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Archiv "Aristoteles und die Kaninchenzüchter: Einfache Schwierigkeiten mit der Logik" (01.05.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kulturmagazin

Hans Daiber

Ein Computer auf dem Schreib- tisch eines Philosophieprofes- sors ist eine Seltenheit. Viel- leicht wird sich das allmählich ändern. Wenn, dann wäre es auch ein Verdienst von Bruno Baron von Freytag Löringhoff, Professor i. R. für Logistik an der Universität Tübingen. Dem Computer auf seinem Schreib- tisch hat er die Strukturen der Logik des Aristoteles eingege- ben, sie wurde von ihm ausge-

baut, damit sie mit der herr- schenden mathematischen Lo- gik konkurrieren kann.

Erprobungen signalisieren, daß das aristotelische Verfahren in praxi tauglicher sein wird, weil die Rechenzeiten unter denjeni- gen der logistischen Verfahren liegen und auch bei steigender Komplikation nicht ins Uferlose

(nämlich nicht exponentiell) steigen. Außerdem liege dem Computer die aristotelische Lo- gik besser als die mathemati- sche. Er sei nämlich weniger ge- eignet für algebraische Opera- tionen als für das Verwalten von Strukturen. „Wenn man ein Pro- blem in die Sprache der aristo- telischen Logik gebracht hat, und das ist im Prinzip eine Spra-

Einfache Schwierigkeiten mit der Logik

Aristoteles und die Kaninchenzüchter

Baron von Freytag Löringhoff (links) führt dem Tübinger Informatiker Pro- fessor Martin Graef die Urahnin des Computers vor: die 1623/24 von Wil- helm Schickard gebaute Rechenmaschine, deren Funktionsweise Löring- hoff aus einer Skizze, zwei Briefen an Keppler und Notizen Schickards er- raten und rekonstruiert hat; sie ist vollkommener und neunzehn Jahre äl- ter als diejenige von Blaise Pascal Foto: Grohe

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 18 vom 1. Mai 1985 (87) 1359

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Philosophie-Computer

che wie die deutsche oder die griechische mit Subjekt-Prädi- kat-Struktur, dann wird das ko- lossal belohnt, weil der Compu- ter alles leicht und schnell verar- beitet."

Die Belohnung kommt spät, denn der Weg begann 1938, auf Grund der „zunächst nur dürftig begründeten Meinung" von Günther Jacob in Greifswald (dem Lehrer von Freytag Löring- hoff), „der aristotelische Ansatz sei der allgemeinste und sach- gerechteste". Die Branche hat das bis heute nicht akzeptiert.

Sie ist voll auf mathematische Logik abgefahren, sogar mit neuer Schubkraft, seitdem sie dank Computer schier endlose Rechenwege durchrasen kann.

„Ich diskutiere mit Ihnen nicht", habe der Altmeister der mathe- matischen Logik erklärt, „ehe Sie mir die aristotelische Logik auf dem Aussagenkalkül abge- leitet haben." Aber das Problem liegt ganz anders; der Aussa- genkalkül müßte sich vor der ari- stotelischen Logik rechtferti- gen: „Man kann natürlich aus der Satzung des Tübinger Ka- ninchenzüchtervereins die Ver- fassung der Bundesrepublik ab- leiten. Aber andersrum geht's leichter. Denn in der Verfassung steht nichts über Kaninchen.

Ebensowenig steht in der aristo- telischen Logik etwas über ,wahr' oder ,falsch'. Ihr Grund- element ist der Begriff, und von einem Begriff ist nichts weiter zu verlangen, als daß er mit sich selbst identisch ist. Ob wider- spruchsvoll oder widerspruchs- frei, ist erst wichtig für logische Beziehungen zwischen Begrif- fen. Das ist bereits eine höhere

Komplikation; also ist diese Denkform die speziellere. Man muß sie also dem Aristoteles hinzufügen, und das ist ganz einfach."

Ende September 1984 gab es in Bonn einen Philosophenkon- greß, auf dem Freytag Löring- hoff über das perfektionierte Sy-

stem des Aristoteles sprach und seine „computergestützte" An- wendung vorführte. Damit er- regte er Interesse bei Informati- kern, aber kaum bei Logistikern.

„Die sind verhärtet, die hören gar nicht zu, die glauben, den Stein der Weisen zu haben und examinieren mich, ob ich die Logistik beherrsche."

Ein Computer hat keine Meinung

Vielleicht hat er mit einem Jour- nalisten mehr Glück? Er kennt seine Pappenheimer. Darum füt- tert er komische Beispiele ein, zur Erläuterung der beiden Grundverfahren: Deduktion

Über den Autor

Hans Daiber, 1927 in Bres- lau geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte. Seit 1951 arbeitet er als Hör- funkredakteur, Fernseh- dramaturg, Theaterkritiker und Feuilletonleiter, hat Bücher geschrieben, un- ter anderen „Gerhart Hauptmann oder der letz- te Klassiker" (1971) und

„Deutsches Theater seit 1945" (1976). Hans Daiber hat Spaß am „Gärtnern"

und Reisen.

(Auswertung von Gegebenem auf seine logischen Folgen hin) und Abduktion (Suche nach fehlenden Prämissen).

Ohne mit der Wimper zu zucken, teilt der Professor sei- nem Denkgehilfen mit: „Unter den Geisteskranken ist kein Punker. Wer als Abiturient Pun- ker ist, der ist irre oder süchtig.

Alle Nichtabiturienten sind lei- der irre oder süchtig. Die Gesell- schaft ist nicht frei von Punkern.

Das stört sehr! Zum Glück ist da nur einer süchtig: Eduard der Schläfrige." Aus diesem Mate- rial soll der Rechenknecht Aus-

sagen über die Gesellschaft de- duzieren. Auch dieser zuckt mit keiner Wimper. Die Bemer- kung „Das stört sehr" fällt sofort unter den Tisch. Meinungen sind ihm egal. Er kapiert sowie- so nur das Skelett der Aussage:

„irre", „süchtig", „Punker",

„Abiturient", „Nichtabiturient",

„irre und süchtig", „Abiturient und Punker". Diese sieben Be- griffe werden für ihn in Num- mern verwandelt, mit denen er rechnen kann, binär, wie jeder Computer. Die Verknüpfungs- methode sagt ihm der Code „Al- le A sind B", beziehungsweise

„Einige A sind B". Obendrein

„Alle A sind nicht B" und „Eini- ge A sind nicht B". Diese vier Ur- teile sind nichts anderes als die zwei affirmativen beziehungs- weise die zwei negativen Urteils- formen der Syllogistik des Ari- stoteles.

Professor Freytag hat dieses Denkmuster ergänzt um vier In- haltsurteile „Alles an A ist an B"

et cetera, damit den Begriff des Inhalts aufgegriffen und den der

„Inhaltsfremdheit" eingeführt.

Es dauert nicht lange, da tippt der angeschlossene Schreiber ein Zahlenquadrat aus sieben mal sieben Positionen, ein ver- mindertes Schachbrett sozusa- gen, denn es sind ja nur sieben Begriffe eingegeben worden.

Ein leichter Fall. Zuvorkommend werden die sieben mal sieben möglichen Verknüpfungen auto- matisch getippt, beginnend im Feld 1,1 und endend bei 7,7 mit je einer Tautologie: „Alle Irren sind irre" und „Alle Nichtabitu- rienten sind Nichtabiturienten".

Dazwischen liegen alle denkba- ren Ausagen, sinnvolle wie sinn- lose. Wählen aus dem Angebot muß man selber. Denken kann er nicht. Aber komplette Offer- ten machen.

Ähnlich bei der Abduktion.

„Weil alle Kaviaresser Ver- schwender sind und alle Leicht- füße nicht vermögend sterben, sind einige Spießer nicht zufrie- den." Der Computer muß also

1360 (88) Heft 18 vom 1. Mai 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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Philosophie-Computer

erwägen, mit Hilfe welcher ver- schwiegenen Prämissen sich unter Mitwirkung der beiden ge- nannten Hypothesen die Konse- quenz ergeben könnte, daß eini- ge Spießer unzufrieden sind. Ei- ne Sache von Sekunden, die aber zu einigen Minuten ge- dehnt wird, weil der angeschlos- sene Schreiber mit dem „Den- ker" nicht mitkommt. Von 32 Lö- sungen, die angeboten werden, bleibt als akzeptabel nur das Prämissentripel übrig: „Manche Kaviaresser sind Spießer", „Alle Verschwender sind Leichtfüße"

und „Alle Zufriedenen sterben begütert".

Nach dieser Erleuchtung (erst grün auf dem Bildschirm, dann schwarz auf dem Papier) frage ich den Herrn der Maschine nach ernsthaften Anwendun- gen. Juristische Verträge auf Lücken, Widersprüche, Unklar- heiten prüfen, Nuancen von Wortbedeutungen klären. Bei der Analyse aller sehr mannig- faltigen Verhältnisse werde der Computer eine große, sogar die entscheidende Rolle spielen.

Bisher sei die Logik nur „küm- merlichst" angewandt worden.

„Ein Logiker ist ein Mensch, der das Messer ständig wetzt, aber nicht damit schneidet. Ich kenne zahllose logistische Systeme und bin jetzt kaum mehr interes- siert an der Logik als solcher.

Brennend interessiert mich die Anwendung." Man kann dieses Werkzeug (als „Organon" also

„geistiges Werkzeug", wurden in byzantischer Zeit die logi- schen Schriften des Aristoteles zusammengefaßt) überall prü- fend ansetzen, wo eine Argu- mentation nicht schlüssig scheint.

Die Logik gehört nicht in die Mathematik (eher umgekehrt), sie gehört nicht in die Philoso- phie, denn sie ist ohne Inhalt.

Aber man kann sie auf Philoso- phie ansetzen. Mit Vergnügen bricht Freytag Löringhoff in her- meneutische Zirkel ein. Im Be- sitze des nachgeschärften ari-

stotelischen Messers, sucht er Einstichsmöglichkeiten. Es sei erstaunlich, wie wenig in der Philosophie argumentiert wer- de, selbst bei Kant. Nur in den Prolegomena habe er eine Stel- le gefunden, wo Kant seinen Standpunkt begründet. Und was habe dort die Rückschlußme- thode erbracht? „Daß unter den verschwiegenen Prämissen die Behauptung selbst ist. Daß also der ganze transzendentale Idea- lismus und die Illusion, er bräch-

Logisch .. .

Bis heute hat die universal angelegte Philosophie des Aristoteles (384 bis 322 v.

Chr.) unser Geistesleben unüberschaubar vielfältig beeinflußt. Seine Gedan- ken und Methoden wurden rezipiert, seine Termini sind bis heute gar in der Umgangssprache erhalten, zum Beispiel vieles, was unsere Logik betrifft. Das Kernstück seiner Logik ist die Lehre vom Schluß, die Syllogistik, die innerhalb der theoretischen Wissen- schaften in Form apodikti- scher Schlüsse (Analytica posteriora) und innerhalb der praktischen Wissen- schaften in Form von dia- lektischen Schlüssen an- gewandt wird. Er hat als er- ster ein System der Logik erarbeitet und in höchster Vollendung ausformuliert.

Aber nicht nur der Wissen- schaftstheorie war dieser große Philosoph verpflich- tet; er hat auch die Ziele der „hervorbringenden"

Wissenschaften, also der Kunst, abgesteckt. Be- rühmt ist seine Definition der Tragödie, die es zuwe- ge bringe, durch Erregen von Furcht und Mitleid die Seele des Zuschauers vor solchen Affekten zu reini- gen. Logo ... DÄ

te was, auf seiner ,petitio princi- pii` beruht." Die Begründung der dialektischen Methode He- gels möchte er prüfen („die hal- te ich nämlich für Quatsch"), doch er fand bei Hegel keine.

Zehn Grundsätze möchte er ha- ben, „aber von einem Hegelia- ner. Sonst fangen die an zu dis- kutieren, ob ich Hegel richtig verstanden habe."

Es muß Phasen der Resignation gegeben haben in dem nun fast halben Jahrhundert des Kamp- fes um Anerkennung der aristo- telischen Logik. Aber jetzt hat der zierliche und immer noch alerte Mann anscheinend die Angriffslust seiner Leutnantsjah-

re wiedererlangt. Auf dem Bon- ner Kongreß hatte er sein Werk- zeug so angekündigt: „Dieses

Instrument könnte ein heilsa- mes Korrektiv auf vielen Gebie- ten werden, wenn man sich sei- ner Kritik unterwirft. Meist macht man sich damit nur unbe- liebt, weil Ausreden gegen Ver- dikte der Logik nicht helfen. Lo- gik ist so."

In größerem Zusammenhang stellt Freytag Löringhoff sein

„Neues System der Logik" als Buch vor, das bei Felix Meiner in Hamburg erscheint. Dort entwik- kelt er eine Zeichensprache für seine Operationsregeln. Einfa- che Operationen können an Ta- feln abgelesen werden. Kompli- zierte Zusammenhänge werden aber graphisch unübersichtlich (wie auch die seitenlangen Rechnereien der Logistiker), da verwendet man besser einen zweckmäßig konditionierten Computer. „Ich habe jetzt nach- gewiesen: Es geht. Da geht's lang. Und daran ist noch ein biß- chen zu arbeiten. Klar. Das ist keine Schwäche des Verfah- rens. Das sind rein quantitative Probleme. Die haben die andern erst recht."

Anschrift des Verfassers:

Hans Daiber Hausacker 17 5064 Rösrath

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 18 vom 1. Mai 1985 (91) 1361

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