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Archiv "FEUILLETON: Aus dem Jenseits des Bewußtseins" (30.10.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

FEUILLETON

T.:

LL

A

ndrä Breton verwendete den Ausdruck „psychi- scher Automatismus" im ersten surrealistischen Manifest (1924) zur Kennzeichnung einer bestimmten Art von künstleri- scher Produktion. Der „psychi- sche Automatismus" wird defi- niert als „Denkdiktat, ohne Kon- trolle der Vernunft", durch das man „mündlich oder schriftlich oder auf jede andere Weise den wirklichen Ablauf des Denkens auszudrücken versucht". Als Beispiele nennt Breton den Traum und die freie Assoziation.

In der Blütezeit des Spiritismus, um die Jahrhundertwende, lie- ferten zahlreiche Medien den Be- weis, daß Personen, die weder ei- ne künstlerische Ausbildung noch Übung besaßen, unter der Einwirkung von Geistern völlig ungewöhnliche, mit ihren alltäg- lichen Kenntnissen und Fähig- keiten unvereinbare Bilder und Texte hervorbrachten. Breton hat später die spiritistische Wur- zel des Surrealismus aufgedeckt.

In „Die Malerei und der Surrealis- mus" schreibt er: „Der Automa- tismus, ein Erbe der Medien, lebt im Surrealismus als eine seiner beiden Hauptrichtungen fort".

Mit dem Rückgang des Spiritis- mus, mit seiner wissenschaft- lichen und sozialen Ächtung, ver- schwanden auch die Schreib- und Zeichenmedien — zumindest verschwanden sie aus der Öf- fentlichkeit. Bevor ich die Be- kanntschaft Margarethe Helds gemacht hatte, hielt ich die me- diale Malerei für ein historisches Kapitel. — Auf Margarethe Held wurde ich durch einen Artikel in einer Berliner Boulevardzeitung aufmerksam. Er berichtete mit freundlichem Spott von einer in Kreuzberg ansässigen schwäbi- schen Geistermalerin und ihren merkwürdigen Schöpfungen.

Auf Anraten eines Freundes be- suchte ich die Künstlerin und war von ihren Arbeiten sofort fasziniert. Das Ungewöhnliche der Bilder Margarethe Helds vermittelte sich schon durch die

Aus dem Jenseits des Bewußtseins

Die medialen Zeichnungen Margarethe Helds

Art, in der sie sich mit ihnen um- gab. Rund um ihr Wohnzimmer reihte sich, dicht unter der Dek- ke, eine Galerie von Köpfen und erfüllte den Raum mit imaginä- rem Leben. Mein erster Ein- druck von der gemalten Popula- tion war der des Fremdartigen.

Der Bericht, den mir Margarethe Held von der Entstehung ihrer Bilder gab, erklärt bis zu einem gewissen Grad die charakteristi- schen Merkmale ihrer Kunst.

1950, in ihrem 56. Lebensjahr, meldete sich bei ihr über die von

„medial Begabten" gern ver- wendete sogenannte Buchsta- bentafel „Siwa, Gott der Inder und Mongolen" und befahl ihr:

„Nimm Papier und Bleistift und zeichne!" Die in dieser Tätigkeit gänzlich unerfahrene Frau ge-

horchte und vollendete inner- halb von 4 Monaten 300 Blätter, den größten Teil ihres Werkes.

Die Arbeit ging ihr leicht von der Hand: eine Bleistiftzeichnung entstand in wenigen Minuten, eine Farbzeichnung in einer Viertelstunde. An Korrekturen dachte sie nicht einmal, sie wä- ren ein Sakrileg gewesen.

Zuerst arbeitete sie ausschließ- lich mit dem Bleistift, später zog sie, auf Siwas Befehl, Pastell- kreiden hinzu. Mit dem Ge- brauch der Farben wechselten bald auch die Objekte. Die Toten wurden von Naturgeistern und -göttern abgelöst. Außer den Köpfen malte sie noch jeweils eine Serie „Himmelblumen"

und „Himmelstiere" sowie „Ru- nen", abstrakte Kompositionen aus Punkten und Linien.

Nicht Kunst, sondern Beweis Die beanspruchte Medium- schaft hat Margarethe Helds Kunst in mehrfacher Hinsicht beeinflußt. Sie wirkte zunächst Margarethe Held: im Glauben, ein Der Gott Siwa, gemalt von Margare- Medium zu sein, wurde sie Malerin the Held, gleicht seiner Schöpferin

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 44 vom 30. Oktober 1985 (81) 3287

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Mediale Kunst

einmal als Auslöser und setzte ein bis dahin ungenutztes Aus- druckspotential frei. Sie erzeug- te ferner eine psychische Dispo- sition, die ein weitgehend unbe- wußtes Produzieren ermöglich- te. Dabei traten „elementare Ge- staltungstendenzen" in Aktion, die nach der Erkenntnis von Hans Prinzhorn („Bildnerei der Geisteskranken") auch den Cha- rakter primitiver und psychopa- thologischer Kunst bestimmen.

In Margarethe Helds Bildern äu- ßern sich diese Tendenzen in der strengen Stilisierung, in der Unverhältnismäßigkeit der Teile, in der Neigung zur Wiederho- lung, in der ornamentalen Be- handlung einzelner Partien oder ganzer Motive (Runen).

Schließlich zeigt sich die bean- spruchte Mediumschaft in der Wahl der Motive. Sie stammen alle aus dem spiritistischen Ri- tual der Geisterbeschwörung und bezeugen den Kontakt ihrer Urheberin mit dem „Jenseits".

Margarethe Held verstand ihre Bilder nicht als Kunstwerke, sondern als Anschauungs- und Beweisstücke einer Botschaft.

Diese wurde ihr, parallel zur Bildproduktion, über die Buch- stabentafel mitgeteilt. Es be- gann damit, daß sie nach Been- digung einer Zeichnung erfuhr, wen sie dargestellt hatte. Später wurden ihr längere Texte einge- geben, verbunden mit dem Auf- trag, Bilder und Texte zu einem Buch zusammenzufassen. Es er- schien 1977 und trägt den Ti- tel „Unkontrollierbares Univer- sum".

Das Buch verkündet die schlich- te Lehre, daß im Universum alles zum Besten eingerichtet ist, daß jedes Wesen in ihm seinen Platz und seine Bestimmung hat und daß es ein Leben nach dem Tod gibt. Leider besitzen die media- len Texte von Margarethe Held nicht die Originalität der Zeich- nungen. Sie enthalten ganz of- fensichtlich mehr Angelesenes als Eigenes und entblößen un-

Diesen Porträts gab die Malerin den Titel „Elfen für Jedermann"

barmherzig die beschränkte Bil- dung der Verfasserin.

Die Begegnung im Spiegel der Bilder

Der Glaube, ein Medium zu sein, hat Margarethe Held also zur Malerin gemacht. Die Frage, wie sie zum Medium wurde, ist nicht so einfach zu beantworten. Im- merhin gibt es in ihrer Biogra- phie Fakten, die auf die spätere Berufung hinweisen. Da wäre zunächst der im Elternhaus le- bendige, volkstümliche Glaube an Geister und Hellsehen zu nennen. Eines der Geschwister, das als Kind starb, soll seinen Tod vorausgesagt haben. Das dringende Interesse am Kontakt mit Verstorbenen wurde aber erst durch den frühen Tod ihres

Ehemannes und des geliebten Vaters geweckt. Die anschlie- ßende Lebensgemeinschaft mit einem Filmregisseur verlief für sie eher enttäuschend. Der Be- ruf bot ihr keine Entschädigung für das ausgebliebene private Glück, die angestrebte Karriere als Schauspielerin endete an der Kinokasse. Nach ihrem 50.

Lebensjahr, der Freund hatte sie nach 14jährigem Zusammenle- ben verlassen, blieb sie allein.

In das aus Frustration und Ein- samkeit gebildete Vakuum drang dann „Siwa" ein — oder anders gesagt: Margarethe Held füllte es mit einer privaten My- thologie. Gott Siwa beantworte- te nicht nur ihre Fragen nach dem Jenseits, er verlieh ihr auch mediale Kräfte und damit das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Margarethe Held — sie starb 1981 — hätte diese Inter- pretation ihrer Berufung sicher entschieden von sich gewiesen, und weil ich religiöse Überzeu- gungen grundsätzlich achte, ha- be ich sie auch nie mit mei- ner Version konfrontiert. Ihr Glaube an einen fremden Urhe- ber wird aber, wie ich meine, schon durch ihr eigenes Werk widerlegt. Das abgebildete Si- wa-Porträt trägt unverkennbar ihre Züge. Im Siwa-Zeichen, ei- nem durchgestrichenen X, mit dem sie die Bilder signierte, ver- bergen sich ihre eigenen Initia- len. Schließlich beweisen die vielen Köpfe, denen sie die eige- ne Profillinie gegeben hat, daß jede Zeichnung ein Stück von ihr ist. Auch wenn es ihr nicht bewußt wurde, Margarethe Held ist im „Gott der Inder und Mon- golen" sich selbst begegnet — so wie Novalis es in einem Frag-

ment beschrieben hat: „Einem gelang es — er hob den Schleier der Göttin zu Sais — Aber was sah er? Er sah — Wunder des Wunders — Sich Selbst."

Margarethe Helds Bilder sind bis zum 30. November 1985 in der Gale- rie Klewan in München, Maximilian- straße 29, zu sehen.

Mechthild Rausch

3288 (82) Heft 44 vom 30. Oktober 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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