• Keine Ergebnisse gefunden

Christina Jasmund. Erziehung in der Kita. Alltagskultur als pädagogisches Handlungsfeld

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Christina Jasmund. Erziehung in der Kita. Alltagskultur als pädagogisches Handlungsfeld"

Copied!
17
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Erziehung in der Kita

Christina Jasmund

Erziehung in der Kita

Alltagskultur als

pädagogisches Handlungsfeld

Jasmund

(2)

Christina Jasmund Erziehung in der Kita

(3)
(4)

Christina Jasmund

Erziehung in der Kita

Alltagskultur als pädagogisches

Handlungsfeld

(5)

Die Autorin

Dr. Christina Jasmund ist Erzieherin, Motopädin, Diplomphilosophin und Diplom- sozialpädagogin. Sie arbeitet als Professorin für das Lehrgebiet Kindheitspädago- gik im Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Niederrhein.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme.

Dieses Buch ist erhältlich als:

ISBN 978-3-7799-3816-3

ISBN 978-3-7799-4902-2 E-Book (PDF) 1. Auflage 2018

© 2018 Beltz Juventa

in der Verlagsgruppe Beltz · Weinheim Basel Werderstraße 10, 69469 Weinheim Alle Rechte vorbehalten

Herstellung und Satz: Ulrike Poppel

Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Printed in Germany

Weitere Informationen zu unseren Autor_innen und Titeln finden Sie unter: www.beltz.de

(6)

5

Inhalt

1 Einleitung 7

2 Was das aktuelle Problem ist 13

2.1 Familie als soziokulturelle „Kinderstube“ 14

2.2 Institutionelle Förderung 15

2.2.1 Schwerpunkt Bildung 16

2.2.2 Aufgaben von Erziehung 17

2.2.3 Die aktuellen Erziehungsdilemmata 19

3 Was kulturelle Bildung umfasst 24

3.1 Entwicklung und Lernen 25

3.2 Erziehung 32

3.2 Sozialisation 34

3.4 Enkulturation, Kultivation 35

3.5 Das Konzept der soziokulturellen Handlungskompetenz 36

3.5.1 Selbstständigkeit 40

3.5.2 Prosoziales Verhalten 41

4 Menschen brauchen Ordnung im Leben 44

4.1 Die Erfindung der Sitten – ein kulturhistorischer

Überblick 45 4.2 Regeln und Ordnungen in der Herkunftsfamilie 51 4.3 Unsere Werte und Verhaltensnormen 53 4.2 Was Erzieher*innen wissen müssen 64

4.2.1 Höflichkeit in der Kita 65

4.4.2 Ordnungen in der Kita 66

4.4.3 Didaktisches Beispiel An- und Ausziehen 67 4.4.4 Didaktisches Beispiel – Wäschedienst 69

5 Von Körperpflege und Sauberkeit 74

5.1 Die Errungenschaft der Hygiene – ein kulturhistorischer Abriss 74 5.2 Familiäres Hygiene- und Gesundheitsverhalten 76 5.3 Gesundheitsförderliche Handlungskompetenz in Kitas 79 5.4 Was Erziehern*innen wissen müssen 81 5.5 Unsere Werte und Verhaltensnormen 82

5.5.1 Verhaltensnorm: Hände waschen 83

5.5.2 Verhaltensnorm: Umgang mit Körperfunktionen und - geräuschen 84

(7)

6 Inhalt

5.5.3 Verhaltensnorm: Sauber werden 86

5.5.4 Didaktisches Beispiel- tägliches Zähneputzen 88 6 Menschen essen und trinken gemeinsam 96

6.1 Essen ist ein leiblicher Prozess 96 6.2 Mahlzeiten sind soziale Handlungen 98 6.3 Wie Essen sozial wurde – ein kulturhistorischer Abriss 99

6.4 Beim Essen essen lernen 105

6.5 Was Erzieher*innen wissen müssen 107 6.5.1 Pädagogische Handlungskompetenz für den

Bildungsort Esstisch 107

6.5.2 Teamregeln für Erzieher*innen (!) bei Mahlzeiten 110 6.5.3 Unsere Werte und Verhaltensnormen 112 6.5.4 Didaktik zur ganzheitlichen Bildungsförderung

am Esstisch 113

7 Feste feiern 121

7.1 Was Erzieher*innen wissen müssen 122

7.2 Was Kinder können sollen 124

7.3 Kitakulturelle Geburtstagspraxis als Teamaufgabe 124 7.3.1 Geburtstage als ganzheitliche Bildungssituationen

gestalten 129 7.3.2 Erziehungspartnerschaft bei Geburtstagsfeiern 132 8 Was erzieherische Handlungskompetenz ausmacht 133

8.1 Das Konzept der Haltung 133

8.2 Erziehungswissenschaftliches Fachwissen 138 8.2.1 Erzieherische Ansätze der Reformpädagogik 138

8.2.2 Vorbild sein 141

8.2.3 Vorbildlich kommunizieren 144

8.3 Erzieherische Methodenkompetenz 148 8.3.1 Pflichten und Aufgaben für Kinder 148

8.3.2 Die vorbereitete Umgebung 151

8.3.3 Rhythmen, Regeln, Rituale 152

8.4 Didaktik 156

9 Wie es weitergehen kann: Ein erzieherischer Ausblick 158 Abbildungsverzeichnis 160 Literaturverzeichnis 161

(8)

7

1 Einleitung

In dem Buch wird die Bedeutung von Erziehungsprozessen in der frühen Kindheit thematisiert. Die in dieser Lebensphase unreflektiert erlernten Einstellungen, automatisierte Handlungs- und Interaktionspraktiken beeinflussen entscheidend die weitere Sozialisation und Bildungskarriere eines Kindes. In der TRIAS von Bildung, Erziehung und Betreuung gerät jedoch seit der öffentlichen und bildungspolitischen Bedeutungszunahme frühkindlicher Bildungsprozesse und ihrer spezifischen Förderung, die Erziehung zunehmend aus dem Blick [88]1. Erziehung als bewusste Ein- flussnahme zielt auf die Internalisierung von Werten und Normen einer Gemeinschaft und auf darauf basierende kulturspezifische Handlungs- kompetenzen im Alltag, auf zunehmend eigenverantwortliches und ge- meinschaftsfähiges Verhalten der Kinder in ihren materiellen und sozia- len Lebenswelten (vgl. KJHG § 22).

Das soziale Verhalten von Kindern und Jugendlichen wird vielfach beklagt. Insbesondere kommen Beschwerden aus den Bereichen der Schu- len, Hochschulen und beruflicher Ausbildung. Beschrieben werden Erfah- rungen, in denen Kinder bei der Einschulung und Schulwechseln oder Schulabgänger aller Schultypen nicht adäquat ausbildungs- oder studier- fähig sind, weil ihnen grundlegende soziale Kompetenzen wie Höflichkeit, Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Eigenständigkeit etc. fehlen. Die Klagen erstrecken sich auch auf unpassendes Auftreten (Verhalten, Bekleidung, Sprache, Essen etc.), sodass sich Schulen und Ausbildungseinrichtungen mit der Aufgabe konfrontiert sehen, neben der Ausbildung auch sozial- konformes Verhalten zu fördern. Sie müssen damit nicht nur Bildungsan- gebote sondern auch Erziehungsprozesse gestalten, die bei diesen jungen Menschen nicht ausreichend berücksichtigt wurden.

Seit der Antike gibt es Klagen über die schlecht erzogene nächste Ge- neration. Das Gestöhne der älteren Generation über die Jüngere ist also erst einmal kein neues Phänomen. Schon Sokrates klagte vor über 2000 Jahren: „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen den Eltern, kleckern mit dem Essen und tyrannisieren ihre Lehrer.“ Dieser Pessimismus in die zukünftige Generation zog sich kontinuierlich durch unsere Geschichte.

Auch der Mönch Peter von Morrone beschwerte sich 1274: „Die Welt

1 Alle Quellenbelege und Verweise finden sich im Literaturverzeichnis.

(9)

8 Einleitung

macht schlimme Zeiten durch. Die jungen Leute von heute denken an nichts anderes an sich selbst. Sie haben keine Ehrfurcht mehr vor ihren Eltern oder dem Alter.“ Und sogar im Regierungsbericht des Jahres 1852 erschien folgender Passus: „Es ist die Wahrnehmung gemacht worden, dass bei der Schuljugend die früher gegebene Anständigkeit und das sittli- che Benehmen … mehr und mehr verschwinde.“

Vielfältige Veränderungen unserer Lebenswelten, z. B. Globalisierung und Flexibilisierung der Berufstätigkeit zunehmend beider Elternteile, neue Familiensysteme etc. wirken sich erheblich auf die heutige Kindheit aus, die sich immer früher in häusliche und institutionelle Betreuung gliedert. Damit differenzieren sich für Kinder ihre Lernwelten in infor- melle und non-formale Bildungsorte und etablierte Handlungsmuster der intergenerativen kulturellen Reproduktion in privaten Kontexten verlie- ren an Bedeutung [15], weil „sich die natürlichen Wege und informellen Quellen der kulturellen Reproduktion verflüchtigen bzw. ihre Selbstver- ständlichkeit verlieren", an ihre Stelle jedoch nichts Neues tritt. Alltags- wissen, Werte und Formen der Lebensführung werden nicht mehr inter- generativ weitertransportiert, damit drohe „die schleichende Verödung ganzer Gebiete intergenerativen Lernens" (Otto/Rauschenbach, 2004:21) [16].

Die reale Familienzeit für ein Kind ist, bedingt durch die doppelte Be- rufstätigkeit seiner Eltern, stark reduziert. Neue Kindbilder, Erziehungs- ziele und z. T. auch mediale Einflüsse führen zu elterlichem Verhalten, welches sich deutlich von früherem intergenerativem Umgang mit Kin- dern unterscheidet.

Die frühe Selbstständigkeit der Kinder ist heute kein allgemein aner- kanntes Erziehungsziel mehr. Gar nicht zu reden von der Übernahme alltäglicher Pflichten innerhalb der Familie vom Kleidung ordnen, Bett machen, Tisch decken und abräumen, Dusche abziehen, Zahnputzzeug reinigen, Handtücher und Bettwäsche wechseln, Spielzeug reinigen, Ge- schirr spülen, Blumen gießen, Sand aufkehren, Staub wischen etc. Viele dieser notwendige „Hausarbeiten“ sehen die Kinder heute schon gar nicht mehr, weil die Haushaltshilfe oder die Mutter dies abends tun oder wenn das Kind in der Kita ist. Selbstständigkeit bei einer Mahlzeit, Selbstbedie- nung beim An- und Ausziehen, der Toilettenbenutzung, anschließendem Händewaschen, Nase und Zähne putzen usw. wird nicht mehr gezielt mit den Kindern eingeübt. Ebenso steuern Eltern heute zunehmend auch die Sozialkontakte und Freizeitaktivitäten ihrer Kinder, fühlen sich verant- wortlich für Hausaufgaben, Schulranzen etc.

Die Weitergabe von Werten, Normen und Handlungsfähigkeit im All- tag wird heute durch Themen der frühen Bildungsförderung für eine erfolgreiche Karriere überlagert. Dies wird massiv verstärkt durch das

(10)

Einleitung 9

bildungspolitische Ziel höherer Akademisierungsquoten, durch Medien- meldungen über bessere Karriereverläufe und des damit verbundenen höheren Einkommens für Akademiker in Deutschland. Dies entspricht der gestiegenen Nachfrage nach diversen Benimmkursen, vom Kinder- Knigge bis zur Business-Etikette für Abiturienten.

Neben der Familie findet soziokulturelle Erziehung auch in der insti- tutionellen Tagesbetreuung von Kindern statt. Im Unterschied zur elterli- chen „natürlichen“ Erziehungspraxis unterliegen pädagogische Fachkräfte dem gesellschaftlichen Auftrag der professionellen Entwicklungsbeglei- tung und Bildungsförderung von Kindern im Sinne des Gesetzgebers.

Im SGB VIII /KJHG § 22 Abs. 3 schließt der Förderauftrag die Ver- mittlung orientierender Werte und Regeln ein und formuliert, „dass sich die Förderung des Kindes an seiner Lebenssituation sowie seinen Fähig- keiten, Interessen und Bedürfnissen orientieren soll“. Rauschenbach nutzt dafür den Begriff „Lebenstüchtigkeit“ und fordert, dass die bisher wenig beachtete Bildung im Alltag als „nicht-intendierte Bildung“ mehr Auf- merksamkeit erfahren muss. Wenn hiermit die Chancen und Grenzen von Bildungskarrieren entschieden werden, dann darf sich der Bildungs- diskurs nicht länger auf die „Sonderwelt“ Schule beschränken, sondern muss vielmehr den Blick auf die gesamte Lebenswelt und alle Bildungsor- te richten [106]. Die Intentionen pädagogischer Fachkräfte müssen mit Basiskompetenzen einer gelingenden Lebensführung verbunden bleiben und der lernenden Selbstregulation des Kindes muss eine herausgestellte Bedeutung eingeräumt werden [34].

Kompetentes Alltagshandeln fokussiert hauptsächlich auf eigenständi- ges Tun, als KÖNNEN. Können als Erwerb von Fertigkeiten muss erlernt werden. Das Verhalten gegenüber anderen Menschen erlernen, sich selbst bedienen, zu regulieren und selbst versorgen zu können sind wichtige Entwicklungsschritte für Kinder.

Dazu sind Verhaltensroutinen und motorische Fertigkeiten notwen- dig, die eingeübt und automatisiert werden müssen, wie z. B. sich selbst an- und auszuziehen, Schleife binden oder der sachgerechte Umgang mit Besteck, Geräten, Instrumenten, Werkzeugen aber auch kulturgerechte Umgangsformen von Ordnung, Höflichkeit und Anstand etc. Dieses Können erlernt man durch Sehen, Nachmachen, Zeigen, durch ritualisier- te Wiederholung und Training, nicht als Wissen sondern durch aktives Tun. Die Speicherung erfolgt im prozeduralen oder impliziten System unseres Langzeitgedächtnisses, mit der Funktion „wissen wie“. Seine In- halte machen einen großen Anteil unserer Gedächtnisleistung aus. Sie stehen leicht und ohne Überlegung lebenslang zur Verfügung und werden in früher Kindheit erworben.

Dazu bedarf es einer Lernmotivation, -begleitung und -verstärkung,

(11)

10 Einleitung

denn der Einsatz von Energie und Aufmerksamkeit muss sich lohnen und honoriert werden. Kinder wollen erlernen, was ihnen sinnvoll und nütz- lich erscheint. Erwachsene steuern diesen Prozess über ihr Erziehungs- verhalten. Die Modellrolle erhält unter diesen Gesichtspunkten eine neue Dimension, die sich deutlich von der gezielten Bildungsförderung unter- scheidet, welche sich an diversen Bildungsbereichen mit dem Fokus auf WISSEN orientiert.

Erziehung ist immer Teamwork. Gemäß dem afrikanischen Sprich- wort, braucht man ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen. In Familien besteht das Kleinteam aus Vater und Mutter, das Groß-Team umfasst auch nähere oder weitere Verwandte. Wenn in diesen Teams unterschied- liche Vorstellungen und Erziehungspraktiken aufeinandertreffen, kommt es nicht selten zu Konflikten. Eine Unzahl von Elternratgebern und medi- alen und professionellen Erziehungshilfen spiegeln das deutlich wieder.

Pädagogische Fachkräfte sind in ihrem beruflichen Handeln auch immer Teil eines Teams. Nun ist von Auseinandersetzungen über Erziehungs- handeln in Kitas nicht oft zu hören oder zu lesen. Warum eigentlich nicht? Hier müssten doch permanent individuelle Vorstellungen und Verhalten miteinander kollidieren und abgestimmt werden, damit nicht einer Hü! und der andere Hott! sagt. Kann es ein, dass alle in den Kitas so mit Bildungsförderung beschäftigt sind, dass Erziehung gar kein Thema ist?

Pädagogische Fach- und Lehrkräfte lehren nur das, was sie selbst als bedeutsam gelernt und als pädagogische Handlungskompetenz entwickelt haben.

Bei dem Begriff kulturelle Bildung denkt man zuerst an: Museen, Mu- sik, Theater, Karneval u. v. m. Kultur ist aber auch, wie Menschen mitei- nander umgehen, wie sie gemeinsam essen, sich und ihr Lebensumfeld sauber und in Ordnung halten. Alle alltäglichen Verrichtungen und Kon- takte tun Menschen auf eine spezifische kulturelle Weise. Natürlich ge- hört zu Kultur auch das, was heute als Freizeit-, Medien- oder Hochkultur verstanden wird und Kulturtechniken wie: lesen, schreiben, rechnen, digitale Medien nutzen etc.

Viele Bereiche, Aktivitäten und Errungenschaften unserer Alltagskul- tur nutzen wir unbewusst. Wir erleben und praktizieren sie ja jeden Tag unseres Lebens. Um unsere Alltagskultur wertzuschätzen und als bedeut- sam an die nächste Generation weiterzugeben, müssen erziehende Perso- nen über deren Werte und Praxis wissen und die Weitergabe gezielt in- szenieren, denn Menschen werden in eine Kultur geboren, aber nicht mit einer Kultur. Das heißt, alles was Kultur ausmacht, müssen Kinder erst erlernen.

Damit dies geschehen kann, ist es notwendig aus biografisch erworbe-

(12)

Einleitung 11

nem, implizitem Wissen und Können explizite und sprachlich reflektierte Erziehungsthemen zu generieren. Durch die Versprachlichung können diese im deklarativen Gedächtnis gespeichert werden und stehen damit als bewusstes, explizites Wissen abrufbar zur Verfügung. Erst dann kann dieses Wissen gezielt und bewusst erzieherisch genutzt werden.

Aus den automatisierten, oft nonverbal ablaufenden Alltagsroutinen in vielen Kitas müssen alltagsintegrierte „Schlüsselsituationen“ für Erzie- hung und ganzheitliche Bildungsförderung der Kinder in überschaubaren lebensnahen Handlungszusammenhängen werden [81]. Dann unterstüt- zen gezielte Erziehungsprozesse im Alltagshandeln ihre kulturelle Bildung und erfolgreiche Sozialisation.

Dieses Buch fordert zunächst einmal Selbstbildung von den pädagogi- schen Fachkräften, damit sie Alltagssituationen bewusst so nutzen, dass Kinder praktisches soziokulturelles Wissen und Können erlernen können.

Neben der Transformation des impliziten Wissens über Verhalten, wel- ches Erwachsene ihr ganzes Leben schon praktizieren zu expliziter Fach- kenntnis, gehört auch didaktische Handlungskompetenz, was und wie dies weitergeben werden soll. Pädagogische Fachkräfte sind genauso wie Eltern bedeutsame Vorbilder für Kinder in ihren ersten Lebensjahren. Im Unterschied zu Eltern – die „natürliche“ Vorbilder sind, müssen pädago- gische Fachkräfte sich als Vorbild professionell inszenieren.

Das Buch bietet für die thematische Auseinandersetzung zu relevanten Aspekten unserer Alltagskultur zunächst eine begriffliche Übersicht und die Einordnung des Themas in den erzieherischen Kanon.

Für ausgewählte Themen unseres sozialen Alltagshandelns folgt je- weils ein kurzer historischer Überblick als Würdigung dieser kulturellen Errungenschaft und ihrer aktuellen Bedeutung. Erläutert wird die „natür- liche“ Erstaneignung im Sozialisationsprozess und deren Fortsetzung in unserer Lernkultur institutioneller Kindertagesbetreuung. Didaktische Empfehlungen anhand konkreter Beispiele ermöglichen eine Auseinan- dersetzung im Team im Rahmen der Konzeptionsentwicklung und deren Einordnung in die ganzheitliche Bildungsförderung und Entwicklungsbe- gleitung der Kinder. Sie belegen anschaulich, dass professionell gestaltete Erziehungsprozesse die ganzheitliche Bildung der Kinder fördern und somit nicht in Konkurrenz zueinander stehen sondern eine lernfeldorien- tierte Einheit bilden und die Entwicklungspotentiale des Alltags erschlie- ßen.

Weiterführende Bildungsthemen wie z. B. Ernährungsbildung, religiö- se Bildung, interkulturelle Bildung, Partizipation etc. werden in diesem Buch nicht berücksichtigt, in den entsprechenden Abschnitten nur ange- deutet.

Kinder wollen in den ersten Jahren nichts sehnlicher als alles das zu

(13)

12 Einleitung

können und zu tun, was die Großen machen! Sie wollen uns ähnlich wer- den um dazuzugehören. Wir müssen es als wichtige Aufgabe begreifen ihnen dabei zu helfen. Kinder erlernen so unsere kulturspezifischen Werte und alltäglichen Umgangsformen. Kinder zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu erziehen, beinhaltet ihre alltäg- liche Handlungsfähigkeit zu fördern und zu erweitern. Das dürfen wir bei aller Bildungs(-bereichs-)förderung nicht vergessen! „Der Mensch [kann]

sich mittels Erziehung den Erfahrungsschatz seiner Kultur zu Nutze machen“ [39]. Kinder haben ein gesetzlich verankertes Recht auf Erzie- hung. Dieses Buch möchte daran erinnern.

(14)

13

2 Was das aktuelle Problem ist

Eine Kultur als spezifisches soziales und räumliches Gefüge ist immer schon da, wenn ein Mensch geboren wird. Ein Kind wächst auf innerhalb dieser konkreten Wirklichkeit mit ihren gewachsenen Regeln, Normen, Sprachen, mit ihrer Geschichte, ihren Religionen, ihrer räumlichen und künstlerischen Gestaltung. Das Kind muss sich diese kulturellen Räume, Formen und Symbole erschließen und verstehen und wird so ein „Kind seiner Zeit“ [31]. Aufgrund der Ortsbezogenheit der eigenaktiven Ausei- nandersetzung in den ersten Lebensjahren baut das Kind gleichzeitig eine sozial-räumliche Verortung in seiner konkreten Umwelt auf, in die es später auch die kulturelle Umwelt mit einschließt. Deren kognitive Prä- sentation wird als „Heimat“ konstruiert.

Die konkrete soziokulturelle Umwelt eines Kindes ist immer auch in gesellschaftliche Machtverhältnisse eingebunden, die mit gelernt und erfahren werden, ohne sie zunächst zu durchschauen. „Die kulturellen Bedingungen dieses frühen Lebens schreiben sich in die Gehirne und Körper der Kinder ein“ [148] und spielen „immer eine wichtige Rolle in unserem Leben“ [116]. Die heimatliche und soziale Identität werden Teile der personalen Identität und dienen der Selbstdefinition. Durch dieses sich ‚zu eigen machen‘ kommt es zu einer Bindung, die als Projektionsflä- che für Werte dient und den sozialen Zusammenhalt, Integration und Gruppenbindung ebenso fördern, wie sie dem Individuum einen Orien- tierungs- und Bezugsrahmen für Selbstbestimmbarkeit und Autonomie bieten [116].

Lernen ist zentral für jede Kultur, die von Beginn an Lernumgebung und Lerngegenstand ist. Kulturelles Lernen ist zunächst der Erwerb von Handlungsfähigkeit im Alltag. Gleichzeitig geschieht so das Hineinwach- sen in eine spezifische Kultur, ihre Aneignung wie z. B. die Sprache sowie der Kontakt und eigenaktive Umgang mit ihren Symbolen und Werten und ihre Einverleibung z. B. durch essen oder die körperlichen Gesten von Begrüßung und Abschied. Das Ziel des Angleichens an die Menschen seiner Gruppe ist für das Kind zentrales Entwicklungsmoment, welches zunächst als Einfügung stattfindet und erst später durch Distanz und Kritik auch eigenaktives Veränderungspotential zulässt. Es verändert durch diese „Anähnlichung“ seine Selbst- und Fremdwahrnehmung [148].

Soziokulturelles Alltagslernen erfolgt planlos und kann sich auf keine wissenschaftliche Tradition stützen. Es ist kaum empirisch zu erfassen.

(15)

14 Was das aktuelle Problem ist

Wie effektiv Alltagslernen besonders in der frühen Kindheit ist, zeigt sich jedoch sehr überzeugend am frühkindlichen Spracherwerb, den die meis- ten Kinder hervorragend bewältigen.

2.1 Familie als soziokulturelle „Kinderstube“

Kulturelles Lernen erfolgt zunächst in der Herkunftsfamilie und dem sozialen Nahraum, der Nachbarschaft und Verwandtschaft. Eltern als erste und bedeutsamste Bezugspersonen gestalten und prägen durch ihr Handeln die frühkindliche Lebenswelt. Ihr kann ein Kind sich nicht ent- ziehen. Es erlebt und speichert vielfältige Versorgungs-, Kontakt-, und Interaktionsmomente als kognitive Schablonen und innere Arbeitsmodel- le für spätere soziale Kontakte. Schon in den ersten Wochen und Monaten steuern die Eltern das kindliche Handeln durch ihre Rückmeldungen.

Positive Aktivitäten werden bestätigt und negative ignoriert oder korri- giert. Damit fördern sie das Sozialwerden ihres Kindes, denn sie wollen, dass ihr Kind am Leben in ihrer Gemeinschaft teilhaben kann.

Aufgrund ihrer eigenen Verortung meinen sie damit das eigene sozio- kulturelle Umfeld. Ihr Kind wächst in dieses hinein und verinnerlicht die darin geltenden spezifischen Normen, Regeln etc. als deklaratives und prozedurales Wissen über bekannte soziale Ereignisse (z. B. Regeln sozia- ler Etikette). Da diese Orientierung besonders in den ersten Lebensjahren vorrangig in den jeweiligen Lebenskontexten der Herkunftsfamilie statt- findet, werden Einstellungen und spezifisches Rollenverhalten internali- siert und als sozio-kulturelles Kapital der jeweiligen Lebensweisen weiter- gegeben [17]. Die sozial-räumliche Umgebung ist der Rahmen der frühkindlichen Erfahrungen und deren emotional-affektiver Bewertun- gen. Sie bilden die Grundlage für kognitive Handlungsschablonen, für internale Arbeitsmodelle und die Basis der individuellen sozialen Habitu- ierung2 [11]. „Nach heutigem Erkenntnisstand sollen etwa 70% unserer Einstellungen und Kenntnisse auf informelle3 Lernprozesse zurückgehen, die u. a. unsere Wertorientierungen, kulturellen und sozialen Verhal- tensmuster und Identitätsentwicklung prägen“ [119]. In der Familie be- ginnt die Bildung und Erziehung ihres Kindes. „Sie ist der erste, umfas- sendste, am längsten und stärksten wirkende, einzige private Bildungsort von Kindern und in den ersten Lebensjahren der wichtigste. Die Bedeu- tung der Familie ist zentral. Sie steuert und beeinflusst alle Bildungspro-

2 frühe Form des Lernens durch Gewöhnung (Duden)

3 Sammelbegriff für Lernen außerhalb von Bildungseinrichtungen

(16)

Institutionelle Förderung 15

zesse direkt durch das, was Kinder in der Familie lernen“ [38]. Diese sozi- alen Umweltvariablen beeinflussen in Form von „mental maps4“ die Bil- dungskarrieren und individuellen Lebensläufe stärker als formale Bil- dungsabschlüsse [119]. Die Heterogenität kindlicher Lebenswelten mutet den Kindern unterschiedliche Alltagserfahrungen zu, als spezifische „so- ziale und kulturelle Prägung“ [114]. Nur an sie kann ein Kind anknüpfen und auf ihrer Basis seine Kompetenzen erweitern.

2.2 Institutionelle Förderung

Nahezu uneingeschränkt liegt in Deutschland die Verantwortung für das Wohl und die Erziehung eines Kindes als natürliches Recht bei seinen Eltern (GG Art. 6 Abs. 2). Sie sind damit die primäre Sozialisations- instanz.

Eltern haben zur Unterstützung ihrer Erziehungsaufgaben das Recht auf Förderung ihrer Kinder in Tageseinrichtungen oder Tagespflege ab dem vollendeten ersten Lebensjahr (SGB VIII/KJHG § 22-26). Das Bil- dungssystem als sekundäre Sozialisationsinstanz hat die Aufgabe eine erfolgreiche Sozialisation zu fördern. Der Prozess soll gewährleisten, allen Kindern eine kompetente Teilnahme an Kultur und Gesellschaft zu er- möglichen.

Die Entwicklungsförderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Tagespflege unterliegt aufgrund ihrer rechtlichen Verankerung im SGB VIII/KJHG einem staatlichen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauf- trag. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) formuliert in Kapitel 1

§ 1 Abs. 1 das Ziel: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“ In der föderalen Bundesrepublik wird Kindertagesbetreuung landesrechtlich geregelt (SGB VIII/KJHG § 26) und unterliegt einem Anspruch an Qualität, für deren Einhaltung und Weiterentwicklung der Träger der Einrichtung verantwortlich ist (SGB VIII/ KJHG § 22a Abs. 1). Um diesem Qualitätsanspruch gerecht zu wer- den, hat jede Kindertageseinrichtung in einer Konzeption die Grundlagen ihrer pädagogischen Arbeit zu dokumentieren. Öffentlich geförderte Kin- dertageseinrichtungen setzen ihre pädagogische Arbeit auf Basis einer Betriebserlaubnis um, die neben den räumlichen auch die personellen Ressourcen und deren fachliche Kompetenzen prüft (SGB VIII/ KJHG

§ 45 Abs. 3). Damit soll sichergestellt werden, dass die Bildung, Erziehung

4 kognitive Kartierungen

(17)

16 Was das aktuelle Problem ist

und Betreuung der Kinder in der Einrichtung im Sinne des Gesetzgebers umgesetzt wird.

2.2.1 Schwerpunkt Bildung

Die Ausführungsgesetze aller Bundesländer zur Tagesbetreuung von Kindern verweisen auf ihren jeweiligen Bildungs- oder Orientierungsplan, in denen Bildungsziele definiert sind. In ihrer pädagogischen Arbeit sollen sich die Fachkräfte an ihnen orientieren. „Die Bildungspläne beschreiben ein zeitgemäßes Bildungsverständnis in der Frühpädagogik, sie definieren Bildungs- bzw. Kompetenzbereiche und geben Hinweise zur Anregung und Gestaltung kindlicher Bildungsprozesse“ [144].

Die frühe Bildungsförderung von Kindern ist seit PISA in den vergan- genen 15 Jahren in Deutschland zum Thema interdisziplinärer Diskurse, diverser Forschungsprojekte, bildungspolitischer Neuregelungen und Thema einer unüberschaubaren Medienvermarktung geworden. Aus-, Fort- und Weiterbildungen aktualisieren die vorhandene diesbezügliche Handlungskompetenz pädagogischer Fachkräfte und auch die Öffentlich- keit ist sehr für dieses Thema sensibilisiert. Dieser öffentliche Druck ist einer der Gründe für zunehmenden Stress bei pädagogischen Fachkräften, wie aktuelle Gesundheitsstudien von Fachkräften in der Kindertagesbe- treuung eindrucksvoll belegen [139].

Obwohl der Gedanke der ganzheitlichen, lebensweltbezogenen Bil- dungsförderung in allen Bildungs- und Orientierungsplänen der Länder explizit genannt wird, führt die wenig begründete und als wahllos er- scheinende Differenzierung in diverse Bildungsbereiche, in denen impli- ziert eine Orientierung an die späteren Schulfächer zu erkennen ist, in der Praxis vielfach dazu bereichsspezifische Bildungsangebote zu gestalten.

Für diese Angebote stellt der Markt inzwischen analog zu Schulmateria- lien vielfältige Medien bereit, die zwar oft teuer aber, wenn einmal ange- schafft, auch schnell einsetzbar sind und oft eine hohe Attraktivität für Kinder besitzen. Die Bildungsangebote dokumentieren für die pädagogi- schen Fachkräfte transparent die eigene pädagogische Arbeit gegenüber den Eltern und der Fachöffentlichkeit. Deren Erwartungen sowie die Kooperationsverpflichtung mit den aufnehmenden Grundschulen unter- stützen diese Tendenz.

Ganzheitliches, lebensweltbezogenes Vorgehen ist häufig schwerer ab- zubilden und Erfolge weniger schnell sichtbar. Solche Ausrichtung bedarf ausführlicherer Darstellung und fachlicher Begründung, für die kaum zeitliche und personelle Ressourcen zur Verfügung stehen.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

International vergleichende Motivationsforschungen haben gezeigt: Wenn freiwilliges Engagement nicht mehr selbstverständlich (etwa in den Familien oder in Stadtteilen)

Bis in einer Kita eine für Kinder förderliche Alltagskultur entsteht, begibt sich jedes Team in einen gemeinsamen Lernpro- zess über gemeinsame Werte.. Genau darauf zielt

Dies gelingt Ihnen, indem Sie wiederum geeignete Verben bei der Formulierung der Lernziele verwenden („Operatoren“). „Die Schüler_innen) können die Auswahl des

Breites Wissen und langjährige Erfahrung sind vor allem für Unternehmen wichtig, die eine hohe Anzahl Zugriffe auf ihre Websites haben.

nannte Network Zone in Alma eingesetzt werden, in der ein oder mehrere Anbieter für einen definierten Anwenderkreis zusätzlich zur Community Zone Daten bereitstellen können..

oder wenn Söhne schon sein wollen wie die Väter, also ihre Eltern weder scheuen noch sich um ihre Worte kümmern, sich nichts mehr sagen lassen wollen, um ja recht erwachsen

Ich würde mich freuen, wenn dieses Buch dem sowohl am Thema inter- essierten Laien als auch einem sich in der Ausbildung, im Studium oder bereits in der Berufspraxis befi

Ideologie verbaut den Blick für klügere Alter- exklusiv geförderte E-Auto ist ökologisch und öko-.. Statt Fahrverboten, Tempolimits