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„ Christian Thomasius – Naturrecht und Staatslehre in der Frühaufklärung “

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Halle/Saale, Juni 2004

stud. jur. Anne-Cathrin Korb

„ Christian Thomasius –

Naturrecht und Staatslehre in der Frühaufklärung “

Studienarbeit im Rahmen des Seminars

„ Individuelle Freiheit und Herrschaftsordnung in der Zeit zwischen Reformation und bürgerlicher Revolution –

Entwicklungsimpulse der mit Wittenberg und Halle verbundenen Staatsdenker “

bei Prof. Dr. Reimund Schmidt-De Caluwe Sommersemester 2004

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Gliederung

A) Einführung 4

I. Einleitung 4

II. Leben und Hauptwerke Christian Thomasius’ 4

B) Naturrecht 8

I. Die geschichtlichen Ursprünge und die Verknüpfung mit der Aufklärung 8 II. Die Prinzipien des von Thomasius vertretenen Naturrechts 9

1. Die Naturrechtslehre in den „Institutiones“ 9

2. Die Naturrechtslehre in den „Fundamenta“ 10

III. Einflüsse auf das Privatrecht 13

IV. Einflüsse auf das Strafrecht 14

C) Staatslehre 16

I. Allgemeines zur thomasianischen Staatslehre 16

II. Der Zweck des Staates 17

III. Die Entstehung des Staates 18

1. Der Naturzustand 18

2. Das Vertragsmodell 19

a) Der Gesellschaftsvertrag 19

b) Der Verfassungsbeschluss 20

c) Der Herrschafts-, Unterwerfungsvertrag 20

3. Die Rechte und Pflichten des Herrschers und der Untertanen 21 4. Die differenzierende Ansicht der Entstehung eines Staates in den „Fundamenta“ 21

IV. Die Begründung der obersten Gewalt 22

V. Das Territorialsystem 24

VI. Die Gesetzgebung 25

1. Die Grundlagen der Gesetzgebungshoheit 26

2. Der Umfang der Gesetzgebungshoheit 27

3. Die Bedeutung der Gesetzgebung 28

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VII. Das Verhältnis zwischen dem Staat und der Kirche 29

D) Zusammenfassung 31

E) Anhang - Literaturverzeichnis 32

I. Werke von Christian Thomasius 32

II. Neuere Literaturquellen 33

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A) Einführung

I. Einleitung

Das deutsche Rechts- und Staatsdenken hat in der Zeit zwischen Reformation und bürgerlicher Revolution wohl kaum prägendere Entwicklungen und Veränderungen erfahren, als im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert.

Die Strömung der Aufklärung erfasste als geistige und kulturelle Bewegung im 17.

Jahrhundert weite Verbreitung in Europa. Sie förderte eine Form des Rechtsdenkens, welche unsere heutige Rechts- und Gesellschaftsordnung entscheidend beeinflusst hat. Neben der Schaffung vieler Grundlagen für das gegenwärtige soziale System der Rechtsordnung, trugen die reformatorischen Gedanken der Aufklärung unter anderem zur späteren Anerkennung der „natürlichen Rechte der Menschen“ bei.

Einer der bedeutendsten Vertreter dieser Zeit, welcher auf fast allen rechtlichen Gebieten sowohl fruchtbar als auch reformatorisch gewirkt hat, war der Philosoph und Jurist Christian Thomasius. Seine Ideen zur Rechts- und Staatslehre waren nicht nur im Zeitraum seines Wirkens richtungsweisend. Vielmehr wird Thomasius, der neben Gottfried Wilhelm Leibniz als einziger deutscher Gelehrte von Friedrich dem Großen anerkannt wurde, aufgrund seiner damaligen revolutionären und modernen Ansichten auch als Vater1 oder Begründer der deutschen Frühaufklärung2 bezeichnet.

Die folgende Darstellung der thomasianischen Auffassung vom Naturrecht zur Zeit der Aufklärung soll daher die Einflüsse auf die unterschiedlichen Rechtsgebiete betrachten.

Dabei gilt es vornehmlich die Gedanken Thomasius’ zur Staatslehre zu beleuchten.

II. Leben und Hauptwerke Christian Thomasius’

Christian Thomasius wurde am 1. Januar 1655 als Sohn des namhaften Leipziger Aristotelikers, Philosophiehistorikers und Rektors der Thomas-Schule Jakob Thomasius geboren. Er erfuhr eine durch die Ansichten seines Vaters streng geprägte Erziehung im humanistisch-protestantischen Sinn. Bereits im Alter von 14 Jahren begann er das Studium der Philosophie in Leipzig. Der Besuch einer Vorlesung über die naturrechtlichen Werke des

1 Kleinheyer/Schröder, Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, Seite 424 (im Folgenden Kleinheyer/Schröder); Lieberwirth, Rechtshistorische Schriften, Seite 67 (im Folgenden Lieberwirth); Luig in: Staatsdenker, Seite 230.

2 Schröder in: Das Staatslexikon, Band V, Seite 464.

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Hugo Grotius und das Studium der Ansichten von Samuel Pufendorf begeisterten Thomasius für das Naturrecht. Aufgrund dieses Einflusses entschloss er sich 1674 für das Studium der Rechtswissenschaft in Frankfurt/Oder. Nach dessen Abschluss 1682 ließ er sich kurzzeitig als Rechtsanwalt in Leipzig nieder, begann dort aber bald darauf seine akademische Lehrtätigkeit, welche ihn mehr zu erfüllen schien. Hierbei hielt er vornehmlich Vorlesungen über die Lehren von Grotius und Pufendorf.

Mit dem Tod seines Vaters im Jahr 1684 gibt Thomasius die Rücksicht gegenüber seinen Mitmenschen auf. Er fühlt sich endlich frei seine, denen des Vaters widerstrebenden, Erkenntnisse und Auffassungen öffentlich äußern und vertreten zu können. Er zeigt sich dabei als Gegner der Rezeption des römisch-kanonischen Rechts und greift den Aristotelismus an. Zudem übt er öffentlich Kritik am Lehrsystem der Universitäten und wandte sich dabei vornehmlich gegen seine Leipziger Kollegen. In der Ankündigung, eine Vorlesung in der Landessprache anstelle des damals üblichen universitären Lateins halten zu wollen, wurde später eine zum Teil revolutionäre Tat Thomasius’ gesehen.3 Thomasius wandte sich gegen den Gebrauch der lateinischen Sprache, weil diese ihm als weltfremd und schwerfällig erschien. Er meinte, dass darin alte und verstarrte Traditionen begründet seien.4 Er folgte der Mode seiner Zeit, indem er die Einführung französischer Umgangsformen im deutschen akademischen Leben befürwortete. Auch empfand man die Nutzung der deutschen Sprache im Universitätsbetrieb als aufklärerisch und verändernd.5 Vielfach wird hierin Thomasius’ Liebe zur deutschen Sprache und dessen erzieherischer Wille nicht nur Studenten und in der Rechtswissenschaft tätige Personen für die Jurisprudenz der damaligen Zeit zu begeistern gesehen. Als Thomasius zudem eine deutschsprachige Monatsschrift herausgab, folgten sowohl Zensuren als auch Vorlesungsverbote. Aufgrund dessen stieg sein Bekanntheitsgrad schnell an, so dass Thomasius für die gegen aufklärerisches Gedankengut gerichtete Leipziger Universität bald nicht mehr tragbar war und sich 1690 gezwungen sah seine Heimatstadt zu verlassen.

Im brandenburg-preußischen Halle/Saale begann er sodann in kurfürstlichem Auftrag juristische Vorlesungen zu halten. Im Zuge der Gründung der Staatsuniversität Halle 1694, deren Rektor er 1710 wurde, waren dies die ersten Lehrveranstaltungen. Bald schon kamen Studenten aus allen Reichsteilen nach Halle, so dass die Universität durch das

3 Fleischmann, Christian Thomasius, Seite 16 (im Folgenden Fleischmann); Stromberg, JZ 1975, Seite 56 (57).

4 Wesel, Geschichte des Rechts, Seite 371 (im Folgenden Wesel); Wolf, Rechtsdenker, Seite 385 (im Folgen- den Wolf).

5 Wesel, Seite 371.

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thomasianische Wissenschaftssystem und Ausbildungsprogramm geprägt wurde und zu den modernsten ihrer Zeit gehörte. Mitunter galt diese Einrichtung als Modelluniversität eines aufgeklärten Deutschlands.6 Thomasius lehrte bis 1726 an der Juristischen Fakultät der Universität Halle. Er verstarb am 23. September 1728 nach kurzer Krankheit. In einem Ehrenbegräbnis wurde er am 30. September 1728 auf dem Stadtgottesacker zu Halle bestattet.

Sein wissenschaftliches Wirken brachte über 300 zum Teil recht umfangreiche Schriften hervor, wovon die ersten bereits während seiner Leipziger-Zeit veröffentlicht wurden.7 Darunter war auch eines seiner beiden naturrechtlichen Hauptwerke, welches 1688 erschien, die „Institutiones Jurisprudentiae Divinae“. Hierin verarbeitet Thomasius seine Gedanken zu den Lehren von Hugo Grotius und Samuel Pufendorf und verteidigt vor allem die Pufendorfs.8 Somit führt Thomasius die Naturrechtslehre Pufendorfs, mit der Zufügung seiner eigenen Gedanken, in Deutschland ein.9

Die „Institutiones“ setzen sich aus drei Büchern zusammen. Im Ersten, erläutert Thomasius die Grundprinzipien seiner frühen Naturrechtslehre. Die beiden folgenden Bücher verbindet, dass hierin die vorangestellte Naturrechtstheorie auf die unterschiedlichen Rechtsgebiete angewandt wird. Zudem betrachtet Thomasius im zweiten Buch das Verhältnis der Religion zum Vernunftrecht sowie allgemeine Rechtspflichten. Das dritte Buch beinhaltet dahingehend die Pflichten des Individuums innerhalb der Gesellschaft. Schließlich kann es gerade als ein persönliches Anliegen Thomasius’ verstanden werden, die praktischen Auswirkungen des Naturrechts auf die Rechtsgebiete zu verdeutlichen. Die Einführung deutschsprachiger Vorlesungen begünstigte 1709 die Veröffentlichung der Übersetzung der

„Institutiones“ als „Drey Bücher der Rechtsgelahrtheit“.

In seinem zweiten und wohl auch bedeutendsten Werk den „Fundamenta juris naturae et gentium“ erfolgt im ersten Buch die Darstellung einer neu entwickelten Naturrechtslehre, welche die Zusammenführung seiner Erkenntnisse aus bereits gehaltenen Vorlesungen beinhaltete. Im zweiten und dritten Buch der „Fundamenta“ befasst sich Thomasius dann mit den Lehren der „Institutiones“, welche er kommentiert und der neuen naturrechtlichen Anschauung anpasst. Mitunter stellte diese von Thomasius vertretene neue Lehre des

6 Luig in: Juristen, Seite 613; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Seite 298f (im Folgenden Stolleis).

7 Schubart-Fikentscher, JZ 1955, Seite 198.

8 Lieberwirth, Seite 70; Luig in: Staatsdenker, Seite 229.

9 Lieberwirth, Seite 68.

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Naturrechts eine Abkehr von der Pufendorfs dar.10 Die „Fundamenta“ gelten zudem als sein bekanntestes Werk, auf das sich die meisten naturrechtlichen Interpretationen stützen.11 Mitunter stellt diese 1705 veröffentlichte Schrift eine selbstständige Arbeit dar, die sich ausschließlich mit den eigenen veränderten Auffassungen Thomasius’ befasst. Die deutsche Übersetzung wurde 1709 als „Grund-Lehren des Natur-und Völcker-Rechts“ veröffentlicht.

In diesen beiden Hauptschriften stellt Thomasius das Naturrecht in seinen Grundprinzipien dar und verdeutlicht mitunter seine Auffassungen zum Straf-, Privat-, Staats- und Staatskirchenrecht.

Im Folgenden soll es daher im Vordergrund stehen unter anderem die Entstehung, den Zweck und den Aufbau des Staates anhand wesentlicher naturrechtlicher Auffassungen zu erörtern und somit einen Einblick in die Staatslehre des Christian Thomasius zu geben.

10 Luig in: Staatsdenker, Seite 229; Schröder, Naturrecht und absolutistisches Staatsrecht, Seite 133 (im folgenden Schröder); u. a. Ders., Seite 133, Fn. 7.

11 Engfer in: Christian Thomasius (1655-1728), Interpretationen zu Werk und Wirkung, Hrsg. Werner Schneiders, Seite 33 (im Folgenden Schneiders).

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B) Naturrecht

I. Die geschichtlichen Ursprünge des Naturrechts und die Verknüpfung mit der Auf- klärung

Die geschichtlichen Ursprünge des Naturrechts sind bereits in der Antike im 5. Jahrhundert vor Christus zu finden. Zu dieser Zeit herrschte die Auffassung der Existenz eines von Natur aus vorhandenen Rechts, welches über dem von Menschen gesetzten Normen stand.12 Nach der römischen Rechtsphilosophie ergab sich das Naturrecht aus der menschlichen Vernunft und nach Auffassung der christlichen Lehre wurde es als göttliches Naturrecht von Gott abgeleitet.13 Das Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts stellt mitunter nicht nur eine Weiterentwicklung dieser überlieferten Ansichten dar, sondern bildet auch eine fortschrittliche, gegen Autoritäten gerichtete Bewegung.

Mit dem aufkommenden Aufklärungsgedanken wurde dem Naturrecht eine neue besondere Bedeutung zuteil. Die Aufklärung stellte dabei zunächst eine Geistesströmung dar, die das römisch-kanonische Recht kritisch betrachtete und sogar für dessen Verdrängung zugunsten des deutschen einheimischen Rechts eintrat.14 Statt sich aber der Bindung des Lebens an die übernatürliche Ordnung aus dem Mittelalter zu bemächtigen, setzten die Anhänger der Aufklärung auf eine Diesseitsbetrachtung. Im Vordergrund des aufgeklärten Denkens stand daher die allumfassende Macht der Vernunft.15

Insbesondere verfolgten die Befürworter dieser Geistesströmung das Ziel der Humanisierung und Verbesserung der Rechtsordnung und -pflege.16 Dazu benötigte man jedoch Vorarbeiten aus dem Bereich der Rechtswissenschaft. Die Juristen wandten aber das rezipierte römisch- kanonische Recht an, welches ihrer Ansicht nach eine feste Bindung an Autoritäten förderte.

Folglich stand das Rechtswesen den Gedanken der Aufklärung ablehnend gegenüber, so dass die Vertreter der Aufklärung auf der Grundlage des Naturrechts versuchten die starren Fronten der Jurisprudenz zu durchbrechen, um unter anderem humanitäre Forderungen zu verfolgen und in die Wirklichkeit umzusetzen.

12 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, § 30 Rn. 262 (im Folgenden Eisenhardt); Hoke, Österr. u. deutsche Rechtsgeschichte, Seite 246 (im Folgenden Hoke); Zippelius in: HRG III, Seite 933 (935).

13 Hoke, Seite 246.

14 Lück in: Festschrift für Mühlpfordt, Seite 187.

15 Eisenhardt, § 30 Rn. 266; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, Seite 312 (im Folgenden Wie- acker).

16 Lieberwirth, Seite 111; Wieacker, Seite 317.

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Diese, auf dem Ursprung und der Wirkung beruhende, enge Verknüpfung von Aufklärung und Naturrecht ermöglichte es den zukunftsgerichteten Denkern dieser Zeit ein neues naturrechtliches System zu entwickeln und eine „vernünftige“, von Autoritäten unabhängige Gesetzgebung ins Auge zufassen.

Aufgrund der Verbundenheit mit der Aufklärung und der Betrachtung der Vernunft, brach das Naturrecht im 18. Jahrhundert nun endgültig in das deutsche Rechtsleben ein. Es löste sich größtenteils von der praktischen Philosophie sowie von einem religiösen Begründungszwang, so dass es statt zur Ethik und Moraltheologie nunmehr zur Rechts- und Staatsphilosophie gezählt werden konnte und ausschließlich im Vorlesungsprogramm rechtwissenschaftlicher Fakultäten aufgenommen wurde.17

II. Die Prinzipien des von Thomasius vertretenen Naturrechts

Bezugnehmend auf die Einführung, veröffentlicht Thomasius zwei naturrechtliche Werke, welche für das Verständnis seiner Auffassung von Bedeutung sind. Um jedoch deren Einflüsse auf das Privatrecht, Strafrecht und vor allem das Staatsrecht eingehend betrachten zu können, ist es erforderlich zunächst die grundlegenden Prinzipien der Naturrechtslehre Thomasius’ in den „Institutiones“ und den „Fundamenta“ in groben Zügen darzustellen.

1. Die Naturrechtslehre in den „Institutiones“

Die Auffassung vom Naturrecht im ersten Hauptwerk Thomasius’ sieht als Grundlage die von Gott geschaffene Natur des Menschen, deren Regeln mit der Vernunft beschrieben werden.18

Der Begriff der Rechtsnorm bildet dabei eine zentrale Bedeutung. Das Gesetz stellt demnach einen obrigkeitlichen Befehl dar, welcher für die Untertanen des jeweiligen Herrschers bindend ist. Zum einen wird Gott als Gesetzgeber angesehen, der für den Maßstab menschlichen Verhaltens Gebote und Verbote aufstellt.19 Andererseits ist es daneben auch dem Menschen möglich Gesetze zu erlassen20, so dass eine Differenzierung zwischen göttlicher und menschlicher Norm notwendig erscheint, welche ausschließlich den Juristen obliegt. Trotz einer solchen Unterscheidung von göttlichem und weltlichem Recht gilt es

17 Lieberwirth, Seite 121; Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, § 25 I (im Folgenden Willoweit);

Höffe in: Das Staatslexikon, Band III, Seite 1304.

18 Kühnel, Das politische Denken von Christian Thomasius, Seite 28 (im Folgenden Kühnel); Luig in: Staats- denker, Seite 230.

19 Thomasius, Institutiones Jurisprudentiae Divinae I/I/LXXXV: „Jus hominis ultimo a voluntate Dei“ (im Folgenden Institutiones); Kühnel, Seite 30 und 36; Schröder, Seite 135.

20 Schröder, Seite 134.

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jedoch als Voraussetzung eines jeden Gesetzes, dass dieses letztendlich auf dem göttlichen Willen beruht.21 Folglich versteht Thomasius das Naturrecht als „positives göttliches Recht“.22

Mitunter versucht er innerhalb seiner Erläuterungen eine Trennung der Ebenen von Recht und Theologie vorzunehmen. Diese sogenannte Säkularisation des Rechts gelingt ihm jedoch nicht endgültig, da die Rechtswissenschaft aufgrund des göttlichen Gesetzgebers dennoch an die Theologie gebunden ist.

In den „Institutiones“ differenziert Thomasius außerdem zwischen den angeborenen, unveräußerlichen Rechten eines Individuums (iura conata) und den erworbenen Rechten (iura acquisita).23 Zudem erfolgt der Versuch der Differenzierung von Verstand und Wille.

Hier vertritt Thomasius die Ansicht, dass der Verstand des Menschen über allem stehe und alles zu lenken vermag, so dass der Wille demzufolge dem Verstand nachgeordnet sei. Es ist jedoch, wie er in den „Fundamenta“ später korrigiert, nicht der Fall, dass der Verstand den Willen beherrsche, so dass ein neues Gebäude der Moral entwickelt werden müsse.24

In staatsrechtlicher Hinsicht begründet Thomasius in den „Institutiones“ die Auffassung der Entstehung eines Staates bedingt durch die Furcht vor äußeren Übeln. Diese erfährt ihre Legitimation durch die Vertragstheorie, welche später eingehender im Zuge der Erörterung der naturrechtlichen Staatslehre betrachtet werden soll.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die „Institutiones Jurisprudentiae Divinae“ das Fundament des thomasianischen naturrechtlichen Verständnisses auf der Grundlage der Lehren von Grotius und Pufendorf bilden. Mit dem Fortschreiten seiner Lehrtätigkeit und der Erlangung neuer sowohl wissenschaftlicher als auch persönlicher Erkenntnisse korrigiert Thomasius einige seiner frühen Ansichten und stellt diese in den „Fundamenta“ dar.

2. Die Naturrechtslehre in den „Fundamenta“

Zwischen dem Ende des 17. Jahrhunderts und dem Beginn des 18. Jahrhunderts verwirklicht sich in den Anschauungen Thomasius’ eine entscheidende Weiterentwicklung seiner naturrechtlichen Lehre, die schließlich in der Zusammenfügung dieser zu den „Fundamenta juris naturae et gentium“ mündet. Demzufolge gelten die „Grundlehren“ heute als das bekannteste und für die Ansichten Thomasius’ naturrechtlich bedeutendste Werk, so dass

21 Lieberwirth, Seite 122.

22 Kühnel, Seite 28-30; Schröder in: Das Staatslexikon, Band V, Seite 464.

23 Institutiones I/I/CXIV: “dividi poterit in conatum, quod homo habet immediate a Deo, absque consensu ejusqui obligatur, e. g. potestas, parentum, acquisitum … ”; Wolf, Seite 382.

24 Kühnel, Seite 42; Luig in: Staatsdenker, Seite 230.

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diese zu wissenschaftlichen Interpretationen des Naturrechts des Christian Thomasius häufig herangezogen werden.

Hierbei vertritt Thomasius ab 1705 die Auffassung, dass das Naturrecht im Gegensatz zum positiven Recht nicht als Recht im eigentlichen Sinn verstanden werden kann. Vielmehr fungiert es nur als eine Art Ratschlag.25

Vornehmliches Ziel des Naturrechts ist es zunächst das Lebensglück zu steigern, dass heißt, das zu tun, was das Leben erhält und glücklich macht. Dies erfolgt im Sinne eines ungestörten, geregelten, menschlichen sozialen Daseins.26 Damit verbindet Thomasius das pädagogische Ziel der Ausbesserung des Verstandes und das Bestreben einer vernünftigen Lebensführung als Mensch und gleichzeitig als Glied der Gesellschaft mit den Pflichten gegenüber Gott, sich selbst und gegenüber seinen Nächsten.27

Weiterhin differenziert Thomasius gleichsam mit den „Institutiones“ zwischen dem Verstand und dem Willen, kommt jedoch zu einem anderen Ergebnis. Schließlich strebt der Verstand danach die vom Willen ersehnten Dinge zu verschaffen, so dass der Wille eines Menschen die treibende Kraft bildet, welche stets auf die Affekte (Lust, Geldgier und Machtgier) zu reagieren vermag.28 Folglich kann hiernach der Wille als die entscheidende Eigenschaft eines Menschen angesehen werden.29 Aufgrund dieser Morallehre ist es erforderlich den Verstand darauf auszurichten, das zur Glückseligkeit führende Gute zu erreichen und im Gegenzug dazu das Böse zu vermeiden. Das Gute ist durch die Menschen jedoch nur dann erreichbar, wenn sie die Kriegsführung unterlassen und sich untereinander gegenseitig Hilfe leisten.30

In den „Fundamenta“ unterscheidet Thomasius zwischen dem Naturrecht im weiteren und engeren Sinn. Unter der weiten Sichtweise ist das innere und äußere Gute zu verstehen. Das Gute wiederum setzt sich schließlich aus drei Normen und Pflichten zusammen, welche die naturrechtliche Lehre Thomasius’ entscheidend prägten: Diese sind das honestum (das Sittliche), das iustum (das Gerechte) und das decorum (die Wohlanständigkeit).

25 Lutterbeck, Staat und Gesellschaft bei Christian Thomasius und Christian Wolff, Seite 43 (im Folgenden Lutterbeck); Schröder in: Das Staatslexikon, Band V, Seite 464.

26 Luig in: Staatsdenker, Seite 232; Wolf, Seite 404.

27 Luig in: Juristen, Seite 613.

28 Thomasius, Fundamenta juris naturae et gentium, I/I/XXXVII: „Interim ex dictis patet intellectus et voluntatis mutua relatio et cohaerentia. Actiones intellectus quidem saepe moventur fine voluntate. Sed voluntas semper movet inelletum.“ (im Folgenden Fundamenta); Luig, Röm. Recht, Naturrecht, Nationales Recht, Seite 147 (im Folgenden Luig); Luig in: Juristen, Seite 613.

29 Kühnel, Seite 42.

30 Fundamenta, I/II/LII: „Magis tamen metuendi homines sunt, quam ut spes in iis fit collocanda, quia saepius possunt nocere et saepius volunt“; Luig in:Staatsdenker, Seite 232.

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Das honestum besteht aus der sittlichen Forderung an andere den äußeren als auch inneren Frieden zu wahren. Dabei muss diese innere Pflicht an andere zunächst gegen sich selbst ausgeübt werden.31 Dies entspricht der Regel: „Was du wilst/ das andere an sich thun sollen/

das thue dir selbsten“.32 Folglich steht es im Vordergund sich an erster Stelle so zu verhalten, wie man es sich auch von anderen wünscht. Es vermittelt daher die Pflicht standhaft und duldsam zu sein.

Die Norm des iustum ist auf dem äußeren individuellen Frieden gegründet.33 Dieses Motiv soll die Beeinträchtigung des Rechtsgebrauches durch andere Menschen verhindern. „Was du wilst/ das andere dir nicht thun sollen/ das thue ihnen auch nicht“.34 Hiernach dienen die Rechtspflichten des einzelnen Menschen dazu den äußeren Frieden aufrecht zu erhalten beziehungsweise den gestörten Frieden wiederherzustellen.35 In den Pflichten gegen andere Personen kann folglich die Grundregel des natürlichen Privatrechts und auch Strafrechts erblickt werden, die Rechte und Güter anderer nicht zu verletzen.

Das dritte Motiv ist das zwischen honestum und iustum stehende decorum, welches auf die Stoa zurückgeht. Die Frucht des decorum ist der äußere, soziale Frieden. Darunter sind äußere Handlungen zu verstehen, die ein Mensch vornimmt, um anderen Mitmenschen behilflich zu sein und deren Wohlwollen zu erlangen.36 Dieses Motiv beruht in den Fundamenta auf der Regel: „Was du wilst/ das andere dir thun/ das thue du ihnen“.37 Weiteren Erläuterungen Thomasius’ zufolge besteht das Wesen des decorum darin, dass sich jemand ungeachtet nicht existierender rechtlicher Verpflichtungen einer anderen Person gegenüber aus Menschenliebe (humanitas) gefällig zeigt.38

Bei dem decorum unterscheidet Thomasius zwischen einem natürlichen und einem gesellschaftsbezogenen. Das natürliche decorum gilt für alle Menschen aufgrund ihrer Gleichheit untereinander und ist auf das allgemeine Prinzip ausgerichtet Anstoß zu vermeiden.39 Das gesellschaftsbezogene oder politische decorum kann in den durch bestimmte Reaktionen der bürgerlichen Gesellschaft sanktionierten Verhaltensweisen gesehen werden, wobei dessen Inhalt nicht für alle in gleichem Maße gilt, sondern von der

31 Luig, Seite 147; Rüping, Die Naturrechtslehre des Christian Thomasius und ihre Fortbildung in der Thomasius-Schule, Seite 49 (im Folgenden Rüping); Wolf, Seite 404.

32 Fundamenta I/VI/XL: „Quod vis ut alii sibi faciant, tute tibi facies“.

33 Schneiders in: Recht und Rechtswissenschaft im mitteldt. Raum, Seite 135.

34 Fundamenta I/VI/XLII: „Quod tibi non vis, fieri, alteri ne feceris“.

35 Luig, Seite 147; Rüping, Seite 49; Zippelius, Geschichte der Staatsideen, Seite 136 (im Folgenden Zippelius).

36 Luig in: Staatsdenker, Seite 233.

37 Fundamenta I/VI/XLI: „Quod vis ut alii tibi faciant, tu ipsis facies“.

38 Fundamenta I/VI/LVI-LXI; Schneiders in: Recht und Rechtswissenschaft im mitteldt. Raum, Seite 141.

39 Rüping, Seite 51; Rüping in: Schneiders, Seite 139.

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Standesangehörigkeit abhängig gemacht wird. Mitunter ist es für die Tragfähigkeit der Lehre entscheidend.40

Ergänzung findet die Lehre von honestum, iustum und decorum in der neuen Normentheorie durch Rat und Befehl, welche miteinander in Verbindung gebracht werden.41 Die Erteilung einer Norm einem Ebenbürtigen gegenüber kann daher als Rat bezeichnet werden, welcher auf das Gewissen des vernünftigen Menschen Einfluss zu haben vermag. Im Gegensatz dazu besteht ein Befehl in dem durch den Befehlsgeber ausgelösten äußeren Zwang.42

Aus der eben angeführten groben Darstellung der naturrechtlichen Lehre Thomasius’, die in den „Fundamenta“ ihren stärksten Ausdruck findet, erfolgt eine systematische Trennung von Sitte, Recht und Moral.43 Die Synthese der Normen des Guten führt danach zum Ideal des vollkommenen weisen Mannes, der sich als gesellschaftliches Mitglied versteht.44

III. Einflüsse auf das Privatrecht

Die Einflüsse des Naturrechts auf das Privatrecht bestimmen sich nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung oder Gleichheit aller Menschen, welcher sich aus den Normen des decorum und des iustum ableitet.45 Daher dient es dem Schutz individueller Rechtsgüter freier und gleicher Bürger, welche durch eigenverantwortliches rechtsgeschäftliches Handeln für sich selbst sorgen, ohne dass der Staat diesbezüglich Aufgaben, außer der Verhinderung von Rechtsgutverletzungen, übernimmt.46

Nach der Grundregel des iustum, den anderen nicht in seinen Rechten zu verletzen, sind die Rechte des anderen – die Ehre und alle vermögensrechtlichen Güter - absolut geschützt.

Weiterhin werden Rechte auch durch einen Vertrag gesichert.47 Dabei kann der Mensch durch den Grundsatz „pacta sunt servanda“ dazu gezwungen werden die Rechte einer Person, die ihr aus einem Vertrag entstanden sind, nicht zu verletzen. Folglich zählt nach der Auffassung von Thomasius das gesamte Vertragsrecht zu den erzwingbaren Rechten.48 Der von Thomasius geprägte Grundsatz des decorum – des positiven Handlungsgebotes – beinhaltet nicht erzwingbare Rechte des Individuums, da vornehmlich die humanitas davon

40 Rüping in: Schneiders, Seite 139.

41 Schröder, Seite 133.

42 Ders., Seite 133f.

43 Kleinheyer/Schröder, Seite 428; Schubart-Fikentscher, JZ 1955, 198; Schneiders in: Recht und Rechts- wissenschaft im mitteldt. Raum, Seite 139; Schröder in: Das Staatslexikon, Band V, Seite 464.

44 Rüping, Seite 54.

45 Luig in: Staatsdenker, Seite 235; Ders., Seite 239.

46 Luig, Seite 147; Ders. in: Juristen, Seite 614.

47 Luig in: Staatsdenker, Seite 235.

48 Luig, Seite 148; Ders. in: Staatsdenker, Seite 235.

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getragen ist. Daher verliert das decorum bezüglich des Privatrechtes seine eigentliche Bedeutung, wenn eine Person aufgrund des geschlossenen Vertrages zur Leistung verpflichtet ist, um die Rechte des anderen nicht zu verletzen.49 Im natürlichen Privatrecht werden in der heutigen Literatur darin vor allem liberale Ansätze festgestellt, welche man in der Lehre zur Vertragsgerechtigkeit zu sehen glaubt.50

Die Einflüsse der Lehre Thomasius’ auf das Privatrecht werden in unserer heutigen Zeit als Grundlage für die Entwicklung der Wissenschaft des deutschen Privatrechtes angesehen, so dass Thomasius auch hierbei eine bedeutende Funktion zuteil wird.51 Die Begründung liegt darin, dass Thomasius mit der Ablehnung der Rezeption des römisch-kanonischen Rechts die Anwendung des einheimischen deutschen Rechts begünstigen und vorantreiben wollte.

Schließlich betrachtet er das Privatrecht hauptsächlich in den „Fundamenta“. In wesentlichen Punkten erarbeitet er darin die Grundlagen eines später unter Adam Smith bezeichneten liberalen Privatrechts.

IV. Einflüsse auf das Strafrecht

Weiterhin hat die naturrechtliche Lehre des Christian Thomasius auch im Strafrecht gewichtige Bedeutung erlangt. Den Bestrebungen der Aufklärung folgend, tritt auch er für die Humanisierung der Rechtspflege ein, indem er sich für die Beseitigung überholter aus dem Mittelalter stammender Einrichtungen einsetzt. Dieses Bemühen zeigt sich vor allem in seinen strafrechtlichen Arbeiten, in denen er rigoros unter anderem gegen die Hexerei und die Folter vorgeht. Diesbezüglich ist für ihn eine intensive Auseinandersetzung mit den Ansichten der Kirche notwendig und sogar unumgänglich.

Selbst im Strafrecht bildet die Norm des Verbotes der Verletzung der Rechte anderer die Grundlage. Thomasius sieht im Zweck der Strafe, wenn sie auch als solche eine staatliche Sanktion für Verletzungen der Rechte anderer Bürger darstellt, kein Mittel der Sühne.52 Vielmehr sollte die Strafe eine abschreckende Wirkung vermitteln und die Gesellschaft in einem bessernden Sinn beeinflussen.53

Thomasius tritt entschieden für die Abschaffung der Folter ein. Deren Anwendung erscheint ihm als ungerecht, da sie dem Verbot einer Verdachtsstrafe widerspräche.54 Gegen die

49 Luig in: Staatsdenker, Seite 235.

50 Luig, Seite 148.

51 Luig in: Juristen, Seite 614; Schröder in: Das Staatslexikon, Band V, Seite 465.

52 Luig in: Staatsdenker, Seite 236.

53 Rüping, Seite 56.

54 Rüiping, Seite 61; Luig in: Staatsdenker, Seite 236; Zippelius, Seite 138.

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Hexerei und Ketzerei bringt er 1701 vor, dass ein Pakt mit dem Teufel aufgrund dessen fehlender körperlicher Gestalt ähnlich der Gottes nicht möglich sei, so dass sämtliche Hexenprozesse eingestellt werden müssten.55 In der Ketzerei erblickt er den Irrtum des Verstandes, welcher jedoch den äußeren Frieden nicht stören konnte. Vielmehr dürfte unter diesem Gesichtspunkt die Ketzerei für den Staat kein Verbrechen darstellen.56

Die Bemühungen Thomasius’ beginnen bereits in seinem Todesjahr erste Früchte zu tragen, so dass 1728 in Preußen der letzte Hexenprozess statt fand. Weiterhin ist es auch in gewissem Maße ihm zu verdanken, dass 1754 aufgrund einer königlich-preußischen Ordre von der Anwendung der Folter abgesehen wurde. Schließlich kann man sagen, dass die Anschauungen Thomasius’ zur Liberalisierung und Humanisierung des Strafsystems entscheidend beigetragen haben.

55 Hoke, Seite 249; Lieberwirth, Seite 30; Rüping, Seite 60f; Zippelius, Seite 138.

56 Rüping, Seite 59.

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C) Staatslehre

I. Allgemeines zur thomasianischen Staatslehre

Das wissenschaftliche Wirken Thomasius’ beinhaltet eine umfangreiche Schriftensammlung, in der er sich ausführlich und äußerst intensiv mit staatlichen und politischen Themen auseinandersetzt. Jedoch findet sich unter seinen Arbeiten keine zusammenfassende, geschlossene Darstellung zum Gegenstand des Staatsrechts. Vielmehr ergeben sich seine Ansichten zum „ius publicum“, zur Reichsverfassung und zur Territorialhoheit der Fürsten aus unterschiedlichen Quellen, wie zum Beispiel seinen Vorlesungen.

Das theoretische Fundament seines Staatsverständnisses entwickelt Thomasius aus seinen naturrechtlichen Auffassungen heraus. Gleichsam mit den teilweise veränderten Auffassungen zum Naturrecht in seinen beiden Hauptwerken sind ebenfalls differierende Ansichten bezüglich des Staatsrechts festzustellen, welche sich jedoch nicht gravierend auf das Gesamtbild auswirken.

Grundlegend ist nach der thomasianischen Staatsauffassung vom Staat als einer moralischen Person auszugehen, deren vom Herrscher repräsentierter Wille für den Willen aller Bürger des Staates gilt, so dass die Kräfte und Fähigkeiten der Individuen für den Frieden und die gemeinsame Sicherheit eingesetzt werden können.57 Hierin folgt Thomasius teilweise wortwörtlich der pufendorf’schen Lehre vom Staat als „persona moralis“, welche diesen mittels einer Willenseinigung der Bürger kennzeichnet.58 In seinen Darstellungen in den

„Fundamenta“ stellt Thomasius diese Definition in Frage. Vielmehr begründet er den Ursprung des ersten Staates nicht mehr durch die Furcht vor dem Bösem, sondern weist auf eine geschichtliche Bedingtheit dessen hin.59

Im Folgenden sollen nun wesentliche Punkte der staatsrechtlichen Lehre Thomasius’, die zeitgemäß mit aufklärerischen Zügen versehen waren, dargestellt werden. Dabei gilt es vor allem den Zweck des Staates, dessen Entstehung, die Stellung des Kaisers sowie die Gesetzgebung, die rechtliche Stellung der Territorien und die Beziehungen zwischen dem Staat und der Kirche zu betrachten.

57 Institutiones III/VI/LXIII: „Unde jam civitas plenius definiri potest, quod fit persona moralis composita, cujus voluntas ex plurium pactis implicita unita, pro voluntate omnium habetur, ut singulorum viribus facultatibus ad pacem securitatem communem uti possit“ ; Wolf, Seite 408.

58 Rüping, Seite 64.

59 Fundamenta III/VI/III, V; Kühnel, Seite 99; Lieberwirth, Seite 71; Rüping, Seite 64.

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II. Der Zweck des Staates

Nach der naturrechtlichen Auffassung Thomasius’ ist der Staat, wobei stets die Territorien gemeint sind, eine Gemeinschaft mit einer obersten Gewalt, in der für die Glückseligkeit und für ausreichende Güter im Interesse aller zu sorgen ist.60 Die Gewährleistung der Glückseligkeit und der Autarkie findet dieser in den „Institutiones“ vertretenen Ansicht nach ihren Ursprung im Entstehungsgrund des Staates, nämlich der Furcht der Menschen vor äußeren Einflüssen und Übeln.

Der primäre Zweck des Staats besteht darin, für die Glückseligkeit der Bürger als Gemeinschaft – die sogenannte Eudämonie - Sorge zu tragen. Dementsprechend soll die Eudämonie dazu dienlich sein, die angeborene geistige Hilflosigkeit der Individuen zu beseitigen.61 Thomasius betrachtet die bürgerliche Glückseligkeit im Sinne der Wahrung eines wohlfahrtsstaatlichen Gemeinwohles. Was unter diesem Staatszweck im Einzelnen verstanden werden kann, ist aus den Schriften Thomasius’ nicht eindeutig ersichtlich.

Vielmehr ist anzunehmen, dass die einzelnen Bürger durch ihre Handlungen zum Wohl des Gemeinwesens beitragen. Dieses Gemeinwohl ist als Voraussetzung einer zuverlässigen Rechtsordnung und somit als Verwirklichung des an oberster Stelle stehenden Staatszweckes anzusehen.62

Der zweite staatliche Zweck, welcher lediglich untergeordnete Geltung erlangt, wird in der Autarkie gesehen, die sich aus der Mangelvermeidung ableitet. Diese Unabhängigkeit soll die Bereitstellung lebensnotwendiger Güter in ausreichender Menge gewährleisten. Folglich beinhaltet sie die Beschaffung und Pflege wirtschaftlicher Grundlagen bezüglich des gesellschaftlichen Wohlstandes.63 Es ist festzustellen, dass Thomasius den Staatszweck der Autarkie lediglich erwähnt und er einem ökonomischen Staatszweck weniger Bedeutung beimisst.64

In den „Fundamenta“ betont Thomasius die individuellen Rechte der Bürger wie beispielsweise das Leben, die Freiheit und das Eigentum.65 Den Staatszweck hingegen beschränkt er auf die Wahrung der äußeren Sicherheit. Der Hintergrund dieser Begrenzung auf den Zweck der Friedenswahrung findet sich im Einsatz Thomasius’ für die Begründung

60 Institutiones III/VI/VI: „Civitas est societas naturalis summum imperium continens, omnis sufficientiae et beatitudinis civilis gratia“; Lieberwirth, Seite 71; Rüping, Seite 63; Stolleis, Seite 302.

61 Kühnel, Seite 80f; Lieberwirth, Seite 71; Luig in: Staatsdenker, Seite 241.

62 Kühnel, Seite 81.

63 Kühnel, Seite 80; Rüping, Seite 62.

64 Kühnel, Seite 80f.

65 Luig in: Staatsdenker, Seite 241.

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der Kirchengewalt evangelischer Territorialherren bezüglich ihrer herrschaftlichen Souveränität, welche Thomasius in seinen staatskirchenrechtlichen Schriften verdeutlicht und wofür er entschieden eintritt.66

Schließlich ist festzuhalten, dass der Staatszweck hauptsächlich in der Garantie einer friedlichen Ordnung gesehen werden muss und zugleich auf die Erhaltung und Wahrung dieser beschränkt bleiben sollte.

III. Die Entstehung des Staates

Grundlegend vertritt Thomasius, wenn auch nicht mit gleicher Intensität, in den

„Institutiones“ und den „Fundamenta“ die Auffassung der Entstehung oder Gründung des ersten Staates durch einen Vertragsschluss zum einen zwischen den Bürgern untereinander und zum anderen mit dem Herrscher. Danach kann der dem Staat auferlegte Zweck nur erreicht werden, wenn sich viele gleichgesinnte Menschen dauerhaft zusammenschließen.67 Der Vertrag ist dabei Ausdruck personaler Autonomie der Parteien und begründet grundlegende Strukturen einer Rechtsordnung vor dem staatlichen Gesetzgebungsakt.68 Thomasius versteht den „Staatsvertrag“ als einen auf gemeinsamen Interessen der Vertragsparteien begründeten sachlichen Gegenstand, in welchem die Menschen durch einen gesellschaftlichen Zusammenschluss auf ihre uneingeschränkte natürliche Freiheit verzichten, um diese einem weltlichen Herrscher zu übertragen.69 Somit konstruieren sie eine Rechtsordnung, die auf der Furcht begründet ist und die Aufgabe haben soll, sie vor den Bedrohungen des menschlichen Verhaltens gegeneinander zu schützen. Hierbei entwickelte Thomasius zwei entscheidende Elemente, welche die Theorie der Entstehung des ersten Staates konstituieren: der vorstaatliche Naturzustand und der den Staat begründende Vertragsschluss.

1. Der Naturzustand

Der Ausgangspunkt der kontraktualistischen Überlegungen Thomasius’ ist ein vorstaatlicher Naturzustand. Dieser besteht in einer „natürlichen“ menschlichen Gesellschaft, welche inneren Trieben zugrundegelegt ist und in der für die Menschen zugleich verpflichtende natürliche Gesetze vorhanden sind. Dabei sieht Thomasius die Ehe und das Patrimonium als

66 Lutterbeck, Seite 91.

67 Lieberwirth, Seite 71; Rüping, Seite 63.

68 Willoweit, § 22 Seite 172.

69 Kühnel, Seite 70.

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solche sozialen vorstaatlichen Strukturen und somit als wichtige natürliche Gesellschaften an.

Dieser natürliche Zustand (status naturae) besteht gemäß den Erläuterungen in den

„Fundamenta“ weder im Krieg noch im Frieden. Die Begierden der Menschen würden demnach aber zum Chaos führen, welches dem Krieg näher steht als dem friedlichen Zustand.70 Die Vereinigung zu einem Staat wird dadurch bewirkt, dass sich eine bestimmte Menge von Menschen zu einer geordneten Gesellschaft zusammenschließt, um den inneren und äußeren Bedrohungen gemeinsam entgegen zu stehen.71 Somit sieht Thomasius darin eine durch äußere Umstände bewirkte Vereinigung der Menschen, welche ihre natürliche Freiheit (libertas naturalis) opfern.72 Damit verlassen sie – in dem Wendepunkt zwischen natürlichem und bürgerlichem Zustand - durch ihre auf Furcht begründete gesellschaftliche Vereinigung den Naturzustand und schaffen zugleich eine staatliche Ordnung.73

2. Das Vertragsmodell

Das Zustandekommen eines Staates erfolgt durch die Begründung zweier Verträge (pacta) und eines dazwischenliegenden Verfassungsbeschlusses (decretum). Dabei vereinigen sich die Menschen zu einer bürgerlichen Gesellschaft, um dann als Zwischenstufe die Staatsform zu bestimmen. Im dritten Schritt übertragen sie schließlich die Staatshoheit auf einen oder mehrere Herrscher.74

a) Der Gesellschaftsvertrag

Der erste – auch als Gesellschaftsvertrag bezeichnete - Kontrakt beinhaltet die dauerhafte und zugleich willentliche den Staat konstituierende Vereinigung aller Menschen, sich dem Willen eines Herrschers oder mehrerer Souveräne zu unterwerfen.75 Gleichsam steht er unter dem Erfordernis einer einheitlichen Willensbildung, welches der Vorstellung eines Allgemeinwillens bereits sehr nahe kommt. Darin verpflichten sich die künftigen Bürger eines Staates dazu zusammenleben zu wollen und im Rahmen ihrer bürgerlichen Gesellschaft Aufgaben und Pflichten wahrzunehmen.76

70 Fundamenta I/III/LV: „confusum chaos ex utroque, plus tamen participans, de statu belli, quam de statu pacis.“; Rüping, Seite 62; Schröder, Seite 139.

71 Institutiones III/VI/XII: „…sed ab extra metum malorum, quae homini ab homine imminent, ...“.

72 Fundamenta I/I/CIV: “Sed et nemo reperitur, cujus voluntas a natura repugnet in omnibus voluntati alterius”; Eisenhardt, § 32 Rn. 279.

73 Klippel in: Recht und Rechtswissenschaft im mitteldt. Raum, Seite 79.

74 Schröder, Seite 149f.

75 Institutiones III/VI/XXVII: „unitis in perpetuum voluntatibus omnium, quod fit, si unus quisque suam voluntatem voluntati unius hominis, aut unius concilii subjiciat“; Schröder, Seite 150.

76 Lieberwirth, Seite 71; Rüping, Seite 63; Schröder, Seite 149f.

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Den Bürgern bleiben hiernach zunächst alle Gleichheitsrechte untereinander erhalten.77 Als Vertragsparteien sind nach naturrechtlicher Ansicht jedoch nur die Hausväter in Betracht zu ziehen.

b) Der Verfassungsbeschluss

Zwischen beiden Verträgen ist dann ein Verfassungsbeschluss erforderlich. Dieser beinhaltet die Einigung der Mitbürger über die zukünftige Staatsform als Monarchie, Aristokratie oder Demokratie.78

Hierbei ist aus den Arbeiten Thomasius’ nicht ersichtlich, auf welche Weise diese vorherige Entscheidung der Bürger vorgenommen werden muss.79 Verständlich erscheint es, dass die Festlegung der Staatsform dem Herrscher nicht obliegen kann, da diesem erst nach erfolgtem Verfassungsbeschluss im sogenannten Unterwerfungsvertrag die Staatshoheit übertragen wird. Vielmehr könnte von einem Gremium ausgegangen werden, das Kompetenzen bezüglich dieser Entscheidung inne hat.80 Dahingehend äußert sich Thomasius jedoch nur sehr unklar.

Schließlich ist der Verfassungsbeschluss grundlegend als Resultat des im Gesellschaftsvertrag begründeten Allgemeinwillens zu verstehen, wobei sich die Bürger bewusst über die Form und das Wesen ihres Staates geeinigt haben.81

c) Der Herrschafts- beziehungsweise Unterwerfungsvertrag

Der zweite der beiden Verträge beinhaltet die Übertragung der Staatshoheit an den künftigen Herrscher.82 In diesem Unterwerfungs- oder Herrschaftsvertrag erfolgt somit die Vereinigung der Kräfte der Bürger und des Souverän. Er ist dahingehend bedeutend, da er zwischen allen Mitgliedern der bereits vereinigten bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Regierung geschlossen wird, so dass die Staatsgewalt des Herrschers oder mehrerer Herrscher legitimiert wird.83 Folglich kommt den Bürgern ein Anspruch gegenüber dem Souverän zu, der verpflichtet ist für die Staatszwecke Sorge zu tragen.84

77 Kühnel, Seite 82.

78 Institutiones III/VI/XXX: „Post hoc pactum oportet, ut decretum fiat, qualis forma regiminis sit intro- ducenda“; III/VI/XXXIII: „civitatis regularis tres sunt formae; aut enim regimen collatum est in unum hominem, qui dicitur monarcha, et civitas monarchia, aut in concilium, et hoc quidem vel ex selectis civi- bus seu optimatibus constans, et vocatur aristocratia, vel ex universis patribus familias seu populo, et est democratia “; Lieberwirth, Seite 71; Rüping, Seite 63; Schröder, Seite 150.

79 Kühnel, Seite 89.

80 Kühnel, Seite 89.

81 Kühnel, Seite 90.

82 Institutiones III/VI/XXXI: „Post decretum circa forma regiminis altero pacto opus est, ..., in quem vel quos regimen nascentis civitatis confertur“; Lieberwirth, Seite 71.

83 Kühnel, Seite 84; Rüping, Seite 63; Schröder, Seite 151.

84 Kühnel, Seite 85; Schröder, Seite 151.

(21)

Weiterhin verzichten die einzelnen Mitglieder der neubegründeten bürgerlichen Gesellschaft erst im Unterwerfungsvertrag auf ihre natürliche Freiheit zugunsten des Souverän und werden somit zu dessen Untertanen.

3. Die Rechte und Pflichten des Herrschers und seiner Untertanen

Festzuhalten ist, dass sich in dem konstruierten Modell der vertraglichen Entstehung eines Staates nicht nur hinsichtlich der Begründung der Staatsgewalt Konsequenzen ergeben, welche dem Zeitgeist dieses aufklärerischen staatlichen Denkens entsprechen.

Mit dem Abschluss des Herrschaftsvertrages ist der Souverän kontraktualistisch gegenüber seinem Volk verpflichtet dem der Staatsbildung zugrundeliegenden Zweck entsprechend zu handeln. Folglich trägt der Herrscher die Aufgabe zur Verwirklichung des äußeren und inneren Friedens des Staates sowie der Schaffung und Aufrechterhaltung der Glückseligkeit der Bürger, so dass hierbei der Willkür des Souveräns in seinen Befugnissen Schranken gesetzt sind.85 Weiterhin ist der Herrscher unter anderem dazu verpflichtet die Bürger zu guten Sitten anzuweisen, rechtlich eindeutige Gesetze zu erlassen und für deren öffentliche Verbreitung zu sorgen.

Mithin sind die Menschen aufgrund des Unterwerfungsvertrages dem Herrscher gegenüber, zu dessen Gunsten sie auf ihre natürliche Freiheit verzichteten, zum Gehorsam verpflichtet, womit schließlich auch die Pflicht der Befolgung staatlicher Gesetze verbunden ist.86

4. Die differenzierende Ansicht der Entstehung eines Staates in den „Fundamenta“

Die Begründung des Vertragsmodells basiert nach der in den „Institutiones“ vertretenen Ansicht grundsätzlich darauf, dass der erste Staat aufgrund von Furcht und Schutzsuche entsteht. Bereits Ende der 17. Jahrhunderts nimmt Thomasius jedoch von dieser Argumentation Abstand. Für ihn ist die Vorstellung nach geschichtlichen Gesichtspunkten nicht haltbar, dass ein Staat plötzlich durch die Vereinigung von Menschen entstünde, welche ihre Freiheiten auf den Herrscher übertragen. Demnach stützt er sich nunmehr auf eine historische Begründung, so dass das Vertragsmodell diesbezüglich abzulehnen sei.87 Dennoch soll die entwickelte Vertragstheorie trotz ihrer Überholtheit Anwendung finden, wenn der Zusammenschluss der künftigen Mitbürger auf Furcht beruht. Es ist demnach festzuhalten, dass Thomasius das Vertragsmodell nicht gänzlich verwirft.

85 Hoke, Seite 250.

86 Hoke, Seite 250; Schröder, Seite 158;.

87 Fundamenta III/VI/III, V f, Lieberwirth, Seite 71.

(22)

Schließlich folgt Thomasius mit der Begründung dieses oben dargestellten Vertragsmodells den Auffassungen seiner damaligen Zeitgenossen und reflektiert sowie übernimmt sie teilweise von diesen.

IV. Die Begründung der obersten Gewalt

Wie bereits dargestellt, beruht nach der naturrechtlichen Theorie die oberste Gewalt auf dem Unterwerfungsvertrag. Auf diesem Kontrakt aufbauend, ist die Macht und äußere Gewalt des Herrschers absolut begründet, so dass dieser seinen Untertanen keine Rechenschaft schuldig ist. Diese müssen sich ihrem Herrscher unterordnen. Schließlich kann nur ein einziger Herrscher die gesamte Macht in sich vereinen. Eine Herrschaft mehrer würde demzufolge das Wohl des Staates gefährden. Der Souverän wäre dann aufgrund mangelnder Machtbefugnisse nicht im Stande umgehend Entscheidungen zu treffen.88

Aufgabe der obersten Gewalt ist es, Handlungen der Bürger im Interesse des Staatszweckes lenkend zu beeinflussen und im Namen des Staates Bündnisse zu schließen.89 Auch beruht die Souveränität aufgrund der vertraglichen Verbindung mit den Bürgern nicht mehr unmittelbar auf dem Auftrag Gottes.90 Somit lässt die Begründung absolutistischer Macht nicht mehr von Gott und dem „ius divinum“ abgeleiten. Vielmehr erfolgt eine Identifizierung der Herrschaftsausübung mit der Rechtsverwirklichung, so dass von einer Verrechtlichung der Herrschaft gesprochen werden kann.91 Die herrschaftliche Legitimation des monarchischen Absolutismus begründet sich daher durch das Vertragsmodell. Mitunter stellt der Herrscher nunmehr nur noch als erster Diener seines Staates ein Organ dessen dar, so dass der gesamte Staat nicht mehr nur auf den Monarchen und dessen Hofstaat ausgerichtet ist.

Es existiert zudem kein verpflichtendes Verhältnis zwischen dem Herrscher und seinen Untertanen, so dass er über dem menschlichen Gesetz steht und daher nur dem allen Menschen vorgegebenen Naturrecht unterworfen ist.92 Der Untertan hingegen hat schwerstes Unrecht gegen seine Person hinzunehmen, ohne dass ihm ein Widerstandsrecht oder eine einklagbare Rechtsposition gegenüber dem absoluten Herrscher zustünde.93 Vor allem dieser Aspekt ist von der absolutistischen Auffassung Thomasius’ getragen. Zudem sieht er in dem

88 Luig in : Staatsdenker, Seite 237.

89 Institutiones III/VI/CXV: „… summa potestas dirigendi actiones civium, cum iis qui extra rempublicam sunt, nomine civitatis negotia pacifica pariter bellica suscipiendi, ad optinendos civitatis fines.“.

90 Hoke, Seite 251; Schröder, Seite 153.

91 Stolleis, Seite 275.

92 Institutiones III/VI/CXVII f ; Lutterbeck, Seite 52; Rüping, Seite 64.

93 Lutterbeck, Seite 54; Schröder, Seite 152.

(23)

Widerstand der Untertanen gegen einen herrschaftlichen Befehl großes Unrecht. Die Untergebenen müssen vielmehr ihr Schicksal unter dem Souverän hinnehmen, da sie mit dem Abschluss des Herrschaftsvertrages auf ihre natürlichen Freiheiten verzichteten und diese dem Souverän übertragen haben.

Die Territorien bilden nach Thomasius den staatlichen Inbegriff, so dass dem Fürsten als Inhaber der Territorialhoheit die Stellung der obersten Gewalt zukommt. Sie werden somit als legitime Sachwalter einer natürlich-vernünftigen Sicherheit, Wohlfahrt und Rechtsgleichheit ihrer Untertanen angesehen.94 Folglich wird in der staatstheoretischen Lehre Thomasius’ und in seinen staatsrechtlichen Vorstellungen das Herrschaftssystem des fürstlichen Absolutismus begründet. Er kann daher als Anhänger der Landesfürsten und somit des Territorialabsolutismus gesehen.95

In den „Fundamenta“ vertritt Thomasius die Ansicht, dass der fürstliche Souverän Tugend, Klugheit und Macht in seiner Person vereinigen müsse.96 Dabei kann die oberste, absolute Gewalt allein durch Verträge eingeschränkt werden.

Mit der Begründung eines absoluten territorialen Systems erachtet Thomasius die Erörterung kaiserlicher Rechte als weniger bedeutend und zudem als überflüssig. Vielmehr erfährt die Macht des Kaisers eine stetige Einschränkung, so dass es ihm nicht mehr möglich ist seine Vorrechte in den Territorien unmittelbar auszuüben. Mitunter weist Thomasius nach, dass eine Vielzahl einzelner kaiserlicher Rechte der Landeshoheit zustehen.97

V. Das Territorialsystem

Bezugnehmend auf die vorhergehende Erörterung zur Begründung der obersten Gewalt, soll diesbezüglich die Souveränität der Fürsten in den Territorien näher betrachten werden, welche nach der Auffassung vom fürstlichen Absolutismus bedeutend ist.

Die Territorialfürsten stellen die Träger der absoluten monarchischen Gewalt dar. Die Begründung und Rechtfertigung ihrer Souveränität beinhaltet eines der Hauptanliegen dieser Lehre. Neben der naturrechtlichen Begründung der Territorialgewalt durch den Unterwerfungsvertrag, führt Thomasius eine staatsrechtliche Argumentation an. Hierbei bezieht er sich auf den Westfälischen Frieden, welcher nach dem Dreißigjährigen Krieg den Territorialfürsten die uneingeschränkte Souveränität garantierte.

94 Wolf, Seite 404; Schlosser, Seite 107.

95 Kleinheyer/Schröder, Seite 426; Lieberwirth, Seite 73; Luig in: Juristen, Seite 614; Schneiders in:

Schneiders, Seite 13; Schröder, Seite 159; Stolleis, Seite 285, 301.

96 Lieberwirth, Seite 74.

97 Luig in: Staatsdenker, Seite 240.

(24)

Die Ausübung der obersten Gewalt, welche auch die Wahrung und Erfüllung des Staatszweckes beinhaltet, ist dem Fürsten nur möglich, wenn dieser alle sogenannten Regalien inne hat, die eine umfassende Staatsgewalt prägen.98 Weiterhin wird die territoriale Souveränität damit begründet, dass alle einzelnen Hoheitsrechte die oberste Gewalt in geistlichen als auch politischen Bezugspunkten ausmachen. Mitunter ist die Legitimation fürstlicher Gewalt nicht durch kaiserliche Rechte oder ständische Privilegien einzuschränken.99

Eine der Hauptaufgaben des Fürsten besteht darin, dafür Sorge zu tragen, dass der Staat nicht in die Situation gerät, in die privaten Rechte der Bürger einzugreifen und diese darin einzuschränken.100 Ein Eingriff kann allerdings gerechtfertigt sein, wenn er aus der Sicht des öffentlichen Wohles unbedingt notwendig ist. Unter diesem Gesichtspunkt ist es jedoch erforderlich, dass die Gleichheit aller Bürger gewahrt bleibt.101 Die Erfüllung dieser Voraussetzungen bewirkt daher die Legitimation der Aufgaben und Handlungen des Fürsten.

Dabei steht es diesem beispielsweise zu, neues Recht zu setzen und altes oder auch römisches Recht teilweise aufzuheben. Zudem hat der Fürst Regelungsbefugnisse in geistlichen Angelegenheiten inne.102 Auch ist es dem Territorialfürsten möglich über das Eigentum seiner Untertanen zu verfügen, wenn dies für staatliche Zwecke erforderlich und dienlich ist. Mitunter besteht aufseiten des enteigneten Bürgers jedoch ein Entschädigungsanspruch.103

Festzuhalten ist, dass Thomasius die Macht des Kaisers dadurch einzuschränken versucht, dass er den Fürsten die Ausübung kaiserlicher Reservatrechte in den Territorien zuerkennt.

Die Rechte des Kaisers, welche zum Beispiel die Adelserhebung und Verleihung von Privilegien beinhalten, konzentrieren sich mitunter nicht auf die territoriale Ebene. Vielmehr ist es dem Herrscher über das Heilige Römische Reich nicht möglich die Souveränität der Stände derartig zu beeinflussen und zurückzudrängen. Seine Rechte gegenüber der Bevölkerung begründen somit keine oberste Gewalt.104 In seiner staatsrechtlichen Lehre spricht Thomasius daher den Fürsten die Territorialgewalt zu. Letztlich fügt er der Lehre des

98 Luig in: Staatsdenker, Seite 237.

99 Luig in: Staatsdenker, Seite 238.

100 Institutiones I/I/CXXIVff: “De distinctione imperii in eminens et vulgare, qule est patrumfamilias, non puto subesse dubium. ...”.

101 Luig in: Staatsdenker, Seite 247.

102 Ders., Seite 301.

103 Institutiones III/VI/XXIII; Luig in: Staatsdenker, Seite 247.

104 Luig in: Staatsdenker, Seite 239.

(25)

fürstlichen Absolutismus keine neuen Elemente hinzu und bewegt sich dahingehend nicht über die zeitgenössischen Ansichten hinaus.

VI. Die Gesetzgebung

Der Zeit der Aufklärung entsprechend, verlangten deren Anhänger die Humanisierung der Rechtsordnung. Die enge Verknüpfung von Aufklärung und Naturrecht wirkte sich daher nachhaltig auf die Gesetzgebung dieser Epoche aus. Auch Thomasius befasst sich innerhalb seiner Rechts- und Staatslehre, vor allem aber in seinen Vorlesungen, mit den Gesetzen und den Anforderungen an eine „vernünftige“ Gesetzgebung.

Nach damaliger herrschender Ansicht bedurfte die auf römischem Recht fußende Rechtsordnung nur geringfügiger Änderungen. Schließlich stammte dahingehend das gesamte Recht, welches auch das vom Menschen initiierte beinhaltete, letztlich von Gott ab, da dessen Wille als Voraussetzung angesehen wurde.105

Erst Christian Thomasius – und später auch Christian Wolff - sieht in der Gesetzgebung und in den aus ihr resultierenden Bestimmungen und Normen eine maßgebliche rechtliche Grundlage, wobei dem Naturrecht lediglich eine beratende Funktion zuteil wird. In den

„Institutiones“ deutet er diese Ansicht lediglich an106, während sie in den „Fundamenta“

eindeutig zu Tage tritt.107

Demnach ist das Gesetz menschlichen Ursprunges und stellt einen obrigkeitlichen Befehl dar, nach dem sich die Untertanen zu richten haben.108 Die Gesetzgebung innerhalb eines souveränen Staates wird daher als dessen wichtigste Aufgabe verstanden.

1. Die Grundlagen der Gesetzgebungshoheit

Aufgrund der immanenten Bedeutung der Gesetzgebung für einen souveränen Staat obliegt nach thomasianischer Ansicht diese Aufgabe den Territorien.109 Nach naturrechtlicher Ansicht ergibt sich die Gesetzgebungshoheit aus dem Unterwerfungsvertrag. Auf der Grundlage des Reichsstaatsrechts erfährt diese ihre Begründung durch die Reichsgesetze.

105 Lieberwirth, Seite 122.

106 Institutiones I/I/XXIX: “Lex semper obligat etiam fine pacto: pactum numquam fine lege, etsi lex quando- que obliget mediante pacto. Tum igitur pactum est saltem obligationis occasio, ut remotio valvarum accasio est illuminationis in hypocausto”.

107 Fundamenta I/V/XXXIV: “Cave tamen, ne putes, legem naturalem et positivam, divinam et humanam, esse species ejusdem naturae: lex naturalis et divina magis ad consilia pertinet, quam ad imperia, lex humana proprie dicta non nisi de norma imperii dicitur”.

108 Lieberwirth, Seite 123.

109 Luig in: Staatsdenker, Seite 242.

(26)

Aufgrund der Ingebrauchnahme der Gesetzgebungsmacht durch die Fürsten wurde dieses Machtverhältnis weiter gefestigt. Eine Verstärkung erfährt die Gesetzgebungshoheit zudem durch die Duldung des Kaisers.110 Die den Fürsten obliegende gesetzgebende Gewalt verschafft ihnen daher die Möglichkeit ihr Territorium, aber zum damaligen Zeitpunkt noch zersplittertes Staatswesen, in gewissem Maße zusammenzuhalten und überschauen beziehungsweise beherrschen zu können.111

Als Urheber oder Quelle eines Gesetzes versteht Thomasius denjenigen, der zu befehlen hat und bezieht sich somit auf den Herrscher.112 Das Gesetz verdeutlichte daher den Willen des Souverän. Schließlich wird Gott nunmehr nur noch als mittelbarer Gesetzgeber verstanden, dessen Wille mitunter in den Natur- und Vernunftgesetzen enthalten ist. Zudem hält Thomasius eine Publikation des vom Menschen erlassenen Gesetzes für dringend notwendig.113 Mithin fungiert das dem positiv geltenden Recht nicht zugehörige Naturrecht nur noch als Maßstab oder Empfehlung für den fürstlichen Gesetzgeber, nach welchem er sich nicht notwendigerweise richten muss, aber die Möglichkeit dazu hat.114

2. Der Umfang der Gesetzgebungshoheit

Den Umfang der fürstlichen Gesetzgebungshoheit versucht Thomasius mithilfe des „ius commune“ zu begründen, dessen Erörterung die gesamte ständische Befugnis umfasst Gesetze zu erlassen. Dabei stellt er die Frage, ob es den Reichsständen zustehen würde, vom gemeinen Recht abweichende Gesetze zu erlassen.

Das „ius commune“ versteht man zunächst als allgemein geltende Regel, welche zwar ergänzt, aber nicht verändert oder aufgehoben werden kann. In diesem Rahmen ist der Fürst in Bezug auf das Reich als absoluter Gesetzgeber tätig, da das „ius commune“ nur dann Geltung erlangt, wenn keine Spezialgesetze einschlägig sind.115

Zudem stellt sich Thomasius bezüglich der Begründung des Umfanges der ständischen Gesetzgebungshoheit gegen die damals herrschende Meinung, welche davon ausging, dass Territorialgesetze nichts vom Inhalt der Reichsgesetze differierendes anordnen dürften.

Thomasius jedoch argumentiert, dass es nicht im Interesse des gesamten Staates liege und

110 Luig in: Staatsdenker, Seite 242.

111 Lieberwirth, Seite 112.

112 Lieberwirth, Seite 123; Wolf, Seite 402.

113 Lieberwirth, Seite 123.

114 Schlosser, Seite 107.

115 Luig in: Staatsdenker, Seite 243.

(27)

nicht ratsam sei, wenn das territoriale Recht mit dem des Reiches völlig übereinstimme.116 Zudem sei es auch nicht möglich, dass der Reichsabschied die inneren Belange der Territorien sowie Gesetze für die fürstlichen Untertanen regeln könne.117 Schließlich darf nach thomasianischer Ansicht die territoriale Gesetzgebung aus diesem Grund von den Reichsabschieden abweichen.

Außerdem begründet Thomasius die Unabhängigkeit der territorialen Gesetzgebung darin, dass Einsprüche und Kommentare des Reichskammergerichtes nicht berücksichtigt werden müssten. Der Fürst sei zwar an die Norm des iustum gebunden, indem er die Rechte anderer nicht verletzen dürfe118, jedoch fehle eine Einrichtung, die dies auch kontrollieren könne.

Folglich sind die vom absoluten Fürsten selbst erlassenen Gesetze für diesen nicht bindend.119

Zudem erfasst das „ius commune“ ebenfalls das subsidiäre Recht, welches das römische, kanonische und langobardische beinhaltet. Thomasius vertritt gleichwohl mit der damals überwiegenden Meinung die Ansicht, dass das veraltete und verstarrte römische, kanonische sowie langobardische Recht einer modernen Auffassung entgegenstehen würde und somit von der territorialen Gesetzgebungshoheit verändert werden könne. Die grundlegende Abschaffung des römischen Rechts erscheint Thomasius zwar als zulässig, jedoch nicht sonderlich ratsam. Infolgedessen würde jede übereilte Kodifikation, also auch die Abschaffung des römischen Rechts, einen Schaden für den Staat darstellen.120

Festzuhalten ist, dass Thomasius den Umfang der territorialen Gesetzgebungshoheit am Begriff des „ius commune“ festzumachen versucht, welches den Ständen die umfassende Gesetzgebungskompetenz zuspricht. Schließlich ist die fürstliche Gesetzgebungsmacht der Kontrolle durch das Reich und das Reichskammergericht entzogen. Infolgedessen ist es dem absoluten Fürsten möglich in einem gewissen Rahmen von den Reichsabschieden abweichende Gesetze zu erlassen und subsidiäres Recht zu derogieren.121

3. Die Bedeutung der Gesetzgebung

Die Bedeutung der Gesetzgebung konzentriert sich vornehmlich auf die Universitäten und die juristische Ausbildung. Hierbei will Thomasius die Studenten mit den Ansichten einer

116 Luig in: Staatsdenker, Seite 244.

117 Luig in: Staatsdenker, Seite 244.

118 Stolleis, Seite 287.

119 Institutiones III/VI/CXVIII.

120 Luig in: Staatsdenker Seite 246.

121 Stolleis, Seite 301.

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