HOMÖOPM•HISCi ARZ.NEIBUC,
VARIA MEDIZINGESCHICHTE
Homöo oathiegescnichte
Internationale Kooperation
Homöopathiegeschichte ist ein junges Forschungsfeld, das erst in den letzten Jahren langsam an Konturen gewon- nen hat. In Deutschland wur- de es traditionell fast aus- schließlich von den Medizin- historikern bearbeitet, bis sich in letzter Zeit auch Volkskundler, Medizinethno- logen und vor allem Sozialhi- storiker der Geschichte die- ser unkonventionellen Thera- pie angenommen haben. Die sozialhistorische Erforschung betont stärker als bisher un- ter anderem die Patientenge- ,
schichte und die wichtige Stellung der pharmazeuti- schen Industrie. Auch kom- men gesundheits-ökonomi- sche Fragestellungen stärker in den Blick. Gleichzeitig bleiben die Ärzte und ihre Vereine ein wichtiges For- schungsthema, das allerdings durch eine historische Auf-
wertung der Laienpraktiker ergänzt wird. Eine Homöopa- thiegeschichte, die die sozia- len Bedingungen für die Auf- rechterhaltung und Verände- rung einer Therapie auf diese Weise erforscht, trägt We- sentliches für das Verständnis der jüngeren Medizinge- schichte bei, weil sich in der Außenseiterperspektive Strukturprobleme der Gene- se des naturwissenschaftlich geprägten Gesundheitssy- stems spiegeln.
Bei der ersten internatio- nalen Stuttgarter Tagung zur Homöopathiegeschichte im Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung im April wurden Re- ferate von Historikern sowie Volkskundlern, Ärzten und Soziologen aus 13 Ländern über die Geschichte der Homöopathie in ihren Her- kunftsländern diskutiert.
Schon an den Fachbe- zeichnungen der Referenten wird die Interdisziplinarität
In Deutschland wurde Homöopathiege- schichte bisher fast nur von Medizinhi- storikern bearbeitet. Foto: Bohnert/Neusch
des Forschungsfeldes erkenn- bar, aus der heraus sich die Im- pulse für eine Erneuerung der
Homöopathiegeschichts- schreibung in den einzelnen Ländern entwickeln. Erstmals wurden nicht nur die unter- schiedlichen Einführungsbe- dingungen dieser Therapie in den jeweiligen Ländern vergli- chen, sondern auch Gemein- samkeiten und Unterschiede in den Erfolgs- und Nieder- gangsphasen deutlich. Gleich- zeitig entstand ein Überblick über den Stand der Homöopa- thiegeschichtsschreibung in den einzelnen Ländern. Der komparatistische Ertrag wur- de in einer Schlußdiskussion unter Leitung von J. H. War- ner (Yale) besprochen. Neben den Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den Ländern wurden auch inter- nationale Einflüsse sichtbar.
Forschungsperspektiven liegen in einer Erforschung lo- kaler Kontexte; auch sind ge- schlechtergeschichtliche Fra- gestellungen bisher zu kurz gekommen. Die Teilnehmer empfanden die Tagung als ei- nen vielversprechenden Start in die internationale Koope- ration. Dr. Martin Dinges
Gerharc Domagk
Der Nobelpreisträger ohne Preis
Als ihm 1939 der Nobel- preis zugesprochen wurde, verboten die braunen Macht- haber die Annahme, so daß ihm das Diplom erst 1947 aus- gehändigt wurde. Der dazu- gehörige Geldbetrag war aber statutengemäß verfallen.
Die Sprache ist von Ger- hard Domagk, der am 30. Ok- tober 1895 in Lagow (Bran- denburg) geboren wurde.
Nach seinem Medizinstudium hatte er sich in Greifswald für Pathologie habilitiert, wirkte einige Zeit in Münster als Professor, bis er das Institut für experimentelle Patholo- gie und Bakteriologie bei den Farbenfabriken Bayer in Wuppertal übernahm, wo er als Biochemiker tätig wurde.
Domagk hatte sich schon lan- ge mit der Problematik der Bekämpfung von Infektions-
erregern befaßt. Er .war zu der Erkenntnis gelangt, daß man entweder die Abwehr- kräfte des Körpers in ihrem Ringen mit den Krankheits- keimen unterstützen oder die gefährlichen Mikroben er-
Gerhard Domagk Foto: Jürgen Lange
heblich schwächen müsse.
Deshalb untersuchte er an sämtlichen neuentwickelten Farbstoffen, ob sie eine bak- terientötende Wirkung zeig- ten. Dabei interessierten ihn besonders die damals gerade erst synthetisierten Farbstof- fe aus der chemischen Grup- pe der Sulfonamide.
Nach endlosen Testreihen hatte er mit einem organgero- ten Farbstoff namens „Pron- tosil" Erfolg. Eine mit Strep- tokokken infizierte Maus überlebte die Behandlung mit Prontosil und erlitt dabei keinerlei Schaden.
Schon ein Jahr später mußte er das Mittel am Men- schen erproben. Seine eigene Tochter hatte sich mit einer Nadel gestochen und dabei eine Streptokokkeninfektion erlitten. Als alle gängigen Be-
handlungsmethoden nicht mehr anschlugen, entschloß sich Domagk zur Injektion ei- ner hohen Dosis Prontosil.
Die verabreichte Dosis zeigte bald ihre Wirkung, und die Tochter wurde rasch ge- sund. Schon 1935 war Pronto- sil offiziell eingeführt. Das Medikament bewährte sich und zerstörte die Erreger der Lungenentzündung und der Wundrose, des Kindbettfie- bers und der Furunkulose, so- gar die Gehirnhautentzün- dung verlor ihre Schrecken.
Obwohl nach und nach auch hier die Arzneifestigkeit der Erreger den Ärzten eini- ges zu schaffen machte, so war doch das Tor zur Chemo- therapie geöffnet worden.
Domagk ist für seine For- schungen mit vielen Ehrungen überhäuft worden. Da er wuß- te, wie mühselig der Weg zum Erfolg war, hat er selbst einen Preis ausgesetzt, für die beste Arbeit über den Stoffwechsel der Krebszelle. 1964 ist er ge- storben. Jürgen Lange A-2494 (66) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 38, 22. September 1995