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DAS RECHT AUF NAHRUNG FÖRDERN

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Erfahrungen zwischen Menschenrechts- und Entwicklungsarbeit am Beispiel Zentralamerika

DAS RECHT AUF NAHRUNG FÖRDERN

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DAS RECHT AUF

NAHRUNG FÖRDERN

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Impressum:

Diese Veröffentlichung wird herausgegeben von der AG Landrechte Zentralamerika:

Brot für die Welt

Evangelischer Entwicklungsdienst MISEREOR

Christliche Initiative Romero FIAN

Terre des Hommes

Die Veröffentlichung wurde gefördert mit Mitteln von Brot für die Welt und MISEREOR.

Fotos:

Bernd Eidenmüller (Seiten 3, 9, 11, 14, 24, 26, 28, 31, 36) Brot für die Welt (Seiten 21, 22)

FIAN (Seiten 12, 36) MISEREOR (Seite 19)

Gestaltung: jore werbeagentur, Heidelberg Veröffentlicht im Mai 2011

Kontakt:

FIAN-Deutschland e.V.

Briedeler Straße 13 D-50969 Köln fian@fian.de

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Vorwort 1. Einleitung:

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in der Entwicklungszusammenarbeit – ein regionalspezifischer Blick auf den gegenwärtigen Stand der Debatte

2. Das Beispiel Zentralamerika:

Was wurde getan, was wurde erreicht?

A.

B.

C.

D.

E.

3. Worin bestand der Zugewinn des Menschenrechtsansatzes für die Entwicklungszusammenarbeit?

A.

B.

C.

4. Mit Menschenrechten gegen den Hunger – Bilanz A.

B.

C.

5. Ausblick 6. Bibliographie

7. Weiterführende Links

INHALT

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Fachberatung und Lobbyarbeit zum Recht auf Nahrung Recht auf Nahrung und ländliche Entwicklung. Erfahrungen von Partnern und Projekten

Nachhaltige Landwirtschaft und das Recht auf Nahrung:

Ein Ansatz kirchlicher Entwicklungsarbeit

Aktuelle Problemfelder der praktischen Arbeit zu Landwirtschaft und Recht auf Nahrung

Ländliche Entwicklung, nachhaltige Landwirtschaft und Menschenrechtsarbeit: Ergänzungen und Verstärkungen

Der Menschenrechtsansatz und die entwicklungspolitische Praxis Welche Rolle spielt eine politisch engagierte EZ zwischen

„rights' holders und „duty bearers“

Warum der Menschenrechtsansatz mehr ist als eine Mode

Die analytische Dimension: Hunger als menschenrechtliches Problem Die politisch-praktische Erfahrung: Recht auf Nahrung als

Handwerkszeug sozialer Kämpfe gegen die Ursachen des Hungers Zwischen Pragmatismus und Vision

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Die AG Landrechte Zentralamerika (im folgenden AG Landrechte) arbeitet seit 1997 gemeinsam zum Themenkomplex Landrechte und Recht auf Nahrung, nachhaltige Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, und Menschenrechtsansatz in der Entwicklungszusammenarbeit mit einem regionalen Schwerpunkt auf Zentralamerika. Über die nunmehr drei- zehn Jahre haben sich in der AG konti- nuierlich Brot für die Welt, Christliche Initiative Romero, der Evangelische Ent- wicklungsdienst, FIAN und MISEREOR engagiert. In jüngster Zeit ist noch Terre des Hommes dazugekommen. Mit dieser Publikation nehmen wir eine zusammen- fassende Bewertung der bisherigen menschenrechtsbasierten Arbeit vor, wie sie innerhalb der AG Landrechte zwischen 1997 und 2010 entwickelt und umgesetzt wurde.

Dieser Erfahrungsbericht will deutlich machen, worin die effektiven Synergien und die bleibenden Differenzen zwischen Entwicklungs- und Menschenrechtsarbeit bestehen. Es geht um die Auseinander- setzung mit zwei verschiedenen Frage- richtungen. Einerseits um die Frage, welche Rolle die Menschenrechte, speziell das Recht auf Nahrung, im Einsatz gegen die Ursachen von Hunger und Unterernährung spielen kann.

Andererseits um die Frage, inwiefern die

menschenrechtliche Herangehensweise für die Ziele und Praxis der Entwicklungs- zusammenarbeit einen Zugewinn be- deutet. In beiden Fragerichtungen geht es um die Chancen, Grenzen und Potenziale im Zusammenspiel der beiden Perspek- tiven, und um die festgestellten und möglichen Synergien und Unterschiede zwischen beiden Perspektiven. Die mit den verschiedenen Blickwinkeln ver- bundenen unterschiedlichen Ausdrucks- weisen werden auch in dieser Publikation deutlich.

Diese Schrift wendet sich an Fachleute aus der nichtstaatlichen und staatlichen Entwicklungszusammenarbeit sowie aus Menschenrechtsorganisationen und –institutionen, die sich für den Zu- sammenhang zwischen Entwicklungs- und Menschenrechtsarbeit interessieren.

Im April 2011

Das Redaktionsteam:

Christine Born Frank Garbers Heinz Oelers

Albrecht Schwarzkopf Wolfgang Seiß Anja Voigt

Martin Wolpold-Bosien

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KAPITEL 1 | EINLEITUNG

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Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in der Entwicklungszusammen- arbeit – ein regional-spezifischer Blick auf den gegenwärtigen Stand der Debatte.

Die AG Landrechte hat sich seit Beginn ihrer Arbeit intensiv mit dem Verhältnis zwischen Menschenrechtsansatz und Entwicklungszusammenarbeit ausein- ander gesetzt. Konzeptionelle Debatten wurden dabei immer erfahrungs- und kontextbezogen auf Zentralamerika und unsere gemeinsamen Handlungsanlie- gen geführt. Alle Arbeitsprogramme, die seit 1997 in der AG Landrechte diskutiert wurden, standen unter diesem Fokus. Die Bewertung ihrer Umsetzung führte immer auch zu einer vertieften Beschäf- tigung mit der Frage, was nun dieser Menschenrechtsansatz in der Entwick- lungszusammenarbeit für eine Rolle spielen kann: welche Reichweite, welche Grenzen sind zu erkennen? Inwieweit ergänzen sich die Ansätze, wo liegen die Gegensätzlichkeiten, konzeptionell und in der Praxis?

In Verbindung mit den Debatten in der AG Landrechte wurden auch spezifische Publikationen zum Thema angefertigt. Zu nennen ist das Politikpapier über

„Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte als Herausforderung für die deutsche Entwicklungszusammen- arbeit mit Zentralamerika“, das FIAN in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll- Stiftung erstellte. Das im Januar 2000 veröffentlichte Papier wurde von der 1

Leitung im deutschen Bundesminis- terium für wirtschaftliche Zusammen- arbeit und Entwicklung (BMZ) aufge-

griffen und für den dann hausintern beginnenden Diskussionsprozess zum Menschenrechtsansatz in der Ent- wicklungszusammenarbeit genutzt. Eine weitere Studie im Auftrag der GTZ folgte 2001 zum Thema der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (WSKR) als Herausforderung für die Landpolitiken in Zentralamerika . Ausgehend von einer 2

menschenrechtlichen Analyse der land- relevanten Politiken in vier Staaten Zentralamerikas wurden Handlungs- empfehlungen auch für die Entwicklungs- zusammenarbeit formuliert.

In den Jahren seither hat das Thema Menschenrechtsansatz in der deutschen und weiteren europäischen Entwick- lungszusammenarbeit eine wachsende Aufmerksamkeit erfahren, unter staat- lichen wie nicht-staatlichen Akteuren. In dieser Publikation geht es nicht darum, diesen Prozess nachzuzeichnen , sondern 3

einen spezifischen Beitrag zu dieser Debatte zu leisten, aus dem Erfahrungs- schatz der regional ausgerichteten Arbeit.

Die intensive Verbindung mit der euro- päischen Ebene erfolgte über die regionalspezifische Zusammenarbeit der AG Landrechte mit den Netzwerken

4 5 6 7

CIFCA , CIDSE , APRODEV , Grupo Sur : die Durchsetzung der Menschenrechts- perspektive in die europäischen Be- ziehungen mit Zentralamerika war und ist der gemeinsame normative und politi- sche Bezugsrahmen zahlreicher Lobby- Initiativen. Auch die internationalen Ko- operationen zur regionalspezifischen Arbeit erfolgten entweder direkt mit Menschenrechtsorganisationen wie der

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FIDH , OMCT , CEJIL oder auf der Basis des Menschenrechtsansatzes mit ande-

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Martin Wolpold-Bosien, Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte als Herausforderung für die Entwicklungszusammenarbeit mit Zentralamerika, Ediciones Heinrich Böll, San Salvador, Januar 2000.

Ralf Leonhard/Martin Wolpold-Bosien: Los Derechos Económicos, Sociales y Culturales y las Políticas Agrarias en América Central, FIAN/GTZ, Heidelberg, Januar 2001.

Siehe dazu: Deutsches Institut für Menschenrechte

UN-Hochkommissariat für

Menschenrechte ; einen Überblick über Informationsquellen

Siehe http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/uploads/tx_commerce/ez-linklist_hr_and_development_cooperation.pdf

CIFCA (Copenhagen Initiative for Central America and Mexico) ist ein Netzwerk con 40 Nichtregierungsorganisationen und Netzwerken aus dem Entwicklungs-, Menschenrechts- und Solidaritätsbereich mit Sitz in 10 europäischen Ländern. www.cifca.org

CIDSE (International Cooperation for Development and Solidarity) ist ein internationaler Zusammenschluß katholischer Entwicklungsorganisationen. www.cidse.org

APRODEV (Association of World Council of Churches Related Development Organisations in Europe) ist der Zusammenschluß europäischer Entwicklungs- und humanitärer Hilfsorganisationen. www.aprodev.org

Grupo Sur ist eine Allianz verschiedener europäischer Nichtregierungsorganisationen, die zur Nord-Süd-Problematik arbeiten.

www.gruposur.eu.org

FIDH (Federación Internacional de Derechos Humanos) ist ein internationaler Zusammenschluss von 164 Menschenrechtsorganisationen.

www.fidh.org

OMCT (World Organisation Against Torture) ist ein internationaler Zusammenschluss von Organisationen, die sich gegen Folter einsetzen.

www.omct.org

CEJIL (Center for Justice and International Law) ist ein auf das interamerikanische Menschenrechtssystem spezialisierte Nichtregierungsorganisation, www.cejil.org

http://www.institut-fuer-

menschenrechte.de/de/themen/entwicklungszusammenarbeit/schwerpunkte/menschenrechtsansatz.html;

http://www.ohchr.org/Documents/Publications/FAQen.pdf

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ren Entwicklungsorganisationen wie

11 12

ActionAid und Oxfam .

Vor diesem Erfahrungshintergrund inter- nationaler Zusammenarbeit für eine regionalspezifische Anwendung des Menschenrechtsansatzes in der Entwick- lungszusammenarbeit lassen sich als eine Art Zwischenbilanz folgende Beo- bachtungen zum aktuellen Stand der Debatte formulieren:

Der Menschenrechtsansatz, inklusive der Gültigkeit der WSK-Rechte , hat in den 13

vergangenen Jahren Einzug gehalten auf der politisch-konzeptionellen Ebene vieler staatlicher und nicht-staatlicher Akteure der Entwicklungszusammenarbeit:

Die Unteilbarkeit und Interdependenz aller Menschenrechte und damit insbe- sondere die Gleichrangigkeit der WSK- Rechte wird im Prinzip anerkannt und nur noch selten offen bestritten. Die beson- dere Rolle der WSK-Rechte für die Ver- stärkung einer armutsorientierten Ent- wicklungszusammenarbeit hat in den vergangenen Jahren eine zunehmende Anerkennung erfahren und explizite staatliche Strategien und Programme zur Förderung der Menschenrechte, insbe- sondere der WSK-Rechte im Rahmen entwicklungspolitischer Maßnahmen 14

sind aufgelegt worden.

Auch bilden die WSK-Rechte inzwischen eine wichtige gemeinsame Basis für die Lobby- und Kampagnenarbeit vieler europäischer Nichtregierungsorganisa- tionen. Es wird zunehmend anerkannt, dass zwischen den zentralen Begriffen des Menschenrechtsansatzes einerseits und des Entwicklungsansatzes anderer- seits weder eine Identität besteht noch ein Gegensatz, sondern dass sich diese gegenseitig ergänzen.

Der programmatische Schritt von den

„basic needs“ zu „basic rights“ besteht darin, dass der Zugang zu den Grund- bedürfnissen (Nahrung, Kleidung, Woh- nung, Einkommen, Gesundheit, Bildung)

rechtlich abgesichert wird. WSK-Rechte bieten einen Rechtsschutz für den Zugang zu Grundbedürfnissen. Das Grundbe- dürfnis ist das durch die Menschenrechte gewahrte Rechtsgut. Der oder die Bedürftige wird dadurch zunächst als Rechtssubjekt wahrgenommen, nicht als Hilfeempfänger/in. Dieser Wandel ist fundamental für Empowerment-Pro- zesse.

Mittlerweile wird nicht mehr bestritten, dass Menschenrechte Staatenpflichten begründen (die Achtungspflicht, die Schutzpflicht und die Gewährleistungs- pflicht). Dadurch werden die Rechte einklagbar. Wenn sie nicht einklagbar sind, verlieren sie ihre juristische Daseins- berechtigung. Menschenrechte sind mehr als politische Ziele, sie etablieren ver- bindliche Kriterien für staatliches Handeln. Die Menschenrechte, auch die WSK-Rechte, werden immer wieder angeführt, wenn es um die Benennung der gemeinsamen normativen Basis für die Zusammenarbeit staatlicher, nicht- staatlicher und zwischenstaatlicher Akteure der Entwicklungszusammen- arbeit geht, die für alle Beteiligten gleichermaßen verbindlich ist.

Die Umsetzung in die Praxis der staat- lichen Entwicklungszusammenarbeit hat erste Fortschritte gemacht, ist aber an wesentlichen Punkten nicht weiter- gekommen:

In der sektoralen und länderspezifischen Rahmenplanung der deutschen und EU- Kooperation haben die WSK-Rechte schrittweise Einzug gehalten in die deutsche und europäische Kooperation mit Zentralamerika. Die deutsche Bun- desregierung etwa hat Guatemala als Pilotland zur Umsetzung des Menschen- rechtsaktionsplans ausgewählt und den Schwerpunkt auf Recht auf Bildung gelegt . Die Länderstrategie der Euro-15

päischen Kommission zu Guatemala hat spezifische Resolutionen zum Recht auf Nahrung und ländlicher Entwicklung des

Action Aid ist eine regierungsunabhängige internationale Entwicklungsorganisation. www.actionaid.org

Oxfam ist der internationale Verbund unabhängiger nationaler Oxfam Hilfs- und Entwicklungsorganisationen. www.oxfam.org

WSK-Rechte: wirtschaftlich, soziale und kulturelle Rechte, völkerrechtlich niedergelegt im internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR)

Beispielhaft wäre zu nennen der „Entwicklungspolitische Aktionsplan für Menschenrechte“ des deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), ww.bmz.de

http://www.gtz.de/de/themen/politische-reformen/demokratie-rechtsstaat/20768.htm 11 |

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8

Europäischen Parlaments aufgegriffen und Ernährungssicherheit und ländliche Entwicklung in ihrer Länderstrategie zu Guatemala 2007-2012 aufgenommen .16

Allerdings kommen die WSK-Rechte im politischen Dialog nach wie vor kaum oder nur indirekt vor. Die bürgerlichen und politischen Rechte und die Situation der Menschenrechtsverteidiger/innen stehen weiter im Vordergrund. Im Falle Guatemalas zum Beispiel ist die Unteil- barkeit der Menschenrechte aber gar nicht zu übersehen: etwa die Hälfte aller bedrohten Menschenrechtsverteidiger/

innen setzt sich für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ein .17

Die Menschenrechtsklausel in den EU- Verträgen mit Drittstaaten wird von der Europäischen Kommission weiterhin sehr reduktionistisch interpretiert: es ist derzeit wenig mehr als eine Ausstiegsklausel im Falle schwerer Menschenrechtsver- letzungen. Bei den Projekten und Pro- grammen haben staatliche Träger vor allem jene Vorschläge aufgegriffen, die sich auf die Unterstützung staatlicher Institutionen (zum Beispiel der nationalen Ombudsinstitutionen) beziehen, oder als Zielgruppe von Bildungsmaßnahmen öffentliche Angestellte und Funktions- träger/innen haben. Grundsätzlich scheint ein altes Dilemma der zwischenstaat- lichen Zusammenarbeit sich auch in diesem Bereich zu wiederholen. Die staat- liche Entwicklungszusammenarbeit rich- tet sich stark nach den Prioritäten der Partnerregierung. Es bleibt die Frage, was zu tun ist, wenn diese den WSK-Rechten nicht die gebührende Beachtung schenkt, sondern den damit verbundenen gesell- schaftlichen Polarisierungsprozessen Vor- schub leistet.

Bei der multilateralen Entwicklungs- zusammenarbeit ist eine deutliche Differenz zwischen den internationalen Finanzinstitutionen (Weltbank, Wäh- rungsfonds, Interamerikanische Entwick- lungsbank) einerseits und UN-Organi- sationen wie UNDP oder FAO zu erkennen. Während die letzteren sich ausführlich mit menschenrechtlichen Ansätzen und Programmen auseinander-

gesetzt haben, sind die ersteren trotz rhetorischer Variationen nicht bereit, sich einer menschenrechtlichen Rechen- schaftspflicht zu unterziehen.

Sehr wenig Bewegung ist auch im Bereich der Politikkohärenz zu erkennen. Nach wie vor werden menschenrechtliche Festlegungen in der Entwicklungs- zusammenarbeit in anderen für Ent- wicklung relevanten europäischen Poli- tiken nicht ernst genommen: die Handels- und Investitions-, die Energie- und Agrar- politiken der Europäischen Union achten bislang nicht ernsthaft darauf, ob sie negative Effekte für Menschenrechte in Drittstaaten zeitigen oder nicht. Auch in den 2010 abgeschlossenen Verhand- lungen über ein Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und Zentralamerika ist das Gebot der men- schenrechtlichen Politikkohärenz unge- hört geblieben.

Bei der praktischen Umsetzung in der nicht-staatlichen Entwicklungszusam- menarbeit sind große Fortschritte erkenn- bar. Im Detail werden konkrete, regional- spezifische Erfahrungen in den folgenden Kapiteln erläutert. Im Wesent-lichen kann zunächst festgestellt werden:

Eine weiter wachsende Anzahl entwick- lungspolitischer Nichtregierungsorgani- sationen in Europa haben inzwischen einen Menschenrechtsansatz als Orien- tierungsrahmen für ihre Arbeit definiert.

Die WSK-Rechte haben in zahlreichen internationalen Kampagnen als Plattform für aktionsbezogene Bündnisse gedient.

Auch gerade auf der EU-Ebene sind die Menschenrechte, insbesondere die WSK- Rechte, ein zentraler und immer wieder explizit genannter Referenzrahmen für die Lobbyarbeit mit den europäischen Institutionen.

In der Projektarbeit der nichtstaatlichen Zusammenarbeit ist vielfach diskutiert worden, was eigentlich ein „WSK-Rechte- Projekt“ ist und worin nun der „Mehr- wert“ des Menschenrechtsansatzes für die entwicklungspolitische Praxis liegt.

Insgesamt scheint sich die mit der

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Siehe Textbox zur Lobbyprozess für das Recht auf Nahrung als Herausforderung für die europäische Kooperation mit Guatemala, S.16 Siehe die jährlichen Berichte zu Übergriffen gegen Menschenrechtsverteidiger/innen in Guatemala von UDEFEGUA unter:

http://udefegua.org/index.php/informes

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„Modeerscheinung“ Menschenrechts- ansatz einhergehende Befürchtung einer einfachen Umetikettierung der bestehen- den Praxis nicht bewahrheitet zu haben.

Stattdessen geht die Tendenz hin zu einer engeren, präzisen Definition der WSK- Rechte-Projekte analog zur bisherigen Förderung von Vorhaben politischer und bürgerlicher Rechte: Projekte, die explizit und direkt auf einen verbesserten Schutz und auf die effektive Einklagbarkeit von Menschenrechten abzielen.

Insgesamt lässt sich bei staatlichen wie nicht-staatlichen Akteuren der Ent- wicklungszusammenarbeit eine wachs- ende Zustimmung dazu beobachten, dass einerseits ohne die Achtung der Men- schenrechte armutsorientierte Entwick- lungszusammenarbeit nicht möglich ist und andererseits die Entwicklungsarbeit einen wesentlichen Beitrag dazu leisten kann, damit die Menschenrechte, insbesondere die WSK-Rechte umgesetzt und weitere Instrumente zu ihrer Durchsetzung auf nationaler und inter- nationaler Ebene entwickelt werden.

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KAPITEL 2 |

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DAS BEISPIEL ZENTRALAMERIKA: WAS WURDE GETAN, WAS WURDE ERREICHT? EIN ÜBERBLICK

Nachdem die AG Landrechte Zentral- amerika ihre konstituierende Phase 1996 abgeschlossen hatte, wurde 1997/98 ein Pilotprojekt zur Lobbyarbeit für Land- rechte in Honduras durchgeführt. Seither hat sich die Arbeitsgruppe auf einen Prozess der Förderung des Rechts auf Nahrung, der Stärkung der Landrechte und der WSK-Rechte in Zentralamerika verständigt, der in zwei Dimensionen geteilt werden kann: a) ein gemeinsames Projekt zur Fachberatung und Lobby- arbeit, mit dessen Umsetzung FIAN betraut wurde, dessen Projektbeirat aber gleichzeitig die AG Landrechte ist; und b) die eigenen Beiträge und Aktivitäten der einzelnen AG-Mitglieder zu diesem gemeinsamen Prozess.

Dieses Kapitel fasst zusammen, in welcher Weise das gemeinsame Projekt zur Fachberatung und Lobbyarbeit, das seit 1998 mehrfach erneuert wurde, mit den weiteren Initiativen für ländliche Entwicklung und nachhaltige Landwirt- schaft zur Stärkung der WSK-Rechte verbunden wurde – was wurde getan, was wurde erreicht.

A. Fachberatung und Lobbyarbeit zum Recht auf Nahrung

Das gemeinsame Projekt war von Anfang an konzipiert als substantielle Schritte eines Prozesses, mit dem die Mitglieder der AG Landrechte Landzugang und nachhaltige ländliche Entwicklung in Zentralamerika mit einem menschen- rechtlichen Ansatz unterstützen wollten.

Kernanliegen war es, den Einsatz für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der ländlichen Armen, insbe- sondere im Blick auf ihre Landrechte, fachlich und politisch zu unterstützen. Die Aufteilung in eine Komponente Fach- beratung und eine Komponente Lobby- arbeit ergibt sich aus dieser grund- legenden Entscheidung und ist seither als nützlich bewertet und daher wieder aufgelegt worden.

Schwerpunktländer des Projektes waren Guatemala und Honduras, mit wesentlich geringerer Intensität wurde zu Nicaragua

und El Salvador gearbeitet. Der Schwer- punkt der inhaltlichen Arbeit verlagerte sich mit der Zeit vom Recht auf Land hin zum Recht auf Nahrung. Diese Verlager- ung bedeutete weniger eine thematische als eine methodische Akzentuierung: das Menschenrecht auf Nahrung, als bereits von allen zentralamerikanischen Staaten für sich gültig anerkanntes Recht, ver- pflichtet die staatlichen Institutionen, das Rechtsgut (Zugang zu angemessener Nahrung) zu respektieren, zu schützen und zu gewährleisten. In den meisten Fällen geht es bei der Anwendung dieser Staatenpflichten um den Zugang zu und die Kontrolle über natürliche Ressourcen, insbesondere Land, oft auch Wasser.

Im Rahmen des Projektes arbeitet FIAN als von der AG Landrechte mit der Um- setzung beauftragte Organisation mit zahlreichen Akteuren auf mehreren Ebe- nen zusammen. Auf der lokalen Ebene – im Rahmen der Fallarbeit – mit den- jenigen ländlichen Gruppen und Gemein- den, die um ihre Ernährungsgrundlage kämpfen. Dies sind Landlose und Landarbeiter/innen, Bäuerinnen und Bauern, Indigene Gemeinden und Völker sowie Fischerinnen und Fischer.

Auf der nationalen Ebene erfolgt die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaft- lichen Akteuren wie Bauernorganisa- tionen, indigene Verbände, Kirchen, Men- schenrechts- und Entwicklungsorganisa- tionen und staatlichen Akteuren aus Regierung (etwa der präsidentiellen Menschenrechtskommission, der Land- konfliktschlichtungsstelle, dem Agrar- reforminstitut, Landfonds, dem Er- nährungssicherheits-Ministerium), Justiz (etwa Staatsanwaltschaft, Oberster Gerichtshof, Justizschule), Parlament und den Ombudsinstitutionen für Menschen- rechte.

Auf der internationalen Ebene wird mit internationalen Nichtregierungsorgani- sationen und Netzwerken wie CIFCA, CIDSE, APRODEV, Action Aid, Oxfam, FIDH, CEJIL und OMCT ebenso ko-18

operiert wie mit Akteuren der staatlichen, insbesondere der europäischen Ent- wicklungszusammenarbeit, (Europäische

18 | Vgl. Fußnoten 4-12

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Kommission, Europäisches Parlament, BMZ und Bundestag) und Instanzen der Vereinten Nationen wie dem UN- Ausschuss über WSK-Rechte, dem UN- Sonderberichterstatter zum Recht auf Nahrung, dem UN-Hochkommissariat für Menschenrechte und der FAO.

Für die Rolle des Projektes und die Rolle des damit einhergehenden Prozesses ist wesentlich, den Kontext der zentralameri- kanischen Region nach dem Ende der bewaffneten Konflikte (post-conflict) in den Blick zu nehmen. Die Erwartungen der Bevölkerung an den Frieden gingen über das Schweigen der Waffen hinaus.

Doch es zeichnete sich alsbald ab, dass sich die sozio-ökonomische Lage der Bevölkerungsmehrheiten nicht ver- bessern, sondern die soziale Ungerechtig- keit weiter dominieren und weiter Teile der Gesellschaft von der wirtschaftlichen Gewinnbeteiligung fernhalten würde. In dieser Phase war es verständlich, dass sich unter den zivilgesellschaftlichen Organisationen ein großes Interesse an den WSK-Rechten entwickelte, da sie ein neues, konkretes und bindendes Instru- mentarium darstellten, um den Staat gegen diskriminierende, wirtschaftlich repressive oder ausbeuterische Prozesse in die Pflicht zu nehmen.

In diesem Kontext stieß das Angebot der Fachberatung auf großes Interesse. Und da es neben der theoretischen Beratung durch die Lobbykomponente die Möglich- keiten der praktisch-politischen Aktion zu einzelnen Fällen und relevanten Politiken eröffnete, war für die beteiligten zivil- gesellschaftlichen Akteure in Zentral- amerika schnell erkennbar, ob sich die Beschäftigung mit der neuen Thematik tatsächlich lohnte. Dass im Rahmen des Projekts selbst keinerlei finanzielle Anreize für die lokalen Organisationen geboten wurden, war für den Prozess nicht unbedingt ein Nachteil. Jedenfalls ist es beeindruckend zu beobachten, wie sich der Einsatz für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte, speziell für das Recht auf Nahrung, in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren multipliziert und in die programmati- schen Kernbereiche zahlreicher Organisa-

tionen aufgenommen wurde und in der politischen Arbeit angewendet wird. Der mit dem gemeinsamen Projekt der AG Landrechte verbundene Prozess hat dazu einen bescheidenen, aber nicht un- wesentlichen Beitrag geleistet.

Die Aktionslinien des Projektes bestan- den in der exemplarischen Fallarbeit zu Verletzungen des Rechts auf Nahrung, Weiterbildung und Beratung sowie der internationalen Lobbyarbeit für das Recht auf Nahrung in Zentralamerika.

Die exemplarische Fallarbeit zu Ver- letzungen des Rechts auf Nahrung schließt die Recherche, Dokumentation, Intervention und langfristige Begleitung ein. Damit verbundene Aktivitäten sind sogenannte internationale Untersuch- ungsmissionen, d.h. Besuche der vom Verlust ihrer Ernährungsbasis bedrohten oder betroffenen Gemeinden, die Koordi- nation mit den begleitenden zivilgesell- schaftlichen Organisationen, Gespräche mit den staatlichen Zuständigen aus Re- gierung und Justiz und eine Fallstrategie, die auch öffentlichen und internationalen Druck zum Schutz der Menschenrechte aufbaut, etwa über Pressekonferenzen, internationale Protestbriefaktionen, Fall- kampagnen oder die Vorstellung solcher Fälle auf internationalem Parkett in Brüssel oder Rom. Mehrere derartige internationale Untersuchungsmissionen

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(Fact-Finding-Missions) wurden nach Guatemala, Honduras und Nicaragua durchgeführt, mit durchgängig signifi- kanter Wirkung in den Medien und auf die Entscheidungsträger/innen.

In zahlreichen Fällen konnten ent- scheidende Durchbrüche und Erfolge erzielt werden, dies jedoch nur im Zusammenspiel mehrerer wichtiger Faktoren (siehe dazu mehr in Kapitel 4B).

Die Wirkung der menschenrechtlichen Herangehensweise ist allerdings je nach Fall sehr unterschiedlich. In den meisten

Sechzig landlose Bäuerinnen besetzten am 10. Juni 2001 ein brachliegendes Terrain an der honduranischen Atlantik- küste. Seit bald zehn Jahren behaupten sie sich auf dem Landstück. Der Kern der Gruppe entstand als Hausfrauenklub.

Nachdem 1998 der Hurrikan Mitch über das Land gefegt war und sie mit dem Wenigen, das ihnen geblieben war, kein Auskommen mehr hatten, suchten sie eine sichere Ernährungsgrundlage und besetzten brachliegendes Land der nationalen Universität. Die meisten von ihnen sind alleinerziehende Mütter.

Zunächst wurden sie vom nationalen Agrarreforminstitut unterstützt. Darüber hinaus hatte sich auch das honduranische

Fällen ist es bei Etappensiegen geblieben:

das endgültige Ziel, etwa vollständige Rechtssicherheit über das bearbeitete Land zu erhalten, wurde nicht erreicht, aber die akute Bedrohung, etwa eine bevorstehende gewaltsame Vertreibung, konnte über Jahre hinweg gestoppt werden. Fast alle Fälle, die durch FIAN im Rahmen des Projekts begleitet wurden, brauchen einen langen Atem. Ein bezeichnendes Beispiel dafür ist der Fall der „Frauenbewegung 10. Juni“ im Norden von Honduras.

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DER FALL DES MOVIMIENTO DER MUJERES 10 DE JUNIO, HONDURAS.

Parlament mit dem Fall befasst und bestätigt, dass das Land an die Agrar- reformbehörde zurückfallen und dann an die Frauengruppen übertragen werden sollte.

Doch letztlich setzte sich die Universität gegen die juristisch nicht optimal beratenen Frauengruppen durch. So fand die erste gewaltsame Räumung am 6. Februar 2002 statt. Die einfachen Behausungen der Frauen wurden niedergerissen, der darin befindliche Hausrat verbrannt; die Frauen verloren aber nicht den Mut und kamen zurück. Sie suchten nach lokaler, nationaler und internationaler Unterstützung, bildeten sich fort. Sie gingen den Weg durch die juristischen Instanzen und zu den politischen Entscheidungsträgern und machten ihren Fall mit der Unterstützung des Landrechte- Projektes international bekannt. Seit 2007 gibt es eine Zusicherung der Universität, dass sie keine erneute Vertreibung mehr beantragen wird. Im April 2008 wurde ein Gesetz zur Sanierung der nicht gelösten Landkonflikte erlassen. Darunter fällt auch dieser Fall, sodass die Frauen bis Mitte 2009 auf eine baldige Lösung zu ihren Gunsten hofften. Allerdings haben sich durch den Staatsstreich am 28. Juni 2009 auch die Rahmenbedingungen für diesen Fall grundlegend verändert. Die Umsetzung des Landsanierungsgesetzes vom April 2008 wurde von den Putschisten auf Eis gelegt. Im Januar 2011 annullierte der Oberste Gerichtshof das Landsanierungsgesetz. Es ist nicht wahrscheinlich, dass dieser Fall in den kommenden Monaten eine Lösung findet wird, zumal die Frauen in der honduranischen Widerstandsbewegung gegen den Putsch aktiv sind. In der Zwischenzeit haben sie sich eine selbständige Ernährungsbasis aufgebaut: Sie haben Gemüse, Früchte, Mais und Bohnen angebaut, halten Kühe und BOX 01

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Kleintiere. Ihr Einkommen ist gewachsen, die Kinder sind gut ernährt. Sie haben große Fortschritte erzielt, wenn auch noch keinen Landtitel in der Hand. Sie sagen, sie hätten gelernt, ihre Rechte zu verteidigen und keine Angst mehr zu haben .19

BOX 01

19 | Siehe ausführliche Publikation zu diesem Fall: Persiguiendo un Sueño, Sánchez, Sandra Marybel, FIAN Int., 2007

Die Fälle sind für alle Beteiligten eine Lernerfahrung für die Einklagbarkeit des Rechts auf Nahrung: Sie verdeutlichen, mit welcher Methodologie das Instru- ment der WSK-Rechte für das Wohl bedrohter Gemeinden eingesetzt werden kann. Aus lokaler Sicht bietet sich hier ein zusätzliches Handwerkszeug für ihren Kampf, das allerdings die bisherigen nicht ersetzt und auch nicht per se die meist bestehenden Machtasymmetrien auf- hebt. Der Menschenrechtsansatz ist in den vom Projekt begleiteten Land-, Arbeits-, Bergbau- oder Wasserkonflikten als für die Betroffenen nützlich über- nommen worden, weil er ihnen eine rechtliche Handhabe gegen die staat- lichen Verantwortlichen gibt. Dies ist nicht

selbstverständlich, da generell in der ländlichen, armen Bevölkerung eine hohe Skepsis gegenüber Justiz und juristischen Ränkespielen vorherrscht. An konkreten Beispielen hat sich jedoch gezeigt, dass die präzise Dokumentation einer Men- schenrechtsverletzung nicht nur das Unrecht national und international sicht- bar macht, sondern gerade damit die zuständigen Behörden unter Legitima- tionsdruck stellt. Eine vollends gelungene Lernerfahrung ist ein gewonnener Fall: er dient als motivierendes Beispiel dafür, dass es möglich ist, die vorherrschende Straffreiheit auch bei Verletzungen von WSK-Rechten zu durchbrechen. Ein ge- wonnener Fall zeigt, dass sich der Einsatz für die eigenen Rechte lohnen kann.

DER FALL DER ENTLASSENENEN KAFFEEARBEITER/INNEN DER FINCA MARIA DE LOURDES

BOX 02

Zum Beispiel der Fall der widerrechtlich entlassenen Landarbeiterinnen und Landarbeiter der Kaffeeplantage Maria de Lourdes in Génova, Guatemala. Dessen Lösung liegt zwar bereits ein paar Jahre zurück, er ist aber auch wirkungsgeschichtlich interessant. Die damals gemachte positive Erfahrung hat ihren Teil dazu beigetragen, dass die beteiligten lokalen Organisationen, insbesondere die Landpastoral und das zivilgesellschaftliche Bündnis Plataforma Agraria die Einforderung des Rechts auf Nahrung später in ihrer politischen Agenda verankert haben.

Nach 12 Jahren ernteten die Männer und Frauen, die auf der Plantage gearbeitet haben, die Früchte ihres Kampfes. Ihr Erfolg hatte insofern eine besondere Bedeutung, da die besagte Plantage der Familie Óscar Bergers gehört, der von 2004 bis 2008 Präsident Guatemalas war. Der Fall ist typisch für die Lage in den Kaffeeregionen des Landes: Als die 47 Landarbeiterfamilien 1992 eine Gewerkschaft gründeten, um ihre Arbeitsrechte zu vertreten, wurden sie illegal entlassen. Die Arbeiter und Arbeiterinnen brachten ihren Fall vor Gericht, und das Gesetz war auf ihrer Seite. Dennoch wurde die gerichtliche Entscheidung zur unmittelbaren Wiedereinstellung und Bezahlung der vorenthaltenen Löhne nie umgesetzt. Um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, besetzten die Familien Ende 2003 das Verwaltungsgebäude der Plantage. Von dort wurden sie kurz nach der Regierungsübernahme durch Berger gewaltsam vertrieben.

Auf Anfrage der katholischen Landpastoral recherchierte FIAN den Fall und startete gemeinsam mit den guatemaltekischen und internationalen Partnern eine Kampagne zur Unterstützung der Arbeiter/innen. Die Kampagne bestand in zahlreichen Aktionen, die darauf basierten, die menschenrechtlichen Verpflichtungen des Staates gegenüber den Arbeiter/innen einzuklagen. Nach mehrmonatiger Kampagne ernannte der damalige Staatspräsident einen Beauftragten, der mit den Landarbeiter/innen und der

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14

BOX 02

Zunächst richteten sich die Maßnahmen zur Weiterbildung und Beratung aus- schließlich auf die rights holders20, also auf diejenigen, die von Verletzungen der WSK-Rechte bedroht oder betroffen sind bzw. an diejenigen Organisationen und Rechtsverteidiger/innen, die diese in ihren Kämpfen begleiteten. Die Maßnahmen des Projektes während der letzten 13 Jahre haben einen signifikanten Anteil daran, dass heute die Kenntnis und Erfahrung der Anwendung der WSK- Rechte bei zahlreichen zivilgesellchaft- lichen Akteuren in Guatemala und Hon- duras wesentlich höher ist als noch vor wenigen Jahren. Insbesondere wurden durch die beratende Tätigkeit des Projektes weitere Prozesse angeregt und begleitet.

Schwerpunktthemen der Weiterbildungs- maßnahmen waren in den vergangenen Jahren: Einführung in Konzeption und Anwendung des Menschenrechts auf Nahrung und anderer WSK-Rechte · Do- kumentation von Verletzungen des Rechts auf Nahrung, insbesondere im Rahmen von Land-, Arbeits-, Wasser- und Arbeitskonflikten · Strategien zur politi- schen und juristischen Einklagbarkeit der WSK-Rechte, insbesondere des Rechts auf Nahrung · Recht auf Nahrung und Gendergerechtigkeit · Agrarreform als menschenrechtliche Staatenpflicht · Mo- nitoring staatlicher Politiken auf der Grundlage der Verpflichtungen gegen- über dem Recht auf Nahrung · Extra- territoriale Staatenpflichten und interna- tionale Handels-, Investitions- und Ent- wicklungspolitiken.

20 | Rights holders“ werden in der menschenrechtlichen Terminologie diejenigen genannt, die Recht in Anspruch zu nehmen haben. Als „duty bearers“ werden die jeweiligen staatlichen Pflichtenträger bezeichnet, die jene Verpflichtungen umsetzen müssen, die der jeweilige Staat durch den Beitritt zu einem Menschenrechtsvertrag eingegangen ist.

Landpastoral binnen weniger Wochen im September ein Übereinkommen aushandelten. Die Landeigentümer zahlten an die Landarbeiter/innen 55% der Löhne, die sie seit der illegalen Entlassung erhalten hätten. Außerdem übernahm der Grundbesitzer die Kosten für das Land, auf dem sie seit Oktober 2004 leben. Ihren neuen Grundbesitz nannten die Familien “Paradies.” Der Fall „Maria de Lourdes“

wurde in der Folge oft genannt und hat andere dazu ermutigt, auch in den scheinbar

„rechtsfreien“ Kaffeeplantagen, die eigenen Rechte einzufordern, selbst wenn die vorherrschenden Machtverhältnisse denen zwischen David und Goliath ähneln.

(15)

Seit 2003 wurden von FIAN im Rahmen dieses und anderer Projekte zusätzlich Fortbildungsseminare mit staatlichen Ins- titutionen (duty bearers ) durchgeführt, 17

um Leitungs- und Fachebene über die völkerrechtlichen Verpflichtungen des Staates im Blick auf das Recht auf Nahrung zu informieren. Beispielsweise wurden solche Seminare für Richter/

innen und Staatsanwält/innen in gemein- samer Trägerschaft mit den Obersten Gerichtshöfen und den Staatsanwalt- schaften in Guatemala und Honduras durchgeführt. Schwerpunktthemen dieser Seminare sind die Justiziabilität des Rechts auf Nahrung im jeweiligen Land und Einführung in die internationalen Standards zu ihrer Anwendung, beson- ders in Land- und Arbeitskonflikten sowie im Blick auf die Rechte der von Unter- ernährung bedrohten Kinder.

Beteiligt waren an diesen Seminaren neben Mitgliedern und Berater/innen der Obersten Gerichtshöfe, Richter/innen und Staatsanwält/innen aus Gebieten mit starken Land- und Arbeitskonflikten, Re- gierungsbeamte aus Land- und Er- nährungssicherheitsbehörden, Mitarbei- tende aus staatlichen Menschenrechts- institutionen, nationalen Bauern- und Menschenrechtsorganisationen, der Kirchen sowie Expert/innen von FAO und dem UN-Hochkommissariat für Men- schenrechte.

Die Bemühungen innerhalb des Projekts hinsichtlich der internationalen Lobby- arbeit für das Recht auf Nahrung in Zentralamerika richteten sich im Wesent- lichen auf drei Zielgruppen von Ent- scheidungsträger/innen:

Die Fallarbeit richtete sich direkt an die zuständigen staatlichen Institutionen in Zentralamerika in Regierung und Justiz.

Obwohl die schriftlichen oder mündlichen Eingaben des Projektes - vorgelegt durch FIAN International oder im Rahmen internationaler Untersuchungsmissionen gemeinsam mit anderen Organisationen und Netzwerken erarbeitet - in der Regel

eine deutliche Kritik an den zuständigen Behörden enthielt, wurde diese Botschaft selten schroff zurückgewiesen. Statt- dessen wurden entweder relativ un- seriöse Versprechungen gemacht oder ein tatsächlich ernsthaftes Follow-Up zuge- sichert. In jedem Fall wurden die Ankün- digungen dokumentiert und bei den folgenden Lobbybesuchen bzw. Presse- konferenzen im Land wieder auf den Tisch gebracht.

Neben den Fällen wurden durch die internationale Lobbyarbeit auch spezifi- sche nationale Initiativen unterstützt, wie etwa der Gesetzesentwurf für ein Rahmengesetz zum Recht auf Nahrung in Honduras, ein interinstitutionelles Proto- koll zu Landvertreibungen oder die For- derungen nach einer umfassenden Agrarreform in Guatemala. Insgesamt gelang es, über die Jahre hinweg einen anhaltenden Zugang zu den obersten Entscheidungsträgerebenen in Honduras und Guatemala zu etablieren, obwohl mit begründeter Kritik an konkreten Men- schenrechtsverletzungen nicht gespart wurde. In all den Jahren gab es auch auf hoher Ebene Entscheidungsträger/innen, die der geäußerten Kritik offen und souverän begegneten und zum Teil selbst gemeinsame Fortbildungsmaßnahmen für das hauseigene Personal vorschlugen, gewissermaßen als Maßnahmen zur Prävention weiterer Verletzungen der WSK-Rechte.

In einem längeren Lobbyprozess gemein- sam mit anderen europäischen Netzwer- ken, insbesondere mit CIFCA und 21

CIDSE wurde besonders das Thema 22

Recht auf Nahrung und ländliche Ent- wicklung als Schwerpunkt der euro- päischen Zusammenarbeit mit Guate- mala bearbeitet (siehe Kasten). Dazu gehörten Veranstaltungen im Euro- päischen Parlament, die in Resolutionen mündeten, und Gespräche mit den Beauf- tragten der Europäischen Kommission in Brüssel und Guatemala. Gemeinsam mit den guatemaltekischen Partnerorganisa- tionen und internationalen Nichtregier-

21 | 22 |

CIFCA (Copenhagen Initiative for Central America and Mexico) ist ein Netzwerk con 40 Nichtregierungsorganisationen und Netzwerken aus dem Entwicklungs-, Menschenrechts- und Solidaritätsbereich mit Sitz in 10 europäischen Ländern. www.cifca.org

CIDSE (International Cooperation for Development and Solidarity) ist ein internationaler Zusammenschluß katholischer Entwicklungsorgani- sationen. www.cidse.org

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ungsorganisationen wurden Konferenzen zum Recht auf Nahrung als Herausfor- derung für die Entwicklungszusammen- arbeit mit Guatemala, insbesondere zu

“Gender und Recht auf Nahrung” orga- nisiert und gemeinsame Positionspapiere erarbeitet, auf deren Grundlage die weiteren Lobbyinitiativen gestaltet wur-

Lobbyprozess für das Recht auf Nahrung als Herausforderung für die europäische Kooperation mit Guatemala

Im September 2002 veranstalteten das Europäische Parlament und das europäische Netzwerk CIFCA die internationale Konferenz „Land und Frieden in Guatemala – Herausforderungen für die europäische Entwicklungszusammenarbeit“.

Am 10. April 2003 verabschiedete das Europäische Parlament die Resolution P5 TA (2003) 0190 zu Menschenrechten, speziell dem Recht auf Nahrung, in Guatemala, und forderte die Europäische Kommission auf, in ihrer zukünftigen Zusammenarbeit mit Guatemala das Recht auf Nahrung, Ernährungssicherheit, Landfragen und ländliche Entwicklung als Schwerpunktthemen zu definieren.

Im Juni 2004 reiste eine Delegation guatemaltekischer Bauernorganisationen, auf Einladung von CIFCA, FIAN, der deutschen AG Landrechte Zentralamerika und anderen, durch acht europäische Länder, um sich bei staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren für die Unterstützung von Landreformen und ländlicher Entwicklung durch die Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen.

Im Oktober 2004 veranstalteten FIAN, GTZ und AG Landrechte Zentralamerika ein Seminar in Berlin und Lobbygespräche in Bonn und Brüssel zum Recht auf Nahrung der Landfrauen (mujeres rurales) als Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika, besonders Guatemala .23

Im Februar 2005 besuchten Bischof Alvaro Ramazzini und Ursula Roldán von der katholischen Landpastoral sechs europäische Länder, auf Einladung von CIFCA, FIAN, CIDSE-Mitgliedsorganisationen und der AG Landrechte Zentralamerika, um sich für das Recht auf Nahrung und ländliche Entwicklung als Prioritäten in der künftigen europäischen Entwicklungszusammenarbeit auszusprechen.

Am 7. Juli 2005 verabschiedete das Europäische Parlament erneut eine Guatemala- Resolution und bekräftigt: „…die in seiner Entschließung vom 10. April 2003 enthaltene Empfehlung an die Kommission, in der künftigen Strategie der Europäischen Union gegenüber Guatemala für den Zeitraum 2007-2013 den sozialen Zusammenhalt, das Recht auf ausreichende Ernährung, die ländliche Entwicklung und Bodenreform und Landnutzung als vorrangige Ziele der künftigen Politik der europäischen Zusammenarbeit zu definieren“ (P6T A (2005) 0304).

Vom 16.-18. November 2005 veranstalteten zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen aus Guatemala und Europa eine internationale Konferenz in San Lucas Tolimán, Guatemala, bei der sie mit zahlreichen Vertreter/innen der guatemaltekischen Regierung und Justiz sowie der Europäischen Kommission über „Das Recht auf Nahrung als Aufgabe für die Entwicklungszusammenarbeit mit Guatemala“ einen den. Insgesamt kann man sagen, dass das Thema in der Agenda der EU bezüglich Guatemala einen festen Platz eingenommen hat und außerdem eine Priorität in der Lobbyagenda der europäischen Netzwerke CIFCA und CIDSE bezüglich Guatemala geworden ist.

23 | Publikationshinweis: FIAN: El Derecho a la Alimentación de las Mujeres Rurales – Retos para la Cooperación con América Latina, Heidelberg, Enero de 2005

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intensiven Dialog führten. In der abschließenden „Deklaration von San Lucas Tolimán“

benennen die zivilgesellschaftlichen Organisationen Eckpunkte für eine nationale und internationale Politik zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung in Guatemala .24

Im Jahr 2006: Gespräche mit der Europäischen Kommission sowie mit guatemaltekischen Organisationen, Erarbeitung eines Policy Papers zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung im Rahmen des Country Strategy Paper zu Guatemala.

Mai 2007: Diskussion über den Politikvorschlag im Rahmen der internationalen Konferenz „10 Jahre Friedensprozess – Bilanz der internationalen Zusammenarbeit“

im Europäischen Parlament in Brüssel.

August 2008: Veranstaltung eines multi-stakeholder Dialogs zum Recht auf Nahrung in Guatemala, einberufen durch die guatemaltekische Bischofskonferenz und FIAN, an dem neben Regierung und zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Guatemala auch Vertreter/innen der internationalen Kooperation und besonders der Europäischen Kommission teilnahmen.

November 2009: Im Rahmen der Untersuchungsmission zum Recht auf Nahrung, die von einer breiten Koalition aus guatemaltekischen Organisationen und den internationalen Netzwerken CIFCA, CIDSE, Via Campesina , FIDH, OMCT, FIAN 25

getragen wurde, wurde der Dialog mit Regierung und der europäischen Kooperation fortgesetzt.

November 2010: Eine Follow-Up Mission überprüfte die Umsetzung der Ankündigungen, die von den staatlichen Stellen im Jahr zuvor gegenüber der Untersuchungsmission 2009 zu den untersuchten Fällen gemacht wurden.

Ab 2011 wird die Budgethilfe der Europäischen Kommission für Ernährungssicherung in Guatemala in Höhe von 33 Mio. € einem menschenrechtsbasierten Monitoring unterzogen.

Die dritte Gruppe von Adressaten der internationalen Lobbyarbeit des Pro- jekts sind die UN-Menschenrechts- instanzen - insbesondere der UN- Sonderberichterstatter zum Recht auf Nahrung - mit denen zu Einzelfällen und im Blick auf ihre offiziellen Länder- besuche in Guatemala und Nicaragua 20 05 und 20 09 das Projekt eng zusammenarbeitet wurde . Diese Ko-26

operation schließt auch eine konti- nuierliche Kommunikation mit dem UN- Hochkommissariat für Menschenrechte mit ein. Schließlich wurden im Rahmen

24 | 25 |

Publikationshinweis: El Derecho a la Alimentación como Reto para la cooperación internacional con Guatemala, Memoria de la conferencia de San Lucas Tolimán, noviembre de 2005.

Via Campesina (internationale Bewegung von Kleinbauern und Landarbeitern) www.viacampesina.org - sonstige Abkürzungen vgl. Fußnoten 4-12

Siehe die Berichte der Sonderberichterstatter zum Recht auf Nahrung von 2006 und 2010 zu Guatemala und 2010 zu Nicaragua in der Bibliographie.

Siehe die mit der Zivilgesellschaft vorgelegten Parallelberichte sowie die Abschließenden Bemerkungen des UN Ausschusses für WSK-Rechte in der Bibliographie.

des gemeinsamen Projektes der AG Landrechte zentralamerikanische Men- schenrechtsorganisationen aus Hondu- ras, Guatemala, El Salvador und Nica- ragua dabei unterstützt, Parallelberichte zur Lage der WSK-Rechte zu erarbeiten und beim UN-Ausschuss für wirtschaft- liche, soziale und kulturelle Rechte in Genf vorzustellen . 27

26 | 27 |

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B. Recht auf Nahrung und ländliche Entwicklung: Erfahrungen von Partnern und Projekten

Die an der AG Landrechte beteiligten Institutionen unterstützten traditionell Bauernbewegungen und Kooperativen in Zentralamerika, die in Landkonflikte involviert waren oder sind. Allerdings standen hierbei in erster Linie Organi- sationsprozesse und eine „integrale länd- liche Entwicklung“ im Mittelpunkt und weniger Programme zur rechtlichen Ab- sicherung. Seit Beginn der 90er Jahre wurden von Misereor und Brot für die Welt Programme entwickelt und durch- geführt, die auf die Verbreitung einer nachhaltigen und ökologischen Landwirt- schaft abzielten. Parallel dazu wurde die Fokussierung auf die Landrechtsfrage und die Nutzung von menschenrecht- lichen Instrumenten verstärkt, um in diesem Kontext einen Beitrag zu leisten.

Es sollte nicht nur besonderen Risiko- gruppen wie Landlosen und Vertriebenen zu ihrem Recht verholfen werden, sondern mehr Landsicherheit bei den Bauernfamilien in Zentralamerika ge- schaffen werden, die in ihrer großen Mehrheit über keine Besitztitel verfügten.

Die Zusammenarbeit zwischen denen, die um Land kämpften und denen, die sich für einen sorgsamen Umgang mit der Natur und die wirtschaftliche Rentabilität einsetzten, wurde angestrebt. Der damit verbundene Anspruch kommt in einem modifizierten Leitwort der Landreform- bewegung zum Ausdruck: „Das Land denen, die es bearbeiten und die es schützen!“

Dieses Anliegen der Zusammenarbeit richtete sich auf das gesamte ländliche Kooperationsspektrum der Mitglieder der AG Landrechte. Es umfasste in den vier zentralamerikanischen Ländern etwa 100 Partnerorganisationen und weitere Akteure - von kirchlichen Strukturen über Nichtregierungsorganisationen bis hin zu sozialen Bewegungen, insbesondere von Kleinbauern und –bäuerinnen sowie Landarbeiter/innen. Bei der Mehrheit der Organisationen, die zum Thema Land und ländliche Entwicklung arbeiten, ist das Wissen um menschenrechtliche Arbeits-

instrumentarien mittlerweile ange- kommen.

In der Wirklichkeit der bäuerlichen Organisationen hat das Recht auf Nahrung eher einen instrumentellen Charakter, soweit es als effizientes Mittel genutzt werden kann, die eigenen Rechte und Interessen zu verteidigen. Ihr Engagement speist sich vor allem aus dem Interesse, ihr Land und den Zugang zu den anderen natürlichen Ressourcen, zu Wasser, Wald und Saatgut zu ver- teidigen. In ihrem Selbstverständnis kämpfen sie darum, auf ihrem Land bleiben und produzieren zu können.

Lokale Organisationen der ländlichen Entwicklung sehen ihre Aufgabe meist nicht in der systematischen Nutzung menschenrechtlicher Instrumentarien und sie verfügen überwiegend auch nicht über eine entsprechende fachliche Kompetenz. Ihr Selbstverständnis unterscheidet sich von Menschenrechts- institutionen. So ist z.B. der Zugang der kirchlichen Landpastorale zunächst kein struktureller, sondern ein direkter, persönlicher. Menschen werden be- gleitet, damit ihr Leben gelingen kann.

Gruppen und Gemeinschaften werden auf ihrem Weg und in ihren Kämpfen um Zukunft und menschenwürdige Lebens- bedingungen unterstützt. Integrale Ent- wicklung, personale Zuwendung, Präsenz und Permanenz sind Charaktermerkmale kirchlicher Entwicklungsarbeit.

Aber auch wenn die Landpastoralen in Guatemala und in Honduras sich nicht als Menschenrechtsorganisationen ver- stehen, so haben sie auf nationaler Ebene eine wichtige Rolle gespielt, das Recht auf Nahrung in den Diözesen und Pfarreien zu verbreiten. Die menschenrechtliche Orientierung kommt auch in spezifischen Projekten zur Geltung. In Guatemala wurden z.B. Möglichkeiten erprobt und geschaffen, um Agrarkonflikte zu dokumentieren und zu systematisieren. In Honduras engagierte sich die Land- pastoral in exponierter Form zum Agrar- modernisierungsgesetz.

Vergleichbare Ansätze lassen sich auch bei den Nichtregierungsorganisationen in Lateinamerika ausmachen, die sich vor

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einem sozialkritischen Hintergrund einem umfassenden sozialen und politischen Projekt verpflichtet fühlen.

Aus den Verschiedenheiten zwischen speziellen Menschenrechtsinstitutionen und Organisationen der Entwicklungs- arbeit, seien es die Kirchen oder Nicht- regierungsorganisationen, lässt sich daher kein Gegensatz konstruieren.

Vielmehr wurde menschenrechtliche Argumentation und Aktion in die Arbeit integriert und in den vergangenen 13 Jahren ist eine verstärkte Kooperation zwischen Institutionen der ländlichen Entwicklung und Institutionen mit recht- lichem Arbeitsansatz festzustellen.

Die zentralamerikanischen Partner von Brot für die Welt und Misereor haben deutlich mehr Kompetenz hinsichtlich

menschenrechtlicher Normen und Instru- mentarien gewonnen. Menschenrecht- liche Instrumente werden genutzt, wenn sie als wirksame Mittel für Veränderung eingesetzt werden können. So sind z.B. an Stelle von generellen Weiterbildungs- maßnahmen zum Recht auf Nahrung bzw. zu den WSK-Rechten für bäuerliche Gruppen spezifische Interventionen in konkreten Risikosituationen zu finden.

In den Projekten der Sozialpastoral der Katholischen Kirche hängt der Spielraum für menschenrechtliche Aktion meist von der Position des Ortsbischofs ab: In Diözesen mit politisch aktivem Bischof ist in der Regel auch eine menschenrechtlich engagierte Sozialpastoral zu finden. Fehlt der bischöfliche Rückhalt, dann fehlt auch oft die Grundlage für die Bearbeitung konfliktiverT hemen.

Die Förderung der nachhaltigen Landwirt- schaft ist sowohl für Brot für die Welt als auch für Misereor ein strategischer An- satzpunkt für nachhaltige ländliche Ent- wicklung. Entsprechende Konzepte der nachhaltigen Landwirtschaft wurden im Laufe der Jahre innerhalb der beiden Organisationen wie auch mit den Partnern im Süden ausgiebig diskutiert und anhand der Auswertung bisheriger Erfahrungen und Erkenntnisse präzisiert.

Eine von BfdW mit angeregte Studie von Jules Pretty und Rachel Hine von der Universität von Essex in Großbritannien C. Nachhaltige Landwirtschaft und das Recht auf Nahrung: Ein Ansatz kirchlicher Entwicklungsarbeit

wies bereits 2001 anhand von 208 Projekten in 52 Ländern des Südens nach, dass nachhaltige Landwirtschaft ein notwendiges und effektives Mittel der Hungerbekämpfung ist.28

Aber schon in den 1970er Jahren waren in Maya-Dorfgemeinschaften Guatemalas partizipative landwirtschaftliche Bera- tungsverfahren entwickelt worden, die erfolgreich waren und sich daraufhin in ganz Zentralamerika verbreiteten. Die Unterstützung einzelner Projekte durch Brot für die Welt führte ab 1993 zu einem langfristig angelegten Dialog- und Bera- tungsprozess zur Förderung nachhaltiger Landwirtschaft und Ernährungssicher- ung. Seit dem Jahr 2000 gibt es ein län- derübergreifendes Programm mit einer strategischen Planung, das unter der Bezeichnung „Programa de Intercambio y Dialógo sobre Agricultura Sostenible und Seguridad Alimentaria“ – PIDAASSA bekannt wurde. Seit dem Jahr 1988 wird seitens Misereor in Zentralamerika und anderen lateinamerikanischen Ländern im Rahmen von nationalen und regionalen Programmen die nachhaltige Landwirtschaft unterstützt .29

Society, University of Essex, Großbritannien, 2001, mit weiteren Aktualisierungen

Vgl. u.a. Política de cooperación de Misereor en el sector de desarrollo rural en América Latina, Aachen 2002

Pretty, Jules und Hine, Rachel: Reducing Food Poverty with Sustainable Agriculture: A Summary of New Evidence. Centre for Environment and 28 |

29 |

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Nachhaltige Landwirtschaft wird hier als ein umfassendes Konzept verstanden,

„welches auf den Grundprinzipien der Nachhaltigkeit beruht und die Nahrungs- mittelproduktion (Ökonomie) mit Fragen des Umweltschutzes (Ökologie) und des Gemeinwohls (soziales Gleichgewicht) verknüpft. Ihr Ziel ist die Ernährungs- sicherung sowie ein rentabler Ertrag landwirtschaftlicher Erzeugnisse, ohne dass zerstörerische Auswirkungen auf die Natur und Umwelt einhergehen.“ Ein Kernelement der nachhaltigen Landwirt- schaft ist die Partizipation, d.h. die aktive Beteiligung der Zielgruppe, indem

“Landnutzer/innen und Bauernfamilien in kreativer, wirtschaftlich effizienter, aber behutsamer und einfühlsamer Weise die Verantwortung für Natur und Umwelt übernehmen mit dem langfristigen Ziel, die Naturvorhaben und das ökologische Gleichgewicht auf lange Sicht zu erhalten.

Bauern/Bäuerinnen und Landnutzer sind die Protagonist/innen in diesem Prozess, in dem sie untereinander ihre Erfahr- ungen austauschen und an andere weitergeben .“30

Das Lernen fängt aufgrund von Er- fahrungen und pädagogischen Erwä- gungen in der Regel im unmittelbaren Umfeld der Zielgruppen an, bzw. dort, wo

die Sicherheit besteht, durch eigenes Handeln kurzfristig relevante und not- wendige Veränderungen zu erzielen. Die meisten Projekte beginnen deshalb mit den Familien und den konkreten betrieb- lichen Gegebenheiten, auch weil der Ver- änderungsdruck hier besonders groß ist.

Außerdem sind meist anfänglich nicht alle, sondern nur einige Familien an den Veränderungen interessiert. Aber das Lernen wird grundsätzlich als exem- plarisches Lernen verstanden und das Ziel ist nicht die Veränderung einiger Betriebe, sondern die Transformation von Landschaften und die Veränderung von Agrarsystemen. Das beinhaltet auch die sozialen Beziehungen, die Machtver- hältnisse und die Kontrolle über Ressour- cen undT erritorien.

Das Konzept einer nachhaltigen Landwirt- schaft richtet sich jedoch zwangsläufig auch gegen eine überwiegend an den Bedürfnissen des Weltmarktes orientierte Landwirtschaft. Es ist primär auf klein- bäuerliche Familien ausgerichtet, beinhal- tet Armutsbekämpfung und orientiert sich an den Zielen der Ernährungssicherheit, der Erhaltung der natürlichen Boden- fruchtbarkeit und der allmählichen wirt- schaftlichen Stabilisierung der Ziel- gruppe.

Landwirtschaft und Ernährungssicherheit in Lateinamerika, 2002 (internes Dokument S.3) und Strategieplan des PIDAASSA 2010-2014 (internes Dokument S. 4) sowie PIDAASSA-Brief Nr. 1 auf der Internetseite von Brot für die Welt (www.brot-fuer-die-welt.de)

Strategieplan der Lateinamerikareferate von Brot für die Welt für das Austausch-, Dialog- und Beratungsprogramm zu nachhaltiger 30 |

Der Fall ILUGUA

Ein Beispiel für die engen Zusammenhänge zwischen der Durchsetzung nachhaltiger Formen der Landwirtschaft und den bürgerlich-politischen wie den WSK-Rechten ist die Arbeit der Lutherischen Kirche Guatemalas (ILUGUA) in Zacapa. Die kleine Kirche hat vor ca. zehn Jahren mit einem Programm zur Verbesserung der Lebensbedingungen in mehreren sehr armen und abgelegenen ländlichen Gemeinden des Departements Zacapa begonnen. ILUGUA nahm am PIDAASSA teil, mehrere Kleinbauern wurden zu Multiplikatoren („Promotoren“) der von-Bauer-zu-Bauer-Methode ausgebildet. Durch A

die allmähliche Einführung der nachhaltigen Landwirtschaft wurde den beteiligten Gemeinden die elementare Bedeutung des Erhalts wichtiger Ressourcen, vor allem des Wassers und des Waldbestandes, bewusst. Es entstand eine Bewegung zum Schutz der „Montaña de Las Granadillas“, eines Bergstocks, in dessen höher gelegenen Zonen BOX 04

kleinbäuerliche Familien, die eine nachhaltige Landwirtschaft betreiben und ihr Wissen darüber an interessierte Nachbarn weitergeben.

Dass ihre Erfahrungen gefragt sind, motiviert die Bäuerinnen und Bauern. Als Einheimische können sie sich besser in die Bedürfnisse anderer Bauernfamilien hineinfühlen als auswärtige Beraterinnen und Berater. In einer systematischen Ausbildung zu Berater/innen („promotores y promotoras“) des PIDAASSA lernen sie didaktische Methoden kennen, wie sie ihr Wissen weitergeben und andere bei ihren landwirtschaftlichen Experimenten begleiten können.

Brot für die Welt/ESPIGAS: Construyendo procesos „De Campesino a Campesino“, Stuttgart/Lima 2006 (Buch und DVD) Die von-Bauer-zu-Bauer-Methode (Metodo Campesino a Campesino): Im Zentrum dieser partizipativen Beratungsmethode stehen A |

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noch Nebelwälder existieren, die die Wasserversorgung der Bevölkerung und auch der Landwirtschaft in der ansonsten extrem heißen und trockenen Region garantieren.

Durch die zunehmende kommerzielle Abholzung, die noch dazu durch Subventionen für die Großgrundbesitzer der Region gefördert wird, kam es zu Raubbau und auch zu illegalem Holzeinschlag auf Gemeindeland und in der unmittelbaren Umgebung von Wasserquellen, gegen den sich die Bevölkerung mit Informationsarbeit und friedlichen, aber öffentlichkeitswirksamen Protestaktionen wehrte. Die leitenden Personen der ILUGUA und der Umweltbewegung sahen sich zunehmend Bedrohungen ausgesetzt. Ende Januar 2009 kam es zur willkürlichen Verhaftung eines der Kirchenführer. Zwei ebenso illegale Haftbefehle gegen die beiden anderen Protagonisten konnten nicht vollstreckt werden. Auch die Bauern und Bäuerinnen wurden eingeschüchtert, indem man ihnen Folgen androhte, wenn sie sich weiter mit diesen „gefährlichen Aufrührern“ einließen.

Mehrmals waren nationale und internationale Solidaritäts- und Protestaktionen notwendig, um das Leben und die physische Integrität der Verfolgten zu schützen, von denen einer seither sogar unter Personenschutz steht. Sowohl die bäuerlichen Gemeinden, die bei der Nachricht von den willkürlichen Verhaftungen sofort zusammenströmten, um die Betroffenen zu schützen, als auch die PIDAASSA-Partner in Guatemala und lateinamerikaweit haben eine unmittelbare, wirksame Solidarität gezeigt, die dann von Europa aus durch FIAN International und Brot für die Welt unterstützt werden konnte. Das hat dazu beigetragen, dass die Nationalregierung in den regionalen Konflikt eingriff. Der für den illegalen Haftbefehl verantwortliche Richter wurde inzwischen strafversetzt.

Die Auseinandersetzungen gehen indes weiter. ILUGUA und die Umweltbewegung streben eine gesetzliche Regelung zum Schutz der Granadillas an, doch die Verhandlungen gestalten sich zäh und erleiden immer wieder Rückschläge. Für Januar 2011 wurden der Pfarrer und weitere sechs Mitglieder der Gemeinden vor Gericht geladen. Beobachter nennen den Fall der Bewegung zum Schutz der „Montaña de las Granadillas“ inzwischen als ein Beispiel für die landesweit wachsenden Versuche, soziale Proteste durch Kriminalisierungs-strategien einzudämmen. Ein „langer Atem“

ist erforderlich. Die Möglichkeit, sich auf das UN-Menschenrechtssystem und die Prinzipien zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger/innen beziehen zu können, ist eine wesentliche Stütze in diesem Kampf.

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ILUGUA und viele andere Beispiele zeigen, wie wichtig es ist, den menschen- rechtlichen Ansatz in die praktische Entwicklungszusammenarbeit zu in- tegrieren. Kleinbauern und –bäuerinnen können gerade auf der lokalen Ebene mit der praktischen Demonstration der Vorteile nachhaltiger Landwirtschaft und der sichtbaren Verwirklichung von Ernähr- ungssicherheit Einfluss gewinnen und weitere Veränderungen in Gang setzen – wenn auch nicht immer und überall und meist nur mittel- bis langfristig. Sie können sich Netzwerken anschließen, sich dank Stärkung und Wertschätzung des eigenen Wissens gegen die Verein- nahmung durch sogenannte Berater von Agrarkonzernen verwahren, sich für Ressourcenschutz und gegen grüne Gentechnik engagieren. Das werden sie in dem Maße tun, wie es materielle, soziale und kulturelle Errungenschaften und Werte gibt, die sich zu verteidigen lohnt.

PIDAASSA hat daher ein Rechtsprinzip (soziale Gerechtigkeit, Recht auf Nahrung, politische Partizipation) und ein ethisches Prinzip (Solidarität, Gerechtigkeit, Gleich-

heit, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, Bewahrung der Natur, Achtung der Menschenwürde, Nach- haltigkeit) definiert, die zusammen mit der Vermittlungsmethode „von-Bauer-zu- Bauer“ die Arbeitsgrundlage bilden.

meist nur mittel- bis langfristig. Sie können sich Netzwerken anschließen, sich dank Stärkung und Wertschätzung des eigenen Wissens gegen die Verein- nahmung durch sogenannte Berater von Agrarkonzernen verwahren, sich für Ressourcenschutz und gegen grüne Gentechnik engagieren. Das werden sie in dem Maße tun, wie es materielle, soziale und kulturelle Errungenschaften und Werte gibt, die sich zu verteidigen lohnt.

PIDAASSA hat daher ein Rechtsprinzip (soziale Gerechtigkeit, Recht auf Nahrung, politische Partizipation) und ein ethisches Prinzip (Solidarität, Gerechtigkeit, Gleich- heit, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, Bewahrung der Natur, Achtung der Menschenwürde, Nach- haltigkeit) definiert, die zusammen mit der Vermittlungsmethode „von-Bauer-zu- Bauer“ die Arbeitsgrundlage bilden.

Referenzen

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