläht, Kurse und Preise überhöht.
Die Immobilienpreise zum Beispiel müßten deutlich sin- ken, doch brächte dies die Kreditinstitute in Gefahr. Der notwendige Preisrückgang würde nämlich die Kreditba- sis gefährden. Ein Darlehen, das zuvor voll durch den Wert der beliehenen Immobilie ge- deckt wurde, wäre nach ei- nem Preisrückgang mögli- cherweise nur noch zu 60 Pro- zent gesichert.
Institute, die zu stark am Immobilienmarkt engagiert sind, müssen unter Umstän- den geschlossen werden. Ei- ne Dachgesellschaft würde die in Schwierigkeiten be- findlichen Banken „abwik- keln“ und die „notleidenden“
Immobilien sukzessive am Markt verwerten. Das alles erfordert aber offenbar mehr Zeit, als es dauerte, den Gür- tel der Konsumenten enger zu schnallen, wie dies damals in Mexiko geschah.
Fondsmanager sehen je- denfalls noch für weitere sechs bis zwölf Monate eine wirtschaftliche Talfahrt und damit unruhige Börsen- und Devisenmärkte voraus. Die prognostizierten Wachstums- raten wurden bereits von früher sieben bis acht Prozent jährlich auf drei bis fünf Pro- zent reduziert – immer noch viel im Vergleich zu den west- lichen Industrieländern, aber deutlich weniger als in den letzten Jahren.
Die global anlegenden Emerging-Markets-Fonds je- denfalls, die praktisch zwi- schen den Schwellenländer- RegionenLateinamerika,Ost- europa und Asien wählen können, mieden und meiden inzwischen Asien. Regionen- Fonds, die den Anlagegrund- sätzen zufolge nur in Asien in- vestieren dürfen, umgehen die Krisenländer ebenfalls. Sie fa- vorisieren die sicheren Häfen:
Indien, Singapur und China.
Aber niemand vermag zu sagen, ob diese auf Dauer ei- ne „Ansteckung“ vermeiden können. Armin Löwe
Emerging-Markets-Fonds
Geplatzte Träume in Thailand
Der kräftigste Magnet für ausländisches Kapital sind immer noch die USA. Viele Anleger sehen jedoch in China den loh- nendsten Markt des nächsten Jahrhunderts.