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Archiv "Das Wunder des gesunden und unverkümmerten Menschen" (08.01.1982)

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Der Besucherstrom zur Ausstellungshalle „Der Mensch" mit Blick auf Pavillons der

sogenannten „Straße der Nationen" Foto: privat

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen GESCHICHTE DER MEDIZIN

Im berühmten „Großen Garten" in der königlich-sächsischen Residenz- stadt Dresden wird nach zehn ar- beitsreichen Jahren der Vorberei- tung im Mai 1911 die erste interna- tionale Hygiene-Ausstellung eröff- net. Bedeutende Ärzte der verschie- densten Fachrichtungen, der Kin- derarzt Prof. Dr. Schloßmann, der Dermatologe Prof. Dr. Galewsky, Prof. Dr. Albert Neißer, Entdecker des Gonokokkus 1887, Prof. Dr. Carl Sudhoff, Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte der Medizin der Univer- sität Leipzig, Regierungsrat Dr. med.

Weber vom Kaiserlichen Gesund- heitsamt Berlin — um nur einige zu nennen — hatten sich mit beispiel- haftem Idealismus und oft unter Ein- satz auch ihrer ganzen physischen Kraft für dieses gewaltige Unterneh- men eingesetzt.

Mit insgesamt 40 Hallen oder Pavil- lons aus europäischen und außereu- ropäischen Staaten lockte diese

Ausstellung bereits in den ersten Ta- gen über eine Million Wissensdursti- ge an. Mit Hilfe von Absperrketten regelten Polizisten den Besucher- strom. Nie zuvor hatte eine Ausstel- lung ein solch breites Echo gefun- den. Was zog Tag für Tag neue Men- schenmassen aus dem In- und Aus- land an? Der Blick rückwärts in die Medizin längst vergangener Kultu- ren, die Heilkunde ferner Völker oder die für jeden Bürger so wichti- gen, damals neuen Forschungser- gebnisse zur Bekämpfung anstek- kender Krankheiten bei Mensch und Tier?

Initiator der Ausstellung

In Dresden wirkte damals Karl Au- gust Lingner. Er hatte nach schwer- ster Krankheit sein Musikstudium am staatlichen Konservatorium zu Paris — Klavier und Orgel — kurz ent- schlossen aufgegeben und sich der gesundheitlichen Aufklärung und

Erziehung der breiten Massen ver- schrieben. In manchem deutschen Lexikon wird man den Namen Karl August Lingner vergeblich suchen, dafür jedoch findet man ihn bis auf den heutigen Tag auf der blau-wei- ßen ODOL-Flasche.

Sowohl organisatorisch wie pädago- gisch außergewöhnlich begabt, kaufmännisch höchst erfolgreich, fand er hervorragende Ärzte und Na- turwissenschaftler, die er für seine

Idee zu begeistern verstand. Die Mit- tel zur Verwirklichung seiner Pläne flossen ihm seit 1888 durch sein mit ärztlicher und pharmazeutischer Hil- fe herausgebrachtes und bis heute bewährtes „Unschädliches antisep- tisches Mundwasser" Odol sowie durch weitere Kosmetika aus seinen Fabriken im In- und Ausland in rei- chem Maße zu.

Vergegenwärtigen wir uns die dama- lige Situation der Medizin. Bis um die Mitte des vorigen Jahrhunderts geisterte noch das „Miasma", bes- ser „die Miasmen" als Ursache von Seuchen in den Hirnen der Men- schen. Bald darauf stößt menschli- cher Forschergeist mit Hilfe des ständig verbesserten Mikroskops das Tor ins Dunkel des bis dahin dem menschlichen Auge verborgen gebliebenen Mikrokosmos weit auf.

War es 1876 Kreisphysikus Robert Koch in seinem primitiven Labor in Clausthal-Zellerfeld im Harz gelun- gen, den Milzbrandbazillus, 1882 die Tuberkel und 1883 den Erreger der Cholera nachzuweisen, so gelang Louis Pasteur in Paris 1892 die erste Schutzimpfung gegen die Tollwut.

Die Erreger des Typhus, des Wund- starrkrampfes, der Diphtherie und weiterer ansteckender Krankheiten, denen man fast machtlos gegen- übergestanden hatte, waren nun als bis dahin unbekannte gefährliche Feinde des Menschen erkannt und damit der großartige Siegeszug ge- gen die Seuchen ermöglicht wor- den. Den Erreger einer der bösartig- sten Infektionskrankheiten mit ihren furchtbaren Folgen für den Betroffe- nen wie für dessen Nachkommen, die Syphilis, dem Wissenschaftler al- ler Kulturvölker seit Jahren vergeb-

Das Wunder des gesunden

und unverkümmerten Menschen

Erste Internationale Hygiene-Ausstellung in Dresden 1911

Hildegard Höhnisch t

Ausgabe AlB DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 1 vom 8. Januar 1982

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1930 erhielt Otto Dix den Auftrag, für das fertiggestellte Deutsche Hygie- ne-Museum in Dresden ein Wand- bild zu schaffen. Dix wählte die Form des Triptychons. Die Wandma- lereien sind von den Nationalsoziali- sten zerstört worden; erhalten ist nur der Entwurfskarton (unsere Fo- tos), den die Hamburger Kunsthalle 1981 erwerben konnte. Dargestellt sind (oben links) stehend: Prof. Dr.- Ing. h.c. Wilhelm Kreis, Architekt des Hygiene-Museums, sitzend: Regie- rungsrat Dr. med. h. c. Georg Sei- ring, geschäftsführender Direktor des Museums. Oben rechts stehend:

Geheimer Medizinalrat Professor Carl Sudhoff, Medizinalhistoriker in Leipzig, sitzend: Dr. med. Martin Vo- gel, wissenschaftlicher Direktor des Hygiene-Museums. Der Bauarbeiter, der im mittleren Tafelbild (unten) ei- nen Balken trägt, ist ein Selbstpor- trät von Otto Dix, dessen 90. Ge- burtstages am 2. Dezember 1981 ge- dacht wurde Fotos (3): Kleinhempel Spektrum der Woche

Aufsätze • Notizen

70 Heft 1 vom 8. Januar 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

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lieh auf der Spur waren, entdeckten 1905 der Zoologe Prof. Fritz Schau- dinn mit dem Dermatologen Prof.

Erich Hoffmann an der Charite in Berlin. Wie ein Lauffeuer ging die Nachricht von diesem endlich er- reichten Erfolg durch die gesamte zivilisierte Weit. ln seinem Buch

"Lingner und sein Vermächtnis" von dessen engem Mitarbeiter Julius F.

Wolff berichtet dieser von "wahren Begeisterungsstürmen, in welche Lingner bei dieser Nachricht ausge- brochen sei.

Schutz-und

Vorbeugungsmaßnahmen

Diese Erfolge der Seuchen-Ursa- chenforschung ermöglichten nicht nur die jeweils spezifische Therapie, sondern sie erforderten nunmehr zwingend zielgerichtete Schutz- und Vorbeugungs-Maßnahmen. Hier nun erwuchs dem Organisator und Erzie- her Lingner seine große Lebensauf- gabe -Aufklärung breitester Bevöl- kerungskreise über hygienische, d. h. gesundheitsfördernde und krankheitsverhütende Lebensweise.

Ende der achtziger Jahre gründet er in Dresden die erste Desinfektions- schule Deutschlands, gemeinsam mit Professor Schloßmann die erste Kinderpoliklinik und das erste Säug- lingsheim sowie die erste "Zentral- stelle für Zahnhygiene".

Im Vordergrund seiner Bestrebun- gen aber stand die große, ebenso vielseitige wie komplizierte Aufgabe

"seiner" Hygiene-Ausstellung. Nach zehnjähriger Vorbereitung kann die- se Ausstellung im Mai 1911 eröffnet werden.

Lingners Lieblingsprojekt

Als "Tempel der Gesundheit" bil-

det eine Halle zum Thema "Der Mensch" den Mittelpunkt der riesi- gen Ausstellung. Klar und eindeutig werden hier die beiden zentralen Grundsätze Lingners für das große Werk bestätigt:

"Das Wunder des gesunden und un- verkümmerten Menschen denen zu

Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen Hygiene-Ausstellung in Dresden 1911

verkünden, die nicht darum wissen, dieses Wunder vor Schädigungen zu schützen" und- damit in engem Zu- sammenhang- der von Lingner erst- malig formulierte Begriff der

"Menschenökonomie''.

Vordergründig ist die Darstellung der besten Bedingungen für die Ent- wicklung des Menschen vom Em- bryo an bis ins Alter, jeweils gegen- übergestellt richtige und falsche Handlungsweisen hinsichtlich Kör- perpflege, Ernährung, lmpfschutz, Kleidung, Wohnung, Schlaf, Erho- lung.

Tausende von Exponaten vermittel- ten dem Besucher plastischen Ein- blick in Bau und Funktion des menschlichen Skeletts sowie einzel- ner Organe in natürlicher Form und Farbe. Staunend standen die Men- schen vor der durchsichtig-gläser- nen Nachbildung des Blutkreislaufs oder vor dem vergrößerten Quer- schnitt durch die menschliche Haut.

Zahlreich aufgestellte Mikroskope gewährten dem überraschten Laien Einblick in das Wunder des Blutes, ließen ihn staunen über die Vielfalt schädlicher Bakterien im Ausstrich- präparat oder gar lebend in Nähr- flüssigkeit.

Große Beachtung fand die Darstel- lung der hygienischen Bedingungen für die Arbeit in den verschiedensten Berufen wie Bäcker, Maurer, Glas- bläser, Arbeiter an Hochöfen. Mögli- che Maßnahmen zum Schutz vor Schädigungen fanden hier erstmalig gebührende Dokumentation, wie- derum Lingners besonderes Anlie- gen der "Menschenökonomie" be- stätigend. Der Bereich "Sporthygie- ne" erfuhr ebenfalls erstmalig öf- fentliche Wertung.

Historische und

wissenschaftliche Abteilung Großen Zuspruch fand die unter Lei- tung von Prof. Dr. Sudhoff errichtete

"Historische Abteilung", die sowohl dem interessierten Laien als auch dem Forscher und Wissenschaftler mit rund 20 000 Exponaten vielseiti- ge Erkenntnisse zu vermitteln ver- mochte.

Vordringlich an Arzt und Naturfor- scher wandte sich die "Wissen- schaftliche Abteilung", die vor allem über die neuesten Ergebnisse der Forschung aus den verschiedensten Fachgebieten der Medizin in Dia- gnostik und Therapie, neuen Opera- tions- und Narkosemethoden, des Strahlenschutzes u. ä. informierte.

Ausländische Ausstellungshallen sehr beeindruckend

Ein befreundeter Arzt, der als Leipzi- ger Gymnasiast die Ausstellung er- lebt hatte, schilderte uns begeistert vor allem die Leistungen Chinas, Ja- pans und des zaristischen Rußlands.

Im russsischen Pavillon hatten ihm besonders die anatomischen Moula- gen imponiert, damals schon aus ei- nem plastischen, unzerbrechlichen Material gearbeitet. ln der Halle ei- nes südamerikanischen Staates hat- te den künftigen Mediziner vor allem eine Schlangenfarm mit der Darstel- lung der Gewinnung von Schlangen- gift und -gegengift gefesselt.

Die Presse aller Kulturländer der Er- de berichtete damals sehr ausführ- lich über diese Ausstellung in Dres- den. Sie ist und bleibt das Vermächt- nis des leider zu früh (1916) verstor- benen Initiators und Organisators, des ersten bewußten Gesundheitser- ziehers Deutschlands, Karl August Lingner. Sein Werk lebt weiter im großartigen "Deutschen Hygiene- Museum Dresden".

Seine Forderung auf Einführung des Hygiene-Unterrichts in den Schulen findet bedauerlicherweise bis heute

keine Erfüllung.

D

..,. Während der Vorbereitung die- ser Publikation ist die Autorin, Frau Hildegard Höhnisch, verstorben. Sie war bis 1969 im Gesundheitswesen der DDR tätig, unter anderem als Hygiene-Inspektorin, zuletzt als Di- rektorin der Weiterbildungsstätte für mittleres medizinisches Personal in Kari-Marx-Stadt. Frau Höhnisch war auch Mitarbeiterin der DDR-Zeit- schrift "humanitas". DÄ Ausgabe AlB

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