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Coaching oder Therapie?

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Academic year: 2022

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Junfermann

Verlag

ANDREW BUCKLEY & CAROLE BUCKLEY

Coaching

oder Therapie?

»Coaching Skills kompakt«

Anzeichen einer psychischen Störung beim Klienten erkennen

Wahrnehmen, wann die Grenze des Coachings erreicht ist

Coaching als Begleitprozess

zur Therapie gestalten

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Andrew Buckley & Carole Buckley Coaching oder Therapie?

Reihe Coaching Skills kompakt Band 6

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Ausführliche Informationen zu jedem unserer lieferbaren und geplanten Bücher finden Sie im Internet unter http://www.junfermann.de. Dort können Sie unseren Newsletter abonnieren und sicherstellen, dass Sie alles Wissenswerte über das Junfermann-Programm regelmäßig und aktuell erfahren. – Und wenn Sie an Geschichten aus dem Verlagsalltag und rund um unser Buch-Programm interessiert sind, besuchen Sie auch unseren Blog: http://blogweise.junfermann.de.

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ANDREW BUCKLEY & CAROLE BUCKLEY

COACHING ODER THERAPIE?

Aus dem Englischen von Guido Plata

Junfermann Verlag Paderborn 2016

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Copyright © der deutschen Ausgabe: Junfermann Verlag, Paderborn 2016

Copyright © der Originalausgabe: 2006 by Andrew Buckley & Carole Buckley All rights reserved. Authorized translation from the English language edition A Guide to Coaching and Mental Health: Essential Coaching Skills Series, published by Routledge, a member of the Taylor & Francis Group.

Übersetzung Guido Plata

Coverfoto © Iculig – Fotolia.com Covergestaltung / Reihenentwurf Christian Tschepp

Satz JUNFERMANN Druck & Service, Paderborn Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.

Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Bibliografische Information der Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet Deutschen Nationalbibliothek diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-95571-539-7

Dieses Buch ersch eint parallel als E-Book

ISBN: 978-3-95571-537-3 ( EPUB), 978-3-95571-408-6 (Print), 978-3-95571-538-0 (MOBI).

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Für Jane und Edward, ohne deren fortwährende Unterstützung und Geduld dieses Buch niemals ge- schrieben worden wäre (AB).

Für Mike, Jenny und David für ihre Liebe, Hilfe und Unterstützung (CB).

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Inhalt

Vorwort ... 9

Einführung ... 13

Teil I: Arbeiten im Grenzbereich ... 21

1. Ein Gesamtbild erstellen ... 23

2. Informationen sammeln ... 59

3. Was man berücksichtigen muss ... 75

4. Was kommt als Nächstes? ... 95

Teil II: Was wird eigentlich gesagt? ... 115

5. Andreas Geschichte ... 117

6. Brians Leben gerät aus den Fugen ... 126

7. Carl und seine Beziehungen ... 137

8. Duncans Leben auf der Überholspur ... 151

9. Elizabeths stressiges Leben ... 163

10. Frances kann sich nirgendwo verstecken ... 176

11. Stabilität im Leben von Ghulam? ... 187

12. Wer ist Hilary? ... 199

Teil III: Klassifikation psychischer Störungen, ihre Definition, Epidemiologie und Management... 211

13. Depressive Störungen ... 213

14. Angststörungen, Phobien und Stress ... 223

15. Abhängigkeit ... 235

16. Behinderungen und Beeinträchtigungen ... 242

17. Psychotische und Persönlichkeitsstörungen ... 248

18. Essstörungen ... 260

19. Psychosexuelle Probleme ... 265

20. Behandlungsoptionen ... 272

Literatur ... 287

Index ... 289

Über die Autoren ... 291

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Vorwort

Von Mike Nowers

Es ist eine geradezu erschreckende Tatsache, dass statistisch gesehen je- weils einer von drei oder vier Patienten, die zum Arzt gehen, an irgendei- ner psychischen Störung leidet. Dabei kann es sich um leichte Angst- oder Belastungsstörungen handeln, jedoch auch um schwere, aber glücklicher- weise seltene Erkrankungen wie Schizophrenie oder Manie. Alle Men- schen kommen früher oder später mit psychischen Störungen in Kontakt, entweder weil sie selbst daran erkranken oder weil Freunde, Familienan- gehörige oder Arbeitskollegen betroffen sind – und zwar unabhängig von Geschlecht, Wohlstand oder Beruf!

Traurigerweise ist es unbestreitbar, dass von allen Erkrankungen, die Men- schen betreffen können, die psychischen Störungen die am schlechtesten erforschten und gleichzeitig die am meisten gefürchteten und verspotte- ten sind. Daher überrascht es auch nicht, dass viele Leute mit psychischen Störungen sich einreden, gesund zu sein, oder ihre Symptome vor Familie und Freunden verheimlichen, anstatt ihr Leiden einzugestehen. Oft sind diese Menschen berufstätig, vielleicht sogar mit einer verantwortungsvol- len oder potentiell gefährlichen Tätigkeit, obwohl sie nüchtern betrachtet eigentlich nicht voll einsatzfähig sind. Auf Nachfrage streiten sie jedoch vehement ab, dass mit ihnen etwas nicht in Ordnung sei.

Darüber hinaus ist es ein Problem, dass die meisten psychischen Stö- rungen sich auf einem fließenden Kontinuum zwischen Gesundheit und Krankheit befinden und dass eine Person im Laufe der Zeit von der Ge- sundheit in die Krankheit hinübergleiten kann, ohne dass dieser Vorgang auf den ersten Blick ersichtlich wäre. Psychische Störungen werden nicht durch Ansteckung übertragen, und sie sind auch nicht allein durch Tests oder Messungen erkennbar, sondern lediglich anhand einer sorgsamen Beurteilung von Symptomen und Anzeichen.

Warum also bekommen Menschen psychische Störungen? Bei manchen Leuten, insbesondere solchen mit schwereren Störungen, spielt Vererbung eine Rolle. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Gene die Anfälligkeit für psychische Störungen beeinflussen, aber dies ist in der Regel nicht der einzige Faktor. Die Umwelt spielt bei der Anfälligkeit für psychische Stö- rungen eine ebenso große Rolle, im Hinblick auf die eigentliche Entwick-

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lung der Störungen wiegt sie in den meisten Fällen sogar noch schwerer als die Gene. Der Kontext, in dem Menschen ihr Leben leben, ist hier- bei entscheidend. Wie die individuelle Persönlichkeit die Anforderungen und Belastungen des alltäglichen Lebens und das Auftreten negativer und manchmal auch scheinbar positiver Lebensereignisse bewältigen kann, entscheidet darüber, ob und wann Leute die Schwelle zwischen Gesundheit und psychischen Störungen in ihren vielfältigen Formen überschreiten.

In der psychiatrischen Praxis befasst man sich schwerpunktmäßig mit prädisponierenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren. Der traditionelle medizinische Ansatz in Bezug auf die Diagnose und das Management psychischer Störungen basiert auf der strikten Anwendung einer Richtlinie, die die sorgsame Erhebung einer Krankengeschich- te vorschreibt. Diese Anamnese beinhaltet die folgenden Dinge: eine Vorgeschichte der gegenwärtigen Beschwerden; die medizinische und psychia trische Vorgeschichte; die familiäre und entwicklungsmäßige Vor- geschichte; vorhandene soziale, juristische und substanzmissbrauchsbe- zogene Probleme sowie eine Beurteilung der prämorbiden Persönlichkeit (der Persönlichkeit vor dem Ausbruch der Störung), gepaart mit einer gründlichen Erhebung des Geisteszustandes. Letzteres umfasst Erschei- nung und allgemeines Verhalten, Stimmung, alle Abnormitäten im Den- ken oder in der Wahrnehmung inklusive Halluzinationen und Wahnvor- stellungen, eine Beurteilung des Niveaus der Suizidgefährdung und der kognitiven Funktionalität sowie eine Beurteilung des Ausmaßes der Ein- sicht des Patienten in die gegenwärtige Situation.

Der Psychiater befindet sich dabei in der bequemen Position, dass bei dem ihm gegenübersitzenden Patienten bereits festgestellt wurde, dass er ein Problem hat, denn ansonsten wäre der Patient nicht in der Praxis er- schienen. Darüber hinaus sind Menschen in der vertraulichen Situation in einer Arztpraxis eher bereit, Dinge zuzugeben, die sie außerhalb dieser Situation kaum eingestehen würden.

Im Gegensatz dazu arbeitet der Coach unter vollkommen anderen Um- ständen. Zunächst einmal begegnet er mit viel höherer Wahrschein- lichkeit Leuten, die sich im sogenannten Prodromalstadium einer psy- chischen Störung befinden; einem Stadium, das den charakteristischen Manifestationen der voll entwickelten Störung vorausgeht und mit dem akuten oder voll entwickelten klinischen Zustandsbild kaum Ähnlichkeit hat. Die Beziehung zwischen Coach und Klient ist vollkommen anders als

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Vor wor t · 11

die zwischen Arzt und Patient, und es muss genauestens darauf geachtet werden, dass sich die Situation des Klienten nicht am Ende sogar noch verschlimmert, weil die falsche Art von Intervention angewendet wurde.

In diesem Buch nutzen Andrew und Carole Buckley ihre gemeinsame Er- fahrung als Coach / Berater und Ärztin, um dem Leser einen Weg zu siche- rem und effektivem Coaching bei potentiell vulnerablen Klienten zu wei- sen. Sie bieten eine Übersicht über die Kategorien psychischer Störungen, deren Definitionen, Epidemiologie und Management sowie über Techni- ken zur Identifikation und Berücksichtigung der Anzeichen psychischer Störungen mittels praktischer Fallbeispiele. Am wichtigsten ist jedoch die Darstellung von ethischen Aspekten der Tätigkeit, Problemen und Fall- gruben in der Praxis, Warnzeichen bei Klienten und der Bedeutsamkeit angemessener professioneller Grenzen.

Die meisten Menschen, die an einer psychischen Störung leiden, können wieder vollständig genesen, wenn ihnen die richtige Diagnose, das richti- ge Management ihrer Störung und die richtige Behandlung zuteilwerden.

Zu tun, was richtig ist, und vor allem nichts zu tun, was falsch ist, bildet den Grundstein einer guten Versorgung durch einen Psychiater, einen Arzt oder auch einen Coach. Dieses Buch liefert wichtige Einblicke in die komplexe und faszinierende Welt, die sich eröffnet, wenn man seinen Mit- menschen durch die oftmals beschwerlichste und belastendste Phase ihres Lebens hilft. Letztendlich können alle Beteiligten davon in hohem Maße profitieren.

Also, lesen Sie weiter!

Dr. Mike Nowers, FRCPsych Facharzt für Psychiatrie

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Einführung

Von Andrew Buckley

Als ich in den frühen 1980er-Jahren für einen Pharmakonzern arbeitete, hatte ich einen Termin in der psychiatrischen Abteilung eines Kranken- hauses. Dies war mein erster Besuch, und ich wusste nicht, wo mein Ziel sich befand. Am Empfang sagte man mir, ich müsse in den fünften Stock.

Dann hörte ich eine Stimme hinter mir, die sagte: „Ich gehe da auch hin, ich zeige Ihnen den Weg.“ Ich war etwas nervös, weil ich nicht wusste, was mich in einer psychiatrischen Abteilung erwartete, allerdings hatte ich den Film Einer flog über das Kuckucksnest gesehen und war daher dankbar, dass dieser gut gekleidete und groß gewachsene Mann mir Hilfe anbot.

Während wir zum Fahrstuhl gingen, bemerkte ich, dass ihm ein unge- pflegter Mann folgte, die fettigen Haare zu einem Pferdeschwanz zurück- gebunden und mit einem schmuddeligen T-Shirt bekleidet, auf dem sich ein banaler Spruch befand. Ich blieb im Fahrstuhl dicht bei meinem Retter.

Als wir drei dann im fünften Stock ausstiegen, wurde mein Retter vom Personal durch gesicherte Türen in die geschlossene Abteilung geführt, und ich blieb stehen und sprach mit dem abgerissen wirkenden Mann aus dem Fahrstuhl, der, wie sich herausstellte, der leitende Krankenpfleger war – eine der Personen, mit denen ich an diesem Tag einen Termin hatte.

Wenn wir jemandem begegnen, der eine körperliche Behinderung oder ein Gebrechen hat, gibt es offensichtliche Anzeichen dafür, dass etwas außerhalb der Norm liegt, und wir können unser Denken und Handeln daran anpassen. Auch dafür, ob es sich bei dem wahrgenommenen Lei- den um eine angeborene Behinderung, das Ergebnis einer Verletzung oder eine vorübergehende Erkrankung handelt, gibt es oft sichtbare Zeichen, anhand deren man sich ein Bild machen kann.

Der Trainer im Sport hat gegenüber einem im psychologischen Bereich tä- tigen Coach bei der ersten Begegnung mit einem möglichen Klienten viele Vorteile. So erkennt er beispielsweise auf den ersten Blick, dass eine Person die physische Konstitution hat, um Meister im Kugelstoßen zu werden, aber nicht, um als Jockey beim Flachrennen auf Pferden Erfolge zu fei- ern. Ebenso sieht er sofort, ob der Klient einigermaßen gesund aussieht, kein Übergewicht hat und so gut in Form ist, dass er beim Betreten des

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Fitnessstudios nicht schon kurzatmig wird, und kann alle körperlichen Dinge auch während der gesamten Sitzung weiter beobachten. Als Coach, der sich nur in der „Gesprächsführung“ bewegt, sind wir im Nachteil. Für uns gibt es keine leicht erkennbaren Hinweise darauf, ob ein aufgeweckter Manager auf der mittleren Führungsebene eines Unternehmens über die notwendige Resilienz und innere Stärke verfügt, um auch auf der obers- ten geschäftlichen Ebene seines Unternehmens erfolgreich zu sein und durch das Coaching nicht psychisch verletzt zu werden. Ebenso können wir nicht leicht erkennen, ob der Versuch, eine Person für das Erreichen persönlicher Ziele zu coachen, durch deren mentale Konstitution oder frü- here psychische Verletzungen vereitelt werden wird.

Die Herausforderung, mit der sich das vorliegende Buch befasst, ist die Frage, auf welche Weise man diese psychologischen Probleme ebenso leicht identifizieren und handhaben kann, wie ein Trainer im Sport es mit körperlichen Problemen tut.

Das Ideal einer starken Psyche scheint etwas fast Heiliges an sich zu haben;

es wird in viel höherem Maße akzeptiert, wenn einer oder mehrere Kör- perteile ihre Funktion vorübergehend oder dauerhaft einstellen, als wenn sich auch nur andeutet, dass die Psyche eines Menschen aktuell gerade nicht voll funktionsfähig ist. Wenn ein Freund oder Arbeitskollege we- gen einer Operation ins Krankenhaus kommt, dann reagiert man darauf mit Mitgefühl, Blumen und Unterstützung der Familie. Aber wie wird es von anderen Menschen wahrgenommen, wenn jemand die Diagnose einer bipolaren Störung erhält oder wegen einer Suchtkrankheit in ein Behandlungszentrum eingewiesen wird? Dabei liegt das Risiko, an einer diagnostizierten psychischen Störung zu erkranken, über die gesamte Le- bensspanne hinweg bei etwa eins zu vier. In Großbritannien erfolgen etwa 40 Prozent der Besuche bei Allgemeinärzten aufgrund psychiatrischer Be- schwerden.

Die Prävalenz psychischer Probleme ist enorm, und dennoch gibt es zu- mindest in westlichen Gesellschaften immer noch bedeutsame Tabus und Stigmata im Zusammenhang mit dem offenen Eingeständnis, an einer psy- chischen Störung zu leiden. Diese Tabus können sich auch im beruflichen Bereich niederschlagen. Professionelle Coaches, Beamte im Sozialamt, Mentoren oder Mitarbeiter von Personal- oder Weiterbildungsabteilungen in Unternehmen haben oft ihre Schwierigkeiten damit, zu tolerieren, dass die Ursache für das, was in ihrem Gesprächspartner vorgeht, in einer psy-

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Einführung · 15

chischen Störung liegt. Zu den Zielen des vorliegenden Buches gehört, das Bewusstsein für diesen Bereich zu schärfen, damit mögliche psychische Probleme als Erklärung in Betracht gezogen werden, wenn die Dinge sich nicht gemäß den Erwartungen entwickeln.

Ein Beispiel: Eine frisch beförderte Managerin hat große Schwierigkeiten damit, ihr Team zu managen, was sie zunehmend belastet. Dem könnte ein Mangel an Training zugrunde liegen – weiß sie, wie man Aufgaben delegiert und andere Leute managt? Sie könnte Unterstützung durch ih- ren Vorgesetzten (Line Manager) benötigen oder auch Hilfe dabei, in ihrer Tätigkeit Prioritäten zu setzen. Vielleicht ist die Ursache aber auch eine tiefsitzende Unfähigkeit, anderen Menschen zu vertrauen, oder sogar eine auf Misshandlungserfahrungen in der Kindheit beruhende Unfähigkeit, ihrem vorwiegend männlichen Team gegenüber bestimmt aufzutreten.

Oder denken Sie an einen erfolgreichen Geschäftsmann, der ein Coaching für intime Beziehungen sucht, da diese bei ihm „immer schiefgehen“ wür- den. Vielleicht zerbrechen seine Beziehungen, weil er an einer nicht diag- nostizierten Form von Autismus leidet und nicht in der Lage ist, anderen Menschen nah zu sein. Eventuell kann sich aber auch herausstellen, dass er dazu neigt, von anderen Menschen wie von Dingen zu sprechen und sich sehr kontrollierend zu verhalten, was Anzeichen einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind.

In beiden Fällen wird ein Coaching bestenfalls unwirksam und schlimms- tenfalls sogar schädigend für den Klienten sein. Bei der Managerin kann ein Coaching in Bezug auf effektives Managen von Teammitgliedern so- wie Fertigkeiten im Delegieren etc. sehr leicht ihre Unfähigkeit, anderen Menschen zu vertrauen, am Ende noch verstärken. Der Grund ist, dass sie bei Aufgaben und der Umsetzung von Plänen höchstwahrscheinlich versagen wird, da sie nicht imstande ist, realistische Ziele zu setzen. In ge- wisser Weise ähnelt sie einem Golftrainer, der den Schlag von jemandem verbessern will, der eine steife Schulter hat. Wenn der Trainer dann nicht erkennt, dass das Training aufgrund einer körperlichen Ursache nicht wirkt, kann das ständige Anarbeiten gegen den Schmerz in der Schulter zu bleibenden Schäden führen – und der Schlag des Betreffenden wird sich ganz sicher nicht verbessern. Der Golfspieler müsste viel eher einige Wochen pausieren, einen Spezialisten für seine Beschwerden aufsuchen, sich in ärztliche Behandlung begeben oder vielleicht akzeptieren, dass er

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16 · Coaching oder Therapie?

wegen der eingeschränkten Bewegungsfähigkeit seiner Schulter niemals richtig Golf spielen wird.

Wenn ein Trainer einen Golfspieler trainiert, der Probleme mit seinem Schlag hat, muss er zunächst beurteilen, ob der Spieler lediglich ein Golf- problem oder ein übergeordnetes, schwerwiegendes Problem hat. Handelt es sich um ein Golfproblem, kann der Golfspieler vom Training profitie- ren. Das Golfproblem besteht in Dingen wie der falschen Körperhaltung, der Vernachlässigung einer Schulterdrehung beim Schlag, der Auswahl des falschen Schlägers etc. Dies sind Dinge, die sich durch Training in den Griff bekommen lassen. Hat der Spieler jedoch ein übergeordnetes, schwerwiegendes Problem, wird er auf das Training nicht ansprechen.

Beispiele für ein solches Problem wären etwa eine steife Schulter, eine versteifte Wirbelsäule oder etwas Ähnliches, und der Spieler wird keinen Nutzen aus dem Training ziehen können, solange diese Barriere zwischen ihm und dem Golfspielen nicht überwunden wurde.

Bei jemandem mit einem möglichen psychosozialen oder psychologischen Problem oder einer psychischen Störung liegen die Dinge ähnlich. Neben den typischen Klientenproblemen, die die Klienten ändern wollen, gibt es auch noch Klienten mit übergeordneten, schwerwiegenden Problemen, die effektives Coaching verhindern.

Sobald der Klient, der Coach oder ein anderer Experte festgestellt hat, dass das Erreichen des vom Klienten gewünschten Ziels durch eine Bar- riere blockiert wird, stehen dem Coach ähnliche Optionen offen wie dem Trainer im Sport. Manchmal hat das psychische Leid eine klar erkennbare Ursache und wird sich innerhalb einiger Wochen höchstwahrscheinlich von selbst erledigen, sodass lediglich eine Pause im Coaching erforderlich ist. In anderen Fällen ist das Problem sehr ernst und bringt das Leben des Klienten in Gefahr, sodass sofortige Notfallmaßnahmen erforderlich sind.

Die Optionen reichen von einer Fortsetzung des Coachings im Bewusst- sein der Tatsache, dass es einen sensiblen Bereich gibt, über Coaching bei gleichzeitiger Unterstützung des Klienten durch Dritte (Familie und Freunde oder auch medizinische Fachkräfte) bis hin zum Abbruch des Coachings mit möglicher Aussicht auf eine Wiederaufnahme in der Zu- kunft und Unterstützung des Klienten bei der Suche nach Hilfe, manch- mal auch in Verbindung mit dem Ergreifen sofortiger Notfallmaßnahmen.

Der Golftrainer braucht nicht zu wissen, worum es sich bei dem Problem in der Schulter genau handelt, er muss keine medizinische Diagnose stel-

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Einführung · 17

len und keine Behandlung anraten können. Für ihn ist es bedeutungslos, ob das Problem auf einem eingeklemmten Nerv, einem gezerrten Muskel, einer Schädigung des Gelenks oder anderen physischen Ursachen basiert, er braucht lediglich zu wissen, dass die Arbeit am Golfschlag dieser Person aufhören muss, zumindest für den Moment.

Bei einem Coach, einem Mitarbeiter einer Personalabteilung, einem Men- tor oder einem Arbeitgeber liegen der Fokus und das Ziel ganz ähnlich wie bei dem Golftrainer. Es geht nicht darum, eine genaue Diagnose zu stellen, dies überlässt man besser den medizinischen Fachkräften.

Der Coach benötigt vielmehr die Fähigkeit, zu erkennen, wann Coaching allein nicht die Lösung ist und wie man im Interesse des Klienten am bes- ten vorgeht. Hierfür sind die folgenden Dinge erforderlich:

„ erstens die Bewusstheit der Tatsache, dass manche Menschen vorüber- gehende oder permanente psychische Probleme haben, die sich als Bar- rieren für effektives Coaching erweisen werden;

„ zweitens die Kompetenz, die Anzeichen psychischer Probleme zu er- kennen;

„ drittens die Notwendigkeit, sich vor dem Coaching mit ethischen, ju- ristischen, praktischen und lebensumstandsbezogenen Aspekten zu befassen, und

„ viertens die Auswahl des besten weiterführenden Weges.

Was passiert gerade?

Ist der Klient aufgebracht?

Hat er schlechte Nachrichten bekommen?

Oder handelt es sich um Anzeichen einer psychischen Störung?

Der Coach muss wissen:

worauf er achten muss, wie er sich ein Bild macht und was zu tun ist.

Um die folgenden Fragen zu beantworten:

Was passiert gerade?

Geht es dem Klienten gut?

Sollte ich coachen oder nicht?

Tabelle 1: Ungewöhnliches Verhalten?

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18 · Coaching oder Therapie?

Wie kann dieses Buch helfen?

Das Buch Coaching oder Therapie? richtet sich an erfahrene wie auch un- erfahrene Coaches und Leute, die ähnliche Fertigkeiten in ihrem Beruf einsetzen, beispielsweise Mitarbeiter von Personalabteilungen, Mentoren, Arbeitgeber, Manager und andere, die mit Menschen umgehen, bei denen möglicherweise psychische Störungen vorliegen. Das Ziel ist, einen allge- meinen Hintergrund für die Arbeit mit Menschen auf emotionaler oder psychologischer Ebene sowie eine Übersicht über Anzeichen und Sympto- me, die bei Menschen mit psychischen Problemen zu beobachten sind, zu liefern. Das Buch zeigt, wie man nach Vorkommnissen, die Verdacht erre- gen, diesem Verdacht mittels vorsichtigen Fragen nachgeht und zu einem angemessenen Ergebnis gelangt.

Teil 1 – Arbeiten im Grenzbereich – beginnt mit einer Darstellung des Hintergrundes psychologischer Probleme. Was ist normales Empfinden, was ist angemessenes Verhalten? Sich das Verhalten vor Augen zu führen, das allgemein als normal betrachtet wird, macht es leichter, abnormes Ver- halten zu erkennen. „Normal“ ist eine sehr schwierige Kategorie – was in einer Umgebung vollkommen in Ordnung ist, kann in einer anderen sehr seltsam wirken; was für eine Person negativ ist, kann für eine andere sehr positiv sein. Weiterhin werden die Auswirkungen von Situation und Kon- text erkundet. Wie Verhalten beurteilt wird, spielt eine entscheidende Rol- le bei der Identifikation möglicher Probleme: Manche Leute beurteilen ein bestimmtes Verhalten als absolut normal und akzeptabel, vielleicht sogar als sehr positiv, während dasselbe Verhalten von anderen als vollkommen bizarr oder inakzeptabel angesehen wird. Dies gilt sowohl für die Sicht- weise des Coaches als auch für die Sichtweise des Klienten.

Diese Dinge werden in Kapitel 1 behandelt, bevor wir in Kapitel 2 ein klares Frageschema vorstellen, das bei der Sammlung von Informationen hilft, mit denen der Coach anschließend eine Entscheidung über den bes- ten weiterführenden Weg treffen kann.

In Kapitel 3 befassen wir uns mit unterschiedlichen Sichtweisen der Vor- gänge: der Sichtweise des Klienten, der Sichtweise des Coaches, der Sicht- weise von Dritten (wie im Falle von Business-Coaching etwa des Arbeit- gebers) und der juristischen, ethischen, moralischen und praktischen Sichtweise, bevor wir in Kapitel 4 die angemessensten weiterführenden Wege erörtern.

Die wichtigste Frage lautet: Sollte das Coaching fortgesetzt werden?

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Einführung · 19

Teil 2 – Was wird eigentlich gesagt? – liefert realistische Dialoge mit Kli- enten in fiktiven Szenarien. Dieser Abschnitt stellt einige Warnzeichen vor und bietet Beispiele für Fragen, mit denen man den Dingen genauer nachgehen kann. Außerdem finden sich dort Beispiele für weiterführende Wege, um die Optionen zu erkunden, die dem Coach zur Verfügung ste- hen. Die meisten Szenarien werden in mehrere Richtungen entwickelt und zeigen dadurch, wie ähnliche Startpunkte zu unterschiedlichen Schluss- folgerungen und weiterführenden Wegen führen können.

Teil 3 – Klassifikation psychischer Störungen, ihre Definition, Epidemio- logie und Management – liefert eine kurze Übersicht über die häufigeren psychischen Störungen anhand ihrer medizinischen Definitionen.

Das Ziel dieses Abschnitts ist nicht, dem Coach oder Angehörigen ähn- licher Berufsgruppen die Möglichkeit zur Erstellung einer Diagnose zu ge- ben, sondern einen neuen Weg zum Lernen zu beschreiten. Es wäre unan- gemessen, wenn medizinisch nicht qualifizierte Personen eine Diagnose stellen würden, aber gewisse Kenntnisse in Bezug auf die Gemeinsamkei- ten und Unterschiede zwischen den einzelnen medizinischen Diagnosen können beim Verständnis der Vorgänge auf Seiten des Klienten helfen und den Entscheidungsprozess in Bezug auf das weitere Vorgehen leiten. Der Leser gewinnt durch die Lektüre dieses Abschnitts einen Eindruck von der Vielfalt psychischer Störungen.

Dieses Buch sollte nicht als umfassender Leitfaden für das Erkennen von und den Umgang mit psychischen Störungen gesehen werden; es ist in vie- len Bereichen unvollständig. Allerdings wird es Leuten, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit auf Anzeichen psychischer Störungen bei ih- ren Klienten stoßen, genug entsprechende Kenntnisse vermitteln, um mit den meisten davon auf angemessene Weise umzugehen. Ein vorläufiges Etikett für ein Problem kann für den Coach hilfreich sein, insbesonde- re im Gespräch mit anderen, aber es ist keine Diagnose. Das Buch listet außerdem die allgemein als angemessen betrachteten Behandlungen für bestimmte Zustandsbilder auf, es ist jedoch kein Behandlungsleitfaden für den Coach.

In den folgenden Kapiteln wird der Leser erfahren, wie man die Anzeichen und Symptome erkennt, die einer gründlicheren Erkundung bedürfen, und welche Faktoren man berücksichtigen muss, bevor man eine Entschei- dung darüber trifft, welcher weiterführende Weg der angemessenste ist.

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Wer im Coaching und ähnlichen Berufen arbeitet, wird in seiner alltäg- lichen Praxis nicht so oft Kontakt mit psychischen Problemen haben wie ein psychologischer Berater, Therapeut oder eine medizinisch qualifizier- te Fachkraft. Die Anzeichen und Symptome psychiatrischer Probleme zu Gesicht zu bekommen, wird eher die Ausnahme als die Regel sein.

Die Früherkennung von Problemen ist der Schlüssel zu einem positiven Ergebnis für den Klienten und ebenso der Schlüssel zu einem positiven Ergebnis des Coachings. Für den Coach bedeutet dies, er benötigt die Fä- higkeit, Anzeichen zu erkennen, sie zu überprüfen und den angemessens- ten weiterführenden Weg auszuwählen. Damit das Coaching zu einem erfolgreichen Ergebnis führt, muss es an sich nicht unbedingt erfolgreich sein. Eine erfolgreiche Coaching-Zusammenarbeit kann auch in der ab- schließenden Erkenntnis bestehen, dass Coaching nicht funktionieren wird oder dass der Klient eine andere Art von Intervention benötigt.

Egal, wie viel Kontakt mit psychischen Störungen oder Erfahrung im Um- gang mit diesen jemand hat, jeder Fall ist einzigartig und benötigt eine individuelle Beurteilung, bevor man eine Entscheidung über die weitere Vorgehensweise trifft. Die nachfolgenden Kapitel beschreiben die einzel- nen Schritte dieses Beurteilungsprozesses nacheinander, beginnend mit Kapitel 1, das die Erkundung von psychischen Problemen im Kontext ei- ner professionellen Arbeitsbeziehung behandelt. Kapitel 2 befasst sich mit dem Erkennen der Anzeichen und Möglichkeiten, wie man diese so wei- ter erkundet, dass Coach und Klient (in den meisten Fällen gemeinsam) den Entscheidungsfindungsprozess in Gang bringen können. Zu dieser

Teil I

Arbeiten im

Grenzbereich

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Entscheidungsfindung zählt auch die Berücksichtigung vertraglicher Ver- pflichtungen, ethischer Richtlinien und praktischer Aspekte des weiteren Vorgehens; alles Dinge, die in Kapitel 3 behandelt werden. Das abschlie- ßende Kapitel dieses ersten Buchteils, Kapitel 4, betrachtet die nachfolgend zur Verfügung stehenden Optionen für Coach und Klient, von einer Fort- setzung des Coachings bis hin zum Ergreifen von Notfallmaßnahmen.

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Ein Gesamtbild erstellen

Das Ziel dieses Buches ist es, bei Entscheidungen in Bezug auf die An- ge messenheit und wahrscheinliche Effektivität einer Arbeitsbeziehung mit einem Klienten zu helfen. Egal, wie die Arbeitsbeziehung definiert ist (Coach – Klient, Beamter am Sozialamt – Leistungsempfänger, Men- tor – Mentee, Mitarbeiter der Personalabteilung – Angestellter oder Mana- ger – Teammitglied), sie hat einen Zweck. Im Falle der Arbeitsbeziehung zwischen Coach und Klient ist der Zweck derjenige, dass der Klient von der Erfahrung, gecoacht zu werden, profitieren kann. Manchmal wird etwas passieren, was den Schluss nahelegt, dass dieser Zweck einer Arbeitsbe- ziehung wegen eines psychologischen Problems nicht erfüllt werden kann.

Wenn der Klient aus irgendeinem Grund – psychologisch, physisch oder praktisch – die Arbeitsbeziehung nicht eingehen kann, wird sie auch kei- nen Nutzen erbringen. Und wenn im Verlauf einer bestehenden Arbeits- beziehung ein Problem sichtbar wird, das eine Barriere für effektives Coa- ching darstellt, wird ebenfalls kein Nutzen erbracht werden.

Coaching ist eine Arbeitsbeziehung von der Art des „Helfen durch Re- den“ (Bachkirova & Cox, 2004) und weist viele Verbindungen zu psycho- logischer Beratung, Psychotherapie und anderen gesprächsbasierten Ar- beitsbeziehungen auf, mit denen es auch zahlreiche Dinge gemeinsam hat.

Der Unterschied zwischen Coaching und psychologischer Beratung oder Psychotherapie wird oft dadurch beschrieben, dass der Coach mit einer klinisch-psychologisch gesunden Gruppe arbeitet, der psychologische Be- rater oder Psychotherapeut hingegen mit einer Gruppe, deren Angehörige erkennbare Dysfunktionen zeigen. An dieser Stelle soll die Diskussion um die Genauigkeit der mit dem Wort „gesund“ verbundenen Aussage nicht aufgegriffen werden, es sei nur gesagt, dass die grundlegende psychologi- sche „Gesundheit“ des Klienten ein wichtiges Fundament für die Coach- Klient-Beziehung darstellt. Dies gilt auch für andere Arbeitsbeziehungen wie die zwischen Manager und Angestelltem, allerdings ist grundlegende psychologische Gesundheit lediglich eine Annahme, die kaum vor dem Beginn der Arbeitsbeziehung überprüft wird. Und diese Annahme psy- chischer Gesundheit macht es schwierig, im Vorfeld des Coachings ein Gespräch über die psychologische Vorgeschichte des Klienten zu führen, denn das Stellen entsprechender Fragen zieht die Grundannahme psycho- logischer Gesundheit bereits in Zweifel.

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Manche Autoren befürworten eine psychologische Untersuchung vor dem Beginn des Coachings, Berglas beispielsweise schreibt hierzu: „Zumindest sollte jede Führungskraft, die für ein Coaching vorgesehen ist, vorher ei- ner psychologischen Untersuchung unterzogen werden“ (Berglas, 2002, S. 92). Das Chartered Institute of Personnel and Development in Großbri- tannien räumt zwar ein, dass es Leute gibt, die aus psychologischen Grün- den nicht von Coaching profitieren werden, geht jedoch nicht so weit, eine entsprechende formelle Untersuchung vor dem Coaching zu empfehlen (Jarvis, 2004, S. 36–38).

In den meisten Situationen müssen Coach und Klient den möglichen Nut- zen eines Coachings während ihrer ersten Begegnung erörtern. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Klient selbst aus eigenem Antrieb heraus ein Coaching wünscht, anstatt dass beispielsweise eine Organisation im Rahmen ihres Personalentwicklungsprogramms ein Coaching vorschlägt.

Der Coach beginnt die Arbeitsbeziehung dann in der Hoffnung, dass der Klient psychisch gesund sein möge, jedoch ohne diesbezügliche Sicherheit oder Belege hierfür.

Die Annahme psychischer Gesundheit basiert auf dem Fehlen von Bele- gen für das Gegenteil anstatt auf einem objektiven Maß für die psychi- sche Gesundheit einer Person. Wer schon einmal längere Zeit mit einer Person verbracht hat, die als psychisch gestört diagnostiziert wurde, der weiß, dass es selbst in schweren Fällen immer wieder längere Zeiträume gibt, in denen die betreffende Person sich scheinbar normal verhält und in hinreichendem Maße funktioniert.

Aus diesem Grund müssen wir zunächst einerseits den Unterschied zwi- schen einem „normal funktionierenden“ Individuum und einem mit einer psychischen Störung erkunden und uns anderseits mit der ebenso wichti- gen Frage befassen, welche Veränderungen bei einer heute normal funk- tionierenden Person auftreten können, die dazu führen, dass sie morgen vielleicht Probleme bekommt. Dieser letztgenannte Aspekt ist die Grenze, an der normale psychologische Funktionalität in negative emotional gelei- tete Empfindungen und Verhaltensweisen abdriftet, die dem Individuum Leid bereiten oder seine Fähigkeit, erforderliche Aufgaben zu bewältigen, beeinträchtigt. Wir beginnen nun mit einer Diskussion der Frage, was ei- gentlich normal ist, fahren dann fort mit einer Erörterung der Anzeichen, die darauf hindeuten könnten, dass etwas abnorm ist, und befassen uns schließlich damit, wie diese möglichen Abnormitäten einzuordnen sind,

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Ein Gesamtbild erstellen · 25

damit die verfügbaren Optionen ersichtlich werden. Zu den schwierigsten Aufgaben für den Coach oder Angehörigen einer verwandten Berufsgrup- pe gehört es, im Umgang mit einer Person, die Anzeichen von psycholo- gischen Problemen oder emotionalem Leid gezeigt hat, eine Einschätzung vorzunehmen, welche Auswirkungen dies auf die Arbeitsbeziehung und die konkreten Ziele der Arbeitsbeziehung haben wird. Der letzte Teil die- ses Kapitels – „Als ich angefangen habe, ging es ihnen noch gut“ – bie- tet einen theoretischen Rahmen für die Definition des Problems, das der Klient möglicherweise hat, und wie sich dieses Problem eventuell auf das weitere Coaching auswirken wird.

Was ist normal?

Eine eindeutige Aussage darüber zu machen, dass eine Person psychisch gesund ist, stellt sich sehr schwierig dar. Im bestmöglichen Fall kann ein Experte sagen, dass „keine Anzeichen für psychologische Dysfunktion erkennbar sind“, aber das ist nicht dasselbe wie die unmissverständliche Aussage, dass die betreffende Person psychisch gesund sei.

In Bezug auf die relative Gesundheit der menschlichen Psyche und Per- sönlichkeit sind eindeutige Ja-oder-nein-Aussagen die Ausnahme. Auch im medizinischen Bereich gibt es wenig Konsens im Umgang mit psy- chologischen Problemen. Ein Arzt empfiehlt angesichts einer bestimm- ten Reihe von Symptomen eine medikamentöse Therapie, ein anderer rät demselben Patienten zu einer „Gesprächstherapie“ und ein weiterer über- weist den Patienten zu einem Psychiater. Natürlich gibt es jederzeit auch die Option, nichts zu tun, weil vielleicht der Eindruck besteht, dass nichts Ungewöhnliches vorliegt. Die Wissenschaft bietet nur wenig Hilfe bei der Diagnose psychischer Störungen, denn hierfür gibt es – anders als in vie- len Teilgebieten der Medizin, wie beispielsweise der Kardiologie – keine physikalischen Messverfahren. Diagnose und Behandlung psychischer Störungen sind eher eine Kunst als eine Wissenschaft. Die relative „Ge- sundheit“ – „Krankheit“ des Patienten liegt irgendwo dies- oder jenseits einer Grenze, die sich jederzeit ändern kann.

Um zu einer Entscheidung im Hinblick darauf zu gelangen, was normales und angemessenes Verhalten ist, ist es hilfreich, die Grenze zwischen Ge- sundheit und Krankheit allgemein zu betrachten. In den meisten Fällen wird diese Grenze definiert, wenn jemand eine Diagnose einer bestimm-

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ten psychischen Störung und somit auch das dazugehörige Etikett erhält.

Es gibt viele Menschen, die sich über einen langen Zeitraum hinweg selt- sam verhalten oder „nicht auf der Höhe sind“ und bei denen ein psycho- logisches Problem diagnostiziert würde, wenn sie einen Arzt aufsuchen würden.

Eine Definition psychischer Gesundheit beruht mehr auf der Fähigkeit, in hinreichendem Maße zu funktionieren, als auf einer allgemein akzeptier- ten Skala für „Gesundheit“. Beispielsweise ist das häufigste psychologische Problem, das Ärzte zu sehen bekommen, die Depression, die mit Gefühlen von Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit und Verzweif- lung einhergeht. Bis zu einem gewissen Grad kann es sich hierbei jedoch um eine absolut angemessene emotionale Reaktion handeln, etwa wenn man unvermittelt in einen Stau gerät und erkennt, dass man deswegen zu einem Termin zu spät kommen wird. Vielleicht treten dabei Schuldgefüh- le auf, im Sinne von „Ich hätte eher losfahren sollen“, eventuell auch Trau- rigkeit darüber, dass man sein Ziel nicht rechtzeitig erreichen wird. Ein gewisser Grad an Depression ist ein vernünftiges und wirksames Gegen- mittel für Alltagsstress, und die Unfähigkeit, auf diese Weise zu reagieren, lässt den konträren Gefühlen von Wut, Aufgebrachtsein etc. freien Lauf und führt so am Ende zu einer viel stressbehafteteren Situation.

Abbildung 1.1 zeigt eine Gauß’sche Normalverteilung der Depression in der Allgemeinbevölkerung. Manche Leute haben viele schwere Symptome, manche haben (wenn überhaupt) nur wenige Symptome. Die meisten Leu- te befinden sich die meiste Zeit über in der Mitte. Diejenigen am rechten Ende der Verteilung sind aufgrund ihrer Depression nicht in der Lage, in hinreichendem Maße zu funktionieren; diejenigen am linken Ende sind unfähig, einen gewissen Grad von Depression als Bewältigungsstrategie einzusetzen, und neigen daher in bestimmten Situationen zum Erleben eines hohen Niveaus von Stress, Angst und Wut, wohingegen die meisten Menschen in denselben Situationen angemessen mit einer vorübergehen- den Depression reagieren würden.

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Anzahl der Personen

Häufigkeit und Schweregrad der Symptome der Depression

Abbildung 1.1: Die Normalverteilung der Symptome in der Allgemeinbevölkerung In jüngerer Zeit ist das Konzept der Emotionalen Intelligenz als Möglich- keit zur Beschreibung einer emotional funktionalen Person populär ge- worden: „OK“ ist dabei eine Person, die ein realistisches Maß an Kontrolle über ihre Emotionen hat, die eigenen Emotionen angemessen einsetzt und sie weder verleugnet noch davon überflutet wird. Dies entspricht einer mittigen Position in der Verteilung in Abbildung 1.1.

Die Randbereiche der Verteilung sind die Gebiete, in denen mit der höchs- ten Wahrscheinlichkeit Probleme auftreten, die im Rahmen des Coa- chings identifiziert und erkundet werden müssen. Dort stellen Depres- sionen sowohl angemessene als auch unangemessene Reaktionen dar und beeinträchtigen sowohl das Leben des Klienten als auch seine Leistungs- fähigkeit.

Die Häufigkeit und der Schweregrad der Symptomatik sind die entschei- denden diagnostischen Hinweise, nicht ein einzelnes Symptom an sich.

Ein ähnliches Muster zeigt sich bei den meisten, wenn nicht sogar al- len psychologischen Problemen. In einer Studie von Belinda Board und Katarina Fritzon (2005) mit dem Titel Disordered personalities at work schrieben die Autorinnen: „Es gibt gute Gründe dafür, die Merkmale der PS [Persönlichkeitsstörungen] als lediglich übersteigerte Formen norma- len Verhaltens zu betrachten“ (S. 18). Weiterhin führen sie aus, dass eine Stichprobe von Senior Managern viele der Merkmale einer antisozialen

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Persönlichkeitsstörung mit den Insassen einer geschlossenen Psychiatrie mit hoher Sicherheitsstufe gemeinsam hatte.

Trotz des aufmerksamkeitsheischenden Titels dieser Arbeit stellt die Schlussfolgerung einen weiteren Beleg dafür dar, dass die Symptome psy- chischer Störungen, insbesondere der antisozialen Persönlichkeitsstörung in diesem Fall, am besten als fließendes Kontinuum denn als etwas be- trachtet werden, was man hat oder nicht. Das Problem entsteht aus der Übersteigerung des betreffenden Verhaltens und der Art, wie sich dieses Verhalten auf das Leben einer Person auswirkt.

Auch wenn die Vorstellung vielleicht manchen Angestellten reizvoll er- scheint, soll dieses Beispiel nicht aussagen, dass Senior Manager allesamt Psychopathen seien und weggesperrt gehörten. Vielmehr soll darauf hin- gewiesen werden, dass einige der Merkmale, die ständig zur Identifika- tion und Kategorisierung der Psychopathie herangezogen werden, in der

„normalen“ Bevölkerung ebenso vorliegen wie bei Leuten mit schweren psychischen Störungen. Die Anzeichen psychischer Störungen sind allge- genwärtig.

Das stark vereinfachende Konzept, psychologische oder psychosoziale Probleme sowie psychische Störungen anhand des Vorliegens von Sym- ptomen identifizieren zu können, ist nur in den allerschwersten und of- fensichtlichsten Fällen zielführend. Sogar bei dem Vorgang, den man als

„makroskopische Pathologie“ bezeichnet, müssen sehr deutliche Sympto- me und der Kontext berücksichtigt werden, bevor eine Diagnose gestellt wird. Die Weltgesundheitsorganisation führt „Halluzinationen, wie das Hören von Stimmen, wenn keine andere Person anwesend ist“ (WHO, 2000; S. 15), an der Spitze der Liste von Symptomen einer akuten psycho- tischen Störung auf – aber würden Sie sagen, dass ein Priester, der davon spricht, die Stimme Gottes gehört zu haben, diese Diagnose verdient?

Im dritten Teil dieses Buches werden die Symptome vorgestellt, anhand deren Ärzte psychische Störungen identifizieren und die entsprechende Behandlung auswählen. Viele Symptome sind in Störungen aus unter- schiedlichen Kategorien vertreten, und ein erheblicher Teil der Sympto- me kann den Eindruck vollkommen normaler und üblicher Phänomene machen, wenn man sie isoliert betrachtet. Halluzinationen sind selbstver- ständlich ein starker und deutlicher Indikator für ein Problem, aber wie ist es mit Träumen? Träume können auch nach dem Aufwachen noch äußerst real wirken. Viele Leute haben schon einmal einen verstorbenen lieben

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Menschen in ihrem Lieblingssessel sitzen „sehen“, wenn sie einen Raum betreten haben, oder das Gewicht eines lange verstorbenen Haustiers auf ihrem Bein „gefühlt“. Diese beiden Beispiele lassen sich als Halluzinatio- nen klassifizieren; der Unterschied zum psychotischen Symptom ist die vorübergehende Natur des „Wissens, dass es real ist“.

Der Kontext, die spezifische Umgebung, die Gefühle, die Überzeugungen und die Gedanken in Bezug auf das, was passiert, beeinflussen die Beur- teilung eines Verhaltens. Die Normalität des Verhaltens wird im sozialen Kontext beurteilt; es geht darum, was für eine Gesellschaft zu einer Zeit normal ist, und der Begriff Gesellschaft beschreibt dabei alles von einer Nation über ein Unternehmen und eine Familie bis hin zu einer Grup- pe von Freunden. Das Verhalten anderer Menschen zu beurteilen, bringt eigene Probleme mit sich – das Überzeugungssystem des Beobachters be- einflusst die Beurteilung der Normalität des Verhaltens. Und wenn ein Verhalten nicht normal ist, ist es vielleicht dennoch nutzbringend oder sogar bewundernswert?

Sucht ist für die meisten Menschen ein negativer Begriff, der für gewöhn- lich mit dem Gebrauch verschiedenster Drogen und anderer chemischer Substanzen in Verbindung gebracht wird. Manche erweitern den Begriff auf Alkohol, Tabak und Glücksspiel. Und eine noch kleinere Gruppe von Leuten findet es legitim, auch Sex und Essen zur Gruppe der Suchtverhal- tensweisen zu zählen, die ähnlich wie zwanghaftes Verhalten als negativ betrachtet werden. Zwanghaftes Überprüfen, ob die Türen abgeschlossen sind, Händewaschen, Videospiele spielen oder den Tag auf das Ansehen einer bestimmten Fernsehsendung hin planen, die Liste möglicher Ver- haltensweisen ist endlos, jedoch haben alle ein gemeinsames Element:

dass die Personen, die die betreffende Aktivität ausführen wollen, in un- terschiedlichem Ausmaß Unbehagen erleben, wenn sie dies nicht können.

Menschen mit einer sucht- oder zwanghaften Persönlichkeit berichten also, dass sie sich unbehaglich oder belastet fühlen, wenn ihnen eine ge- wünschte Aktivität aus irgendeinem Grund verweigert wird. Aber was ist mit einem Läufer? Wer morgens gewohnheitsmäßig joggen geht, berichtet oft von einem starken Laufbedürfnis, wenn er seiner Gewohnheit nicht nachkommen konnte. Und von Leuten, die regelmäßig meditieren, ist be- kannt, dass sie sich unbehaglich und „nicht gut“ fühlen, wenn ihnen die Meditation verwehrt wird. Oft liest man in der Presse von erfolgreichen Sportlern und davon, wie sie jeden Tag stundenlang trainieren; Stunde um

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