Sozialpartnerschaft in und nach der Krise
Thomas Haipeter
Sozialpartnerschaft in der Sozialen Selbstverwaltung Berlin
Sozialpartnerschaft
Fünf Deutungen der Sozialpartnerschaft:
1. Kooperative Arbeitsbeziehungen und Abwesenheit von Arbeitskonflikten
2. Kooperation dominante Handlungsorientierung in Einzelbranchen (z.B. Chemische Industrie)
3. Neokorporatistische Konzertierung und Sozialpakte (Elitenkonsens, Zentralisierung Verbände und
Verfahren)
4. Korporatismus/koordinierte Marktökonomie
(kontinentaler Typ: geringerer Organisationsgrad und schwächere Bindung zur Sozialdemokratie) 5. Politische/gesellschaftliche Ziele, Anerkennung
Tarifautonomie und wechselseitige Abhängigkeit (Konfliktpartnerschaft)
Sozialpartnerschaft
Basiskonsens Bedeutung und Anerkennung Kollektivverträge (Deutungsmuster)
Relativ ausgeglichene Machtverteilungen (Ressourcen)
Prägende Kraft Kollektivverträge (Normen)
… in drei Arenen:
1. Staat – Tripartismus 2. Tarifautonomie
3. Betrieb
Staat und Tripartismus
Krisenkorporatismus?
Konjunkturgipfel:
Konsultationen im Kanzleramt
Vorschläge der Tarifparteien aufgenommen (Ausweitung Kurzarbeit, Abwrackprämie)
Aber:
Punktuell – Legitimation
Keine bindenden Vereinbarungen - keine Prozesse
Weitergehende Forderungen (der Gewerkschaften) ungehört (Öffentliche Beteiligungsfonds, Ausweitung Mitbestimmung, Finanzmarktregulierung)
Kein Sozialpakt / Neuer Korporatismus
Krisenbedingte Öffnung staatlicher Arena für die SP
Tarifabschlüsse in der Krise: Schwerpunkt Beschäftigungssicherung
Chemische Industrie
Entgelttabelle für 11 Monate in Kraft;
Einmalzahlungen von 550 und 250 Euro;
Beschäftigungssicherung und regionale Netzwerke;
Ausbildungszusage und Übernahmefonds.
Metallindustrie
Entgelttabelle für 11 Monate in Kraft; verschiebbare Entgelterhöhung von 2,7% für die Monate 12-23;
Einmalzahlung 320 Euro;
Tarifliche Kurzarbeit;
Wochenarbeitszeitverkürzung mit Teilentgeltausgleich bis zu 26 Stunden;
Stärkere Verpflichtung Übernahme Auszubildende.
Betriebliche Flexibilität
Faktoren der Beschäftigungsentwicklung in der Krise (Herzog-Stein/Seifert 2010)
-5,6
-1,7
4,9
3
0,6
-8 -6 -4 -2 0 2 4 6
Beschäftigungseffekte in Prozent
Reales Bruttoinlandsprodukt
Trend der Arbeitsproduktivität/Stunde Zyklische Abweichung vom
Produktivitätstrend Arbeitszeit
Gesamt
Betriebliche Maßnahmen der externen Flexibilität
(WSI-Betriebsrätebefragung 2009)
24 28
42 31
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45
Abbau Leiharbeit Abbau Stammbelegschaft
Anteil an allen Betrieben in Prozent
Investitions- und Verbrauchsgüterindustrie Gesamtwirtschaft
Revival der Sozialpartnerschaft?
Ambivalenzen der Kriseninstrumente:
Concession Bargaining und Prägekraft
Arbeitszeitverlängerung vor der Krise
Aber: Deutsches „Beschäftigungswunder“ (Krugman) - Rückkehr zu alten Tugenden der Koordinierung
Temporäre Konsultationen
Branchenkoordinierung Verbände
Betriebliche Vereinbarungen
Branchentarifbindung (IAB)
39 37
34 32 32
30 29 29
59 58
56
53 53 52 51 50
0 10 20 30 40 50 60 70
2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Branchentarifbindung nach Betrieben und Beschäftigten Gesamtdeutschland
Betriebe Beschäftigte
Gewerkschaftliche Organisationsmacht
34,733,9 33,3 33,132,4 31,2
36 33,9
31,8
30,429,2
27,8 27
25,9 25,324,6
23,7 23,5 23
22,2 21,6
20,719,9
19,1 18,8 18,5
0 5 10 15 20 25 30 35 40
In %
Gewerkschaftlicher Organisationsgrad (OECD)
Entwicklung der Tariflöhne (WSI)
128,9 128,3
124,4 123,6
120,5
118,7
116,9
110 112 114 116 118 120 122 124 126 128 130
Chemie Metall Banken Gesamt Bau Einzelhandel Öffentlicher
Dienst Westdeutschland, 2000=100
Anteil der Niedriglohnbeschäftigten in Deutschland,
bundeseinheitliche Niedriglohnschwelle, in % der abhängig Beschäftigten, 1995-2012 (IAQ)
37,9
39,7 38,8
41,0 40,1 40,4 39,7 37,8
39,3 39,8 38,7
40,4 42,1
39,8 39,8 38,5
36,7 36,5
18,8 19,6 19,5 19,8 20,7 21,3 21,6 22,0 23,1 22,8 23,1 23,9 24,7
23,4 24,7 24,6
23,2 24,3
14,6 15,1 15,4 15,3 16,7 17,4 17,8 18,9 20,1 19,5 20,3 20,4 21,0 19,9
21,5 21,6 20,1
21,6
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
Ostdeutschland D-Gesamt
Westdeutschland
1. Krise der Sozialpartnerschaft
Lohnfragmentierung und Niedriglohnsektor (staatlich gefördert)
Abnehmender Geltungsbereich der Sozialpartnerschaft
Betriebe: Renditesteuerung, Outsourcing und
Verlagerungen – Machtvorteile Unternehmen und
Abkehr von Deutungsmustern der Sozialpartnerschaft im Concession Bargaining
Erosion der Organisationsmacht der Träger der Sozialpartnerschaft
2. Neue Entwicklungstendenzen Sozialpartnerschaft
Drei Veränderungen
Klimawandel durch die Krise: Ende der Fundamentalkritik an Tarifautonomie und Mitbestimmung
Gesetzliche Unterstützung des Tarifsystems
Gesetzlicher Mindestlohn
Stärkung der Allgemeinverbindlichkeit
Revitalisierungsbemühungen Verbände: Organizing und betriebsnahe Tarifpolitik, OT-Verbände
Zukunft der Sozialpartnerschaft:
Critical Junction
Dezentraler - Konfliktreicher – Beteiligungsorientierter
Nutzung der institutionellen Machtressourcen?