DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Z
ur Zeit sind auch die fin- digsten Bonner Polit- Astrologen einigermaßen ratlos. Niemand weiß, was ge- genwärtig im Bundesgesund- heitsministerium in Sachen „Ge- sundheitsreform" ausgebrütet wird. Selbst Gerüchte, anson- sten das Salz in der Bonner Sup- pe, machen allenfalls spärlich die Runde. Nur soviel: Zwölf Milliarden Mark sollen einge- spart werden — je zur Hälfte bei den sogenannten Leistungser- bringern und den Versicherten.Horst Seehofer scheint es mit seinem angekündigten rigo- rosen Sparkus sehr ernst zu neh- men. Der neue Bundesgesund- heitsminister hat den Gesund- heitspolitikern der Koalition und den Mitarbeitern seines Hauses strengstes Stillschweigen über die Beratungen zur Ausga- bendämpfung in der gesetzli- chen Krankenversicherung ver- ordnet. Und im Gegensatz zu früheren Geheimhalteabkom- men: Dieses Mal halten sich of- fenbar alle dran. Für Bonner Verhältnisse ist das geradezu sensationell.
Gesundheitsreform
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Stochern im Nebel
Einzig und allein der Fahr- plan für die Weiterentwicklung der „Gesundheitsreform" ist be- kannt. Seehofer teilt darin ledig- lich mit, daß man sich über den dringenden Handlungsbedarf ei- nig sei — und daß alle Beteilig- ten am Gesundheitswesen mit ausgewogenen Beiträgen in die Pflicht genommen würden. Die notwendigen Entscheidungen würden schnell getroffen: „Die Grundlagen für ein Gesamtkon- zept werden in den nächsten Wochen — auch in den sitzungs- freien Wochen des Bundestages
— in mehreren Klausurtagun- gen in dichter Folge erarbeitet."
Mit am Tisch sitzen dabei für die CDU die Abgeordneten Dr. Paul Hoffacker, Bernhard Jagoda, Wolfgang Lohmann und Dr. Hans-Joachim Sopart. Die
CSU ist vertreten durch Peter Keller, Gerhard Scheu, Wolf- gang Zöller und den bayerischen Staatsminister Dr. Gebhard Glück. Die FDP schickt Dr. Die- ter-Julius Cronenberg, Paul Friedhoff, Dr. Bruno Menzel und Dr. Dieter Thomae ins Ren- nen. Viele dieser Abgeordneten haben bereits am Blümschen
„Jahrhundertwerk" mitgewirkt, kennen sich also in der Sache recht gut aus.
Außenstehende beobachten die Beratungen hinter verschlos- senen Türen unterdessen mit Skepsis. Niedersachsens Sozial- minister Hiller (SPD) beispiels- weise sagt: „Es fehlt der Bundes- regierung an politischer Phanta- sie, um das Gesundheitswesen auf stabile Beine zu stellen." Die Ärzteschaft hingegen drängt auf Gehör. Grundlegende Entschei- dungen sollten nicht ohne, erst recht aber nicht gegen sie getrof- fen werden. Seehofer sagte be- reits Gespräche zu — nach Ende der Klausurtagung. Bis dahin, so scheint's, bleibt den Betroffenen kaum mehr als Stochern im Ne- bel. JM
fü
r ist ein Werbeverbot für Tabakwaren nicht in Sicht. In Brüssel befaßte sich der Gesundheitsministerrat der Europäischen Gemeinschaft mit der kontrovers diskutierten EG-Richtlinie in Sachen Tabak- werbung. Das Ergebnis: Fünf Länder sprachen sich gegen die Richtlinie aus.
Daß die Bundesrepublik, Großbritannien, die Niederlan- de und mit Einschränkungen auch Dänemark ihr Veto einleg- ten, kam nicht überraschend.
Die ablehnende Haltung dieser Länder gegenüber dem geplan- ten Werbeverbot war von An- fang an bekannt. Neu und gera- dezu pikant ist allerdings das Nein aus Griechenland. Denn niemand anderes als Frau Pa- pandreou, die Leiterin der zu- ständigen EG-Kommission, hat- te den Richtlinien-Entwurf auf den Weg gebracht. Ausgerech- net die eigene Regierung stellte sich nun dagegen.
Tabakwerbung
Brüsseler Spitzen
Allerdings: Ganz vom Tisch ist die Richtlinie deshalb noch nicht. Ende des Jahres, mögli- cherweise auch erst zu Beginn des nächsten Jahres, soll ein er- neut überarbeiteter Entwurf in den Ministerrat kommen. Für den Zentralverband der deut- schen Werbewirtschaft (ZAW) wird das ganze Verfahren zuse- hends zur Farce. Rechtsanwältin Irene Wind vom ZAW: „Wir hätten eine definitive Entschei- dung in der Sache begrüßt. Zün- dende Ideen sind wohl kaum mehr zu erwarten." Die Angele- genheit sei ohnehin reichlich grotesk, heißt es beim ZAW, ei-
nem erklärten Gegner des Wer- beverbots. Einerseits subventio- niere die EG den Tabakanbau mit riesigen Summen, anderer- seits wolle sie ein Werbeverbot für Tabakwaren einführen.
In der Tat scheint der An- satz nicht ganz schlüssig. Kriti- ker halten dem Papandreou- Vorstoß entgegen, daß ein Wer- beverbot am eigentlichen Ziel vorbei gehe. Außerdem seien die „Nebenwirkungen" größer als der gewünschte Effekt: Bei- spielsweise dürften keinerlei ausländische Druckerzeugnisse nach Europa eingeführt werden, die Tabakwerbung in irgendei- ner Form enthalten. Befürwor- ter des Werbeverbots argumen- tieren hingegen: Ohne Werbung für Tabakwerbung auch keine Verführung von Jugendlichen.
Denn junge Leute müßten die Reihen der Raucher wieder auf- füllen, die sich durch tabakbe- dingten Tod als Konsumenten verabschiedet hätten. EB
Dt. Ärztebl. 89, Heft 22, 29. Mai 1992 (1) A1-1989